Argumente gegen die Liebe |
Argumente für die Liebe
(Lenio)
(Tirsis)
Lenio:
Die Liebe ist, wie ich von gereiften Männern habe sagen hören, eine
Sehnsucht nach der Schönheit, und diese Definition geben - unter vielen
anderen - diejenigen, welche dieser Frage am meisten auf den Grund
gekommen sind. Wenn man mir aber zugiebt, die Liebe sey eine Sehnsucht
nach der Schönheit, muß man mir nothwendiger Weise auch einräumen, daß die
Liebe, mit der man liebt, in gleichem Verhältniß mit der Schönheit, welche
man liebt, seyn muß. Da nun aber jegliche Schönheit zweierlei ist, nämlich
körperliche und unkörperliche, so muß diejenige Liebe, welche die
körperliche Schönheit als ihr höchstes Ziel betrachtet, eine schlechte
Liebe seyn, und das ist jene Liebe, welche ich hasse. Da aber die
körperliche Liebe sich wieder in zwei Theile theilt, nämlich in die Liebe
zu lebendigen und in die Liebe zu leblosen Körpern, so kann es dennoch
eine auf Körper gerichtete Liebe geben, welche gut ist. Der eine Theil der
körperlichen Liebe zeigt sich darin, daß in lebendigen Leibern von Männern
und Frauen sich alle Theile des Körpers an sich selbst gut erweisen, und
alle diese Theile zusammen genommen ein so harmonisches Ganze bilden, daß
man an diesen Körpern die Form der Glieder einerseits, und die Farbe der
Haut andrerseits in übereinstimmenden Verhältnissen findet. Die zweite
Gattung der körperlichen, nicht lebenden Schönheit besteht in Gemälden,
Statuen und Gebäuden, und diese Schönheit kann man lieben, ohne daß die
Liebe, die sich hier ausspricht, sich tadeln ließe. Aber auch diese
unkörperliche Schönheit kann man in zwei Theile theilen, nämlich in die
Schönheit der Tugenden und Wissenschaften der Seele. Diejenige Liebe aber,
welche sich an die Tugend hält, muß nothwendiger Weise gut seyn, nicht
weniger aber diejenige, welche ihr Augenmerk auf tugendreiche
Wissenschaften und angenehme Vergnügungen richtet.
Da nun diese beiden Gattungen von Schönheit die Ursache sind, welche in
unserer Brust die Liebe erzeugt, so folgt daraus, daß die gute oder die
schlechte Art der Liebe davon abhängt, ob man die eine Schönheit oder die
andere liebt. Da wir aber die körperlose Schönheit mit den klaren und
reinen Augen des Verstandes anschauen, die körperliche Schönheit aber mit
den trüben und blinden Augen des Körpers betrachten, welche doch immer, in
Vergleichung mit den unkörperlichen Augen trüb und blind geheißen werden
müssen; und da die körperlichen Augen darin weit schneller sind, eine vor
ihnen stehende körperliche Schönheit, die sich gefällig darbietet, zu
betrachten, als die Augen des Geistes in der Untersuchung einer mehr
entfernten und tiefer liegenden unkörperlichen Schönheit, welche
ruhmwürdig ist, so folgt hieraus, daß die Sterblichen gewöhnlich mehr die
hinfällige, sterbliche Schönheit lieben, welche sie zu Grunde richtet, als
jene unvergleichliche göttliche, welche sie zum Bessern leitet. Ja, aus
dieser Liebe oder vielmehr Sehnsucht nach der körperlichen Schönheit
entstand, entsteht und wird in der Welt entstehen die Zerstörung der
Städte, der Untergang der Staaten, der Ruin der Reiche und der Tod der
Freundschaft, und wenn auch dieß im Allgemeinen nicht der Fall ist, welch'
größer Unglück, welch' bittere Qual, welch' herbere Verwüstung, welche
Eifersucht, welche Pein, ja welchen tödtlicheren Schmerz kann sich der
menschliche Geist denken, als den, der sich einem unglücklich Liebenden
vergleichen läßt? Und fragt Ihr noch, was die Ursache von alle dem sey?
Die Glückseligkeit des Liebenden besteht darin, alle die Schönheit zu
genießen, die er sich wünscht. Diese Schönheit aber kann er unmöglich ganz
erreichen und ganz genießen, und da er nicht im Stande ist, das Ziel zu
erreichen, nach dem er sich sehnt, sprossen aus seiner Brust hervor:
Seufzer, Thränen, Klagen, Verzweiflung. Da es nun aber erwiesen ist, daß
die Schönheit, von der ich spreche, nicht rein und vollkommen genossen
werden kann, so geht hieraus klar und deutlich hervor, daß es nicht in der
Macht des Menschen liegt, vollkommen irgend etwas zu genießen, das außer
ihm ist, und ihm nicht gänzlich angehört; denn es ist eine durchaus wahre
Sache, daß alles das, was wir Zufall oder Schicksal nennen, stets
außerhalb des Menschlichen Urtheils liegt, und von uns in keiner Weise
begriffen werden kann. Aus alle dem ist nun zu schließen, daß überall, wo
Liebe ist, Schmerz ist, und wer dieß läugnen will, der könnte eben so gut
läugnen, daß die Sonne leuchtet und daß das Feuer brennt.
Damit wir aber mit größerer Klarheit und größerer Leichtigkeit das
Verständniß uns begreiflich machen können, wie viel Bitteres die Liebe in
sich schließt, will ich Euch auf das deutlichste sagen, wie es sich verhällt, wenn ich alle Leidenschaften durchgehe so die Seele bewegen. Der
Leidenschaften der Seele giebt es, wie Ihr edle Ritter und sinnige Schäfer
wohl wißt, vier an der Zahl und nicht mehr. Und diese sind
überschwängliche Sehnsucht, allzuheftige Freude, große Bangigkeit ob
künftigem Schicksal und heftiger Schmerz ob gegenwärtigem Unglück. Diese
Leidenschaften nennt man, weil sie gleich wechselreichen Winden die volle
Ruhe der Seele stören, mit einem sehr richtigen Ausdruck Störungen (Perturbationes),
und von diesen Störungen der Seele ist die Liebe die allerärgste, denn
Liebe ist nichts anders als Sehnsucht.
Die Sehnsucht aber ist der Urquell und das Princip aller unserer
Leidenschaften, aus welchem sie wie ein Bach aus einer Quelle
hervorsprudeln. Daher kommt es nun, daß, so oft die Sehnsucht und die
Begierde nach irgend einem Ding in unserm Herzen aufsproßt, wir sogleich
uns bewogen fühlen, ihr zu folgen und den gewünschten Gegenstand
aufzusuchen: ein Folgen und ein Suchen, das uns zu tausend unheilvollen
Dingen verleitet. Diese Begierde ist es, welche den Bruder antreibt, nach
der eigenen Schwester zu verlangen und sie mit abscheulichen Umarmungen zu
bestürmen; welche die Stiefmutter verleitet zu ihrem Stiefsohne, und was
noch schlimmer ist, den eigenen Vater zu seiner Tochter Liebe zu fassen;
diese Sucht und Gier ist es, welche unsere Gedanken zu trauersprossenden
Gefahren antreibt. Es hilft nichts, kämpfen wir mit der Vernunft dagegen,
denn, wenn wir auch durch sie das Leiden unserer Seele klarer kennen, sind
wir doch nicht im Stande, durch sie uns zu heilen. Ja, die Liebe begnügt
sich damit nicht, unsern Willen an einen Gegenstand gefesselt zu halten,
sondern wie der Begierde nach Allem, wie ich bereits gesagt habe, alle
Leidenschaften entspringen, so entstehen aus der ersten Begier und
Sehnsucht, so in uns entsteht, tausend andere, und alle diese
Sehnsüchteleien zeigen sich in den Verliebten nicht nur verschiedener Art,
sondern sie sind unendlich. Freilich gehen die meisten derselben in der
Liebe auf ein Ziel hin; da aber der Gegenstand eines Jeden ein anderer
ist, und sich die Glücksverhältnisse jedes Liebhabers anders gestalten, so
muß ohne Zweifel bei eines Jeden Liebe ein anderes Resultat herauskommen.
Es giebt Viele, welche zu Erreichung dessen, was sie begehren, alles um
einen Punkt zu gewinnen aufs Spiel setzen; aber wollen sie das
vorgesteckte Ziel verfolgen, wie Vieles, wie Schweres haben sie nicht
durchzumachen; wie oft kommen sie nicht zum Fallen, und wie viele, ja wie
scharfe Dornen verwunden ihren Fuß auf der harten Bahn? wie oft verlieren
sie gleich am Anfang den Athem und die Kräfte, welche sie zu ihrem Ziele
leiten sollen!
Noch Andere giebt es, welche den geliebten Gegenstand bereits besitzen,
und das Dichten und Trachten derer geht nirgend anders hin, als sich in
diesem Zustand des Besitzthums immer zu erhalten; damit beschäftigen sie
alsdann alle ihre Gedanken und all ihr Thun, und all ihre Zeit wird dazu
verwandt, aber in ihrem vollen Glück sind sie nur elend, in ihrem vollen
Reichthum arm, in ihrer gepriesenen Glückseligkeit unglücklich. Andere
dagegen, welche nicht im Besitze des gewünschten Gutes sind, bieten Allem
auf, um es zu erringen: da verschwenden sie tausend Bitten, tausend
Versprechungen, tausend Schwüre und unendliche Thränen, aber wenn sie sich
mit allen diesen Erbärmlichkeiten herumgeplagt haben, da sehen sie sich
nun in dem Fall, sich selbst das Leben nehmen zu wollen. Alle diese
Qualen und peinvollen Zustände bemerken wir aber keineswegs schon bei dem
ersten Regen der Sehnsucht, denn der trügerische Schelm Amor zeigt uns
zuerst einen Pfad, damit wir eintreten können, der am Anfang bequem und
breit genug ist, nach und nach aber immer enger und schmäler wird, so daß
sich kein Ausgang eröffnet, auf dem wir zurück oder weiter vorwärts gehen
könnten. Auf diese Weise werden die armen Liebenden mit falschem, aber
höchst angenehmem Licht hintergangen; ein einziger Blick der Augen, einige
zwar halb ausgesprochene Worte, welche in ihrem Busen eine fälschliche und
gebrechliche Hoffnung erzeugen, verleiten sie, gespornt durch die Hoffnung
der Sehnsucht, weiter und weiter auf diesem Wege zu wandeln, wenn sie aber
nach und nach den Pfad ihrer Rettung sich verschlossen finden, und
zugleich sehen, daß der Weg, der zu ihrem Ziele führt, mehr und mehr sich
verengt, dann beginnen sie ihr Gesicht mit Thränen zu befeuchten, die Luft
mit Seufzern zu erfüllen und die Ohren jedes Anwesenden mit lamentablem
Klagegeschrei zu ermüden. -
Das Schlimmste dabei ist noch das, daß, wenn sie vielleicht mit ihren
Thränen, ihren Seufzern und Klagen nicht dasjenige Ziel erreichen können,
das sie sich vorgesetzt haben, sie sogleich ihr ganzes Betragen ändern,
und das mit schlechten Mitteln zu erreichen suchen, was sie mit guten
nicht erlangen können. Hieraus entspringt nun Haß und Zorn jeglicher Art,
der sich auf solche Weise steigert, daß die Verliebten nicht nur ihren
Feinden, sondern auch ihren Freunden und sich selbst den Tod wünschen.
Diese Ursachen sind es, die bei jedem Schritte sehen lassen, wie selbst
die feinen und zarten Weiber von dieser Leidenschaft befallen, so
verwegene und alle Grenzen der Vernunft überschreitende Handlungen
beginnen, daß selbst der Gedanke daran Schrecken macht; dadurch sieht man
manch heiliges Bett der Ehe von rothem Blut befleckt, das bald aus dem
Herzen der trauervollen unbesonnenen Gattin, bald aus der Brust des
sorglosen und unvorsichtigen Gatten fließt. Ja diese Sucht der Liebe macht
den Bruder zum Verräther des Bruders, den Vater zum Feind des Sohnes, und
den Freund zum Gegner des Freundes; sie ist es, welche Feindschaften
erzeugt, Zucht und Ehrfurcht vernichtet, die Gesetze verachtet,
Verpflichtungen vergessen macht und die Frauen treulos werden läßt.
Damit Ihr aber klar einsehet, wie groß das Elend der Verliebten ist, dürft
Ihr nur ins Auge fassen, daß kein Begehren so viele Gewalt über uns hat,
noch mit solcher Heftigkeit uns dem ersehnten Gegenstande zutreibt, als
dasjenige Gelüsten, das durch den Sporn der Liebe erweckt wird; daher
rührt es nun, daß keine Last und keine Freude so sehr die Schranken des
gewöhnlichen Lebens überspringt, als die Lust des Liebenden, wenn er etwas
erreicht, nach dem er sich sehnt. Man sieht alles dieß aus der tollen
vernunftlosen Art, wie sich Verliebte geberden. Denn wer anders, als ein
Verliebter, kann seine höchste Glückseligkeit darin finden, die Hand oder
die Locke seiner Geliebten zu berühren, einen kurzen liebevollen Blick
ihres Auges aufzufangen, kurz nach ähnlichen, so gänzlich unbedeutenden
Kleinigkeiten zu streben, welche nur ein verrückter Verstand für etwas dem
Genusse Erhabenes halten kann. Man glaube aber ja nicht, daß die
Verliebten darum selig und glücklich sind, weil sie solche nach ihrer
Meinung hohe Genüsse erreichen, denn es giebt kein einziges Vergnügen für
sie, das nicht von jener Unzahl von Qualen und Kümmernissen begleitet
wäre, mit welchen sie Amor unablässig neckt und stört, so daß es keinen
Ruhm und Sieg in der Liebe giebt, mit welchem nicht Herzenspein verbunden
wäre. Ist ja die Freude der Liebenden an und für sich selbst deßhalb eine
schlimme, weil sie sie außer sich bringt und sie toll und wahnsinnig
macht; denn da sie die ganze Gewalt und Richtung ihres Geistes darauf
lenken, um sich in jenem Zustand von Freude zu erhalten, den sie ihrer
eigenen Phantasie vorspiegeln, sorgen sie für gar nichts anderes mehr in
der Welt, und dadurch entsteht nicht geringer Schaden, sowohl an
Glücksgütern als auch an Ehre und Leben. Die Verliebten machen sich selbst
- um die Sache von einer andern Seite zu betrachten - zu den Sclaven von
tausend Kümmernissen und werden ihre eigenen Feinde, denn alles, was ihnen
in den Weg ihrer verliebten Wünsche zu treten scheint, senkt in ihre Brust
das kalte Eisen der gewichtigen Lanze der Eifersucht. Nun verfinstert sich
ihnen der Himmel, nun wird die Lust ihnen trüb und schwer, und alle
Elemente sind ihnen entgegen. Dabei vermögen sie an nichts Freude zu
gewinnen, weil es ihnen verwehrt ist, dasjenige Ziel zu erreichen, nach
dem sie sich sehnen; denn auf der Bahn zu jenem Ziele lauert ja ihrem
Herzen Furcht, Verzweiflung und der bittere Verdacht auf, so daß ihre
Gedanken verwirrt umher getrieben werden, daß sie sich nutzlos bekümmern
und mit falschem Lachen und wahrhaftem Weinen und tausend andern ebenso
furchtbaren als außergewöhnlichen Zufällen zu kämpfen haben, welche ihre
Kraft verzehren und sie zu Boden werfen. Alles, was der Gegenstand ihrer
Liebe thut, macht ihnen Kummer, gleichviel ob die Geliebte sich umblickt,
sich umdreht, wiederkehrt, ob sie lacht, ob sie spricht, ob sie schweigt,
kurz alle Anmuth und Lieblichkeit, welche sie früher bewog zu lieben, sind
für den eifersüchtigen Liebhaber eine unversiegbare Quelle vom Kummer und
Qual.
Wer weiß es nicht, welche Mittel und Wege der verzweifelnde Liebhaber
einschlägt, um zu dem Ziele seiner Wünsche zu gelangen, wenn das Schicksal
vielleicht nicht mit vollen Händen seinem sehnsuchtglühenden Herzen
entgegen kommt und ihn schnell und sicher dem süßen Ziel seiner Wünsche
zuführt. Welche Thränen vergießt er dann! welche Seufzer stöhnt er hervor!
wie viele Briefe schreibt er dann! wie viele Nächte schläft er nicht! wie
viele und welche verschiedenartige Gedanken durchkreuzen seinen Sinn! wie
viele Besorgnisse bekümmern ihn und wie viele Beängstigungen befallen ihn!
Giebt es einen Tantalus, der zwischen dem Wasser und dem Apfelbaum größere
Pein erduldete, als der unglückliche Liebhaber, der zwischen Furcht und
Hoffnung schwebt? Und wenn die Dienste des Verliebten nicht beachtet und
mit Gunst gekrönt werden, ist es dann nicht den Danaiden vergleichbar,
welche ewig fruchtlos ihre Eimer füllen und niemals dahin gelangen können,
auch nur im Geringsten das auszuführen, wonach sie streben. Giebt es einen
Geier, der mit solcher Grausamkeit des Tityos Eingeweide zerfleischt, als
die Eifersucht das Herz eines eifersüchtigen Liebhabers? Giebt es einen
Stein, der also die Schultern des Sysiphos belaste, als die Liebe
immerwährend die Gedanken der Verliebten beschwert? Giebt es ein Rad des
Ixion, welches schneller sich umdrehe und größere Qualen bereite, als die
schnellen und immer wechselnden Einbildungen furchtbeklommener Verliebten?
Giebt es einen Minos oder einen Rhadamanthos, welche die unglücklichen
verdammten Seelen also zu harter Strafe verurtheilen, wie die Liebe die
Brust eines Verliebten bestraft und verurtheilt, weil er dem Ausspruche
Amors unter allen Bedingungen unterworfen ist? Nicht die grausame Megära,
noch die wüthige Tysiphone, noch die Rächerin Alecto vermögen eine Seele,
die ihnen übergeben ist, dergestalt zu mißhandeln, als jene Furie, Liebe
genannt, und jenes Begehren der Sehnsucht das die Brust der
Verliebten quält, welche Amor als ihren Herrn anerkennen und sich vor ihm,
wie Vasallen zu Boden werfen.
Um nur einigermaßen die offenbaren Tollheiten, welche sie begehen, zu
entschuldigen, sagen die Verliebten (wenigstens haben es die Alten und
Feinsinnigen gesagt), der Instinkt, welcher sie dazu antreibe und
verlocke, mit glühendem Herzen den Gegenstand ihrer Liebe höher zu achten,
als ihr eigenes Leben, sey ein Gott, dem sie den Namen Cupido beilegen.
Die Macht dieses Gottes aber nöthige sie, unabweisbar den Weg zu
verfolgen, den er sie betreten heiße. Zu dieser Aussage und zu der
Behauptung, jenes Gefühl der Sehnsucht stamme von einem Gott, sind sie
dadurch gekommen, weil sie doch die übernatürlichen Wirkungen einigermaßen
erklären wollten, welches dieses sehnsüchtige Verlangen auf die Gemüther
der Verliebten ausübt. Ohne Zweifel muß das freilich etwas übernatürliches
seyn, was einen Liebenden zu gleicher Zeit schüchtern und vermessen macht,
das ihn fern von seiner Geliebten glühen und dicht an ihrer Seite frieren
läßt, ihm Stillschweigen auferlegt, wo er sprechen sollte, und ihn
geschwätzig macht, wo er zu schweigen hätte. Gleicherweise ist es etwas
sonderbares, dem zu folgen, was einen flieht, den zu loben, der einen
tadelt, und zu dem zu sprechen, der einen nicht hört, eine Undankbare zu
bedienen, auf Jemand seine Hoffnungen zu setzen, der niemals etwas
versprach und auch nie etwas verleihen kann, das gut wäre.
O bittere Süßigkeit! o giftige Arznei der kranken Liebenden! o traurige
Freude! o Blüthe der Liebe, die du keine Frucht versprichst, als die allzu
später Reue! Dieß sind die Wirkungen jenes eingebildeten Gottes, dies
seine Thaten, dieß seine Wunderwerke! Alles dieses kann man schon aus der
Gestalt erkennen, welche die Verliebten selbst ihrem eingebildeten Gotte
verliehen haben, denn sie malten ihn als einen nackten, geflügelten
Knaben, mit verbundenen Augen und Pfeil und Bogen in Händen; um uns unter
anderem deutlich zu erkennen zu geben, daß einer, der verliebt ist,
einfältig und lüstern wird, wie ein Kind, in allem dem was er begehrt
blind, in seinen Gedanken leichtfertig, in seinen Werken grausam, und was
die Reichthümer seines Geistes betrifft, arm und nackt erscheint. Ebenso
sagten sie von diesem Gotte, seine Pfeile seyen von doppelter Art, der
eine von Blei und der andere von Gold; so aber auch die Wirkung derselben
verschieden. Der bleierne Pfeil nämlich errege in den Herzen, die er
berühre, Haß, der goldene Pfeil aber in allen, die er verwunde, die
heißeste Liebe, woraus auf das Deutlichste hervorgeht, daß reiche Gold sey
es, welches Liebe erwecke, und das arme Blei, das Haß errege. Aus diesem
Grunde singen die Dichter nicht vergeblich von Atalanta, sie sey durch
drei schöne goldene Aepfel gewonnen worden, und von der schönen Danae, ein
goldener Regen habe über ihr Mädchenthum gesiegt, so wie der fromme Aeneas
sey mit einem goldenen Zweige in der Hand in die Unterwelt hinabgestiegen;
kurz, Geld und Gut heißen die mächtigen Pfeile, welche Amor hat, und mit
welchen er die meisten Herzen sich unterwirft. Ganz anders verhält es sich
mit dem Blei, das ein geringes und verachtetes Metall ist, wie die Armuth
selbst, die, wo sie auch hinkommt, eher Haß und Verachtung erweckt, als
irgend Güte und Wohlwollen.
Sollten die Vernunftgründe, welche ich bisher vorgebracht habe, nicht
hinreichend seyn, zu beweisen, wie großes Recht ich habe, diesen treulosen
Gott der Liebe, von dem ich so eben sprach, zu hassen, so bitte ich Euch,
auf einige wahrhafte Beispiele Euer Augenmerk zu lenken, und die Wirkung
derselben zu betrachten, dann werdet Ihr eben so klar als ich einsehen,
daß Jeder, der der Wahrheit, so ich verkündete, nicht Lob zollt, an den
Augen des Verstandes völlig blind seyn muß. Wohlan, wer war es denn als
Amor, der den gerechten Loth verleitete, das Gesetz der Keuschheit zu
brechen und seine eigenen Töchter zu schänden? Nichts anderes war
es, als Liebe, welche den ausgezeichneten König David zum Ehebruch und
Menschenmorde verleitete; und welche den lüsternen Ammon dahin brachte,
die schändliche Hülfe seiner geliebten Schwester Thamar zu begehren; was
anders aber brachte das Haupt des starken Simson in die verrätherische
Gewalt der Delila, wodurch er seine Kraft verlor und die Seinigen dadurch
ihres Schutzes und Schirmes, er selbst aber und noch viele Andere des
Lebens beraubt wurden? Liebe war es, welche die Zunge des Herodes dazu
verleitete, jener jungen Tänzerin das Haupt des Vorläufers Christi zu
versprechen. Sie machte es, daß die Menschen an der Erlösung durch den
weisesten und den reichsten König der Könige zweifeln. Sie veranlaßte die
starken Arme des berühmten Herakles, die sonst nur gewöhnt waren, die
gewichtige Keule zu schwingen, eine elende Spindel zu drehen, und sich
weibischen Beschäftigungen hinzugeben. Sie machte, daß die wahnsinnig
verliebte Medea die zarten Glieder ihres kleinen Bruders in die Lüfte
zerstreute. Sie riß der Progne, Arachne und dem Hypolitus die Zunge aus,
beschimpfte die Pasiphae, zerstörte Troja und erschlug den Aegisteus. Sie
unterbrach die kaum begonnene Erbauung des neuen Carthago, und machte, daß
die erste Königin dieser Stadt ihren keuschen Busen mit dem Schwerdt
durchbohrte. Sie gab der eben so berühmten als schönen Safonisbe den
tödtlichen Giftbecher in die Hand, durch den sie ihr Leben endigte. Sie
brachte den mächtigen Turnus ums Leben; zerstörte das Reich des Tarquinius,
brach die Herrschaft des Marcus Antonius und zerstörte das Leben und die
Ehre seiner Geliebten. Sie endlich unterwarf unser Spanien der
fürchterlichen Wuth der Mauren, welche der liebewüthende Rodrigo zur Rache
herbei rief.
Aber ich denke, die Nacht wird uns eher mit ihren Schatten überraschen,
als es mir möglich würde, Euch alle Beispiele in das Gedächtniß zu rufen,
welche die früheren und noch jeden Tag in der Welt sichtbaren Thaten Amors
meinem Bewußtseyn darbieten, und daher will ich nicht länger in der
Aufzählung derselben fortfahren, und meine Rede schließen, damit der
berühmte Tirsis mir antworten möge.
(S. 47-59)
_____
Tirsis:
Liebe ist jene erste Gefühlserregung, welche wir in unserem Innern
empfinden, und welche uns durch ein unser Ich bewegendes Streben anzieht,
beglückt und beseligt; diese Seligkeit nun erzeugt in dem Geiste eine
gewisse Bewegung, und diese Bewegung nennen wir Sehnsucht. Um es kurz zu
fassen: Sehnsucht ist die Bewegung jenes Triebes, vermöge dessen wir
lieben, und eine Begier, einen Gegenstand zu besitzen, welcher gut ist; da
aber verschiedene Gattungen von Sehnsucht und Wunsch vorhanden sind, so ist
Liebe diejenige Gattung der Sehnsucht zu nennen, welche nach der
Erstrebung und Anschauung eines Gutes trachtet, das wir das Schöne nennen;
eine deutlichere Erklärung und Abtheilung der Liebe, wenn ich so sagen
darf, finden wir aber darin, daß wir sie in drei Theile theilen: in die
Liebe nach dem Ehrbaren, in die Liebe nach dem Nützlichen und in die Liebe
nach dem Vergnüglichen. In diese drei Gattungen von Liebe lassen sich alle
Arten der Liebe und Sehnsucht eintheilen, welche nur immer unser Geist
erfassen kann. Die Liebe nach dem Ehrbaren blickt nach dem Himmel, nach
der Ewigkeit und nach Gott. Die Liebe zum Nützlichen blickt auf irdische,
angenehme und der Dürftigkeit abhelfende Dinge, wie nach Reichthum, Rang
und Herrschaft; die Liebe zum Vergnüglichen endlich blickt auf alles, was
Lust und Freude gewährt, wie die lebenden körperlichen Schönheiten sind,
von denen Du, Lenio, gesprochen hast.
Keine Gattung dieser Liebe, von der ich gesprochen habe, darf aber von
irgend einer Zunge getadelt werden, denn die Liebe zur Ehrsamkeit war und
ist immer das Bestreben, rein, keusch, heilig und gottgefällig zu seyn,
sie findet ihre Befriedigung und ihr höchstes Ziel in dem Gedanken an
Gott. Die Liebe zum Nützlichen ist, da sie eine aus natürlichen
Bedürfnissen entsprungene Neigung ist, eben so wenig zu verdammen, als die
zum Vergnügen, welche noch mehr als die zum Nutzen der menschlichen Natur
eingepflanzt ist. Daß aber diese beiden Arten von Liebe naturgemäß sind,
beweißt uns die Erfahrung, denn sobald der allzukühne Urvater unsers
Geschlechtes den Befehl Gottes übertreten hatte, wodurch er sich von der
Stufe des Herrn zum Knecht herabwürdigte, seine Freiheit vergaß und ein
Sclave wurde, erkannte er sogleich, welch ein Unglück er sich zugezogen
habe, und in welche Armuth er gerathen sey. Daher pflückte er sogleich die
Blätter von den Bäumen, damit sie ihm zur Bedeckung dienen sollten, und
arbeitete im Schweiße seines Angesichtes, indem er die Erde umgrub, um mit
der möglich geringen Unbequemlichkeit leben zu können. Mittlerweile aber
(und darin war er seinem Gotte weit gehorsamer, als in jedem andern
Dinge,) sorgte er dafür, Kinder zu bekommen, und durch sie das menschliche
Geschlecht fortzupflanzen. Da er aber durch seine Unfolgsamkeit sich nicht
nur für seine Person, sondern auch für alle seine Nachkommen den Tod
zugezogen hatte, erbten wir alle natürlicher Weise alle seine Begierden
und Leidenschaften, wie wir unser Naturel von ihm ererbten. Und wie er
selbst für seine Nothdurft und Armuth zu sorgen bemüht war, also können
wir auch nicht umhin, uns nach der Abwendung dieser Uebel zu sehnen.
Daraus entspringt die Liebe für die dem menschlichen Leben nützlichen
Dinge, daher es uns scheint, als ob wir den uns angeborenen Mangel in dem
Grade verbessern würden, als wir nach der Erreichung dieser irdischen
Dinge streben. Aus derselben Ursache haben wir auch die Sehnsucht ererbt,
unser eigenes Seyn in unsern Söhnen fortleben zu machen. Aus dieser
Sehnsucht aber folgt, daß wir die lebendige, körperliche Schönheit
aufsuchen und lieben, denn sie ist das einzige richtige Mittel, um diese
Wünsche ihrem ersehnten Ziele zuzuführen.
Deßhalb ist diese Liebe zum Vergnüglichen, selbst wenn sie ganz allein und
abgesondert von jeglicher anderer Nebenrichtung auftritt, eher lobens- als
tadelnswürdig. Aber gerade dieser Liebe, o Lenio, bist Du sehr feind, und
die Ursache dieser Feindschaft liegt darin, daß Du sie weder kennst, noch
je richtig verstanden hast, denn Du sahst sie nie unter ihrer eigenen Form
und Bildung, sondern immer in Begleitung von verderblichen, lüsternen und
auf das Schlechte gerichteten Begierden; an diesen aber ist nicht sowohl
die Liebe schuld, welche immer gut ist, sondern die Umstände, welche zu
ihr hinzukommen. Also sehen wir nicht selten ein Bild hiervon in einem
reichen schönen Strom; dieser hat seinen Ursprung in einer klaren und
hellen Quelle, die ihn immer mit ihrem reinen und frischen Wasser speist,
aber kaum hat er sich von seiner reinen Mutter entfernt, als seine süßen
und krystallenen Wellen trüb und gelb werden, weil viele unreine Bäche von
dieser und jener Seite herkommen, um sich mit ihm zu vereinigen. Also kann
jene erste Bewegung des Herzens - nenne sie nun Liebe oder Sehnsucht, oder
wie Du willst - nur aus einer guten Quelle entstehen. Eine Quelle dieser
Bewegung ist die Erkenntniß der Schönheit, aber wenn man diese einmal so
ganz als solche erkannt hat, so ist es durchaus nicht möglich, daß man zu
ihr keine Liebe fühle.
Ja, die Schönheit vermag mit solcher Gewalt unsere Herzen zu bewegen, daß
sie allein es war, welche den Philosophen des Alterthumes, (die blind und
ohne das Licht des Glaubens waren, das uns erleuchtet,) als erhabene
Leuchte erschien. Nur die natürliche Vernunft war ihr Führer, aber sie
fühlten sich durch die Schönheit, welche sie theils an dem erhobenen
Sterngewölbe des Himmels, theils an der prächtigen Runde der Erde
betrachteten, dergestalt hingerissen, daß sie in der Bewunderung einer
solchen Herrlichkeit und eines solchen Einklanges ihren Geist anstrengten,
um immer zu forschen und nachzuspüren, um vermöge dieser Dinge niederer
Ordnung einen Weg zu finden, um damit zu der ersten Ursache der Ursachen
zu gelangen. Auf diesem Wege haben sie erkannt, daß es eine einzige
ursachlose Ursache aller dieser Dinge gebe; was sie aber in diesen
Betrachtungen am meisten erhob und zur Bewunderung nöthigte, war das, daß
sie einsahen, der Wunsch sey in allen seinen Beziehungen mit so weiser
Ordnung, mit so vollkommener Harmonie und mit so großer Schönheit
geschaffen, daß sie ihn eine Welt im Kleinen nennen mußte. Es erhellt dieß
auf das Klarste aus allen den Werken, welche der große Schöpfer der Welt
hervorgebracht hat, wo Alles jene unvergleichliche Vollkommenheit zeigt,
welche die Größe und Weisheit des Schöpfers laut genug verkündigt. Am
meisten aber zeigt sich dieß in der Bildung und Zusammensetzung des
Menschen, in dessen Gestaltung sich eine Schönheit und ein Ebenmaaß
entwickelt, welche der Gipfel von aller übrigen Schöpfung zu seyn scheint.
Daher rührt es nun, daß man diese offenkundige Schönheit lieben muß, und
da sie aus dem Gesicht am deutlichsten hervorblitzt, und dort sich am
meisten zeigt, so ist bei dem Anblick eines schönen Antlitzes unsrer
ganzen Seele Thätigkeit sogleich zur Liebe aufgeregt. Hieraus folgt, daß
die Gesichter der Frauen, welche an Schönheit die der Männer weit
übertreffen, von uns am meisten geliebt, gepflegt und begehrt werden, als
eine Sache, in welcher diejenige Schönheit ruht, welche auf die natürliche
Weise unser Auge am meisten ergötzt und befriedigt.
Da aber unser Schöpfer und Gott einsah, es liege in der eigenthümlichen
Beschaffenheit unserer Seele, in beständiger Bewegung zu seyn, woraus eben
die Sehnsucht entspringt, die nirgends einen festen Haltpunkt hat, als in
Gott selbst, ihrem eigenthümlichen Mittelpunkt, so wollte er, (und zwar
ohne der Freiheit unserer eigenen Entschlüsse in den Weg zu treten) damit
unser Gemüth nicht mit verhängtem Zügel der Sehnsucht nach verderblichen
und eitlen Dingen sich hingebe, die drei Grundkräfte unserer Seele unter
die Aufsicht einer aufmerksamen Schildwache stellen, welche unser Gemüth
theils von den Gefahren, die ihm drohten, theils von den Feinden, die es
verfolgten, unterrichten sollten; und dieß ist die Vernunft, welche unsere
ordnungslosen Begierden bändigen und zügeln soll. Da er aber zugleich
einsah, daß die menschliche Schönheit unsere Neigungen und Leidenschaften
anziehen müssen, wollte er auf der einen Seite uns das Verlangen hiernach
nicht ausmerzen, auf der andern aber es mäßigen und zur Ordnung führen,
und daher führte er den heiligen Bund der Ehe ein, in welchem dem Manne
und dem Weibe die Freuden und Vergnügungen der naturgemäßen Liebe in
vollem Maaße erlaubt, ja geboten sind. Durch diese beiden Mittel, welche
die Hand Gottes selbst erschaffen hat, wird jegliche Ausschweifung in der
natürlichen Liebe, welche Du Lenio so hart tadelst, gemäßigt und gezügelt,
denn die Liebe an sich selbst ist so gut, daß wenn sie unter uns aufhören
würde, wir und die Welt nicht mehr bestehen könnten.
Dieser selben Liebe, von der ich Euch so eben spreche, sind alle Tugenden
einverleibt, weil die Liebe selbst für den Liebenden diejenige
Zurückhaltung enthält, welche dem keuschen Willen seiner Geliebten
angemessen ist und zugleich seine Begier zügelt. Nothwendiger Weise muß
der Verliebte, um der Liebe willen zu der, die er liebt, jedes Ungemach
ertragen können; und auf der andern Seite ist es gerecht, daß er mit
seiner Liebe der Geliebten seines Herzens dient, denn die Vernunft selbst
treibt ihn hierzu an. Zugleich ist dieß der Klugheit gemäß, weil die Liebe
ein jegliches Denken und Sinnen schöner macht.
Hierauf aber, o Lenio, was Du von der Liebe ausgesagt hast, daß sie Reiche
zu Grunde gerichtet und Städte verwüstet habe, daß sie die Ursache von dem
Tode der Freunde und von der Entweihung der Heiligthümer gewesen sey, daß
durch sie Verräthereien ausgesponnen und Gesetze übertreten werden,
hierauf setze ich Dir als Antwort die einzige Frage entgegen: was giebt es
heut zu Tage Lobenswürdiges auf der Welt, das, sey es auch noch so gut,
durch den Gebrauch der Menschen nicht in Unheil verwandelt werden könnte?
Dann muß man die Philosophie verdammen, weil sie häufig und zu
wiederholten Malen unser Fehler aufdeckt, und weil es viele Philosophen
gegeben hat, welche schlecht waren. Dann muß man die Werke der heroischen
Dichter verbrennen, weil sie in ihren satyrischen Versen die Laster
schelten und tadeln. Dann muß man die Medicin schlecht nennen, weil sie
Gifte entdeckt; die Beredsamkeit als unnützlich verachten, weil sie
zuweilen in ihrer Dialektik so weit gegangen ist, bekannte Wahrheiten in
Zweifel zu ziehen. Dann darf man keine Waffen mehr schmieden, weil Räuber
und Mörder sie gebrauchen, und keine Häuser mehr bauen, weil sie über den
Häuptern ihrer Bewohner zusammen fallen können. Dann muß man die
verschiedenartigen Speisen verbieten, weil sie Krankheiten verursachen
können. Kein Mensch sollte in Folge dessen Söhne zeugen, weil Oedipus, von
der furchtbaren Wuth der Furie getrieben, seinen Vater umgebracht hat, und
Orestes die Brust seiner eigenen Mutter durchbohrte. Dann muß man das
Feuer für ein Uebel halten, weil es Häuser zu verzehren und Städte
einzuäschern pflegt; das Wasser verfluchen, weil es in der Sündfluth die
ganze Erde überschwemmt hat. Ja man muß ein jegliches Element, heiße es
wie es wolle, verdammen, weil es etwa von Leuten verkehrten Sinnes,
verkehrt angewandt werden könnte.
Auf diese Weise kann man eine jede gute Sache als schlecht verrufen und
behaupten, ihre Wirkung sey verderblich, wenn sie in die Hände von
solchen Leuten kommt, die als unvernünftig ihre Begierden auf keine Weise
zügeln lassen; jenes alte Carthago, das dem römischen Reiche so kräftig
entgegen stand, jene kriegerische Numantia, jenes schmuckvolle Corinth,
jenes stolze Theben, ja das gelehrte Athen und die Stadt Gottes Jerusalem,
sie wurden alle besiegt und zerstört; können wir aber deßhalb sagen, daß
es Liebe war, die ihren Untergang und ihre Verwüstung herbeiführte? Ja
gleicher Weise müßten diejenigen, welche sich zur Gewohnheit gemacht
haben, von der Liebe übel zu reden, von sich selbst schlecht sprechen;
denn alle Geschenke Amors sind unaufhörliches Lobes würdig, sobald sie mit
Mäßigkeit und Zurückhaltung genossen werden. In allen Dingen aber wurde
immer der Mittelweg gelobt und das Extrem getadelt. Ja wenn wir der Tugend
selbst uns maßlos hingeben, so würden wir als Weise den Namen eines
Thoren, und als Gerechte den Namen eines Verbrechers uns zueignen. Ein
alter Tragiker war der Meinung, daß, wie der Wein nur gut ist, wenn man
ihn mit Wasser mischt, also auch die Liebe nur zuträglich ist, wenn sie
mit Maas genossen wird; schlecht und schadenstiftend aber ist alles
Uebermaaß. Ja selbst die Erzeugung von unvernünftigen wie von vernünftigen
Geschöpfen würde aufhören, wenn Amor nicht hierzu die Einleitung gäbe, und
ohne die Liebe wäre die Erde bald eine öde verlassene Wüste.
Die Alten glaubten, die Liebe sey ein Werk der Götter, und zur Erhaltung
und zum Wohl des menschlichen Geschlechts bestimmt. Nun komme ich aber
darauf, was Du, Lenio, von den traurigen und widerwärtigen Wirkungen
ausgesagt hast, die durch Amor in den Herzen der Verliebten entstehen,
wodurch in denselben unauslöschliche Thränen, schmerzlich tiefe Seufzer
und jammererfüllte Phantasiebilder der Verzweiflung entstehen, ohne daß
ihnen je eine Stunde der Ruhe zu Theil würde. Genau genommen aber sage mir
doch, welch ein Ding kann der Mensch in diesem Leben ersehnen, ohne daß
die Erreichung desselben ihn Mühe und Anstrengung kostete? Und natürlich
je höher der Werth der zu erstrebenden Sache ist, desto mehr leidet man
für sie und muß für sie leiden. Sehnsucht aber setzt ein Fehlen dessen
voraus, wonach man sich sehnt, und nothwendiger Weise muß in unserem
Gemüthe so lange Unruhe wohnen, bis wir es erreicht haben. Da aber alles,
was der Mensch sich wünscht, zu seiner Zufriedenheit wohl erreicht werden
kann, ohne daß er den höchsten Grad dessen, nach dem erstrebt, erlangt,
sondern mit einem Theile desselben zufrieden seyn muß, dabei aber immer
sich beeifert, eine höhere Stufe zu erreichen, was Wunder dann, wenn er
deßhalb, daß er nicht im Stande ist, die Wünsche seines Herzens auf das
vollkommenste zu befriedigen, im Gefühle seiner Ungewißheit bald fürchtet,
bald hofft, und weint und seufzt? Wer nach Herrschaft, Rang, Ehre und
Reichthum strebt, und am Ende einsieht, daß er nicht das höchste Ziel
dessen, wonach er trachtet, erreichen kann, und nur auf eine gewisse Stufe
darin kommt, der wird in gewisser Art befriedigt, denn da ihm die Hoffnung
fehlt, weiter steigen zu können, sieht er sich genöthigt, da stehen zu
bleiben, bis wohin er es gebracht hat, und sich möglichst damit zu
begnügen.
In der Liebe ist durchaus das Gegentheil der Fall, denn Liebe kennt weder
einen andern Lohn, noch eine andere Genugthuung, als Liebe, und sie selbst
ist ihre wahrhafteste und eigenthümlichste Befriedigung. Aus diesem Grunde
kann ein Verliebter unmöglich zufrieden seyn, als bis er auf das
Deutlichste erkennt, er werde wahrhaft geliebt, was er durch die bekannten
Liebeszeichen erfährt. Daher schätzen alle Verliebten einen günstigen
Blick der Augen, ein noch so kleines Andenken, ein gewisses holdes
Lächeln, einen süßen Ton der Rede, einen Scherz, den sie als Wahrheit
nehmen zu können glauben, von Seiten ihrer Geliebten so ungemein hoch,
denn alles dieß sind Anzeichen, welche ihnen die Erreichung des Zieles
ihrer Sehnsucht versichern. Nothwendiger Weise muß im Gegentheil ein
Verliebter, der Anzeichen entgegengesetzter Gesinnung wahrnimmt, so sehr
bekümmert, traurig und gramvoll werden, daß er in seinem Schmerze gar
keine Grenzen kennt, denn dann glaubt er gar nichts von dem erreichen zu
können, was ihm sonst Fortunas Gunst und Amors Lächeln gewährte.
Da es aber eine Sache von höchster Schwierigkeit ist, eine fremde
Persönlichkeit so zu stimmen, daß sie mit der meinen vollkommen eins sey,
und zwei verschiedene Seelen mit einem so unauflöslichen und so engen
Bande zu verbinden, daß beide ein Gedanke und eine That sind, so ist es
gar nicht zu verwundern, daß derjenige, der etwas so Großes erstreben
will, hierfür mehr leiden muß, als für jede andere Sache; wenn dieß alles
aber erreicht ist, so entzückt und beseligt es mehr, als alles andere,
wonach man sich im Leben sehnen kann. Nicht aber werden allemal die
Thränen der Verliebten mit Fug und Recht vergossen, noch auch ihre Seufzer
um gerechter Ursache willen verhaucht; denn wenn sie alle ihre Thränen
und Seufzer nur darum verschwenden, weil sie sehen, daß ihrer Sehnsucht
nicht auf die Weise entsprochen wird, wie sie wünschen, noch das Ziel
erreichen kann, nachdem sie streben, ist doch vor alen Dingen in
Betrachtung zu ziehen, auf welchen Gegenstand sie ihre Phantasie
hingeleitet hat, und ob sie nicht vielleicht höher streben, als ihrem
Verdienst gebührt. Da ist es denn nun kein Wunder, wenn Mancher von diesen
gleich einem neuen Ikaros mit verbrannten Flügeln in das Meer des Elends
fällt; an solchem Unglück ist aber die Liebe nicht schuld, sondern ihre
eigene Verrücktheit. Bei alle dem läugne ich es nicht nur nicht, sondern
bekräftige es noch, daß die Sehnsucht, die das erreichen will, was man
liebt, nothwendiger Weise Kummer erzeugen muß, so lange die Erreichung des
geliebten Gegenstandes ferne steht, wie ich bereits gesagt habe. Dabei
aber behaupte ich, daß die Erreichung dieses Zieles mit der höchsten Wonne
und Seligkeit verbunden ist, und ein so süßes Labsal erscheint, als die
Ruhe für den Müden und Gesundheit für den Kranken. Freilich muß ich dabei
bekennen, daß wenn die Liebenden, wie es vor Alters Sitte gewesen seyn
soll, mit weißen Steinen ihre freudigen, und mit schwarzen Steinen ihre
traurigen Tage bezeichnen würden, ohne Zweifel die Anzahl der Unglückstage
bedeutender wäre. Auf der andern Seite sehe ich aber klar ein, daß ein
einziger weißer Stein Seligkeit genug in sich schlösse, um eine Unzahl
schwarzer zu überwiegen. Diese Wahrheit erhellt deutlich daraus, daß die
Verliebten niemals über ihren Zustand Reue empfinden, sondern im
Gegentheil Jeden, der ihnen versprechen würde, sie von der Krankheit der
Liebe heilen zu wollen, als einen Feind verstießen; denn selbst das
Erdulden der Liebesqual ist süß. Daher, o Ihr Verliebte, laßt Euch durch
kein Bangen davon abhalten, Euch der Liebe zu dem Gegenstande mit
der ganzen Kraft Eurer Seele zu weihen, dessen Erreichung Euch am
schwierigsten erscheint; beklagt Euch auch nicht und fühlt auch keine
Reue, wenn sich durch die Macht der Liebe das Niedrigste zu Euerer Hoheit
erhebt, denn Amor macht Niederes Hohem und Geringfügiges Erhabenem gleich,
und weiß die verschiedenen Charaktere der Liebenden mit seinem Geist in
das rechte Verhältniß zu bringen, sobald mit reiner Zuneigung seine Anmuth
in die Herzen einzieht. Laßt Euch durch keine Gefahren abschrecken, denn
seine Herrlichkeit ist so groß, daß sie das Bewußtseyn eines jeden
Schmerzes in Euch tilgt. Und wie den Feldherrn und Kaisern des Alterthums
die Größe und Herrlichkeit ihrer Triumphe in demselben Verhältnisse zu der
Größe ihrer Siege und ihrer Anstrengungen und Mühseligkeiten stand, so
steht der Triumph der Liebe mit seiner Fülle von Wonne und Seligkeit im
Verhältniß zu der Pein ihrer Sehnsucht. Wie Jene der glorreiche Empfang in
ihrer Vaterstadt alles frühere Leid und Ungemach vergessen läßt, so
vergißt der Verliebte im Arme seiner ihn beglückenden Geliebten die
gräßlichen Träume, die unruhigen, schlaflosen Nächte, die kummerbedrängten
Tage, und Freude, Ruhe und Wonne krönen sein Glück.
Wenn Du daher, o Lenio, die Liebe wegen ihrer traurigen Wirkungen
verdammst, mußt Du sie wegen ihrer freudigen und wonnevollen wieder zu
Gnade annehmen. In Absicht auf die Erklärung, welche Du von der Gestalt
des Cupido gegeben hast, muß ich Dir noch sagen, daß Du Dich darin eben so
sehr täuschtest, als in allen andern Dingen, so Du gegen die Liebe
vorgebracht hast. Die Maler stellen ihn als einen nackten, blinden Knaben
mit Flügeln und Pfeilen vor, dieß will aber nichts anderes bedeuten, als
das, daß der Charakter des Verliebten darin kindlich seyn soll, daß er
nichts von doppeltem Wesen weiß, sondern rein und einfältig ist; für alle
Dinge, die sich ihm darbieten, muß er blind seyn, nur nicht für den
Gegenstand, auf den allein er seine Augen und sein Streben richtet; er muß
nackt seyn, denn er will nichts anderes an sich haben, als was von
derjenigen kommt, die er liebt; er muß schnelle Flügel besitzen, um so
schnell wie möglich alles, was ihm seine Geliebte aufträgt, besorgen zu
können; man malt Amor mit Pfeilen, denn die Wunde einer verliebten Brust
muß tief aber geheim seyn, so daß sie nichts entdecken kann, als was eben
dazu bestimmt ist, sie zu heilen. Amor verwundet mit zweierlei Pfeilen,
die auf ganz verschiedene Weise wirken; dieß soll uns aber nicht zu
erkennen geben, die vollkommene Liebe habe sowohl die Macht, Liebe als Haß
zu erregen, sondern der Verliebte soll festen und reinen Herzens lieben,
ohne irgend eine Beimischung von Lauheit.
Kurz, Lenio, Liebe ist es, welche die Trojaner zum Fall brachte, damit
aber die Größe der Griechen gründete; Liebe ist es freilich, welche
Carthagos Werke zerstörte, aber sie ließ Roms Gebäude entstehen; hat sie
dem Tarquinius das Reich genommen, so schenkte sie der Republik die
Freiheit.
(S. 64-76)
übersetzt von
Friedrich Martin Duttenhofer (1810-1859)
Aus: Miguel's de Cervantes
sämmtliche Romane und Novellen
Die Galathea Ein Schäferroman
Aus dem Spanischen von
F. M. Duttenhofer Band 2
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung 1842
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Ständchen
I.
Magst am Balkon du lauschen
Oder am Fenster stehn,
Gib acht, es kommt dein Geliebter,
Meid Holdchen, du kannst ihn sehn.
Bleibe heiter, o Nacht,
Bis der Morgen erwacht,
Und über alle Blumen
Tauige Perlen sprüht;
Aber dieweil du harrest
Bis hell die Sonne glüht,
Sage du meiner Schönen
In sanften, süßen Tönen:
Magst am Balkon du lauschen,
Oder am Fenster stehn,
Gib acht, es kommt dein Geliebter,
Mein Holdchen, du kannst ihn sehn.
Und läßt ihr Herz sich rühren,
Mußt an der Hand sie führen
Und dann vergiß es nicht!
O sag ihr hold und leise,
Oder mit lautem Mund,
Daß sie die süße Weise
Vernimmt in des Herzens Grund:
Magst am Balkon du lauschen,
Oder am Fenster stehn,
Gib acht! Es kommt der Geliebte,
Mein Holdchen, du kannst ihn sehn.
II.
Vor deiner Thüre,
Geliebte mein,
Wandeln sich Dornen
In Rosen fein.
Pflanzt trotzige Eschen
Und harte Eichen
Vor Liebchens Thür.
Und trifft sie ihr Blick,
Sie werden sich neigen
Sanft wie die Myrte mit duftigen Zweigen:
Und Dornen sich wandeln
In Rosen fein.
Wie welkes Gras
Sich grünend erhebt,
Wenn ihr Fuß es berührt,
Ihr Atem belebt!
Mit Lächeln erheitert sie
Herz und Gefilde:
Den Knecht, den Gebieter
Beherrschet sie milde,
Daß Dornen sich wandeln
In Rosen fein.
Übersetzt von Edmund Dorer
(1831-1890)
Aus: Eine Blütenlese
aus Spanischen Dichtern aller Zeiten
In deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Julius Hart
Stuttgart Verlag von W. Spemann o. J. [1883] (S. 120-121)
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Die Schalkhafte
Mutter mein, o Mutter!
Hüter stellet ihr:
Hüt' ich mich nicht selber,
Hilft kein Hüten mir.
Steht es nicht geschrieben,
Und ein wahres Wort,
Daß wir immerfort
Das Verbot'ne lieben?
Zwang dient nur den Trieben,
Mehr sie aufzuwiegeln;
Drum mich zu verriegeln
Thut nicht weislich ihr,
Hüt' ich mich nicht selber,
Wehrt kein Hüten mir.
Mag der Wille nicht
Sich für sich bewachen,
Sind nur schlechte Wachen
Scheu ihm oder Pflicht.
Ja fürwahr, er bricht
Durch des Todes Schranken,
Mit was für Gedanken,
Nie erratet's ihr.
Hüt' ich mich nicht selber,
Wehrt kein Hüten mir!
Sehnet sich ein Herze
Nach verliebtem Glücke,
Geht es wie die Mücke
Nach der Liebeskerze.
Ihm sind nun zum Scherze
Aller Hüter Scharen,
Noch so sehr bewahren
Mag man es, wie ihr,
Hüt' ich mich nicht selber,
Wehrt kein Hüten mir.
Nichts ist allzu teuer,
Wo die Liebe handelt,
Und die Schönste wandelt
Sie zum Ungeheuer.
Einen Sinn von Feuer,
Eine Brust von Wachs,
Füß' und Händ' aus Flachs
Schafft sie heimlich ihr:
Hüt' ich mich nicht selber,
Hilft kein Hüten mir.
Übersetzt von August
Wilhelm von Schlegel (1767-1845)
Aus: Eine Blütenlese
aus Spanischen Dichtern aller Zeiten
In deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Julius Hart
Stuttgart Verlag von W. Spemann o. J. [1883] (S. 122-123)
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