Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Holger Drachmann (1846-1908)
dänischer Dichter




Gefährliche Träume

Still ist's im Saale,
Das Fest verklang,
Ein stummes Klavier nur
Steht, wo sie sang.
Es bargen sich schlummernde
Töne darin;
Sie könnte sie wecken . . .
Vorbei und dahin!

Im Leuchter die Kerzen
Tief niedergebrannt,
Ein Schein an der Gläser
Geschliffenem Rand.
Hier trankst du dir Gluten
Mit Lippen so rot,
Ich fühl' nur des Glases
Versteinerten Tod.

O könntest du kommen
Zurück für mich!
Ich stellte den Wein auf
Den Tisch für dich;
Ich erhellte mit Fackeln
Die nächtliche Rast,
Du säßest zuoberst,
Ich selber dein Gast.

Du sängst zu der Töne
Wogendem Schlag,
Ich säß dir zu Füßen
Bis zum grauenden Tag.
In den Armen dann trüg' ich
Zu mir dich empor, -
Wenn du in ihnen
Nicht stürbest zuvor.

Still ist's im Saale
Das Fest verklang;
Ein staubiger Flügel nur
Steht, wo sie sang,
Geschlossen wie erst vor
Des Festes Beginn . . .
O, Gott sei mir gnädig:
Vorbei und dahin!
(S. 46)
_____



Sakuntala

Ich konnte vor Sehnsucht nicht schlafen,
Ein Blumenwind
Von weit daher
Strömte herein durch mein Fenster
Wie ein düfteatmendes Meer;
Ich hörte die hohen Palmen
Säuseln sacht
Mit süßem Klang
Und stets umflüsterte mich der Sang:
Sakuntala, Sakuntala.

Du ewiger Himalaya,
Der seine Stirn
Dem Himmel beut,
Was sendest du deine Quellen
Zu meinen Füßen heut?
Was rieseln die duftenden Wogen
An mir hin
Erinnerungsschwer?
Was führt den bebenden Blicken her
Sakuntala, Sakuntala?!

O Mädchen, du senkst dein Auge
So feucht und weich
In meinen Blick,
Als empfingest du eben den Treuering
Und in ihm dein Geschick!
Ach, nicht nur eine Stunde,
Nur ein Tag,
Nein tausend Jahr
Trennen uns beide für immerdar,
Sakuntala, Sakuntala!

Nicht fiel dir der Ring in die Fluten,
Duschyanta selbst
Warf ihn hinein,
Und dämmte er ab den wilden Strom,
Stets wird er verloren dir sein.
Duschyanta im Palmenwalde
Jagt am Strand
Zu seiner Lust;
Einer Gazelle durchbohrt er die Brust -
Sakuntala, Sakuntala!
(S. 47)
_____


übersetzt von Otto Hauser (1876-1944)

Aus: Die dänische Lyrik von 1872-1902
Eine Studie und Übersetzungen von Otto Hauser
Verlegt bei Baumert & Ronge in Großenhain 1904



 

 


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