Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Dante Alighieri (1256-1321)
italienischer Dichter




Gli occhi dolenti per pieta dei core

Die Augen, traurig um des Herzens willen,
Sie mußten so des Weinens Pein erleiden,
Daß nun die Kraft den armen will vergehen.
Und soll ich jetzt die großen Schmerzen stillen,
Die heimlich zehrend mich vom Leben scheiden,
Muß ich zum Sprechen seufzend mich verstehen.
Da kommt zu Sinn mir, wie es oft geschehen,
Daß ich, so lang mein Lieb auf Erden blühte,
Euch gern von ihr gesagt, holdsel'ge Frauen.
Nun will ich mich vertrauen
Nur eines Weibes adligem Gemüthe,
Und sag', indem die bittern Thränen thauen:
Wie plötzlich ward sie uns entrückt, die Reine,
Und ließ mich hier mit meiner Lieb' alleine!

Entrückt ward Beatrice zu dem Licht
Des hohen Himmels, zu der Engel Frieden;
Dort weilt sie und ist euch, ihr Frau'n, genommen.
Es stahl sie uns ein frost'ger Schauder nicht
Noch Fieberglut, wie sonst geschieht hienieden:
Durch ihre große Güte mußt' es kommen,
Die ganz vom Licht der Demuth überglommen.
Sie überbot die Himmel so an Tugend,
Daß Staunen selbst den ew'gen Herrn befangen,
Und ihm ein süß Verlangen
Kam, abzurufen ihre reine Jugend.
So ist sie denn von uns emporgegangen;
Denn Gott erkannte, dieser Ort der Plagen
Sei unwerth, solch ein edles Bild zu tragen.

Aus ihrem schönen Leibe schied von hinnen
Die edle Seele, reich an allen Gnaden
Und wohnt nun glorreich an der würd'gen Stätte.
Wem nicht, wenn er's gedenkt, die Zähren rinnen,
Der hat ein Herz von Stein, zu fluchbeladen,
Als daß in ihm ein güt'ger Geist sich bette.
Wo ist ein niedrig Herz, das in sich hätte
So hohe Kraft, ihr Wesen zu empfinden?
Und darum kommt ihm nie der Drang nach Thränen.
Doch Trauer kommt und Sehnen
Und Seufzen, ganz im Weinen hinzuschwinden,
Und gar an jedem Trost gebricht es Jenen,
Die einmal nur bedacht in ihrer Seele,
Was sie gewesen - und was nun uns fehle.

Es machen mich die Seufzer angstbeklommen,
So oft dem Geist in seinem schweren Sinnen
Sich Jene zeigt, die mir das Herz gespalten.
Und wenn Gedanken an den Tod mir kommen,
Befällt mich so Begier, ihn zu gewinnen,
Daß die entfärbten Wangen mir erkalten.
Dann, hat mich lang dies Brüten festgehalten,
Häuft sich von allen Seiten so die Pein,
Daß ich mich schüttl' in Schmerzen, unerträglich,
Und scheine so mir kläglich,
Daß ich mich schäme, Menschen nah zu sein.
Und einsam ruf' ich, weinend und beweglich,
Nach Beatricen: Ach, nun bist du todt!
Und da ich's rufe, lös't sich meine Noth.
Vor Kummer weinen, seufzen vor Bedrängniß
Heißt mich mein Herz, wo ich allein mich schaue;
Es würde Jeden dauern, der's vernähme.
Und wie mein Leben war, seit dem Gefängniß
Der Zeit entfloh ins Ew'ge meine Fraue -
Wo ist der Mund, der da zu Ende käme!
Drum, liebe Frau'n, auch wenn ich's unternähme,
Ich könnt' es euch nicht sagen, wer ich bin.
Es hat das herbe Loos, das ich erworben,
Mich lähmend so verdorben,
Daß Alle zu mir sprechen: Du bist hin!
Sehn sie, wie meine Lippen mir erstorben.
Doch was ich bin, sieht meine Frau ingleichen,
Und Huld von ihr verhoff' ich zu erreichen.

Du mein vergrämtes Lied, nun auf, mit Weinen
Zu Frauen und Jungfrauen hinzueilen.
Lust ihnen mitzutheilen
War sonst wohl deiner Schwestern holdes Amt.
Du aber, meiner Traurigkeit entstammt,
Geh nun zu ihnen, trostlos dort zu weilen.
(S. 4-6)
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Sonette

I.
Tanto gentile e tanto onestra pare

So ganz holdselig scheint, so reich an Sitte
Die Liebste, sieht man sie im Gruß sich neigen,
Daß Zittern jeden Mund befällt und Schweigen,
Und keinem Aug' ein dreister Blick entglitte.

Sie aber geht durch der Entzückten Mitte,
Gekleidet mild in Demuth, die ihr eigen.
Da ist's, als ob vor uns vom Himmelsreigen
Ein Wunderbild zur Erde niederschritte.

Sie stellt sich jedem Blick so lieblich dar,
Daß eine Süße dringt durchs Aug' ins Herze,
Die Keiner, der ihr fremd, zu kennen wähne.

Und von den holden Lippen wunderbar
Weht linder Hauch, erfüllt von Lieb' und Schmerze,
Der zu der Seele spricht: Nun seufz' und sehne!
(S. 6-7)
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II.
Vede perfettamente ogni salute

An jedem Heil in Fülle wird sich weiden,
Wer bei den Frau'n sieht meine süße Minne,
Und Jede neben ihr soll Gott bescheiden
Dank sagen, daß sie diese Gunst gewinne.

Denn nicht die Andern regt sie auf zum Neiden,
Nein, solche Kraft wohnt ihrer Schönheit inne,
So Viele sich ihr nahen, zu bekleiden
Mit edler Anmuth, Lieb' und treuem Sinne.

Ihr Liebreiz macht ein jedes Herz demüthig
Und schmückt nicht sie allein; vielmehr ist Keine,
Die ihr zur Seiten unverschönt verbliebe.

Und ihr Gebahren ist so hold und gütig,
Daß, wer bei sich gedenkt an diese Reine,
Erseufzen muß in Süßigkeit der Liebe.
(S. 7)
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III.
Con l'altre donne mia vista gabbate

Ihr spottet meines Anblicks mit den Frauen,
Und nicht bedenkt Ihr, Herrin, wie's geschehe,
Daß, wenn ich Eure Schöne vor mir sehe,
Ich selber bin so seltsam anzuschauen.

O wüßtet Ihr's, in Mitleid würde thauen
Das hartverwöhnte Herz vor meinem Wehe;
Denn Amor, trifft er mich in Eurer Nähe,
Gewinnt zu seiner Macht so frech Vertrauen,

Daß er die Lebensgeister mir mißhandelt
Und die mir tödtet, die verjagt behende;
Dann bleibt nur er zurück, Euch zu betrachten.

Da wird denn meine Bildung ganz verwandelt,
Doch nicht so ganz, daß ich nicht schwer empfände
Die Qual der Armen, die im Banne schmachten.
(S. 7-8)
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IV.
Spesse fiate venemi nella mente

Mir kommt zu Sinne manche Stund' im Tage
Der dunkle Stand, den Liebe mir ersehen.
Deß jammert mich so bitter, daß ich frage:
"Ach, kann's wohl Andern noch so schlimm ergehen?

Daß mich bestürmt so jähe Liebesplage,
Als müßt' ich schier von dieser Erde gehen,
Und, ein Gespenst, mein Leben fürder trage!"
(Nur weil es zeugt von Euch, kann es bestehen.)

Dann, mich zu retten, fass' ich mich gewaltsam,
Und so, erblichen, keiner Kraft bewußt,
Begegn' ich Euch, zu heilen meine Leiden.

Und schlag' ich auf die Augen, unaufhaltsam
Hebt ein Erdbeben an in meiner Brust,
Das aus den Pulsen zwingt den Geist zu scheiden.
(S. 8)
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V.
Negli occhi porta la mia donna Amore

Die Liebe wohnt im Auge meiner Schönen,
Und lieblich wird, was sie mit Blicken weihte.
Wo sie erscheint, starrt man nach jener Seite,
Und wen sie grüßt, der fühlt's im Innern dröhnen,

Daß sein Gesicht erblaßt und er mit Stöhnen
Das Auge senkt, mit seinem Selbst im Streite.
Vor ihr flieht Zorn und Übermuth ins Weite:
Ach, helft mir, Frauen, würdig sie zu krönen!

Jedwede Süße wird dein Herz beschleichen
Und alle Demuth, horchst du, wenn sie spricht;
Wenn du zuerst sie schaust - o sel'ge Stunde!

Doch wie es ist, wenn sie mit sanftem Munde
Ein wenig lächelt - sag' und fass' ich nicht,
So ist's ein Wunder, herrlich ohne Gleichen!
(S. 9)
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VI.
Amore e'l cor gentil sono una cosa

Lieb' und ein edles Herz sind Eines nur,
So hörst du schon des Weisen Spruch dir sagen.
Eins darf so wenig fliehn des andern Spur,
Als Menschengeist des Geistes sich entschlagen.

Dem Menschen giebt, will sie ihm wohl, Natur
Amor zum Herrn, die Wohnung aufzuschlagen
Im tiefsten Herzensgrund der Creatur;
Dort läßt er sich's lang oder kurz behagen.

Schönheit erscheint in klugem Weibe drauf,
Gewinnt die Augen ganz und regt im Herzen
Die Sehnsucht auf nach dem, was sie gewann.

Die hält so lange sich im Innern auf,
Bis dort erwacht ein Hauch der Liebesschmerzen;
Und Gleiches wirkt im Weib ein edler Mann.
(S. 9-10)
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Ballata
O voi, che per la via d'Amor passate

Ihr, die ihr wandelt auf der Liebe Fährte,
Wer ist, der mich belehrte,
Ob noch ein Mensch so Herbes muß bestehen?
Ach, daß doch Keiner mir Gehör verwehrte
Und Jedem ich erklärte,
Wie ich ein Schloß und Schlüssel bin der Wehen!

Es ließ mich Amor, nicht nach meinem Werthe,
Nein, weil sein Herz voll Zärte,
So süß und sanft in diesem Leben stehen,
Daß oft ich mir im Rücken flüstern hörte:
Sagt, dieser Hochgeehrte -
Was thut er nur, daß ihm so hold geschehen?

Nun ward mein Übermuth aufs Haupt geschlagen,
Der mich beherrscht, weil solch ein Schatz mein eigen.
Die Stirne muß ich neigen,
So ganz verarmt - ich schäme mich's zu sagen.

Und wie Die thun, die hehlen und verschweigen
Ein schnöd Gebrechen, muß ich mich betragen,
Mich außen fröhlich zeigen
Und tief im Herzen weinen und verzagen.
(S. 10)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)

Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang (darin: Italienisches Liederbuch)
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 4
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 1999
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1889)


 

 


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