Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 

Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616)
spanischer Dichter




Über die Liebe
Aus dem Schäferroman Galatea (Band 2)
 

Argumente gegen die Liebe   |   Argumente für die Liebe
(Lenio)                                                 (Tirsis)



Lenio:
Die Liebe ist, wie ich von gereiften Männern habe sagen hören, eine Sehnsucht nach der Schönheit, und diese Definition geben - unter vielen anderen - diejenigen, welche dieser Frage am meisten auf den Grund gekommen sind. Wenn man mir aber zugiebt, die Liebe sey eine Sehnsucht nach der Schönheit, muß man mir nothwendiger Weise auch einräumen, daß die Liebe, mit der man liebt, in gleichem Verhältniß mit der Schönheit, welche man liebt, seyn muß. Da nun aber jegliche Schönheit zweierlei ist, nämlich körperliche und unkörperliche, so muß diejenige Liebe, welche die körperliche Schönheit als ihr höchstes Ziel betrachtet, eine schlechte Liebe seyn, und das ist jene Liebe, welche ich hasse. Da aber die körperliche Liebe sich wieder in zwei Theile theilt, nämlich in die Liebe zu lebendigen und in die Liebe zu leblosen Körpern, so kann es dennoch eine auf Körper gerichtete Liebe geben, welche gut ist. Der eine Theil der körperlichen Liebe zeigt sich darin, daß in lebendigen Leibern von Männern und Frauen sich alle Theile des Körpers an sich selbst gut erweisen, und alle diese Theile zusammen genommen ein so harmonisches Ganze bilden, daß man an diesen Körpern die Form der Glieder einerseits, und die Farbe der Haut andrerseits in übereinstimmenden Verhältnissen findet. Die zweite Gattung der körperlichen, nicht lebenden Schönheit besteht in Gemälden, Statuen und Gebäuden, und diese Schönheit kann man lieben, ohne daß die Liebe, die sich hier ausspricht, sich tadeln ließe. Aber auch diese unkörperliche Schönheit kann man in zwei Theile theilen, nämlich in die Schönheit der Tugenden und Wissenschaften der Seele. Diejenige Liebe aber, welche sich an die Tugend hält, muß nothwendiger Weise gut seyn, nicht weniger aber diejenige, welche ihr Augenmerk auf tugendreiche Wissenschaften und angenehme Vergnügungen richtet.

Da nun diese beiden Gattungen von Schönheit die Ursache sind, welche in unserer Brust die Liebe erzeugt, so folgt daraus, daß die gute oder die schlechte Art der Liebe davon abhängt, ob man die eine Schönheit oder die andere liebt. Da wir aber die körperlose Schönheit mit den klaren und reinen Augen des Verstandes anschauen, die körperliche Schönheit aber mit den trüben und blinden Augen des Körpers betrachten, welche doch immer, in Vergleichung mit den unkörperlichen Augen trüb und blind geheißen werden müssen; und da die körperlichen Augen darin weit schneller sind, eine vor ihnen stehende körperliche Schönheit, die sich gefällig darbietet, zu betrachten, als die Augen des Geistes in der Untersuchung einer mehr entfernten und tiefer liegenden unkörperlichen Schönheit, welche ruhmwürdig ist, so folgt hieraus, daß die Sterblichen gewöhnlich mehr die hinfällige, sterbliche Schönheit lieben, welche sie zu Grunde richtet, als jene unvergleichliche göttliche, welche sie zum Bessern leitet. Ja, aus dieser Liebe oder vielmehr Sehnsucht nach der körperlichen Schönheit entstand, entsteht und wird in der Welt entstehen die Zerstörung der Städte, der Untergang der Staaten, der Ruin der Reiche und der Tod der Freundschaft, und wenn auch dieß im Allgemeinen nicht der Fall ist, welch' größer Unglück, welch' bittere Qual, welch' herbere Verwüstung, welche Eifersucht, welche Pein, ja welchen tödtlicheren Schmerz kann sich der menschliche Geist denken, als den, der sich einem unglücklich Liebenden vergleichen läßt? Und fragt Ihr noch, was die Ursache von alle dem sey? Die Glückseligkeit des Liebenden besteht darin, alle die Schönheit zu genießen, die er sich wünscht. Diese Schönheit aber kann er unmöglich ganz erreichen und ganz genießen, und da er nicht im Stande ist, das Ziel zu erreichen, nach dem er sich sehnt, sprossen aus seiner Brust hervor: Seufzer, Thränen, Klagen, Verzweiflung. Da es nun aber erwiesen ist, daß die Schönheit, von der ich spreche, nicht rein und vollkommen genossen werden kann, so geht hieraus klar und deutlich hervor, daß es nicht in der Macht des Menschen liegt, vollkommen irgend etwas zu genießen, das außer ihm ist, und ihm nicht gänzlich angehört; denn es ist eine durchaus wahre Sache, daß alles das, was wir Zufall oder Schicksal nennen, stets außerhalb des Menschlichen Urtheils liegt, und von uns in keiner Weise begriffen werden kann. Aus alle dem ist nun zu schließen, daß überall, wo Liebe ist, Schmerz ist, und wer dieß läugnen will, der könnte eben so gut läugnen, daß die Sonne leuchtet und daß das Feuer brennt.

Damit wir aber mit größerer Klarheit und größerer Leichtigkeit das Verständniß uns begreiflich machen können, wie viel Bitteres die Liebe in sich schließt, will ich Euch auf das deutlichste sagen, wie es sich verhällt, wenn ich alle Leidenschaften durchgehe so die Seele bewegen. Der Leidenschaften der Seele giebt es, wie Ihr edle Ritter und sinnige Schäfer wohl wißt, vier an der Zahl und nicht mehr. Und diese sind überschwängliche Sehnsucht, allzuheftige Freude, große Bangigkeit ob künftigem Schicksal und heftiger Schmerz ob gegenwärtigem Unglück. Diese Leidenschaften nennt man, weil sie gleich wechselreichen Winden die volle Ruhe der Seele stören, mit einem sehr richtigen Ausdruck Störungen (Perturbationes), und von diesen Störungen der Seele ist die Liebe die allerärgste, denn Liebe ist nichts anders als Sehnsucht.

Die Sehnsucht aber ist der Urquell und das Princip aller unserer Leidenschaften, aus welchem sie wie ein Bach aus einer Quelle hervorsprudeln. Daher kommt es nun, daß, so oft die Sehnsucht und die Begierde nach irgend einem Ding in unserm Herzen aufsproßt, wir sogleich uns bewogen fühlen, ihr zu folgen und den gewünschten Gegenstand aufzusuchen: ein Folgen und ein Suchen, das uns zu tausend unheilvollen Dingen verleitet. Diese Begierde ist es, welche den Bruder antreibt, nach der eigenen Schwester zu verlangen und sie mit abscheulichen Umarmungen zu bestürmen; welche die Stiefmutter verleitet zu ihrem Stiefsohne, und was noch schlimmer ist, den eigenen Vater zu seiner Tochter Liebe zu fassen; diese Sucht und Gier ist es, welche unsere Gedanken zu trauersprossenden Gefahren antreibt. Es hilft nichts, kämpfen wir mit der Vernunft dagegen, denn, wenn wir auch durch sie das Leiden unserer Seele klarer kennen, sind wir doch nicht im Stande, durch sie uns zu heilen. Ja, die Liebe begnügt sich damit nicht, unsern Willen an einen Gegenstand gefesselt zu halten, sondern wie der Begierde nach Allem, wie ich bereits gesagt habe, alle Leidenschaften entspringen, so entstehen aus der ersten Begier und Sehnsucht, so in uns entsteht, tausend andere, und alle diese Sehnsüchteleien zeigen sich in den Verliebten nicht nur verschiedener Art, sondern sie sind unendlich. Freilich gehen die meisten derselben in der Liebe auf ein Ziel hin; da aber der Gegenstand eines Jeden ein anderer ist, und sich die Glücksverhältnisse jedes Liebhabers anders gestalten, so muß ohne Zweifel bei eines Jeden Liebe ein anderes Resultat herauskommen. Es giebt Viele, welche zu Erreichung dessen, was sie begehren, alles um einen Punkt zu gewinnen aufs Spiel setzen; aber wollen sie das vorgesteckte Ziel verfolgen, wie Vieles, wie Schweres haben sie nicht durchzumachen; wie oft kommen sie nicht zum Fallen, und wie viele, ja wie scharfe Dornen verwunden ihren Fuß auf der harten Bahn? wie oft verlieren sie gleich am Anfang den Athem und die Kräfte, welche sie zu ihrem Ziele leiten sollen!

Noch Andere giebt es, welche den geliebten Gegenstand bereits besitzen, und das Dichten und Trachten derer geht nirgend anders hin, als sich in diesem Zustand des Besitzthums immer zu erhalten; damit beschäftigen sie alsdann alle ihre Gedanken und all ihr Thun, und all ihre Zeit wird dazu verwandt, aber in ihrem vollen Glück sind sie nur elend, in ihrem vollen Reichthum arm, in ihrer gepriesenen Glückseligkeit unglücklich. Andere dagegen, welche nicht im Besitze des gewünschten Gutes sind, bieten Allem auf, um es zu erringen: da verschwenden sie tausend Bitten, tausend Versprechungen, tausend Schwüre und unendliche Thränen, aber wenn sie sich mit allen diesen Erbärmlichkeiten herumgeplagt haben, da sehen sie sich nun in dem Fall, sich selbst das Leben nehmen zu wollen. Alle diese Qualen und peinvollen Zustände bemerken wir aber keineswegs schon bei dem ersten Regen der Sehnsucht, denn der trügerische Schelm Amor zeigt uns zuerst einen Pfad, damit wir eintreten können, der am Anfang bequem und breit genug ist, nach und nach aber immer enger und schmäler wird, so daß sich kein Ausgang eröffnet, auf dem wir zurück oder weiter vorwärts gehen könnten. Auf diese Weise werden die armen Liebenden mit falschem, aber höchst angenehmem Licht hintergangen; ein einziger Blick der Augen, einige zwar halb ausgesprochene Worte, welche in ihrem Busen eine fälschliche und gebrechliche Hoffnung erzeugen, verleiten sie, gespornt durch die Hoffnung der Sehnsucht, weiter und weiter auf diesem Wege zu wandeln, wenn sie aber nach und nach den Pfad ihrer Rettung sich verschlossen finden, und zugleich sehen, daß der Weg, der zu ihrem Ziele führt, mehr und mehr sich verengt, dann beginnen sie ihr Gesicht mit Thränen zu befeuchten, die Luft mit Seufzern zu erfüllen und die Ohren jedes Anwesenden mit lamentablem Klagegeschrei zu ermüden. -

Das Schlimmste dabei ist noch das, daß, wenn sie vielleicht mit ihren Thränen, ihren Seufzern und Klagen nicht dasjenige Ziel erreichen können, das sie sich vorgesetzt haben, sie sogleich ihr ganzes Betragen ändern, und das mit schlechten Mitteln zu erreichen suchen, was sie mit guten nicht erlangen können. Hieraus entspringt nun Haß und Zorn jeglicher Art,  der sich auf solche Weise steigert, daß die Verliebten nicht nur ihren Feinden, sondern auch ihren Freunden und sich selbst den Tod wünschen. Diese Ursachen sind es, die bei jedem Schritte sehen lassen, wie selbst die feinen und zarten Weiber von dieser Leidenschaft befallen, so verwegene und alle Grenzen der Vernunft überschreitende Handlungen beginnen, daß selbst der Gedanke daran Schrecken macht; dadurch sieht man manch heiliges Bett der Ehe von rothem Blut befleckt, das bald aus dem Herzen der trauervollen unbesonnenen Gattin, bald aus der Brust des sorglosen und unvorsichtigen Gatten fließt. Ja diese Sucht der Liebe macht den Bruder zum Verräther des Bruders, den Vater zum Feind des Sohnes, und den Freund zum Gegner des Freundes; sie ist es, welche Feindschaften erzeugt, Zucht und Ehrfurcht vernichtet, die Gesetze verachtet, Verpflichtungen vergessen macht und die Frauen treulos werden läßt.

Damit Ihr aber klar einsehet, wie groß das Elend der Verliebten ist, dürft Ihr nur ins Auge fassen, daß kein Begehren so viele Gewalt über uns hat, noch mit solcher Heftigkeit uns dem ersehnten Gegenstande zutreibt, als dasjenige Gelüsten, das durch den Sporn der Liebe erweckt wird; daher rührt es nun, daß keine Last und keine Freude so sehr die Schranken des gewöhnlichen Lebens überspringt, als die Lust des Liebenden, wenn er etwas erreicht, nach dem er sich sehnt. Man sieht alles dieß aus der tollen vernunftlosen Art, wie sich Verliebte geberden. Denn wer anders, als ein Verliebter, kann seine höchste Glückseligkeit darin finden, die Hand oder die Locke seiner Geliebten zu berühren, einen kurzen liebevollen Blick ihres Auges aufzufangen, kurz nach ähnlichen, so gänzlich unbedeutenden Kleinigkeiten zu streben, welche nur ein verrückter Verstand für etwas dem Genusse Erhabenes halten kann. Man glaube aber ja nicht, daß die Verliebten darum selig und glücklich sind, weil sie solche nach ihrer Meinung hohe Genüsse erreichen, denn es giebt kein einziges Vergnügen für sie, das nicht von jener Unzahl von Qualen und Kümmernissen begleitet wäre, mit welchen sie Amor unablässig neckt und stört, so daß es keinen Ruhm und Sieg in der Liebe giebt, mit welchem nicht Herzenspein verbunden wäre. Ist ja die Freude der Liebenden an und für sich selbst deßhalb eine schlimme, weil sie sie außer sich bringt und sie toll und wahnsinnig macht; denn da sie die ganze Gewalt und Richtung ihres Geistes darauf lenken, um sich in jenem Zustand von Freude zu erhalten, den sie ihrer eigenen Phantasie vorspiegeln, sorgen sie für gar nichts anderes mehr in der Welt, und dadurch entsteht nicht geringer Schaden, sowohl an Glücksgütern als auch an Ehre und Leben. Die Verliebten machen sich selbst - um die Sache von einer andern Seite zu betrachten - zu den Sclaven von tausend Kümmernissen und werden ihre eigenen Feinde, denn alles, was ihnen in den Weg ihrer verliebten Wünsche zu treten scheint, senkt in ihre Brust das kalte Eisen der gewichtigen Lanze der Eifersucht. Nun verfinstert sich ihnen der Himmel, nun wird die Lust ihnen trüb und schwer, und alle Elemente sind ihnen entgegen. Dabei vermögen sie an nichts Freude zu gewinnen, weil es ihnen verwehrt ist, dasjenige Ziel zu erreichen, nach dem sie sich sehnen; denn auf der Bahn zu jenem Ziele lauert ja ihrem Herzen Furcht, Verzweiflung und der bittere Verdacht auf, so daß ihre Gedanken verwirrt umher getrieben werden, daß sie sich nutzlos bekümmern und mit falschem Lachen und wahrhaftem Weinen und tausend andern ebenso furchtbaren als außergewöhnlichen Zufällen zu kämpfen haben, welche ihre Kraft verzehren und sie zu Boden werfen. Alles, was der Gegenstand ihrer Liebe thut, macht ihnen Kummer, gleichviel ob die Geliebte sich umblickt, sich umdreht, wiederkehrt, ob sie lacht, ob sie spricht, ob sie schweigt, kurz alle Anmuth und Lieblichkeit, welche sie früher bewog zu lieben, sind für den eifersüchtigen Liebhaber eine unversiegbare Quelle vom Kummer und Qual.

Wer weiß es nicht, welche Mittel und Wege der verzweifelnde Liebhaber einschlägt, um zu dem Ziele seiner Wünsche zu gelangen, wenn das Schicksal vielleicht nicht mit vollen Händen seinem sehnsuchtglühenden Herzen entgegen kommt und ihn schnell und sicher dem süßen Ziel seiner Wünsche zuführt. Welche Thränen vergießt er dann! welche Seufzer stöhnt er hervor! wie viele Briefe schreibt er dann! wie viele Nächte schläft er nicht! wie viele und welche verschiedenartige Gedanken durchkreuzen seinen Sinn! wie viele Besorgnisse bekümmern ihn und wie viele Beängstigungen befallen ihn! Giebt es einen Tantalus, der zwischen dem Wasser und dem Apfelbaum größere Pein erduldete, als der unglückliche Liebhaber, der zwischen Furcht und Hoffnung schwebt? Und wenn die Dienste des Verliebten nicht beachtet und mit Gunst gekrönt werden, ist es dann nicht den Danaiden vergleichbar, welche ewig fruchtlos ihre Eimer füllen und niemals dahin gelangen können, auch nur im Geringsten das auszuführen, wonach sie streben. Giebt es einen Geier, der mit solcher Grausamkeit des Tityos Eingeweide zerfleischt, als die Eifersucht das Herz eines eifersüchtigen Liebhabers? Giebt es einen Stein, der also die Schultern des Sysiphos belaste, als die Liebe immerwährend die Gedanken der Verliebten beschwert? Giebt es ein Rad des Ixion, welches schneller sich umdrehe und größere Qualen bereite, als die schnellen und immer wechselnden Einbildungen furchtbeklommener Verliebten? Giebt es einen Minos oder einen Rhadamanthos, welche die unglücklichen verdammten Seelen also zu harter Strafe verurtheilen, wie die Liebe die Brust eines Verliebten bestraft und verurtheilt, weil er dem Ausspruche Amors unter allen Bedingungen unterworfen ist? Nicht die grausame Megära, noch die wüthige Tysiphone, noch die Rächerin Alecto vermögen eine Seele, die ihnen übergeben ist, dergestalt zu mißhandeln, als jene Furie, Liebe genannt, und jenes Begehren der Sehnsucht das die Brust der Verliebten quält, welche Amor als ihren Herrn anerkennen und sich vor ihm, wie Vasallen zu Boden werfen.
Um nur einigermaßen die offenbaren Tollheiten, welche sie begehen, zu entschuldigen, sagen die Verliebten (wenigstens haben es die Alten und Feinsinnigen gesagt), der Instinkt, welcher sie dazu antreibe und verlocke, mit glühendem Herzen den Gegenstand ihrer Liebe höher zu achten, als ihr eigenes Leben, sey ein Gott, dem sie den Namen Cupido beilegen. Die Macht dieses Gottes aber nöthige sie, unabweisbar den Weg zu verfolgen, den er sie betreten heiße. Zu dieser Aussage und zu der Behauptung, jenes Gefühl der Sehnsucht stamme von einem Gott, sind sie dadurch gekommen, weil sie doch die übernatürlichen Wirkungen einigermaßen erklären wollten, welches dieses sehnsüchtige Verlangen auf die Gemüther der Verliebten ausübt. Ohne Zweifel muß das freilich etwas übernatürliches seyn, was einen Liebenden zu gleicher Zeit schüchtern und vermessen macht, das ihn fern von seiner Geliebten glühen und dicht an ihrer Seite frieren läßt, ihm Stillschweigen auferlegt, wo er sprechen sollte, und ihn geschwätzig macht, wo er zu schweigen hätte. Gleicherweise ist es etwas sonderbares, dem zu folgen, was einen flieht, den zu loben, der einen tadelt, und zu dem zu sprechen, der einen nicht hört, eine Undankbare zu bedienen, auf Jemand seine Hoffnungen zu setzen, der niemals etwas versprach und auch nie etwas verleihen kann, das gut wäre.

O bittere Süßigkeit! o giftige Arznei der kranken Liebenden! o traurige Freude! o Blüthe der Liebe, die du keine Frucht versprichst, als die allzu später Reue! Dieß sind die Wirkungen jenes eingebildeten Gottes, dies seine Thaten, dieß seine Wunderwerke! Alles dieses kann man schon aus der Gestalt erkennen, welche die Verliebten selbst ihrem eingebildeten Gotte verliehen haben, denn sie malten ihn als einen nackten, geflügelten Knaben, mit verbundenen Augen und Pfeil und Bogen in Händen; um uns unter anderem deutlich zu erkennen zu geben, daß einer, der verliebt ist, einfältig und lüstern wird, wie ein Kind, in allem dem was er begehrt blind, in seinen Gedanken leichtfertig, in seinen Werken grausam, und was die Reichthümer seines Geistes betrifft, arm und nackt erscheint. Ebenso sagten sie von diesem Gotte, seine Pfeile seyen von doppelter Art, der eine von Blei und der andere von Gold; so aber auch die Wirkung derselben verschieden. Der bleierne Pfeil nämlich errege in den Herzen, die er berühre, Haß, der goldene Pfeil aber in allen, die er verwunde, die heißeste Liebe, woraus auf das Deutlichste hervorgeht, daß reiche Gold sey es, welches Liebe erwecke, und das arme Blei, das Haß errege. Aus diesem Grunde singen die Dichter nicht vergeblich von Atalanta, sie sey durch drei schöne goldene Aepfel gewonnen worden, und von der schönen Danae, ein goldener Regen habe über ihr Mädchenthum gesiegt, so wie der fromme Aeneas sey mit einem goldenen Zweige in der Hand in die Unterwelt hinabgestiegen; kurz, Geld und Gut heißen die mächtigen Pfeile, welche Amor hat, und mit welchen er die meisten Herzen sich unterwirft. Ganz anders verhält es sich mit dem Blei, das ein geringes und verachtetes Metall ist, wie die Armuth selbst, die, wo sie auch hinkommt, eher Haß und Verachtung erweckt, als irgend Güte und Wohlwollen.

Sollten die Vernunftgründe, welche ich bisher vorgebracht habe, nicht hinreichend seyn, zu beweisen, wie großes Recht ich habe, diesen treulosen Gott der Liebe, von dem ich so eben sprach, zu hassen, so bitte ich Euch, auf einige wahrhafte Beispiele Euer Augenmerk zu lenken, und die Wirkung derselben zu betrachten, dann werdet Ihr eben so klar als ich einsehen, daß Jeder, der der Wahrheit, so ich verkündete, nicht Lob zollt, an den Augen des Verstandes völlig blind seyn muß. Wohlan, wer war es denn als Amor, der den gerechten Loth verleitete, das Gesetz der Keuschheit zu brechen und seine eigenen Töchter zu schänden?  Nichts anderes war es, als Liebe, welche den ausgezeichneten König David zum Ehebruch und Menschenmorde verleitete; und welche den lüsternen Ammon dahin brachte, die schändliche Hülfe seiner geliebten Schwester Thamar zu begehren; was anders aber brachte das Haupt des starken Simson in die verrätherische Gewalt der Delila, wodurch er seine Kraft verlor und die Seinigen dadurch ihres Schutzes und Schirmes, er selbst aber und noch viele Andere des Lebens beraubt wurden? Liebe war es, welche die Zunge des Herodes dazu verleitete, jener jungen Tänzerin das Haupt des Vorläufers Christi zu versprechen. Sie machte es, daß die Menschen an der Erlösung durch den weisesten und den reichsten König der Könige zweifeln. Sie veranlaßte die starken Arme des berühmten Herakles, die sonst nur gewöhnt waren, die gewichtige Keule zu schwingen, eine elende Spindel zu drehen, und sich weibischen Beschäftigungen hinzugeben. Sie machte, daß die wahnsinnig verliebte Medea die zarten Glieder ihres kleinen Bruders in die Lüfte zerstreute. Sie riß der Progne, Arachne und dem Hypolitus die Zunge aus, beschimpfte die Pasiphae, zerstörte Troja und erschlug den Aegisteus. Sie unterbrach die kaum begonnene Erbauung des neuen Carthago, und machte, daß die erste Königin dieser Stadt ihren keuschen Busen mit dem Schwerdt durchbohrte. Sie gab der eben so berühmten als schönen Safonisbe den tödtlichen Giftbecher in die Hand, durch den sie ihr Leben endigte. Sie brachte den mächtigen Turnus ums Leben; zerstörte das Reich des Tarquinius, brach die Herrschaft des Marcus Antonius und zerstörte das Leben und die Ehre seiner Geliebten. Sie endlich unterwarf unser Spanien der fürchterlichen Wuth der Mauren, welche der liebewüthende Rodrigo zur Rache herbei rief.
Aber ich denke, die Nacht wird uns eher mit ihren Schatten überraschen, als es mir möglich würde, Euch alle Beispiele in das Gedächtniß zu rufen, welche die früheren und noch jeden Tag in der Welt sichtbaren Thaten Amors meinem Bewußtseyn darbieten, und daher will ich nicht länger in der Aufzählung derselben fortfahren, und meine Rede schließen, damit der berühmte Tirsis mir antworten möge.
(S. 47-59)
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Tirsis:
Liebe ist jene erste Gefühlserregung, welche wir in unserem Innern empfinden, und welche uns durch ein unser Ich bewegendes Streben anzieht, beglückt und beseligt; diese Seligkeit nun erzeugt in dem Geiste eine gewisse Bewegung, und diese Bewegung nennen wir Sehnsucht. Um es kurz zu fassen: Sehnsucht ist die Bewegung jenes Triebes, vermöge dessen wir lieben, und eine Begier, einen Gegenstand zu besitzen, welcher gut ist; da aber verschiedene Gattungen von Sehnsucht und Wunsch vorhanden sind, so ist Liebe diejenige Gattung der Sehnsucht zu nennen, welche nach der Erstrebung und Anschauung eines Gutes trachtet, das wir das Schöne nennen; eine deutlichere Erklärung und Abtheilung der Liebe, wenn ich so sagen darf, finden wir aber darin, daß wir sie in drei Theile theilen: in die Liebe nach dem Ehrbaren, in die Liebe nach dem Nützlichen und in die Liebe nach dem Vergnüglichen. In diese drei Gattungen von Liebe lassen sich alle Arten der Liebe und Sehnsucht eintheilen, welche nur immer unser Geist erfassen kann. Die Liebe nach dem Ehrbaren blickt nach dem Himmel, nach der Ewigkeit und nach Gott. Die Liebe zum Nützlichen blickt auf irdische, angenehme und der Dürftigkeit abhelfende Dinge, wie nach Reichthum, Rang und Herrschaft; die Liebe zum Vergnüglichen endlich blickt auf alles, was Lust und Freude gewährt, wie die lebenden körperlichen Schönheiten sind, von denen Du, Lenio, gesprochen hast.

Keine Gattung dieser Liebe, von der ich gesprochen habe, darf aber von irgend einer Zunge getadelt werden, denn die Liebe zur Ehrsamkeit war und ist immer das Bestreben, rein, keusch, heilig und gottgefällig zu seyn, sie findet ihre Befriedigung und ihr höchstes Ziel in dem Gedanken an Gott. Die Liebe zum Nützlichen ist, da sie eine aus natürlichen Bedürfnissen entsprungene Neigung ist, eben so wenig zu verdammen, als die zum Vergnügen, welche noch mehr als die zum Nutzen der menschlichen Natur eingepflanzt ist. Daß aber diese beiden Arten von Liebe naturgemäß sind, beweißt uns die Erfahrung, denn sobald der allzukühne Urvater unsers Geschlechtes den Befehl Gottes übertreten hatte, wodurch er sich von der Stufe des Herrn zum Knecht herabwürdigte, seine Freiheit vergaß und ein Sclave wurde, erkannte er sogleich, welch ein Unglück er sich zugezogen habe, und in welche Armuth er gerathen sey. Daher pflückte er sogleich die Blätter von den Bäumen, damit sie ihm zur Bedeckung dienen sollten, und arbeitete im Schweiße seines Angesichtes, indem er die Erde umgrub, um mit der möglich geringen Unbequemlichkeit leben zu können. Mittlerweile aber (und darin war er seinem Gotte weit gehorsamer, als in jedem andern Dinge,) sorgte er dafür, Kinder zu bekommen, und durch sie das menschliche Geschlecht fortzupflanzen. Da er aber durch seine Unfolgsamkeit sich nicht nur für seine Person, sondern auch für alle seine Nachkommen den Tod zugezogen hatte, erbten wir alle natürlicher Weise alle seine Begierden und Leidenschaften, wie wir unser Naturel von ihm ererbten. Und wie er selbst für seine Nothdurft und Armuth zu sorgen bemüht war, also können wir auch nicht umhin, uns nach der Abwendung dieser Uebel zu sehnen. Daraus entspringt die Liebe für die dem menschlichen Leben nützlichen Dinge, daher es uns scheint, als ob wir den uns angeborenen Mangel in dem Grade verbessern würden, als wir nach der Erreichung dieser irdischen Dinge streben. Aus derselben Ursache haben wir auch die Sehnsucht ererbt, unser eigenes Seyn in unsern Söhnen fortleben zu machen. Aus dieser Sehnsucht aber folgt, daß wir die lebendige, körperliche Schönheit aufsuchen und lieben, denn sie ist das einzige richtige Mittel, um diese Wünsche ihrem ersehnten Ziele zuzuführen.

Deßhalb ist diese Liebe zum Vergnüglichen, selbst wenn sie ganz allein und abgesondert von jeglicher anderer Nebenrichtung auftritt, eher lobens- als tadelnswürdig. Aber gerade dieser Liebe, o Lenio, bist Du sehr feind, und die Ursache dieser Feindschaft liegt darin, daß Du sie weder kennst, noch je richtig verstanden hast, denn Du sahst sie nie unter ihrer eigenen Form und Bildung, sondern immer in Begleitung von verderblichen, lüsternen und auf das Schlechte gerichteten Begierden; an diesen aber ist nicht sowohl die Liebe schuld, welche immer gut ist, sondern die Umstände, welche zu ihr hinzukommen. Also sehen wir nicht selten ein Bild hiervon in einem reichen schönen Strom; dieser hat seinen Ursprung in einer klaren und hellen Quelle, die ihn immer mit ihrem reinen und frischen Wasser speist, aber kaum hat er sich von seiner reinen Mutter entfernt, als seine süßen und krystallenen Wellen trüb und gelb werden, weil viele unreine Bäche von dieser und jener Seite herkommen, um sich mit ihm zu vereinigen. Also kann jene erste Bewegung des Herzens - nenne sie nun Liebe oder Sehnsucht, oder wie Du willst - nur aus einer guten Quelle entstehen. Eine Quelle dieser Bewegung ist die Erkenntniß der Schönheit, aber wenn man diese einmal so ganz als solche erkannt hat, so ist es durchaus nicht möglich, daß man zu ihr keine Liebe fühle.

Ja, die Schönheit vermag mit solcher Gewalt unsere Herzen zu bewegen, daß sie allein es war, welche den Philosophen des Alterthumes, (die blind und ohne das Licht des Glaubens waren, das uns erleuchtet,) als erhabene Leuchte erschien. Nur die natürliche Vernunft war ihr Führer, aber sie fühlten sich durch die Schönheit, welche sie theils an dem erhobenen Sterngewölbe des Himmels, theils an der prächtigen Runde der Erde betrachteten, dergestalt hingerissen, daß sie in der Bewunderung einer solchen Herrlichkeit und eines solchen Einklanges ihren Geist anstrengten, um immer zu forschen und nachzuspüren, um vermöge dieser Dinge niederer Ordnung einen Weg zu finden, um damit zu der ersten Ursache der Ursachen zu gelangen. Auf diesem Wege haben sie erkannt, daß es eine einzige ursachlose Ursache aller dieser Dinge gebe; was sie aber in diesen Betrachtungen am meisten erhob und zur Bewunderung nöthigte, war das, daß sie einsahen, der Wunsch sey in allen seinen Beziehungen mit so weiser Ordnung, mit so vollkommener Harmonie und mit so großer Schönheit geschaffen, daß sie ihn eine Welt im Kleinen nennen mußte. Es erhellt dieß auf das Klarste aus allen den Werken, welche der große Schöpfer der Welt hervorgebracht hat, wo Alles jene unvergleichliche Vollkommenheit zeigt, welche die Größe und Weisheit des Schöpfers laut genug verkündigt. Am meisten aber zeigt sich dieß in der Bildung und Zusammensetzung des Menschen, in dessen Gestaltung sich eine Schönheit und ein Ebenmaaß entwickelt, welche der Gipfel von aller übrigen Schöpfung zu seyn scheint. Daher rührt es nun, daß man diese offenkundige Schönheit lieben muß, und da sie aus dem Gesicht am deutlichsten hervorblitzt, und dort sich am meisten zeigt, so ist bei dem Anblick eines schönen Antlitzes unsrer ganzen Seele Thätigkeit sogleich zur Liebe aufgeregt. Hieraus folgt, daß die Gesichter der Frauen, welche an Schönheit die der Männer weit übertreffen, von uns am meisten geliebt, gepflegt und begehrt werden, als eine Sache, in welcher diejenige Schönheit ruht, welche auf die natürliche Weise unser Auge am meisten ergötzt und befriedigt.

Da aber unser Schöpfer und Gott einsah, es liege in der eigenthümlichen Beschaffenheit unserer Seele, in beständiger Bewegung zu seyn, woraus eben die Sehnsucht entspringt, die nirgends einen festen Haltpunkt hat, als in Gott selbst, ihrem eigenthümlichen Mittelpunkt, so wollte er, (und zwar ohne der Freiheit unserer eigenen Entschlüsse in den Weg zu treten) damit unser Gemüth nicht mit verhängtem Zügel der Sehnsucht nach verderblichen und eitlen Dingen sich hingebe, die drei Grundkräfte unserer Seele unter die Aufsicht einer aufmerksamen Schildwache stellen, welche unser Gemüth theils von den Gefahren, die ihm drohten, theils von den Feinden, die es verfolgten, unterrichten sollten; und dieß ist die Vernunft, welche unsere ordnungslosen Begierden bändigen und zügeln soll. Da er aber zugleich einsah, daß die menschliche Schönheit unsere Neigungen und Leidenschaften anziehen müssen, wollte er auf der einen Seite uns das Verlangen hiernach nicht ausmerzen, auf der andern aber es mäßigen und zur Ordnung führen, und daher führte er den heiligen Bund der Ehe ein, in welchem dem Manne und dem Weibe die Freuden und Vergnügungen der naturgemäßen Liebe in vollem Maaße erlaubt, ja geboten sind. Durch diese beiden Mittel, welche die Hand Gottes selbst erschaffen hat, wird jegliche Ausschweifung in der natürlichen Liebe, welche Du Lenio so hart tadelst, gemäßigt und gezügelt, denn die Liebe an sich selbst ist so gut, daß wenn sie unter uns aufhören würde, wir und die Welt nicht mehr bestehen könnten.

Dieser selben Liebe, von der ich Euch so eben spreche, sind alle Tugenden einverleibt, weil die Liebe selbst für den Liebenden diejenige Zurückhaltung enthält, welche dem keuschen Willen seiner Geliebten angemessen ist und zugleich seine Begier zügelt. Nothwendiger Weise muß der Verliebte, um der Liebe willen zu der, die er liebt, jedes Ungemach ertragen können; und auf der andern Seite ist es gerecht, daß er mit seiner Liebe der Geliebten seines Herzens dient, denn die Vernunft selbst treibt ihn hierzu an. Zugleich ist dieß der Klugheit gemäß, weil die Liebe ein jegliches Denken und Sinnen schöner macht.
Hierauf aber, o Lenio, was Du von der Liebe ausgesagt hast, daß sie Reiche zu Grunde gerichtet und Städte verwüstet habe, daß sie die Ursache von dem Tode der Freunde und von der Entweihung der Heiligthümer gewesen sey, daß durch sie Verräthereien ausgesponnen und Gesetze übertreten werden, hierauf setze ich Dir als Antwort die einzige Frage entgegen: was giebt es heut zu Tage Lobenswürdiges auf der Welt, das, sey es auch noch so gut, durch den Gebrauch der Menschen nicht in Unheil verwandelt werden könnte? Dann muß man die Philosophie verdammen, weil sie häufig und zu wiederholten Malen unser Fehler aufdeckt, und weil es viele Philosophen gegeben hat, welche schlecht waren. Dann muß man die Werke der heroischen Dichter verbrennen, weil sie in ihren satyrischen Versen die Laster schelten und tadeln. Dann muß man die Medicin schlecht nennen, weil sie Gifte entdeckt; die Beredsamkeit als unnützlich verachten, weil sie zuweilen in ihrer Dialektik so weit gegangen ist, bekannte Wahrheiten in Zweifel zu ziehen. Dann darf man keine Waffen mehr schmieden, weil Räuber und Mörder sie gebrauchen, und keine Häuser mehr bauen, weil sie über den Häuptern ihrer Bewohner zusammen fallen können. Dann muß man die verschiedenartigen Speisen verbieten, weil sie Krankheiten verursachen können. Kein Mensch sollte in Folge dessen Söhne zeugen, weil Oedipus, von der furchtbaren Wuth der Furie getrieben, seinen Vater umgebracht hat, und Orestes die Brust seiner eigenen Mutter durchbohrte. Dann muß man das Feuer für ein Uebel halten, weil es Häuser zu verzehren und Städte einzuäschern pflegt; das Wasser verfluchen, weil es in der Sündfluth die ganze Erde überschwemmt hat. Ja man muß ein jegliches Element, heiße es wie es wolle, verdammen, weil es etwa von Leuten verkehrten Sinnes, verkehrt angewandt werden könnte.

Auf diese Weise kann man eine jede gute Sache als schlecht verrufen und behaupten, ihre Wirkung sey verderblich, wenn sie in die Hände von solchen Leuten kommt, die als unvernünftig ihre Begierden auf keine Weise zügeln lassen; jenes alte Carthago, das dem römischen Reiche so kräftig entgegen stand, jene kriegerische Numantia, jenes schmuckvolle Corinth, jenes stolze Theben, ja das gelehrte Athen und die Stadt Gottes Jerusalem, sie wurden alle besiegt und zerstört; können wir aber deßhalb sagen, daß es Liebe war, die ihren Untergang und ihre Verwüstung herbeiführte? Ja gleicher Weise müßten diejenigen, welche sich zur Gewohnheit gemacht haben, von der Liebe übel zu reden, von sich selbst schlecht sprechen; denn alle Geschenke Amors sind unaufhörliches Lobes würdig, sobald sie mit Mäßigkeit und Zurückhaltung genossen werden. In allen Dingen aber wurde immer der Mittelweg gelobt und das Extrem getadelt. Ja wenn wir der Tugend selbst uns maßlos hingeben, so würden wir als Weise den Namen eines Thoren, und als Gerechte den Namen eines Verbrechers uns zueignen. Ein alter Tragiker war der Meinung, daß, wie der Wein nur gut ist, wenn man ihn mit Wasser mischt, also auch die Liebe nur zuträglich ist, wenn sie mit Maas genossen wird; schlecht und schadenstiftend aber ist alles Uebermaaß. Ja selbst die Erzeugung von unvernünftigen wie von vernünftigen Geschöpfen würde aufhören, wenn Amor nicht hierzu die Einleitung gäbe, und ohne die Liebe wäre die Erde bald eine öde verlassene Wüste.

Die Alten glaubten, die Liebe sey ein Werk der Götter, und zur Erhaltung und zum Wohl des menschlichen Geschlechts bestimmt. Nun komme ich aber darauf, was Du, Lenio, von den traurigen und widerwärtigen Wirkungen ausgesagt hast, die durch Amor in den Herzen der Verliebten entstehen, wodurch in denselben unauslöschliche Thränen, schmerzlich tiefe Seufzer und jammererfüllte Phantasiebilder der Verzweiflung entstehen, ohne daß ihnen je eine Stunde der Ruhe zu Theil würde. Genau genommen aber sage mir doch, welch ein Ding kann der Mensch in diesem Leben ersehnen, ohne daß die Erreichung desselben ihn Mühe und Anstrengung kostete? Und natürlich je höher der Werth der zu erstrebenden Sache ist, desto mehr leidet man für sie und muß für sie leiden. Sehnsucht aber setzt ein Fehlen dessen voraus, wonach man sich sehnt, und nothwendiger Weise muß in unserem Gemüthe so lange Unruhe wohnen, bis wir es erreicht haben. Da aber alles, was der Mensch sich wünscht, zu seiner Zufriedenheit wohl erreicht werden kann, ohne daß er den höchsten Grad dessen, nach dem erstrebt, erlangt, sondern mit einem Theile desselben zufrieden seyn muß, dabei aber immer sich beeifert, eine höhere Stufe zu erreichen, was Wunder dann, wenn er deßhalb, daß er nicht im Stande ist, die Wünsche seines Herzens auf das vollkommenste zu befriedigen, im Gefühle seiner Ungewißheit bald fürchtet, bald hofft, und weint und seufzt? Wer nach Herrschaft, Rang, Ehre und Reichthum strebt, und am Ende einsieht, daß er nicht das höchste Ziel dessen, wonach er trachtet, erreichen kann, und nur auf eine gewisse Stufe darin kommt, der wird in gewisser Art befriedigt, denn da ihm die Hoffnung fehlt, weiter steigen zu können, sieht er sich genöthigt, da stehen zu bleiben, bis wohin er es gebracht hat, und sich möglichst damit zu begnügen.

In der Liebe ist durchaus das Gegentheil der Fall, denn Liebe kennt weder einen andern Lohn, noch eine andere Genugthuung, als Liebe, und sie selbst ist ihre wahrhafteste und eigenthümlichste Befriedigung. Aus diesem Grunde kann ein Verliebter unmöglich zufrieden seyn, als bis er auf das Deutlichste erkennt, er werde wahrhaft geliebt, was er durch die bekannten Liebeszeichen erfährt. Daher schätzen alle Verliebten einen günstigen Blick der Augen, ein noch so kleines Andenken, ein gewisses holdes Lächeln, einen süßen Ton der Rede, einen Scherz, den sie als Wahrheit nehmen zu können glauben, von Seiten ihrer Geliebten so ungemein hoch, denn alles dieß sind Anzeichen, welche ihnen die Erreichung des Zieles ihrer Sehnsucht versichern. Nothwendiger Weise muß im Gegentheil ein Verliebter, der Anzeichen entgegengesetzter Gesinnung wahrnimmt, so sehr bekümmert, traurig und gramvoll werden, daß er in seinem Schmerze gar keine Grenzen kennt, denn dann glaubt er gar nichts von dem erreichen zu können, was ihm sonst Fortunas Gunst und Amors Lächeln gewährte.

Da es aber eine Sache von höchster Schwierigkeit ist, eine fremde Persönlichkeit so zu stimmen, daß sie mit der meinen vollkommen eins sey, und zwei verschiedene Seelen mit einem so unauflöslichen und so engen Bande zu verbinden, daß beide ein Gedanke und eine That sind, so ist es gar nicht zu verwundern, daß derjenige, der etwas so Großes erstreben will, hierfür mehr leiden muß, als für jede andere Sache; wenn dieß alles aber erreicht ist, so entzückt und beseligt es mehr, als alles andere, wonach man sich im Leben sehnen kann. Nicht aber werden allemal die Thränen der Verliebten mit Fug und Recht vergossen, noch auch ihre Seufzer um gerechter Ursache willen verhaucht; denn wenn sie alle ihre Thränen und Seufzer nur darum verschwenden, weil sie sehen, daß ihrer Sehnsucht nicht auf die Weise entsprochen wird, wie sie wünschen, noch das Ziel erreichen kann, nachdem sie streben, ist doch vor alen Dingen in Betrachtung zu ziehen, auf welchen Gegenstand sie ihre Phantasie hingeleitet hat, und ob sie nicht vielleicht höher streben, als ihrem Verdienst gebührt. Da ist es denn nun kein Wunder, wenn Mancher von diesen gleich einem neuen Ikaros mit verbrannten Flügeln in das Meer des Elends fällt; an solchem Unglück ist aber die Liebe nicht schuld, sondern ihre eigene Verrücktheit. Bei alle dem läugne ich es nicht nur nicht, sondern bekräftige es noch, daß die Sehnsucht, die das erreichen will, was man liebt, nothwendiger Weise Kummer erzeugen muß, so lange die Erreichung des geliebten Gegenstandes ferne steht, wie ich bereits gesagt habe. Dabei aber behaupte ich, daß die Erreichung dieses Zieles mit der höchsten Wonne und Seligkeit verbunden ist, und ein so süßes Labsal erscheint, als die Ruhe für den Müden und Gesundheit für den Kranken. Freilich muß ich dabei bekennen, daß wenn die Liebenden, wie es vor Alters Sitte gewesen seyn soll, mit weißen Steinen ihre freudigen, und mit schwarzen Steinen ihre traurigen Tage bezeichnen würden, ohne Zweifel die Anzahl der Unglückstage bedeutender wäre. Auf der andern Seite sehe ich aber klar ein, daß ein einziger weißer Stein Seligkeit genug in sich schlösse, um eine Unzahl schwarzer zu überwiegen. Diese Wahrheit erhellt deutlich daraus, daß die Verliebten niemals über ihren Zustand Reue empfinden, sondern im Gegentheil Jeden, der ihnen versprechen würde, sie von der Krankheit der Liebe heilen zu wollen, als einen Feind verstießen; denn selbst das Erdulden der Liebesqual ist süß. Daher, o Ihr Verliebte, laßt Euch durch kein Bangen davon abhalten, Euch der Liebe zu dem Gegenstande mit der ganzen Kraft Eurer Seele zu weihen, dessen Erreichung Euch am schwierigsten erscheint; beklagt Euch auch nicht und fühlt auch keine Reue, wenn sich durch die Macht der Liebe das Niedrigste zu Euerer Hoheit erhebt, denn Amor macht Niederes Hohem und Geringfügiges Erhabenem gleich, und weiß die verschiedenen Charaktere der Liebenden mit seinem Geist in das rechte Verhältniß zu bringen, sobald mit reiner Zuneigung seine Anmuth in die Herzen einzieht. Laßt Euch durch keine Gefahren abschrecken, denn seine Herrlichkeit ist so groß, daß sie das Bewußtseyn eines jeden Schmerzes in Euch tilgt. Und wie den Feldherrn und Kaisern des Alterthums die Größe und Herrlichkeit ihrer Triumphe in demselben Verhältnisse zu der Größe ihrer Siege und ihrer Anstrengungen und Mühseligkeiten stand, so steht der Triumph der Liebe mit seiner Fülle von Wonne und Seligkeit im Verhältniß zu der Pein ihrer Sehnsucht. Wie Jene der glorreiche Empfang in ihrer Vaterstadt alles frühere Leid und Ungemach vergessen läßt, so vergißt der Verliebte im Arme seiner ihn beglückenden Geliebten die gräßlichen Träume, die unruhigen, schlaflosen Nächte, die kummerbedrängten Tage, und Freude, Ruhe und Wonne krönen sein Glück.

Wenn Du daher, o Lenio, die Liebe wegen ihrer traurigen Wirkungen verdammst, mußt Du sie wegen ihrer freudigen und wonnevollen wieder zu Gnade annehmen. In Absicht auf die Erklärung, welche Du von der Gestalt des Cupido gegeben hast, muß ich Dir noch sagen, daß Du Dich darin eben so sehr täuschtest, als in allen andern Dingen, so Du gegen die Liebe vorgebracht hast. Die Maler stellen ihn als einen nackten, blinden Knaben mit Flügeln und Pfeilen vor, dieß will aber nichts anderes bedeuten, als das, daß der Charakter des Verliebten darin kindlich seyn soll, daß er nichts von doppeltem Wesen weiß, sondern rein und einfältig ist; für alle Dinge, die sich ihm darbieten, muß er blind seyn, nur nicht für den Gegenstand, auf den allein er seine Augen und sein Streben richtet; er muß nackt seyn, denn er will nichts anderes an sich haben, als was von derjenigen kommt, die er liebt; er muß schnelle Flügel besitzen, um so schnell wie möglich alles, was ihm seine Geliebte aufträgt, besorgen zu können; man malt Amor mit Pfeilen, denn die Wunde einer verliebten Brust muß tief aber geheim seyn, so daß sie nichts entdecken kann, als was eben dazu bestimmt ist, sie zu heilen. Amor verwundet mit zweierlei Pfeilen, die auf ganz verschiedene Weise wirken; dieß soll uns aber nicht zu erkennen geben, die vollkommene Liebe habe sowohl die Macht, Liebe als Haß zu erregen, sondern der Verliebte soll festen und reinen Herzens lieben, ohne irgend eine Beimischung von Lauheit.
Kurz, Lenio, Liebe ist es, welche die Trojaner zum Fall brachte, damit aber die Größe der Griechen gründete; Liebe ist es freilich, welche Carthagos Werke zerstörte, aber sie ließ Roms Gebäude entstehen; hat sie dem Tarquinius das Reich genommen, so schenkte sie der Republik die Freiheit.
(S. 64-76)

übersetzt von Friedrich Martin Duttenhofer (1810-1859)

Aus: Miguel's de Cervantes
sämmtliche Romane und Novellen
Die Galathea Ein Schäferroman
Aus dem Spanischen von
F. M. Duttenhofer Band 2
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung 1842

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Ständchen

I.
Magst am Balkon du lauschen
Oder am Fenster stehn,
Gib acht, es kommt dein Geliebter,
Meid Holdchen, du kannst ihn sehn.

Bleibe heiter, o Nacht,
Bis der Morgen erwacht,
Und über alle Blumen
Tauige Perlen sprüht;
Aber dieweil du harrest
Bis hell die Sonne glüht,
Sage du meiner Schönen
In sanften, süßen Tönen:
Magst am Balkon du lauschen,
Oder am Fenster stehn,
Gib acht, es kommt dein Geliebter,
Mein Holdchen, du kannst ihn sehn.
Und läßt ihr Herz sich rühren,
Mußt an der Hand sie führen
Und dann vergiß es nicht!
O sag ihr hold und leise,
Oder mit lautem Mund,
Daß sie die süße Weise
Vernimmt in des Herzens Grund:
Magst am Balkon du lauschen,
Oder am Fenster stehn,
Gib acht! Es kommt der Geliebte,
Mein Holdchen, du kannst ihn sehn.


II.
Vor deiner Thüre,
Geliebte mein,
Wandeln sich Dornen
In Rosen fein.
Pflanzt trotzige Eschen
Und harte Eichen
Vor Liebchens Thür.
Und trifft sie ihr Blick,
Sie werden sich neigen
Sanft wie die Myrte mit duftigen Zweigen:
Und Dornen sich wandeln
In Rosen fein.
Wie welkes Gras
Sich grünend erhebt,
Wenn ihr Fuß es berührt,
Ihr Atem belebt!
Mit Lächeln erheitert sie
Herz und Gefilde:
Den Knecht, den Gebieter
Beherrschet sie milde,
Daß Dornen sich wandeln
In Rosen fein.

Übersetzt von Edmund Dorer (1831-1890)

Aus: Eine Blütenlese aus Spanischen Dichtern aller Zeiten
In deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Julius Hart
Stuttgart Verlag von W. Spemann o. J. [1883] (S. 120-121)
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Die Schalkhafte

Mutter mein, o Mutter!
Hüter stellet ihr:
Hüt' ich mich nicht selber,
Hilft kein Hüten mir.

Steht es nicht geschrieben,
Und ein wahres Wort,
Daß wir immerfort
Das Verbot'ne lieben?
Zwang dient nur den Trieben,
Mehr sie aufzuwiegeln;
Drum mich zu verriegeln
Thut nicht weislich ihr,
Hüt' ich mich nicht selber,
Wehrt kein Hüten mir.

Mag der Wille nicht
Sich für sich bewachen,
Sind nur schlechte Wachen
Scheu ihm oder Pflicht.
Ja fürwahr, er bricht
Durch des Todes Schranken,
Mit was für Gedanken,
Nie erratet's ihr.
Hüt' ich mich nicht selber,
Wehrt kein Hüten mir!

Sehnet sich ein Herze
Nach verliebtem Glücke,
Geht es wie die Mücke
Nach der Liebeskerze.
Ihm sind nun zum Scherze
Aller Hüter Scharen,
Noch so sehr bewahren
Mag man es, wie ihr,
Hüt' ich mich nicht selber,
Wehrt kein Hüten mir.

Nichts ist allzu teuer,
Wo die Liebe handelt,
Und die Schönste wandelt
Sie zum Ungeheuer.
Einen Sinn von Feuer,
Eine Brust von Wachs,
Füß' und Händ' aus Flachs
Schafft sie heimlich ihr:
Hüt' ich mich nicht selber,
Hilft kein Hüten mir.

Übersetzt von August Wilhelm von Schlegel (1767-1845)

Aus: Eine Blütenlese aus Spanischen Dichtern aller Zeiten
In deutschen Übertragungen
Herausgegeben von Julius Hart
Stuttgart Verlag von W. Spemann o. J. [1883] (S. 122-123)
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