Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Giusto de' Conti (1390-1449)
italienischer Dichter



Göttliches Wesen der Geliebten
(Sonett)

Wie kann sie Himmel, Geist, Natur und Kunst,
Stern', Elemente, Menschen-, Götterleben,
In ihrem Sein so ganz zusammenweben,
Daß tausendfaches Lied mir nicht schafft Gunst.

Wer sie nur schaut, den füllet süße Brunst;
Die Stell' auch wo sie weilt, des Geistes Streben,
Der nur vor ihr sein Lied wünscht zu erheben;
Er zeigt's in tausendfacher Reime Kunst.

Nicht malt ein Menschengeist die hohe Schöne,
Und Worte müssen unsrer Rede fehlen,
So hoch kann niedre Phantasie nicht steigen.

Doch ist den Augen eine Sonne eigen,
Die Alles überstrahlt; sie kann beseelen,
Spricht sie, den Stein durch ihre holden Töne.
(S. 155)
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Schönheit der Geliebten
(Sonett)

Wer ist sie denn, die Zierde unsrer Zeiten
Mit Wunderreiz und Tugend reich geschmückt,
In Fraungestalt, die Amor muß begleiten
Und die als Göttin Sterbliche beglückt.

Sie strahlet mit des Himmels Lieblichkeiten,
Ein reiner Geist, dem Irrthum ganz entrückt,
Zu solcher Ehr' will sie das Glück geleiten,
Daß sich Natur an ihr stets nur entzückt.

Das wen'ge Licht ist ganz in ihr vereinet
Und der geringe Glanz, der unsern Tagen
Von güt'gen Sternen mild ward zugestrahlet.

Es lobt, wenn seinem Blick ihr Antlitz scheinet,
Der Herr der Sphären, wo die Sterne ragen,
Sich selbst, daß er so schönes Bild gemalet. -
(S. 155)
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Krieg gegen die Schönheit der Geliebten
(Sonett)

Natur gefiel in ihrem holden Sinnen,
Ein neugeschaffnes Wunderwerk zu zeigen,
Doch mußten tausend Jahr' hinuntersteigen
Bevor die schöne Hand sich ließ beginnen.

Dann schuf sie, sanft strahlt' von des Himmels Zinnen
Ein güt'ger Stern mit froher Strahlen Neigen,
Die Spröde, der so mächt'ge Schönheit eigen
Zur späten Zeit, wo Hoheit schwand von hinnen.

Die dritte Sphär' am Himmel mußt' erglühen
Und Amor heiß an jenem Tag' entbrennen,
Wo auf der Erd' die Schönheit ward geboren.

Die würdige Gestalt mußt' an mich ziehen.
Doch will der Schleier nicht den Anblick gönnen
Drum hab' ich mit der Süßen Krieg erkoren.
(S. 155-156)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]


 

 


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