Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Giovanni Fantoni (1755-1807)
italienischer Dichter



Das ländliche Leben

Was schuft ihr uns nicht beide,
Frag' ich oft vor mich hin,
O Götter, mich zum Schäfer
Und sie zur Schäferin?

Warum verdammtet ihr
Uns in der Stadt zu wohnen,
Statt durch die Hütt' am Berg
Weit reicher uns zu lohnen?

Mit Luxus unbekannt,
Hätt'st du in wenig Stunden
Zum Putztisch ein Revier
Am Quell dir aufgefunden.

In meiner Armuth wäre
Mir nur die Sorg' verblieben,
Die Heerde aufzuziehn,
Und dich, nur dich zu lieben.

Erglänzt die Pracht der Sterne
Hoch überm Schlaf der Welt,
Dann ruhten wir im Grase
Bis Schlummer uns gefällt.

Nähm' aus des Meeres Schooße
Das Frühroth seinen Lauf,
Dann weckten tausend Sänger
Mit süßem Laut dich auf.

An eines Baches Rande
Mit süßer Lust erfüllt,
Besäng' ich, auf dich blickend,
Dein süßes, liebes Bild.

Dann wirkten zarte Triebe
Mit unbekannter Kraft,
Daß meines Herzens Treue
Schnell mich zum Dichter schafft.

Es horchte meinem Sange
Die Turteltaube gern,
Und macht' mit sanfter Klage
Mein Echo für sich fern.

Die süßen Stunden könnte
Mit ihrem bittern Gift
Die Furcht uns nicht vergelten,
Die Liebende sonst trifft.

Denn wo Natur nur meistert
Voll Einfalt unser Herz,
Da kennet glücklich Keiner
Die Furcht und ihren Schmerz.

Stets würde Freude lächeln
Dem ungetrennten Paar,
Bis in des Alters Kälte
Erbleichte unser Haar.

Ach Alter! wie so reißend
Mit trostberaubtem Schmerz
Stürmst du des stolzen Städters
Mit Schuld beladnes Herz.

Ein ungeahntes Wetter,
Kommst du bei finstrer Nacht,
Entfesselst in den Grotten
Der Winde wilde Macht.

Doch uns, in langer Liebe
Vertraulichem Verein,
Führt'st du mit sanftem Frieden
Zur Ruhe einst herein.

Der Jugend frische Liebe
Säh'n wir dann ohne Neid,
Bei liebenswürd'gen Hirten
Verjünget und erneut.

Dir sagt' ich: Einstens glänzte
So deiner Augen Stern,
Nerina, Amaryllis,
Die sahen's gar nicht gern.

Du mir: in blüh'nder Jugend
Trugst Herz und Haar wie er,
Ich sah dich tanzen, laufen,
Und du gefielst mir sehr.

O gottgefäll'ges Völkchen,
Du holder Tugend Freund,
Dir hat in deiner Hütte
Die Unschuld sich vereint.

Du kennest keine Schmerzen,
Du kennst nicht Ueberfluß,
Es müssen dich Tyrannen
Verschonen mit Verdruß!

Der Pracht verfluchte Opfer,
Ihr kennt die Tugend nicht,
Und gönnet dieser hehren
Der Jünger Liebe nicht!
(S. 627)
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Amors Urtheil
(Sonett)

Auf furchtbar'm Thron' ist Amor schon zu finden,
Von dem herab er Streit und Händel schlichtet,
Kaum hab' ich mich an jenen Herrn gerichtet,
Als er: "Wer bist du?" fragt. Lab. "Du siehst Labinden."

Amor. "Was ist dein Stand?" Lab. "Erst war ich Hirt zu finden,
Doch hab' ich auf die Fluren längst verzichtet!"
A. "Liebst du?" Lab. "Chloe, die Andern sich verpflichtet."
A. "Du willst?" Lab. "Mein Herz! Sie wußt' es zu entwinden."

A. "Chloe, erschein'!" - Und sie erschien, im Blick
Den herben Stolz, der ihr beständig eigen,
Und lachend sprach sie: "O des armen Thoren,

Ich fand sein Herz, mein ist's, er hat's verloren,
Ich kann" . . . "Halt" rief der Gott und hieß sie schweigen,
Dein Herz sei sein, sonst gib ihm seins zurück.
(S. 628)
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Die Begegnung
(Sonett)

Wo murmelnd von des Berges Mattenhange
Des holden Baches heis'rer Ton erklinget,
Sah' ich ein Mädchen, unbelauschet fringet
Sie das benetzte Haar und wäscht die Wangen.

Ich nahe mich, zusammen schrickt sie bange,
Entfärbt sich rasch, da sie dem Quell' entspringet
Und schnell zum nahen Walde vorwärts dringet,
Sie eilt behend, ich sehe nicht lange.

Nach folg' ich ihr, erreiche sie am Pfade,
Wo ich, daß sie nicht Daphne, schnell mir lehre,
Und daß sie nicht zum Lorbeer sich mag wandeln.

Nach ihrer Hand greif' ich, beschau' sie grade,
Sie blickt und lacht, ach wenn sie Daphne wäre,
Wie würde Herr Apoll wohl nun handeln?
(S. 628)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]

 


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