Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Anton Antonowitsch Delwig (1798-1831)
russischer Dichter




Brause, stürmische Nacht, verschneie die Spur meiner Füße!
Eisiger Wind, umheule das Haus der schönen Lileta!
Birg dich in Wolken, Mond - es findet die liebende Seele
Zu der Geliebten den Weg! ...

Lautlos betret' ich den Flur ... Da bin ich, Lileta, Geliebte! ...
Zärtlich zieht Deine Lilienhand an den Busen den Jüngling ...
Doch was blickst Du so bang, an den rosigen Lippen den Finger?
Schläft Dein Argus noch nicht?

Morpheus, tröstender Gott, behüte Amor's Geheimniß!
Träume, die ihr die Schlummernden trennt bis zum dämmernden Morgen,
Senkt euch bleiernenden Schlafs auf das einsam frostige Lager,
Drauf der Argus sich wälzt!

Nimmer schreckt uns die Liebe, die Seligen! ... Selig entschlummert
Unter dem zärtlichsten Kuß Lileta bei Windes Gebrause;
Leise, leise zugleich mit dem Nahen des prangenden Morgens
Weckt sie mein zärtlichster Kuß! ...
(S. 43-44)
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Drei Lieder

I.
Sang wohl, sang das Vögelein
Und verstummte
Was das Herz beseligte,
Ward vergessen.

Sprich, Du süße Sängerin,
Warum schweigst Du?
Sprich, o Herz, was ist geschehn,
Daß Du trauerst?

Ach, das Vöglein tödteten
Schneegewirbel;
Ach, dem Burschen grub ein Grab
Bös Gerede!

Wär' ans Meer das Vöglein doch
Fortgeflogen!
Hätte doch im Wald der Bursch
Sich verborgen!

Wellen brausen auf dem Meer -
Doch kein Schneesturm;
Wilde Thiere sind im Wald -
Doch nicht Menschen.


II.
O Du Nacht, Du Mitternacht!
O Du Nacht voll Sturmgewölk!
Sprich, wo blieb Dein Sternenschein,
Sprich, wo blieb Dein Mondesglanz,
Der gestrahlt von Abendzeit
Bis zur Morgendämmerung?
Warum bist Du wolkenschwarz? ...
Ach, Dich drückt wohl, Mitternacht,
Wie auch mich, den armen Bursch,
Herben Grames Schmerzgefühl!
Lagert sich das bittre Leid
In dem tiefen Herzensgrund -
Wird die ganze Welt vergällt:
Holder Mädchen Gruß und Scherz,
Munter Lieder, Reigentanz
Bis zur tiefen Mitternacht -
Nichts erfreut die Seele mehr!
Ach, die Thräne rinnt und brennt,
Und der arme Waisenbursch
Wirft aufs harte Lager sich,
Wie in öden Grabesschooß!


III.
Nachtigall, Du Nachtigall,
Stimmensüße Nachtigall,
Wohin lenkst Du Deinen Flug?
Wo erschallt zur Nacht Dein Sang?
Wer wohl wird, mir Armen gleich,
Lauschen Dir die ganze Nacht,
Schließen nicht das Augenpaar,
Weinen heiß und bitterlich? ...
Fliege fort, o Nachtigall,
In ein fernes, fremdes Land,
Fliege übers blaue Meer
Einem fremden Ufer zu!
Ueberall sei, überall,
Sei im Dorf, sei in der Stadt -
Keine, Keine findest du,
Die so elend wär' wie ich!
Kostbar ist die Perlenschnur
Auf der Brust der jungen Maid,
Golden ist der Fingerreif
An der Hand der jungen Maid,
Einen Vielgeliebten hegt
Treu das Herz der jungen Maid -
Doch verloren hat den Glanz
Schon im Herbst die Perlenschnur,
In des Winters stummer Nacht
Sprang der Fingerreif entzwei -
Und in diesem Frühling, ach,
Mir mein Schatz die Treue brach!
(S. 44-47)
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Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)

Aus: Der russische Parnaß
Anthologie russischer Lyriker
von Friedrich Fiedler
Zweite unveränderte Auflage
Dresden und Leipzig Verlag von Heinrich Minden [1910]


 


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