Guido Cavalcanti (1255-1300)
italienischer Dichter
Auf die Geliebte des Dichters
(Sonett)
Wer ist sie doch, die Sieg'rin aller Blicke,
Die, Liebe lächelnd, leise Lüft' umwallen,
Die solches Sehnen aufregt unter Allen,
Daß Niemand spricht, nur Seufzer drängt zurücke?
O Gott, wer schildert ihre holden Blicke?
Ich nicht, Dir Amor woll' denn es gefallen;
Zorn scheint in Andrer Sanftmuth aufzuwallen,
So sanft ist sie; es fliehn vor ihr die Tücke.
Wer darf die Holde wohl zu schildern wagen,
Vor der sich jede Tugend muß verneigen,
Zur Göttin von der Schönheit selbst erkoren?
So hoch mag keines Menschen Einsicht ragen,
So gnädig wird das Glück sich Keinem zeigen,
Daß sie zu kennen, fähig er geboren.
(S. 14)
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Die Augen der Geliebten
(Sonett)
Die Augen seh' ich, wo jüngst Amor weilet,
Als ee mit seiner Macht mich überwunden;
Verdruß hab' ich in ihnen nur gefunden,
Wovon zu wilder Qual das Herz sich theilet.
Und wenn die Dame lächelnd mich nicht heilet,
Zeig' ich ihr unverhüllt des Herzens Wunden,
Daß Amor selbst zur Reu' sich fühlt verbunden,
Drob, daß er mich zu fahen so geeilet.
Doch als sie nun mich würdigt' anzuschauen,
Da kam ein Geist auf himmlischen Gefieder
Und ließ in meiner Brust sich ruhend nieder;
Der Liebe Wahrheit wußt' er zu enthüllen,
Mit seiner Tugend so mich zu erfüllen,
Als käm' er aus dem Herzen meiner Frauen.
(S. 14)
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Doppelliebe
(Sonett)
Ein zartes Mägdlein von Tolosas Auen,
Mit Lieblichkeit und Anmuth ausgeschmückt,
Hat mit dem schönen Aug' mich angeblickt,
Ganz, wie nur meine Dame pflegt zu schauen.
Zu dieser zieht mein Herz ein sanft Vertrauen,
Indeß sich jener fast das Herz entrückt;
Ihr eilt es zu, doch fühlt sich's angstgedrückt,
Gesteht sich nicht, wem's gilt von beiden Frauen.
Sie schaut es an in ihrem holden Blicke,
Der holde Liebe sanft in ihm erschaffen,
Und seine rechte Dame schaut es drinnen.
Dann kehrt es seufzend in sich selbst zurücke,
Zum Tod verwundet mit den schweren Waffen,
Die diese führte, da sie ging von hinnen.
(S. 15)
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Theorie der Liebe
(Canzone)
Mir zeigte eine Dame ihr Verlangen,
Worin die Liebe nur besteh' zu wissen,
Der schlimme Feind, der hart uns angefallen
Und die ihn läugnen grausam nimmt gefangen.
Zur Antwort hab' ich mich entschließen müssen,
Da diese Kenntniß wohl nicht unter Allen,
Zumal den Niedrigen, verbreitet ist,
Denn nur Verstandes Einsicht mag erklären,
Wo Liebe weilt und wie wir solche nähren,
Wie ihre Tugenden und Kräfte sich bewähren
Und wie man ihre rechte Kraft ermißt.
Ihr Wesen ist zu schildern und Begehren,
Die Wonne, so den Namen ihr gegeben,
Wenn die Betrachtung Stoff gibt solchem Streben.
Wo das Gedächtniß in der Seele wohnet,
Da fängt sie an bei uns sich zu gestalten;
Durchsichtig schimmert sie mit trübem Lichte,
Das in ihr weilt und sie vom Mars erhalten.
Sie wächst, verdankt den Sinnen ihren Namen,
Wie Geist mit Sitt' und Herz mit Lust ihr lohnet.
Aus angeschauter Form entspringt ihr Samen,
Damit sie auf sich zum Verstande richte,
Der Platz und Wohnung als Subject gewährt,
Doch wird sie hier zur Unruh nur entflammt,
Weil sie von keiner Qualität entstammt,
Sie wird von eigner Rückwirkung genährt;
Sie hegt nicht Lust, weilt stets nur im Betrachten,
Nichts ist sodann ihr ähnlich zu erachten.
Sie ist nicht Tugend, doch von ihr entsprungen,
Die in Vollkommenheit nur ist enthalten,
Auch nicht Vernunft, doch thätig durch Gefühle,
Das Urtheil wird von ihr durchaus bezwungen,
Das Streben gilt ihr statt vernünftgen Walten,
Unkundig wählt sie Laster auch zum Ziele.
Sie hat schon oft geführt dem Tod entgegen,
Wenn etwa Tugend sich umstrickt befunden,
Die sonst uns führt nur auf der bessern Spur,
Doch ist dies nicht zuwider der Natur;
Denn will man abwärts sich vom Heil bewegen,
Kann wirksam sich das Leben nicht bekunden,
So ist auch Herrschaft nie bestehn geblieben,
Vergaß der Mensch es, seine Kraft zu üben.
Ist so verkehrt der Wille erst geleitet,
Dann muß im Wesen jeglich Maß verschwinden
Und Ruhe läßt sich nicht auf uns hernieder;
Die Farben wechseln, Weinen wird aus Lachen,
Der Form ist Untergang nur zu verkünden.
Bei Wackern auch ist diese Pest verbreitet,
Du wirst bemerken, sieh' nur hin und wieder,
Die neue Qualität muß Trau'r erregen
Und will geformt des Menschen Streben machen.
Doch Zorn erwacht und lodert auf in Flammen,
Wer's nicht erfuhr reimt's nimmer sich zusammen.
Nicht weil's ihn ziehet muß er sich bewegen;
Zum Scherze nicht wird er noch hingerissen,
Ihn kümmert hohes nicht noch niedres Wissen.
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Nun magst du sicher gehn, Canzone,
Wohin du willst: so hab' ich dich geschmückt,
Daß deiner Tugend Lob mir wird zum Lohne
Bei allen denen, so Verständ'ges lieben,
Denn nicht für Andre hab' ich dich geschrieben.
(S. 16-18)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]