Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Mihail Eminescu (1850-1889)
rumänischer Dichter



Märchenkönigin

Weiße Nebel sind vom Monde
Silberglänzend ausgeflossen,
Aus dem Wasser aufgestiegen,
Auf die Felder ausgegossen.

Spinngewebe zu zerreißen,
Alle Blumen sich vereinen;
An der Nacht Gewänder hängen
Beeren sie von Edelsteinen.

An dem See, um den die Wolken
Einen feinen Schatten weben,
Der durch's Wellenspiel zerrissen,
Wie die hellen Schollen beben,

Leis das Schilf zur Seite theilend,
Steht ein Mägdlein vorgebogen,
Schüttelt lauter rothe Rosen
Sanft hin auf die Zauberwogen.

Daß ein Bild erscheine, blickt sie
Auf der Wasserkreise Gleiten,
Denn es ward der See besprochen
Von der Venus Wort vor Zeiten.

Daß ein Bild zur Fläche steige
Läßt sie junge Rosen fliehen,
Denn die Göttin hat den Rosen
Einstens Zauberkraft verliehen.

Schaut und schaut ... ihr Haar ist golden,
Ihr Gesicht im Monde scheinet,
In den blauen Augen haben
Alle Märchen sich vereinet.
(S. 139-140)

übersetzt von Carmen Sylva (1843-1916)
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Einsamkeit

Bei verhängten Fensterscheiben
Sitz' ich an dem Tisch aus Tannen,
Knisternd brennt das Ofenfeuer,
Träume da mich übermannen.

Süße Wahngebilde schwärmen
Mir durch mein Gemüth wie Bienen,
Und Erinn'rung zirpet leise,
Wie die Grille in Ruinen.

Oder sie fällt schwer und schmeichelnd,
Legt auf's Herz sich weich und mild,
Wie das Wachslicht niederträufelt
Vor dem heil'gen Christusbild.

Lange Fäden ziehn die Spinnen
Durch des Zimmers dunkle Ecken,
Weil in meinem Bücherhaufen
Mäuse huschend sich verstecken.

Ich, inmitten dieses Friedens,
Lass' die Blicke ziellos wandern;
Kaum noch hör' ich, wie sie nagen
Einen Einband nach dem andern.

Ach! wie oft wollt' ich die Leyer
Zornig schleudern an die Wand,
Weil durch's Dichten und durch's Träumen
Diese Wüstenei erstand!

Doch die Grillen und die Mäuse
Brachten dann mit leichtem Gang
Mir die ganze Trauer wieder,
Und die Trauer ward Gesang.

Manches Mal - nur allzu selten
Steht mir's Herz fast still, wenn spät
Bei dem letzten Schein der Lampe
Plötzlich noch die Thüre geht.

Sie ist's! Und mit einem Male
Scheint mein leeres Haus gefüllt,
In des Lebens dunklem Rahmen
Leuchtet auf ein helles Bild.

Und nur Eines nimmt mich Wunder,
Daß zu eilen wagt die Stunde,
Wenn ich mit der Liebsten flüstre
Hand in Hand und Mund am Munde.
(S. 141-142)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Des Waldes Märchen

Ein berühmter, großer Kaiser
Ist der Wald; in schönster Blüthe
Stehen unter ihm viel Tausend,
All' durch seiner Hoheit Güte.

Sonne, Mond und Sterne hat im
Wappen er zu führen Rechte,
Um ihn her sind schöne Damen,
Höflinge vom Hirschgeschlechte.

Hat als Läufer, Kundenbringer,
Hasen angestellt, die schnellen,
Sein Orchester Nachtigallen,
Märchen sagen ihm die Quellen.

Wo im Schatten Blumen wachsen,
An den Wassern, auf den Wegen,
Zieh'n die Bienenwanderzüge,
Ameisen im Heer entgegen.

Liebchen komm! Laß uns zum Kaiser,
Daß wir wieder Kinder seien,
Daß uns Glück und Liebe wieder
Scheinen eitel Spielereien.

Und mir scheint es fast, als läge
Es Natur im Sinne eben,
Dich weit höher noch als jedes
And're Püppchen zu erheben.

Wir zwei Beide wollen wandern
Durch die Welt allein, verloren;
Hab' die Ruhstatt bei der Quelle
Unterm Lindenbaum erkoren.

Der wird uns, zu sanftem Schlafe,
Unter Blüthen ganz verschneien,
In den Traum klingt uns das Alphorn
Von den fernen Sennereien.

Dichter wollen wir, noch dichter
Brust an Brust uns innig schmiegen.
Horch! der Kaiser ruft. Wie Alle
Zu dem hohen Rathe fliegen!

Wie der Mond durch stille Zweige
Auf die weißen Quellen scheinet!
Um uns her sind großen Hofes
Würdenträger schon vereinet:

Auerochsen, mit dem Sterne
Auf der Stirn, wie Schaumes Spritzen;
Weiße Rosse, Edelhirsche,
Gemsen von der Berge Spitzen.

"Wer sind die?" so fragen Alle,
Rings den Baum im Rath umgehend;
Unser Gastfreund giebt die Antwort,
Seine Zweige leise hebend:

"Schaut, o schaut, wie sanft sie träumen,
Buchenwaldes Traum, die Beiden,
Wie im Märchen, denn sie können
Eben gar zu gut sich leiden!"
(S. 143-145)

übersetzt von Carmen Sylva (1843-1916)
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Gute Nacht

Tagesmüde Vögel fliegen
Schläfrig ihren Nestern zu,
Die versteckt im Laube liegen -
Gute Ruh!

Nur die Quellen seufzen bange,
Schweigend steht der dunkle Hain,
Auch der Garten schläft schon lange -
Schlummre ein!

Schwäne ziehen durch die Wellen,
Wo ihr Bett im Rohr gemacht -
Englein sich zu dir gesellen,
Gute Nacht!

Stolzer Mond aus Himmelsräumen
Strahlt auf's Zauberbild hienieden,
Einklang überall und Träumen -
Schlaf' in Frieden!
(S. 146)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Der Stern

So unermeßlich ist die Ferne,
Aus der dies Sternbild aufgetaucht,
Daß, um den Erdball zu erreichen,
Sein Licht Jahrtausende gebraucht.

Vielleicht ist es seitdem erloschen
In jenem weiten Himmelsblau,
Wiewohl ich heut erst seine Strahlen
Auf unsrer Erde klar erschau'.

Denn langsam durch des Himmels Räume
Schickt uns das Sternbild her sein Licht:
Es war, als wir es nicht erblickten,
Nun wir es sehen, ist es nicht!

So auch, wenn unser Glück erstorben
Im Dunkel der Vergangenheit,
Dringt noch das Licht der todten Liebe
Durch alle Weiten, alle Zeit.
(S. 148)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Dir!

Du gleichst des Kirschbaums weißer Blüthe,
So rein erscheinst du mir, so zart,
Betratest meines Lebens Pfade
Nach Engel-, nicht nach Menschenart.

Die Seide rauscht um deine Füße,
Berührt den weichen Teppich kaum;
Vom Scheitel bis zum Sohlenrande
Schwebst du dahin, leicht wie ein Traum.

Aus deines langen Kleides Falten
Erstehst du einer Statue gleich,
Und meiner Seele Glück muß hangen
An deinem Auge thränenreich.

Ein Traum von Glück, ein Traum von Liebe
Du, süße Märchenfee, mir bist. -
O lächle nur: dein einzig Lächeln
Zeigt mir, wie süß dein Wesen ist,

Wie deines Zaubers holde Kräfte
Die bangen Augen mir umdüstern,
Mit deines kühlen Arms Umfangen,
Mit deines Mundes heißem Flüstern -

Doch plötzlich hüllen die Gedanken
Wie Schleier deiner Augen Gluth;
Der Schatten ist es des Entsagens,
In dem das heiße Wünschen ruht.

Du gehst - ich hab' dich wohl verstanden,
Mich dir zu folgen nie getraut,
Verloren, ewig mir verloren,
Du meiner Seele holde Braut!

Daß ich dich sah, ist mein Verschulden,
Ich büß' es, daß ich dich gekannt,
Und daß du mir aus lichten Höhen,
Vergebens hingestreckt die Hand.

Du gleichst dem hehren Heil'genbilde
Der ewig jungfräulichen Maid;
Maria's Reif schmückt deine Stirne -
Entschwandst du mir für alle Zeit?
(S. 149-150)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Will die Erinn'rung ...

Will die Erinn'rung alter Zeit
Zu stark mich überfallen,
Muß auf dem allbekannten Weg
Zu dir ich wieder wallen.

Es stehen über deinem Haus
Noch heut dieselben Sterne,
Die, ach, so oft mein Sehnen bang
Erleuchtet aus der Ferne.

Und hinter jenem Baumgezweig
Geht auf der Mond, der fahle,
Der dich in meinem Arme sah
So viele hundert Male.

Wir schworen uns die ew'ge Treu',
Ich weiß es noch wie heute,
Als auf die Pfade leis der Wind
Die Fliederblüthen streute.

Wie nur erlosch so heiße Lieb'?
Das muß ich stets mich fragen;
Da doch die Wasser in dem Quell
Nicht aufgehört zu klagen!

Da doch der Mond noch immer ruht
In jenen Eichenbäumen,
Da doch dein Aug' noch immer groß
Und voll von süßen Träumen!
(S. 151-152)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Sonette

I.
Die Zeit will mir die heil'ge Stund' entwenden,
Die längst vergangne, wo ich dich erschaute,
Doch liebend denk' ich immer an dich, Traute,
O Frau, mit großem Aug' und kühlen Händen!

Komm wieder! Lehre du mich süße Laute,
Laß deinen Blick mir warmes Leben spenden,
Laß unter ihm mein Dasein sich vollenden,
Entlocke neue Lieder meiner Laute!

Du weißt nicht einmal, wie mich deine Nähe
Beschwichtigt und ins tiefste Herz beglückt,
Wie wenn so still die Stern' ich aufgehn sehe;

Doch wenn dein kindlich Lächeln mich entzückt,
Erlischt mein Leben voller Schmerz und Wehe,
Erglüht mein Blick, bin ich dem Sein entrückt.


II.
Wenn ganz verklungen der Gedanken Saiten,
Umrauscht ein frommer Sang mich süß und sacht -
Dann ruf' ich dich! Hat meine Stimme Macht?
Wirst du hervor aus kalten Nebeln schreiten?

Wirst mild erhellen du das Schwarz der Nacht
Mit deinen Augen, den gebenedeiten?
Entsteig' dem Schatten längst vergangner Zeiten,
Komm wie der Traum, der einstmals dich gebracht!

Tritt leise auf, komm näher, nah' heran,
Neig' lächelnd auf mein Antlitz dich hernieder,
Ein Seufzer zeig' mir deine Liebe an.

Berühre mit der Wimper meine Lider,
Daß deine Nähe mich durchschauern kann -
Ewig verlorne Liebe, kehre wieder!
(S. 153-154)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Liebeslied

Komm zur Quelle, die im Walde
Leise über Kiesel rauscht,
Wo die Rasenbank im Dickicht
Liegt versteckt und unbelauscht.

Komm und sinke in die Arme,
Die nach dir ich ausgestreckt,
Daß den Schleier ich dir löse,
Der dein Antlitz mir verdeckt!

Wirst auf meinen Knieen ruhen,
Wir sind Beide ganz allein,
Und der Linde Blüthenschauer
Wird dein duftig Haar beschnei'n.

Weiße Stirn in gold'nen Haaren,
Ruh' dich aus an meiner Brust;
Lippen ihr, laßt meinem Munde
Süßen Raub nach Herzenslust!

Träumen wollen wir vom Glücke,
Wiegen wird mit ihrem Klang
Einsam murmelnd uns die Quelle
Und des Windes weicher Sang.

Und der Wald, der nachdenkliche,
Lullt uns ein durch seine Lieder -
Nur der Linde Blüthen fallen
Unaufhörlich auf uns nieder.
(S. 155-156)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Zugvögel

Wenn ich mich in Gedanken versenke an uns Zwei,
Dann ist's, als ob das Eismeer mir vorgezaubert sei:
Am grauen Himmelsbogen erglänzt kein einz'ger Stern,
Als gelber Fleck nur zeigt sich der Mond in weiter Fern',
Und hin streicht über Wellen und sturmgepeitschte Schollen
Ein Vöglein, dessen Flügel es nicht mehr tragen wollen;
Sein Männchen fliegt indessen, in voller Kraft und heiter
Mit der Genossen Kette zum fernen Westen weiter.
Es blickt ihm nach das Vöglein; nicht Freude mehr, nicht Schmerz,
Nur Träume des Vergangnen ziehn plötzlich durch sein Herz,
Dann brechen ihm die Augen, die müden im Verscheiden -
So hat auch mich betroffen der Trennung bittres Leiden:
Ich muß in Nacht und Düster verlassen hier vergehen,
Du aber schwingst, vergessend, dich auf zu lichten Höhen!
(S. 157)


übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Trennung

Soll ein Erinnerungszeichen ich noch erbitten mir?
Dich selber möcht' ich gerne, doch du gehörst nicht dir!
Nicht eine welke Blume aus deinem blonden Haar,
Um Eins nur fleh' ich immer: vergiß mich ganz und gar!
Warum muß ewig währen erloschnen Glückes Leid,
Kann das nicht auch erlöschen, lebt's fort durch alle Zeit?
In neuen Wellen rauschet doch stets derselbe Bach,
Warum bleibt ohne Wandel nur Schmerz und Ungemach?
Da wir durchwandern müssen den Kreis des Weltenraums
Als Traum nur eines Schattens, als Schatten eines Traums,
Warum sollst du, Geliebte, auch um mich Sorge tragen,
Warum die Jahre messen, die mich als todt beklagen?
Gleich ist's, ob heut, ob morgen ich meinen Tod werd' finden,
Da ich aus jeder Seele ganz spurlos will verschwinden.
Selbst du sollst mich vergessen und unser traumhaft Glück,
Und schaust du einst nach Jahren auf diese Zeit zurück,
Laß schwarz den Schatten bleiben, in dem ich bin entschwunden,
Als ob wir nie und nimmer zusammen uns gefunden,
Als ob die vielen Jahre voll Sehnen wären leer,
Als ob du mir vergeben, daß ich dich liebt' zu sehr!
Laß mich nur unbekümmert in fremdem Land verderben;
Ich will mein Antlitz kehren zur Wand und ruhig sterben.
Und wenn zu Erde wieder, was Erde war, zerfällt,
Weiß Niemand, wer und was ich gewesen auf der Welt.
Wo düstere Gesänge in kalten Mauern klingen,
Wird man mir ew'ge Ruhe erflehn durch frommes Singen -
Ich aber wollt', daß Einer sich neigt' auf mich hernieder,
Und deinen Namen flüstre auf die geschloss'nen Lider:
Dann könnt', wer wollt', mich werfen auf offne Straße hin,
Ich würd' mich wohler fühlen, als ich zur Stunde bin!
Denn von der Welten Ende würd' nahn ein Sturm mit Grausen,
Gäb' meinen Staub dem Staube, mein Herz dem Windesbrausen. -
Du aber mögst erblühen, wie unterm Frühlingswind,
Mit großen feuchten Augen, mit Lächeln wie ein Kind.
Jung, wie du bist, doch täglich verjüngen sollst du dich,
Nur mich vergiß: Ich wünschte, ich selbst vergäße mich!
(S. 158-160)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Nimmermehr!

In dieselbe kleine Gasse
Scheint der Mond in alter Ruh,
Nur an jenem Gitterfenster
Nimmermehr erscheinest du!

Und dieselben Blüthenbäume
Breiten Zweige über's Dach,
Ich nur den vergangnen Zeiten
Streck' umsonst die Arme nach.

Anders wurde deine Seele,
Andre Augen hast du jetzt,
Ich allein, mir gleich geblieben,
Folg' dem Weg unausgesetzt.

Ach! liebreizend und geschmeidig
Schlichst du leise dich herbei,
Wo du wußtest, daß im Schatten
Des Gesträuchs versteckt ich sei.

Wenn ich dann dich hielt umfangen,
Kannt' ich Nichts im Erdenrund;
Ohne mir ein Wort zu sagen,
Sagte Alles mir dein Mund!

Doch im Zauber meines Lebens
Wußt' ich nicht, daß wer vertraut
Auf die Worte eines Weibes
Auf den leeren Schatten baut!

In dem Vorhang spielt der Windhauch,
Heute gerade so wie einst,
Nur daß an dem Gitterfenster
Du jetzt nimmermehr erscheinst!
(S. 172-173)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Waldesrauschen

Glitzernd schwankt der blaue See
Wiegt sich in der Sonne Schimmer;
Ich lieg' träg am Waldesrain,
Das Geplätscher lullt mich ein,
Laut nur ruft die Wachtel immer:
Pitpalak!

Halb verschlafen rauscht das Wasser
All' der Bäche und der Quellen,
Nur da, wo der Sonnenschein
Durch die Zweige lugt herein,
Sprüht es auf in Schaum und Wellen
Frisch und froh!

Finkenschlag und Kukuksrufen,
Wer versteht es zu erlauschen?
All' der Vögel bunt Geheck'
Zwitschert laut im Zweigversteck,
Tiefe Weisheit auszutauschen
Ohne Rast!

Kukuk fragt: "Wohin entschwand
Die Genossin unsrer Träume,
Unsre Schwester lieb und schlank,
Mit den Blicken müd' und bang,
Holde Fee der Waldesbäume,
Wo ist sie?"

Einsam schaut der Lindenbaum
Nach ihr aus mit seinen Zweigen,
Kühlung möchte er ihr geben,
Hoch sie an den Armen heben,
Daß ein wahrer Blüthenreigen
Sie umwände.

Und die Quelle fragt sich traurig:
"Wo ist meine Königin,
Die, ihr weiches Haar mir zeigend,
Über mich ihr Antlitz neigend,
Neckt mit träumerischem Sinn
Meine Flut?"

Darauf sagt' ich: "Lieber Wald,
Sie kommt nimmer wieder, nimmer,
Einsam bleibt ihr, alte Eichen,
Träumt von ihrem Haar, dem weichen,
Von dem Aug', deß blauer Schimmer
Mein einst war!

Schön war's auf dem Waldesrain,
Als beim Spielen wir uns fingen,
O verschwundne Märchenbraut,
Daß mein Aug' dich je erschaut,
Wo du sei'st, hör' auf mein Singen,
Komm zu mir!"
(S. 174-175)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Am See

Auf dem blauen See im Walde
Ruhen gelbe Wasserrosen;
Leise kräuseln sich die Wasser,
Wo sie eine Barke kosen.

Wartend wandl' ich an dem Ufer,
Hab's so oft mir vorgestellt,
Daß sie hold dem Schiff entsteiget
Und in meine Arme fällt.

Daß wir in den Nachen springen,
Hingelockt vom Wellenklang,
Daß das Steuer mir entfiele,
Und das Ruder mir entsank.

Daß wir wie verzaubert gleiten
In des Mondes milder Helle -
Leise seufzt der Wind im Schilfe,
Und es murmelt sanft die Welle. -

Doch sie kommt nicht, und vergebens
Muß ich seufzen hier und bangen,
An dem Teich, wo Wasserrosen
Gelb in schönster Blüthe prangen!
(S. 180)


übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Der Abendstern

Es war einmal, was Märchen melden,
Es war, was nie gewesen:
Vom Stamme kaiserlicher Helden
Ein Mädchen auserlesen.

Der Eltern einzig' Kind sie war
Und herrlich, wie die hehre
Maria in der Heil'gen Schaar,
Der Mond im Sternenmeere.

Sie schritt hervor aus hohem Bogen,
Wo dunkle Schatten harrten,
Zum Erker ward sie hingezogen,
Des Abendsterns zu warten;

Und schaut, wie an dem Meergestade
Er aufgeht, schimmernd gleitet,
Und auf bewegtem Wellenpfade
Die schwarzen Schiffe leitet.

Sie sieht ihn heut und morgen wieder,
So wächst ihr Wunsch und Wähnen;
Seit Wochen schaut er auf sie nieder
Mit ungestilltem Sehnen,

Wie sie, gestützt auf ihre Hand
Die schwermuthsvolle Braue,
Nach ihm der Sehnsucht Leid empfand
Und träumend schaut in's Blaue.

Allabendlich hat er entsandt
Sein Licht so hell an Keinen,
Wie an dies Schloß am Meeresstrand,
Wo sie ihm sollt' erscheinen.

Auf ihren Spuren Schritt für Schritt,
So gleitet er in's Zimmer,
Sein kalter Strahl webt, wo er glitt,
Ein Netz aus lauter Flimmer.

Wenn sie, die Hände auf der Brust,
Der Ruhe nun will pflegen,
Schließt er das Aug' ihr unbewußt,
Küßt ihre Hand verwegen.

Und durch die Spiegel gießt sein Licht
Auf die Gestalt sich nieder,
Bewacht ihr schlafendes Gesicht,
Das Zucken ihrer Lider.

Sie lächelt ihn im Schlafe an,
Er zittert leis im Spiegel;
Er folgt ihr bis in Traumesbann
Und löst der Seele Siegel.

Sie spricht zu ihm aus tiefster Ruh'
Und seufzt, als wenn sie weine:
"Gebieter meiner Nächte, du,
Erscheine, ach, erscheine!

O gleit' herab, mein Abendstern,
Auf deines Strahls Gewebe,
Ich öffne Haus und Herz dir gern,
Erleucht' mich, daß ich lebe!"

Er horchte zitternd auf ihr Wort,
Dann warf er sich herunter,
Er, der geglänzt am Himmel dort,
Im Meere taucht' er unter!

Im Wasser, wo er sich verlor,
Sich weite Kreise bilden -
Dann steigt ein junger Held empor
Aus jenseit'gen Gefilden.

Leicht, wie zur Schwelle tritt der Knab'
Durch ihres Fensters Bogen,
Hält in der Rechten einen Stab,
Mit grünem Schilf umzogen.

Er scheint ein junges Fürstenkind.
Das Haar von Gold, das weiche;
Geknüpft um seine Schultern sind
Gewänder, faltenreiche.

Durchsichtig ist die Wange sein
Und weiß, wie eines Todten,
Die Augen nur mit lohem Schein
Sind seines Lebens Boten.

"Um deinem Ruf zu folgen, Maid,
Ließ ich der Sphären Helle;
Mein Vater ist der Himmel weit,
Die Mutter mein die Welle.

Um dir zu schau'n in's Angesicht,
Damit ich dir mich nähere,
Erlosch ich dort als Himmelslicht,
Erstand ich aus dem Meere.

So komm nun, du mein Kleinod schön,
Verlasse deine Welten.
Ich bin der Abendstern der Höh'n,
Du sollst als Braut mir gelten.

Aus Perlen sei dein Schloß gebaut,
Dort, wo nie Zeiten schwinden,
Des Oceans Welt, mir angetraut,
Will ich an dein Wort binden."

"Ja, Ihr seid schön, wie nur im Traum
Die Engel, wenn wir beten,
Doch Euren Weg auf Wellenschaum
Werd' niemals ich betreten!

Euer Wort, die Tracht befremdet mich,
Ihr leuchtet ohne Leben,
Denn Ihr seid todt, lebendig ich,
Euer eis'ger Blick macht beben."

Ein Tag verging, der Tage drei,
Da zog im Traume wieder
Der Abendstern an ihr vorbei
Und grüßte strahlend nieder.

Sie schien im Schlaf, wie einmal schon,
Voll Sehnsucht sein zu denken,
Und wollte, daß der Himmelssohn
Sich möchte niedersenken.

"O gleit' herab, mein Abendstern,
Auf deines Strahls Gewebe,
Ich öffne Haus und Herz dir gern,
Erleucht' mich, daß ich lebe."

Er horcht von oben auf ihr Wort
Mit schmerzerfülltem Beben,
Dann rollt sich laut der Himmel fort,
Wo er geglänzt noch eben.

Die Luft trägt ob der Welt die Gluth
Von züngelnd rothen Flammen,
Und aus des Chaos wilder Fluth
Fügt sich ein Bild zusammen:

Ein Knab' im schwarzen Rabenhaar,
Auf dem die Krone lohte,
Gebadet in der Sonne war
Der nah'nde Sternenbote.

Aus der Gewänder tiefer Trauer
Erstehn die Marmorarme,
Er naht wie bang vor Ahnungsschauer,
Das Antlitz bleich im Harme.

Doch große Augen leuchten ihr
Entgegen mit Gefunkel,
Wie aller Leidenschaften Gier,
So voll von grausem Dunkel.

"Ich folgt' aus hohem Himmelsland
Von Neuem deinem Rufe.
Mein Vater ist der Sonnenbrand,
Die Nacht ich Mutter rufe.

O komm nun, du mein Kleinod schön,
Verlasse deine Welten.
Ich bin der Abendstern der Höh'n,
Du sollst als Braut mir gelten.

O komm, laß mich dein blondes Haar
Mit Sternen ganz bekränzen,
Du sollst an meinem Himmel klar
Als schönster Stern erglänzen."

"Ja, Ihr seid schön, wie nur im Traum
Ein Dämon sich kann zeigen,
Doch Euren Weg am Wolkensaum,
Den werd' ich nie ersteigen.

Euer grausam Lieben, es zersprengt
Mir meines Herzens Bänder,
Und Euer heißer Blick versengt
Mir meiner Augen Ränder."

"Warum nur wollt'st du, daß herab
Zu dir ich sollte gleiten?
Du weißt ja, deiner harrt das Grab,
Doch ich leb' ohne Zeiten!"

"Ich suche meine Worte nicht,
Weiß kaum, was Ihr mir saget;
Euer Mund, wenn er verständlich spricht,
Mich doch nur Räthsel fraget."

"Doch wenn Ihr wollt mit treuem Schwur
Euch mir zu eigen geben,
So steigt auf diese Erde nur
Und sterbt nach kurzem Leben!"

"Für einen Kuß verlangst du mir
Sogar mein ewig Leben?
Wie lieb du mir, beweise dir,
Daß ich auch das will geben!

Ich will, als sündig Kind der Zeit,
Entstehen und verschwinden;
Noch bindet mich die Ewigkeit,
Doch soll sie mich entbinden!"

Und er verschwand und wandert weit,
Riß sich vom Himmel droben;
Aus heißer Lieb' zu einer Maid
War er im All zerstoben.
_


Was macht indessen Catalin,
Der lose Edelknabe?
Zum Becherfüllen braucht man ihn,
Daß er die Gäste labe.

Die Schleppe muß er, Schritt für Schritt,
Der Kaiserin auch tragen;
Er galt als kleiner Favorit
Und durfte Keckes wagen.

Auf seinen Wangen lag die Gluth
Von dunkelrothen Rosen;
Dem Fürstenkinde ist er gut,
Möcht' heimlich mit ihr kosen.

"Wie schön naht sie und stolz heran,
An's Kreuz könnt' man mich schlagen!"
Denkt Catalin "Jetzt mach' dich d'ran
Jetzt mußt dein Glück du wagen!"

Und wie von ungefähr umfängt
Er heimlich sie mit Lachen.
"Hör', Catalin! Was Er wohl denkt!
Geh' Er zu seinen Sachen!"

"Ich denk' ja nichts, als daß du lieb,
Doch darfst nicht traurig scheinen,
So lach' doch lieber schnell und gieb
Mir einen Kuß, nur Einen!"

"Ich weiß nicht mal, was das mag sein,
Geh' Er mir aus dem Wege!
Nach meinem Abendstern ich wein'
Und Todessehnen hege."

"Du weißt's nicht? Gern zerleg' ich dir
Der Liebe süße Pille,
Nur bitte - sei nicht bös mit mir,
Und halt ein Weilchen stille.

Laß deine Augen unbewegt
In meine Augen sehen,
Wenn ich um dich den Arm gelegt,
So stell' dich auf die Zehen.

Wenn ich mein Antlitz neig' zu dir
Erheb' das deine, tausche
Die Blicke endlos aus mit mir,
Daß ich mich ganz berausche.

Und endlich, daß du Alles weißt,
Was Mädchen wissen müssen:
Wenn ich dich herz' und küsse, dreist
Mußt du mich wieder küssen."

Sie hat nicht immer aufgepaßt,
Zerstreut nur, aus Versehen,
Erröthet, unwillig wird fast, -
Und läßt es doch geschehen.

"Von Kindheit an, da kannt' ich dich,"
Sprach sacht sie und gelassen,
"So plauderhaft, so nichts wie ich,
Du würd'st wohl zu mir passen;

Doch kommt der holde Abendstern
Aus des Vergessens Leere,
Und zeigt in unbegrenzter Fern'
Die Einsamkeit der Meere.

Dann schließ' die Augen ich vor dir,
Und Thränen wein' ich leise,
Wenn der Gewässer Wogen zieh'n
Ihm zu auf ew'ger Reise.

Und traurig dringt sein Strahl hierher,
Aus jenen fernen Gleisen,
Ich lieb auf ewig ihn, - doch er
Wird ewig fern mir kreisen.

Nun sind die Lebenstage mein
Verödet wie die Wüste,
Indeß mit heil'gem Zauberschein
Die Nächte er versüßte."

"Du bist ein Kind, das sag' ich dir,
Ich weiß schon, was dich heilte:
Komm in die weite Welt mit mir,
Wo Niemand uns ereilte.

Wir wollen wandern wohlbewußt
Und muthig ohn' Verzagen;
Das Heimweh giebt sich und die Lust,
Den Sternen nachzujagen."
_


Der Stern eilt seinen Himmelssteg,
Beflügelt durch die Gluthen,
Und Tausender von Jahren Weg
Durchzieht er in Minuten.

Und unter, über ihm, da sind
Nur Himmel, sternbeschienen;
Dem Blitz gleich eilt er, so geschwind
Und so verirrt zu ihnen.

Und rings um ihn, dumpf dröhnt der Schlag
Der großen Chaos-Wellen;
Er sah, wie an dem Schöpfungstag,
Des Lichtes erste Quellen!

Wie's quoll und quoll und ihn umgab,
Als ob im Licht er bade;
Er eilt, als wär' das All ein Grab,
Nur frei der Sehnsucht Pfade.

Nicht Grenzen gab's, wohin er drang,
Kein Auge zum Erkennen,
Die Zeit selbst noch vergeblich rang
Vom Nichts sich abzutrennen.

Doch gierig auf ihn schlürfen will
Dies Nichts, den Stern im Schwinden.
An Tiefe gleicht's und Grabesstill'
Vergessenheit, der blinden.

"Vom Dunkel schwerer Ewigkeit,
Mein Vater, mich erlöse,
Du sollst gelobt sein jeder Zeit
Von Allen, Gut' und Böse.

O Herr, erbarm' dich meiner Noth,
In deiner Sonnenhelle,
Du bist Gebieter über Tod,
Wie du des Lebens Quelle.

Nimm die Unsterblichkeit von mir!
Die Gluth im Blick zerstiebe!
Und gieb statt alles dessen mir
Nur Eine Stunde Liebe!

Das Chaos, das mich einst gebar,
Sich wieder auf mir thue,
Die Ruhe meine Mutter war,
Ich dürste nach der Ruhe!"

"Du, Hyperion, leuchtest hehr
Seit Anbeginn der Zeiten,
Nicht Zeichen, Wunder mir begehr',
Die Allem widerstreiten.

Du willst hinab in's Erdenrund,
Den Menschen willst du gleichen?
Doch, ging' ihr ganz Geschlecht zu Grund,
Gezeugt wird ihres Gleichen.

Auf Sand gebaut ist all' ihr Thun,
Und Hirngespinnst ihr Streben -
Die Wogen nicht an Gräbern ruhn,
Sie wogen neu und leben.

Die Menschen ihres Glückes Stern
Und Schicksalstücke erben -
Wir kennen weder Nah noch Fern
Und wissen nichts vom Sterben.

Aus ew'gen Gesterns großem Schooß
Lebt heut', was morgen schwindet:
Wie anders ist der Sonnen Loos,
Die jede neu sich findet!

Du, Hyperion, bleibest dort,
So oft du auch verblichen;
Verlang' von mir mein erstes Wort,
Die Weisheit, die entwichen.

Verlang, daß Thaten überall
Auf Recht sich stark begründen;
Ich gebe dir den Erdenball:
Theil' ihn in lauter Pfründen.

Mastbaum an Mastbaum geb' ich dir,
Legionen sollst du leiten,
Was du sonst willst - doch weigr' ich dir
Den Tod auf alle Zeiten!

Und wem zu Liebe willst du ihn?
Die Strahlen erdwärts schicke,
Und sieh den irren Weltball ziehn,
Was deiner harrt, erblicke!"

Auf seinen hohen Himmelshort
Ist heimgekehrt er wieder,
Und ganz wie gestern strahlt von dort
Der bleiche Stern hernieder.

Denn langsam senkt der Abend sich,
Die Nacht will aus sich breiten;
Der Mond will eben jugendlich
Der Wasserfluth entgleiten.

Schon füllt er mit dem Strahlenglanz
Die zweigverschlungnen Pfade,
Den Lindengang im Blüthenkranz,
Worin ein Pärchen gerade.

"O, laß mein Haupt, du süßes Lieb,
An deine Brust sich legen,
Aus deinen klaren Augen gieb
Mir einen Strahlensegen.

Mit jenes Lichtes Zauberbann
Durchdringe all' mein Denken,
Du kannst die Himmelsruhe dann
In's wilde Herz mir lenken."

Von oben Hyperion sieht,
Die Augen hold verlangen,
Und wie er vor ihr nieder kniet,
Da hält sie ihn umfangen.

Ein Regen, duftiges Geflock,
Wie von den Silberweiden,
Fällt auf der Scheitel blond Gelock
Den jungen Kindern beiden.

Von Lieb' berauscht, empor sie schickt
Aus thränenfeuchter Lider
Zum Abendstern, den sie erblickt,
Des Sehnens Fülle wieder:

"O gleit' herab, mein Abendstern,
Auf deines Strahles Weben,
Erfüll' den Wald, mein Denken fern,
Erleucht' mein glücklich Leben."

Er zittert wohl, wie einmal schon,
Hin über Wald und Wogen,
Doch einsam ist der Meeressohn
Als Leuchtstern fortgezogen.

Und nie verläßt er sein Gefild,
Er bleibt der Sphären Wandrer:
"Was macht es dir, du Lehmgebild,
Ob ich's bin, ob ein Andrer?

In eures Kreises engem Saum
Ist Glück und Tod euch erblich,
Ich bleib' in meinem Himmelsraum
So kalt, wie ich unsterblich."
(S. 181-196)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Die Vampyre

Im hohen Dom, erhellt vom Fackelscheine,
Ruht Chagan's schöne Braut auf einer Bahre;
Ihr Prachtgewand trägt viele Edelsteine,
Die Priester singen klagend am Altare.

Zur Erde fallen ihre goldnen Locken,
Die Augen liegen tief, doch trüb und leis
Zu lächeln scheint ihr Mund, schon bloß und trocken;
Ihr schönes Antlitz ist wie Kalk so weiß.

Und Chagan, der Avaren König kniet
Dort neben ihr, sein schwarzes Haar ist wirr.
Verzweiflung aus den blut'gen Augen sieht;
Drei Tage spricht er, thränenlos, wie irr:

"Ich war als Kind schon stolz; das Rund der Erden
Vom Tannenhochwald aus mein Blick verheerte.
Von Kaisern, Welten wollt' ich Herrscher werden
Und maß der Wolga Tiefe mit dem Schwerte.

Dem Bienenschwarm glich meines Volkes Schaar,
Dem ich ein Halbgott schien; bei meinem Nahen
Das Weltall bis zum Pol voll Schrecken war,
Und auch die Wüsten flieh'nde Völker sahen.

Denn Odin war es, der aus eis'gem Dom
Gesandt die Völker, die nach blut'gen Zeichen
In tausend Schwärmen eilten gegen Rom,
Mit Priestern, die erweckt aus Urwalds Reichen.

Im Dniesterthal wollt' ich dein Volk vernichten,
Als mit dem Häuptling dich erblickt ich habe,
Dein Antlitz, eingerahmt vom Haar, dem lichten –
Vor dir ward plötzlich ich ein scheuer Knabe.

Dein milder Vorwurf mir die Stimme bannte,
In beide Hände barg ich mein Gesicht;
Beschämt zur Erde nieder ich mich wandte,
Die erste Thräne trübt' mein Augenlicht.

Als deine Freunde lächelnd sich entfernen,
Heft' ich den Blick auf dich und frag' verwirrt:
'Wie hast du, Königin, in wilde Fernen,
Zu der Barbaren Horden dich verirrt?'

Mit thränenvoller Rührung sprichst du dann,
Die Augen, drin ein Wunsch liegt, mild sich neigen:
'Sei königlich im Siege, stolzer Mann,
Gieb dich, den wilden Chagan, mir zu eigen.'

Ich wandt' mein Antlitz, reichte dir mein Schwert,
Du hemmtest an der Donau meinen Lauf.
Chagan vergaß die Welt, seit er dir werth,
Und du gingst, Sieg'rin, im Besiegten auf.

Seitdem, wenn Tag in Nacht leis überging,
Naht sich verstohlen, die nun mir geweiht.
Ihr Mund sprach, während mich ihr Arm umfing:
'Um Chagan, König, bittet deine Maid.'

Hätt'st du die Sterne, die der Himmel trägt,
Gewollt, der Königskronen gold'nes Licht,
Zu Füßen hätt' ich Alles dir gelegt –
Doch nichts mehr willst du jetzt, auch Chagan nicht!

Ach, besser wär's, ich hätt' dich nie gesehen,
Mein wär' die Welt, die ich in wüsten Städten
Und rauchenden Ruinen sah erstehen,
Als mich die Träume meines Walds umwehten."

Weißbärt'ge Mönche, allen Erdenklagen
Entrückt, die Fackeln heben; alte Priester
Erloschnen Auges, langsam schreitend, tragen
Der Donau Königin in's Grabesdüster.

Und trübe singend, in gewölbten Schacht
Versenken sie den Sarg; der Grabesstein,
Hoch über dem die ew'ge Lampe wacht,
Trägt stolz als Siegel nur das Kreuz allein.


II.
Chagan, auf schwarzem Pferd, vom Mond belauscht,
Flieht wie ein Traum dahin auf steilem Stege.
Leis über Höh'n der Wind in Blättern rauscht;
Der Nordstern weist die Richtung seinem Wege.

Doch, wo aus Felsgestein die Flüsse quellen,
Hat er den Rand des Hochwalds jetzt erreicht.
Im dichten Laub hört er des Dachses Bellen,
Des Auerochs' Gebrüll, das Donnern gleicht.

Auf einem Thron im Felsen, aufrecht, steht
Des Heidenpriesters überird'sche Macht.
Schon hundert Jahr' an ihm vorübergeht
Der Tod, sein Aug' nur ist gehüllt in Nacht.

In seinem langen Haare wächst das Moos,
Die Braue reicht zur Brust, zu Erd' der Bart,
Die Hand läßt nie die schwere Krücke los,
Die Füße sind im Felsen fast erstarrt.

So geht der Tag wie Nacht; viel Menschenleben
Zählt er im Sinn, zählt unzählbare Tage.
Ein schwarzer Rabe und ein weißer schweben
Im Kreis um ihn mit müdem Flügelschlage.

Chagan naht sich des Träumers weißem Haupt:
"Du Magier ew'ger Zeit, dich suche ich,
Gieb sie zurück, die mir der Tod geraubt,
Und deinen Göttern unterwerf' ich mich!"

Mit seiner Krücke hebt die Brau'n der Alte
Und starrt ihn lange an, doch schweigt er kalt.
Den Fuß dann lösend aus der Felsenspalte,
Winkt er, zu folgen ihm zurück zum Wald.

An Thor, wo man in Bergestiefen dringt,
Klopft mit dem Stab er dreimal an die Mauer.
Aus alten Angeln laut die Thür aufspringt:
Der Alte neigt sich, Chagan bebt vor Schauer.

Sie treten ein in schwarze Marmorhallen;
Der Greis entzündet einer Fackel Licht.
In's alte Schloß die Thüren wieder fallen;
Die Flamme flackernd an der Wand sich bricht.

In grausem Schweigen winkt der Magier wieder,
Weist auf den Thron, der dort schon seiner harrt;
Der Fürst, erstorb'nen Herzens, läßt sich nieder,
Am Schwert die Rechte, fast zu Stein erstarrt.

Empor zu wachsen scheint der weiße Greis,
Die Luft, von seinem Zauberstab durchzogen,
Gleicht kühlem Hauch, und wie von Stimmen leis
Zieht süßer Sang hin durch die hohen Bogen.

Allmälig schwillt der Sang, als wenn die Winde
Hinbrausen schreckvoll über Meeresflächen,
Als sollt' vor Angst die ganze Erdenrinde
Bis tief in's Innerste in Stücke brechen.

Die Wölbung schwankt, als öffne sie sich droben,
Der mächt'ge Felsen wankt in seinem Grund.
Zu rufen scheint's, zu fluchen und zu toben,
Und wild schwillt's mehr und mehr aus Geistermund:

"Aus ihrem eignen Herzen möge Leben
Die Erde deiner Todten geben wieder!
Der Mond soll Glanz in ihre Haare weben;
Vom Stern strahl' Licht in ihre Augen nieder!

Doch Geist theil' du ihr mit von deinem Geist,
Zamolxes, Same du vom ersten Licht,
Aus deines Mundes Odem, der vereist
Und auch verbrennt, dem keine Kraft entbricht!

Ihr Elemente vier, durchdringt die Erden,
Macht Gold aus Steinen, aus den Wassern Gluth;
Aus Fels fließ' Feuer, Eis laßt Dämpfe werden
Und nährt der Jungfrau Herz mit heißem Blut!"

Da schwand der Fels vor Chagan; wogen
Sah er im Kampf die ganze Creatur,
Schnee, Blitz, Eis, Sommerwind; in Flammenbogen
Lag fern die Welt und ächzte die Natur.

Das Gotteshaus, der heil'ge Vorhang wankt,
Zerrissen mitten durch von Blitz-Gewalt,
Und tiefem Grabgewölb' entsteigend schwankt,
Langsam sich nähernd, seiner Braut Gestalt.

Ein süßes Bild des Schnees. Das Haar ihr reicht
Zum Fuß, der Hals, geschmückt mit Perlen reich,
Trägt müd' das kleine Haupt, und leise streicht
Mit weißer Hand sie ihre Stirne bleich.

Sie naht durch Wind und Nebel, Wolken fliehen,
Der Mond verblaßt, der ganze Himmelsbogen
Neigt sich, die Blitze lassen sie durchziehen,
Als käm' ein Engel durch die Höll' gezogen.

Dann schwand das Bild. Doch an der schwarzen Mauer
Schlafwandelnd nahte sie sich langsam wieder,
Chagan verschlang mit Augen sie; vor Schauer
Fiel er, die Arme öffnend, sinnlos nieder.

Von kaltem Arm umfangen fühlt er sich,
Und fühlt den eis'gen Kuß auf seinem Herzen
Durchbohrend brennen, wie ein tiefer Stich.
Lebendig wird sie so durch seine Schmerzen.

In ihre Seele Wärme überging;
Ihr Mund, geöffnet wie zu leisem Streit,
Spricht, während ihn ihr weißer Arm umfing:
"Um Chagan, König, bittet deine Maid.

Willst, Chagan, du nicht ruh'n an meiner Brust?
Du Gott, mit deinen glühend schwarzen Augen;
Mein blondes Haar sei deine Himmelslust,
Laß mich aus dir von Neuem Leben saugen!"

Und mild erklang ein alter, traur'ger Sang.
Wie wenn ein Quell durch trockne Blätter rauscht,
Dann plötzlich es wie Lieb' und Wollust klang,
Dem Wellenschlag des Seees abgelauscht.


III.
In hohen Sälen rothe Fackeln scheinen,
Verwunden grell die schwarze Dunkelheit,
Chagan haust einsam dort, und Lachen, Weinen
Ertönet wild durch seine Hallen weit.

Ein Flor die dunkeln Marmorspiegel deckt,
Durch dessen Schwarz der Fackelschein kaum dringt.
Das leere Haus sein Leid von Neuem weckt,
Und überall das Bild der Todten winkt.

Seitdem der Blitz im hohen Dom einschlug,
Schlief schwer und bleiern Chagan ganze Tage.
Den schwarzen Flecken er am Herzen trug,
Und Nachts hört' richtend er des Volkes Klage.

So bleich wie Wachs ist jetzt sein Angesicht
Und starr, doch blutig seiner Lippen Rand.
Die Fiebergluth aus einen Augen bricht,
Auf's Herz ist ihm der schwarze Fleck gebrannt.

In Todeskleid er jetzt das Leben hüllt,
Sein Ohr sucht nur den Klang der trüben Lieder.
Er reitet aus, wenn Mond die Nächte füllt,
Doch heimgekehrt, erfaßt ihn Schauer wieder.

Auch heut' sein Pferd er wiederum besteigt,
Dem Pfeil gleich eilt er fliegend durch die Halde.
Der Mond glänzt silbern. Aus der Ferne zeigt
Sein Lieb sich ihm, sanft kost der Wind im Walde.

Und ihrem Haar Rubinenstrahl entquoll,
Im Licht des Aug's erglänzt das heil'ge Meer;
Sie neigt zu ihm herab sich liebevoll,
Doch scheint's, als ob die Lippe blutig wär'.

Dem Sturmwind gleich, beflügelt, eilen sie,
Von Liebe flüstern sie, von ew'gem Sehnen;
Mit ihrem Hauch streift seine Wange sie,
Und ihre Glieder schwer sich an ihn lehnen.

"Willst, Chagan, du nicht ruh'n an meiner Brust?
Du Gott, mit deinen glühend schwarzen Augen.
Mein blondes Haar sei deine Himmelslust,
Laß mich aus dir von neuem Leben saugen!"

Die Luft ist schwer, von süßen Lindendüften,
Die ihr der Wind sanft auf den Weg gestreut,
Der Donaukönigin; und leis in Lüften
Schwebt fort ihr Seufzer, wie die Küsse beut.

Wie sie mit Windeseile vorwärts jagen,
Seh'n sie am Horizont die Röthe nicht,
Doch eisig ward ihr Herz, die Kräft' erlagen,
Und Todten ähnlich starr ward ihr Gesicht.

"Chagan!" rief bang die Fürstin, "berge mich,
Hörst du nicht fern den Schrei des heisern Hahns?
Ein Streifen Lichtes zeigt im Osten sich
Und raubt das kurze Leben uns'res Wahns!"

Chagan erschrickt, umflort ist Aug' und Sinn,
Wie Schatten aus der finst'ren Hölle jagen
Die Pferde vor des Todes Stimme hin,
Und Winde stöhnend durch die Wälder klagen.

Furtlos die Wasser rasend sie durchflieh'n,
Die Berge immer mächt'ger auf sich bauen,
Aus ihrem Haupt der Blitz zu wettern schien,
Des Tannenhochwalds Schütteln sie erschauen.

Der Priester auf dem Felsenthron erwacht,
Durchdringt mit tiefer Stimm' das Sturmesweh'n,
Gebeut der Sonne halt, er ruft die Nacht – – –
Umsonst, das Licht kann nicht mehr untergeh'n!

Der grause Wind sein Leid zu Ende weint;
Sie ziehen in den Fels auf matten Pferden,
Das Aug' umnachtet, schön, im Tod vereint;
Des Felsens Pforten weit geöffnet werden.

Zusammen zieh'n sie ein; zu fällt das Thor,
Für ewig ruhen sie im mächt'gen Grabe.
Des Tannenwaldes Klage dringt empor,
Daß nun geraubt ihm sie sein Königsknabe.

Der Alte senkt die Wimpern, wieder blind,
Im Sinn zählt er die unzählbaren Tage.
Dem Stein verwachsen seine Füße sind,
Und Chagan's Name scheint ihm eine Sage.

Und einsam steht er auf dem Felsenthrone,
Das Moos durchflicht den Bart, die weißen Haare,
Dem Tod zum Trotze und der Zeit zum Hohne.
Es geh'n an ihm vorüber ew'ge Jahre.
(S. 214-224)

übersetzt von Mite Kremnitz (1852-1916)
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Aus: Rumänische Dichtungen
Deutsch von Carmen Sylva
Mit Beiträgen von Mite Kremnitz
Dritte Auflage Bonn Verlag von Emil Strauß 1889

 

 

 


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