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Einar Hjörleifsson
(1859-1938)
isländischer Dichter
Das sank sie leblos hin . . .
Als jugendlich Weib, liebreizend erblüht,
erschien mir die Sehnsucht, dem Knaben;
mein Blut ward heißer, das Herz war erglüht
und mußte an Liedern sich laben.
Im herrlichsten Grün begann sich der Halm,
vom Wind erst gezaust, zu erheben;
der Sehnsucht Blick durch den Nebelqualm
verlieh ihm ein kräftiges Leben.
Es kam nicht allein, das holdselige Weib,
mit der Jugend rosigem Scheine;
es brachte mit sich ihre Töchterlein,
viel spielende, hüpfende, kleine.
Die sangen so lustig, so laut, so laut,
und flüsterten manchmal so leise, so leise;
dann lachten sie wieder so traut, so traut -
und alles in herziger Kinderweise.
Ich meinte lieblich zu träumen . . .
Dann schied sie wieder, mit einem warmen
und freundlichen Händedruck und sprach:
"Ich geh' und laß dir die Kinder!" - Die armen -
sie wurden meine Hoffnungen, ach!
Und später, nach mancher Jahre Verlauf,
kam sie wieder zu mir, doch allein,
die Sehnsucht mit rosigen Wangen.
Bei ihrem Anblick sprang ich schnell auf,
erfüllt von Angst und von Bangen.
Sie fragte: "Wo sind denn die Töchter mein?"
""Ach, alle gestorben . . . dahingegangen!""
Da sank sie leblos hin mit verblassenden Wangen . . .
(S. 188-189)
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Der Kuß
Sein Herz war noch jung und voll Frohsinn; da trat
Frau Sorge zu ihm in die Zelle.
Ihm dröhnte ihr Tritt, wie wenn Felsen im Fall
hinkollerten über die Schwelle.
Und Tränenströme der Himmel vergoß,
vom Sturme das Haus erbebte.
Da bot sie ihm ihre eiskalte Hand . . .
dran dacht' er, solange er lebte.
Sie führte ihn weit in die Wüsten hinaus
und hoch über Gletscher; sie zogen
zusammen auf dornigen Fluren dahin
und über flammende Wogen.
Und endlich in einem nachtdüsteren Wald,
da küßte sie ihn wie im Traume.
Dann eilte sie fort gleich einem im Fluß
mit Hast hintreibenden Flaume.
Wohin das Los den unseligen Mann
auch führen nun mochte im Leben,
er spürte immer den Kuß auf der Stirn,
den einst ihm Frau Sorge gegeben.
(S. 190-191)
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übersetzt von Josef
Calasanz Poestion (1853-1922)
Aus: Eislandblüten Ein Sammelbuch neu-isländischer Lyrik
von J. C. Poestion
Mit einer kultur- und literarhistorischen Einleitung
und erläuternden Glossen
Leipzig und München 1904 Verlag von Georg Müller
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