Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Afanasij Fet (1820-1892)
russischer Dichter



O, ich weiß, du holde Kleine,
Daß dich nicht die Mondnacht schreckt:
Hab ich doch im Schnee am Morgen
Deiner Schuhe Spur entdeckt!

Freilich schweigt beim Mondenscheine
Hell und kalt die Mitternacht;
Freilich hast du Grund, du Kleine,
Daß alsdann dein Auge wacht:

Diamanten flirrt das Mondlicht,
Diamanten strahlt die Höh,
Diamanten sprühn die Bäume,
Diamanten glüht der Schnee ...

Doch ich fürchte, holde Kleine,
Daß im Sturm ein Geist verweht
Deine Spuren für die Rückkehr,
Und dein Fuß dann - irre geht!
(S. 7)
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Wie das Wangenpaar dir glutet!
Deinen Pelz deckt Silberflor,
Und dein Atem quirlt und flutet
Unter deinem Muff hervor.

Greis sind deine kecken Locken
Trotz der sechzehn Jahre! ... Schnell
Heimwärts - es beginnt zu flocken!
Warm ist es zu Haus und hell!


Laß uns kosen, Kurzweil treiben,
Plaudern, wie es grad sich trifft -
Während an die Fensterscheiben
Malt der Frost die Blumenschrift.
(S. 7-8)
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Umschwebst du mich sorglich als Schatten,
Mein Genius, mein Engel, mein Lieb?
Bist du's, die mir Trostworte flüstert
Im trostlosen Menschengetrieb?

Bist du's, die mich schüchtern begeistert,
Die treulich als Traum mir verblieb
Und heilt meine wonnigen Qualen -
Mein Genius, mein Engel, mein Lieb?
(S. 8-9)
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Frührots wecke, o wecke sie nicht:
Frührots schläft sie so süß und so hold:
Auf der Brust spielt des Frühgestrahls Licht,
Auf der Wange - des Morgenstrahls Gold.

Und es atmet ihr Kissen so heiß,
Und ihr Traum ist so matt und so schwül;
Längs der Schulter erblinkendem Weiß
Rinnt die Schwärze der Flechte vom Pfühl.

Gestern abend, da saß sie allein
An dem Fenster so still und so lieb
Und verfolgte des Mondes Geschein,
Das sein Spiel mit dem Wolkenkreis trieb.

Und je lichter der Mond wob den Blust,
Und je lauter die Nachtigall sang -
Desto bleicher ward Wang ihr und Brust
Und das Herz pochte bang ihr und krank.

Darum spielt auf der Brust ihr dies Licht,
Darum spielt auf der Wang ihr dies Gold.
O erwecke, erwecke sie nicht:
Frührots schläft sie so süß und so hold!
(S. 9)
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Überdruß schafft mir das ewige Schwatzen vom Hohen und Schönen:
Herzlich gähnen fürwahr macht mich das öde Gered.
Den Pedanten entflieh ich und eile zu dir, o Geliebte:
Beut doch ein einziger Blick, klug deinen Augen entstrahlt,
Mehr mir des Schönen, als hundert Infoliobücher mir bieten,
Schlürf ich das Leben doch ein süß dir vom rosigen Mund!
Ja, nur die Biene wittert den Seim bereits in der Knospe,
Ja, nur der Künstler erspürt, wo sich das Schöne verbirgt!
(S. 9)
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Ich harre ... Der Nachtigall Echo
Erschluchzt von dem Flusse. Das Gras
Erflimmert im Spiel des Demanten,
Im Thymian glimmt der Topas.

Ich harre ... Der tiefblaue Himmel
Hält sternig den Erdball umspannt.
Ich höre den Schlag meines Herzens
Und spüre das Zittern der Hand.

Ich harre ... Warm weht es vom Süden.
Es ist mir so wohl und so weh.
Ein Stern schießt verlöschend gen Westen -
Lebwohl, o du goldner, ade!
(S. 10)
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Sei mir viel tausendmal gegrüßet, o Nacht!
Wieder und wiederum lieb ich dich,
Du stille, du warme,
Silberumsäumte!
Ich verlösche das Licht und trete schüchtern ans Fenster -
Niemand schaut mich, doch mir ist alles erschaubar:
Warten werd ich, und werd es erwarten,
Daß die Pforte sich knarrend öffnet,
Daß die Blumen erschwanken und stärker erduften,
Wenn im Mond meines Mädchens Mieder erflimmert.
(S. 10)
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Machtlos, Lieb, ist das Wort - allmächtig allein sind die Küsse!
Freilich lächelt mein Blick, wenn ihm dein Schreiben verrät,
Wie des Gefühls und Gedankens Flut und Ebbe behindert
Dir deine eilende Hand, manches dem Blatt zu vertraun.
Freilich, gehorsam der Göttin Gebot, schreib selber ich Verse,
Bin ich an Reimen doch reich, reich auch an Rhythmen zumal.
Doch besonders lieb ich den Einklang der wechselnden Küsse
Mit der Lippen Cäsur, frei in dem Tonmaß der Glut.
(S. 10)
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Bleibe, verlasse mich nicht!
Lieb, geh, o geh nicht von mir!
Bleibe, verlasse mich nicht -
Wird mir so leicht doch mit dir!

Näher als du bist und ich,
Können wir nimmermehr sein;
Lieben läßt nimmerdar sich
Also allmächtig und rein:

Stehst du voll Wehmut vor mir,
Schweigend, gesenkt das Gesicht -
Wird es so leicht mir mit dir ...
Bleibe, verlasse mich nicht!
(S. 11)
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Lautlose, sternhelle Nacht,
Mondenlichts zitternde Pracht ...
O, wie beseligt dein Kuß
Während der sternhellen Nacht!

Lieb, in dem nächtigen Glanz
Hält doch das Leid bei mir Wacht.
Licht wie die Liebe bist du
Während der sternhellen Nacht!

Lieb sind die Sterne mir, Lieb,
Hab auch des Leides nicht acht;
Dich aber lieb ich noch mehr
Während der sternhellen Nacht!
(S. 11)
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Die Mitternacht stürmte und raste,
Es klagte der Wald ins Gegell.
Wir saßen geschmiegt aneinander,
Das Reisig flackerte hell.

Und unsere Schatten reckten
Am Boden sich riesig aus.
In unsern trostlosen Herzen
Schwieg starrer Mitternachtsgraus ...

Es knistert und weint das Reisig,
Es stöhnt der Wald voll Geängst ...
O sprich, mein Lieb, was ist dir?
Was mir ist, weiß ich längst!
(S. 12)
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Die Bacchantin

Ins Laubgeschatt entflohn dem schwülen Mittagsglanze,
Mit einem duftigen, dreiblätterigen Kranze,
Des Gottes Bacchus voll, berauscht vom Rebenblut,
Hat sie verweilt den Schritt, und atmet schwer, und ruht,
Zurückgeworfnen Haupts, mit einem blöden Lächeln,
Erharrt verschmachtend sie ein kühles Windesfächeln.
Bedünken will es sie, als hätte ihr entflammt
Der Haare heißes Gold der Schultern Rosensamt.
Das hitzende Gewand rinnt immer tiefer nieder,
Enthüllend mehr und mehr die schwellend jungen Glieder,
Derweil der heiße Blick, von Tränen überblinkt,
Begehrlich spähend schweift und fleht und minnt und winkt.
(S. 12)
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Ich blickte hinauf zu den Sternen,
In seliges Sinnen gebannt -
Da wob zwischen ihnen und mir sich
Ein ahnungsvoll heimliches Band.

Mir träumte ... weiß nicht, was mir träumte ...
Berückend erklang's himmelher ...
Es zitterten leise die Sterne -
Nun lieb ich die Sterne noch mehr!
(S. 13)
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Kind, ich komme mit dem Gruße,
Daß die Sonne aufgegangen,
Daß ihr heißer Strahl erzittert
Auf der Blätter grünem Prangen;

Daß erwacht vom Schlaf der Hain ist,
Ganz erwacht, mit jedem Reiße,
Ganz erwacht, mit jedem Vöglein,
Und ihn Lenzdurst peint, der heiße;

Daß ich mit der alten Liebe
Wieder bin vor dir erschienen,
Daß bereit ist meine Seele
Unserm Glück und dir zu dienen;

Daß ins Herz mir weht als Wonne
Morgenglanz und Morgenkühle;
Daß mein Lied ich noch nicht kenne,
Doch - daß ich es reifen fühle!
(S. 13)
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Gleich einem treuen Warnungsengel
Aus ewig lichtem Himmelsstrich -
So bete du mit zarter Seele
Sowohl für dich, als auch für mich.

Verscheuche mir den Geist des Zweifels
Mit deiner Liebe sanftem Wort
Und segne mit der Andacht Schwingen
Mir meiner Seele tiefsten Hort.
(S. 14)
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In der Ferne wirbeln
Wolken Staubs empor,
Nichts ist zu erspähen
Durch den grauen Flor.

Sieh, wer sprengt dort hastig
Hoch zu Roß feldein? ...
Lieb, mein Lieb, du fernes,
Denke, denke mein!
(S. 14)
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Mit Silbersamt durchglänzt die Luft
Der Weidenstrauch am Hag;
Von neuem weht mich an mit Duft
Des Lenzes Flügelschlag.

In rosige Wolken spinnt sich ein
Der blaue Himmelsraum,
Und wieder zieht ins Herz hinein
Beseligender Traum.

Die Bilder, wechselnd wunderbar,
Berauschen meinen Blick;
Es schwärmt und lärmt die Menschenschar -
Ihr ahnt ein nahes Glück.

Ein heimlich süßes Sehnen klingt
Mir in Gemüt und Sinn -
Und über jeder Seele schwingt
Der Lenz sich jubelnd hin.
(S. 15)
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Gleich Immen im Frühling
Umschwirren mich lockende Töne.
Schwer trennt sich die Seele
Vom Traum voll berückender Schöne.

Die Dornen des Alltags
Ersticken die Blüten der Träume.
Verstrebt ist die Jugend,
Verronnen ihr stolzes Geschäume.

Doch kann die Erinnrung
Sich nicht in die Gegenwart finden ...
O, könnte doch wortlos
Das Sehnen der Seele sich künden!
(S. 15)
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O, lange werd ich noch im nächtig stillen Dunkel
Dein Flüstern tückevoll, des Blickes irr Gefunkel
Und dein Gelock, so weich willfährig meiner Hand,
In die Erinnerung mir rufen, kaum gebannt!
Schwer atmend, seelallein, werd ich in süßem Bangen,
Vor Ärger und vor Scham durchglutet Stirn und Wangen,
Erwägen jedes Wort, das mir gesagt dein Mund -
Ob nicht ein sondrer Zug mir tut dein Wesen kund,
Verbessern jedes Wort, das dir mein Mund gesprochen,
Doch das zum Stammeln ward beim wilden Herzenspochen -
Und wecken wahnberauscht mit deines Namens Macht,
Zum Trotze der Vernunft, die stumme Mitternacht.
(S. 16)
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Wenn kühn mein Traum durchbricht der Jahre Scheidewand
Und du vor mir erstehst aus grauer Nebelhülle -
Dann wein ich süß, wie einst vor dem Gelobten Land
Geweint der erste Jud aus Herzensfülle.

Gesegnet sei der Traum der heitren Jugendzeit,
Den du heraufbeschworst in mir so wonnig-bange:
Wo sich mir offenbart der Liebe Lust und Leid
In meines Herzens heißem Sturm und Drange,

Im Drucke deiner Hand, in deiner Blicke Licht,
Im Lächeln deines Munds, in deiner Augen Tränen
Und in dem Alltagswort, das Nichts und Alles spricht,
Und uns allein verriet der Seele Sehnen.
(S. 16)
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Ihr reglosen Augen, ihr sinnlosen Augen,
Was starrt ihr ins Weite, als wolltet ihr saugen
Die Ferne bei Tag und bei Nacht?
Seid ihr in dem schönen Vergangnen versunken,
Das jählings erlosch wie des Wetterscheins Funken
Voll sterbend belebender Macht?

Vergebliches Sehnen! Nie werdet ihr sehen
Das Einst aus dem Grabe des Herzens erstehen
Beseligt erstrahlenden Blicks!
Nie werdet ihr es von dem Zufall erfragen,
Wohin er für immer von dannen getragen
Den sonnigsten Segen des Glücks!
(S. 17)
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Ophelia ging ins Verderben,
Doch wand sie sich Blumen und sang,
Und schwand mit dem Kranz und dem Liede
Im Strom, der die Holde verschlang ...

Auf meinem Lebensstrome
War Lust und Leid mein Gewinn;
Mein Glück ist versunken, doch schwimmen
Die Lieder und Kränze dahin.

Es wird auf dem Grund meines Herzens
Zum Lied mir ein jedes Gefühl;
Auch sind meiner Seele gegeben,
Der Träume und Tränen viel.
(S. 17-18)
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Frisch ist und duftig dein herrlicher Kranz,
Jeglichen Wohlgeruch hauchen die Dolden;
Kosend umwehn dich die Locken und golden -
Frisch ist und duftig dein herrlicher Kranz.

Frisch ist und duftig dein herrlicher Kranz.
Will dieser Blaublick den Frieden mir rauben?
Daß du nicht liebst, kann ich nimmermehr glauben:
Frisch ist und duftig dein herrlicher Kranz.

Frisch ist und duftig dein herrlicher Kranz.
Länger nicht kann ich den Herzensdrang zwingen -
Selig vor dir muß ich stehen und singen:
Frisch ist und duftig dein herrlicher Kranz.
(S. 18)
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Serenade

Fühlst du, wie der Tag verglutet,
Nun sein Gold zerrinnt -
Und der Abend Kühlung flutet? -
Gute Nacht, mein Kind!

Hörst die Nachtigall du schlagen
Aus dem Zweiggewind?
Hörst mein Saitenspiel du klagen? -
Gute Nacht, mein Kind!

Engelsaugen blicken nieder,
Strahlen liebelind;
Düfte hauchen hin und wieder -
Gute Nacht, mein Kind!
(S. 19)
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Phantasie

Einsam sind wir. Unsre Herzen stocken.
Mondlicht flackt ins Zimmer hin und wieder.
Deine seidnen, deine duft'gen Locken
Rinnen folgsam dir den Nacken nieder.

Doch was schweigen wir? Berückt allmählich
Uns der Mainacht buhlendes Gekose?
Schluchzt die Nachtigall zu liebeselig
Ihre Hymnen der verträumten Rose?

Singen leis uns, wie aus Nebelferne,
Die erwachten Vögel in dem Tale?
Steigen nieder zu uns her die Sterne,
Zitternd mit dem eifersücht'gen Strahle?

Ein Gespinst des Märchens und des Traumes,
Flimmernd, glimmernd in Smaragdes-Gluten,
Wiegt sich im Gezweig des Zauberbaumes,
Schaukelt sich der Phönix ob den Fluten.

Bunte Muscheln sprühen Irishelle,
Silbern leuchtet's durch das goldne Dunkel,
Bis zum Monde spritzen Wasserfälle
Ihr Demantgestäub und Perlgefunkel.

Von Insekten flirrt's im Blattgesticke,
Maßlos dehnt und reckt sich's aus der Blüte;
Traute Träume gaukeln vor dem Blicke,
Holdes Hoffen schmeichelt dem Gemüte.

Alles lebt und webt im Zwitterlichte,
Daß es sich im Liebeskuß vermähle -
Aber jäh zergehn die Wahngesichte,
Und das Mögliche füllt neu die Seele ...

Einsam sind wir. Unsre Herzen stocken.
Mondlicht flackt ins Zimmer hin und wieder.
Deine seidnen, deine duft'gen Locken
Rinnen folgsam dir den Nacken nieder.
(S. 19-20)
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Wenn träumerische Ruh mir zittert durchs Gemüt
Und mich der Göttin Nacht verstohlne Blicke grüßen,
Wenn an des Himmels Brust der Liebe Stern erblüht
Und endlich sich zum Schlaf des Argus Augen schließen;

Wenn endlich, heiß ersehnt, die Segensstunde schlägt
Und meine Sehnsucht wächst mit jedem Augenblicke;
Wenn starr und stumm ich steh, im Innersten erregt,
Und jeder Ton der Nacht mich schreckt aus meinem Glücke;

Wenn mir der Ungeduld das glühe Herz fast bricht
Und du nun endlich kommst, zurück behutsam schauend;
Wenn ich verzückt dir blick ins holde Angesicht
Und mich dein Lächeln grüßt so tröstlich und vertrauend;

Wenn mein Gehör berauscht das Wort: "Ich liebe dich!"
Und als Entgegnung ich nur stammeln kann und stocken;
Wenn deinen Atem sucht mein Atem flehentlich
Und dir mein Kuß versengt den Nacken durch die Locken;

Wenn deinem Schweigen ich andächtig lauschen kann
Und du an meiner Brust im Kusse willst vergehen -
O, wie so glücklich, Lieb, so selig bin ich dann!
O, wie zersehn ich mich nach neuem Wiedersehen!
(S. 21)
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Es kennt die Welt sie nicht! Sie ist ein Kind von Sitten -
Doch ihr Profil, es ist so rein und fein geschnitten
Und so viel Schmachten träumt in diesem sanften Blick -
Daß bald die Stunde schlägt des Tods dem Kindesglück.
Ein warmer Liebeshauch - und tief im Auge glühen
Wird ihr die Seligkeit und blaue Flammen sprühen;
Die rosig-runde Hand verlängert sich und blaßt;
Nicht fährt durchs Haar der Kamm mit der gewohnten Hast -
Nein, langsam, kosend, legt er es zu seinen Streifen ...
O selig, wer da sieht den goldnen Weinstock reifen
Und volle Trauben ahnt und weiß es unbeirrt -
Daß einst ihr süßer Duft ihn süß berauschen wird!
(S. 21-22)
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Lieb, erwach! Zwei Rosen sehnen
Sich nach dir beim Morgenlicht,
Und durch ihre Silbertränen
Glühn sie dir ins Angesicht.

Nach des Lenzes Wettertosen
Blüht es farbiger im Kreis ...
Sieh nur, siehe: alle Rosen
Weinen Tränen leise, leis! ...
(S. 22)
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O ruf mich nicht! Dir klingt so süß vom Munde
Der Liebe Laut!
Ich lausch ihm wie ein Kind zur Dämmerstunde -
Er lockt so traut!

Laß frei dein Herz mir künden all sein Sehnen
Und heuchle nicht:
Ich kenn ein Land, wo alles, was wir wähnen,
Als Leben spricht.

Als ich der ersten Leidenschaft Entbrennen
Im Blick dir las -
Sucht ich nicht Wonnen, die kein Wort kann nennen
Und mißt kein Maß?

Ich flog dahin, gleichwie vom Sturm getragen -
Doch häuptlings fiel
Der Rosselenker von dem Siegeswagen,
Noch fern vom Ziel.

Ich wußt es ja: es wird mein ganzes Leben
Der Liebe Raub -
Doch mit der Liebe wonnetrunknem Beben
Küss ich den Staub!

So laß dein Herz denn künden mir dein Sehnen
Und heuchle nicht:
Ich kenn ein Land, wo alles, was wir wähnen,
Als Leben spricht.

Drum ruf mich nicht. Nein, mit der Liebe Sange
Nur sprich zu mir;
Auflausch ich wie ein Kind beim ersten Klange
Und - folge dir!
(S. 24-25)
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Wohl flimmern Myriaden Sterne -
Doch keiner grüßt mich aus der Ferne,
Wie jene zwei, so lieb und licht.
Doch westenher erstrahlt der eine,
Und ostenher mit seinem Scheine
Vermählt sich ihm der andre nicht.

So gibt's oft unter Menschen zweie,
Die gleich begnadet hat die Weihe,
Die beide wandeln hoch und her.
Und beide Herzen glühn in Liebe
Und suchen sich im Weltgetriebe
Und finden doch sich nimmermehr.
(S. 25)
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Flüstern, banges Atmen, Lauschen;
Nachtigallenschlag;
Bächleins träumerisches Rauschen;
Silberschein im Hag;

Nacht voll Licht, Nacht bar des Lichtes;
Schatten allerseits;
Des geliebten Angesichtes
Wechselneuer Reiz;

In den Wölkchen - Purpurrosen,
Goldner Bernsteinkranz; -
Wonnetränen, Liebeskosen -
Frühlicht, Morgenglanz!
(S. 25)
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Alles schläft - mein Lieb, komm in des Gartens Nacht!
Alles schläft ... Uns sieht allein der Sterne Pracht ...
Doch auch sie erspähn uns nicht im Blätterhort -
Nur die Nachtigall hört unsrer Liebe Wort ...
Nein, sie singt so laut ihr Lied, sie hört uns nicht ...
Herz und Hand vernimmt nur, was die Liebe spricht:
Es vernimmt das Herz, wie große Erdenlust,
Wieviel Glück wir hergebracht in unsrer Brust.
Und die Hand vernimmt es, spricht zum Herzen leis,
Daß noch eine andre in ihr bebt so heiß,
Doch auch diese bei dem Beben wonnig glüht,
Und daß mächtig es das Haupt zur Schulter zieht! ...
(S. 26)
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Die Schatten wachsen, wachsen ohne Ende
Und rinnen ineinand.
Erloschen ist der Tag in dem Gelände
Und lischt am Bergesrand.

Nun ist er hin, der Lebenskraft und Wonne
Im Herzen rief hervor ...
Da steigst du, Mond, ein Nachgebild der Sonne,
Am Horizont empor.

Du bannst mein Auge, wie Erinnerungen
Berücken mir das Herz ...
Nun ist des Lebens letzter Ton verklungen
Im Frieden allerwärts.

Du gleitest durch die Luftbahn, die azurne,
So nah und doch so fern;
Und stumm verstreut die Nacht aus ihrer Urne
Zur Erde Stern um Stern.
(S. 26)
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Welche Nacht! Es starrt der Luft Geschimmer,
Von der Erde duftet's himmelwärts.
O, jetzt bin ich glücklich, wie noch nimmer,
Und kann ganz enthüllen dir mein Herz!

Weißt du noch? Die Nacht war kalt und trübe.
Du ersehntest, daß mein Mund dir spricht
Das Geständnis meiner Gegenliebe -
Doch ich schwieg: ich liebte dich noch nicht.

Alles Blut gerann in meinen Adern,
Als ich sah dein stummes, wehes Flehn.
Mit dem eignen Herzen mußt ich hadern -
Doch die Wahrheit durft ich nicht gestehn.

Jetzt jedoch muß ich das Knie dir beugen:
Wonneschauer überfluten mich!
Und ich lüge nicht: du bist mein eigen!
Und ich schwöre dir: ich liebe dich!
(S. 27)
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Laß uns lagern an der Weide.
Sieh nur, wie im Borkenkleide
Alles sich zum Muster webt!
Und zu Füßen uns, da flutet
Goldner Schmelz dahin und glutet,
Und des Stromes Glas erbebt.

Sieh, die Zweige hangen nieder.
Horch, sie plätschern hin und wieder
Wie ein grüner Wasserfall.
Schau, die scharfen Blätter ziehen
In der Wellen blaues Fliehen
Grüne Furchen überall.

In dem Wasserspiegel malen
Deine Züge sich und strahlen
Mir empor der Liebe Gruß.
Sanfter leuchten deine Blicke,
Und es bebt mein Herz im Glücke,
So wie du erbebst im Fluß.
(S. 27)
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Der letzte Ton verhallt im Waldeshort,
Der letzte Strahl erlischt am Bergesrücken -
Wann endlich werd ich an verschwiegnem Ort
Um Mitternacht dich, süßes Lieb, erblicken?

Wann wandelt in des Wiedersehens Lust
Dein kindlich Plaudern meiner Sehnsucht Bangen?
Wann endlich schmiegst du dich an meine Brust,
Ganz Schamerglühn, ganz Zittern, ganz Verlangen?

Grau zieht sich ob dem Fluß ein Nebelstrich,
Gleich deinem Schleier seh ich kraus ihn wehen ...
Die Feenstunde schlägt ... Wann seh ich dich,
Vielholde Fee, im Wunderreich der Feen?

Wie, oder hat ein Irrlicht mich entfacht
Zu Träumerein, die qualvoll-süß zersprühen,
Und wird der Trug der kranken Leidenschaft
In einem Lied verlöschen und verglühen?
(S. 27)
_____


O Lieb, wie martert mich dein Zweifeln und dein Bangen!
Begraben sei das Einst auf unsrer Herzen Grund!
Gleich einem Meteor ist es dahingegangen!
Ich suchte deinen Blick mit zagendem Verlangen
Und kam - zu schweigen nur ... Und jetzt auch schweigt mein Mund.

Wie einst, muß ich berückt auf deinen Liebreiz sehen,
Wie er aus Leib und Geist dir spricht mit Wundermacht.
Ich sehe wiederum, wie einst, vor mir dich stehen,
Dich, der ich alle Glut, mein ganzes stummes Flehen,
Mein seligstes Geträum anbetend dargebracht.

Doch - weißt du noch? Der Lenz wob rings im Mondenscheine
Und Silberträume rief die Nachtigall herbei ...
Nun duftet's schwül und rauscht es reif vom Ackerraine,
Und singen will, wie einst, die Nachtigall im Haine -
Allein so schüchtern sang sie nie im lichten Mai!
(S. 31)
_____


Du bist verschwenderisch mit geistreich holdem Wort -
Doch aus der Seele kam der Liebe Gruß dir nimmer.
Du denkst in deinem Sinn: voll Launen ist, verdorrt
Und kalt das Herz des Dichters immer.

Doch dieses Herz, es harrt: ob seiner Liebe Macht
Nicht dein kaltstolzes Herz wird endlich überwinden,
Daß in den Augen dir, voll Rätsel wie die Nacht,
Des Glückes Sterne sich entzünden.

Verschmachtend harrt mein Herz! Der Dichter findet nicht
Ein gleiches Glanzgestirn am finstren Himmel wieder ...
O sprich, wann endlich steigt mir deiner Sterne Licht
Als Zittern und als Lied hernieder?
(S. 32)
_____


O frage nicht, warum ein Sinnen oft mich bannt -
Es fällt mir schwer und weh, dir alles zu gestehen:
Mein traumberückter Geist durchlebt, was längst entschwand,
Und um das ferne Einst will fast mein Herz vergehen.

Die Schönheit hatte einst die Seele mir erweckt -
Und jubelnd fliegt auch jetzt sie ihrem Gruß entgegen ...
So bebt am Fenstersims die Taube, sturmgeschreckt,
Und flattert an das Glas mit hastig scheuen Schlägen.

Doch nicht mehr fesseln mich die Leidenschaften nur,
Nicht blind mehr richt ich mich im Schönheitsdienst zugrunde -
Und dennoch schlägt mein Herz, gleich einer alten Uhr,
Zu jeder Tageszeit dieselbe Lieblingsstunde ...

Aus meiner Knabenzeit ersteht vor mir ein Tag:
In Tränen standen rings die schauernden Syringen,
Die Spielgefährtin zog von dannen, und es lag
Die liebe Mutter mir in schwerem Leidensringen.

Nicht schwirrten sangesfroh die Schwalben kreuz und quer,
Nicht quirlten mit Gesumm die Mücken auf und nieder;
Gesträubt die Federn, schwieg die Taubenschar ringsher,
Und aus dem Lindenbaum erschallten keine Lieder.

Ein alter Brunnen stand dem Hause nebenbei,
Der Eimer schaukelte hoch oben an der Stange -
Und plötzlich klang herab ein heisrer, wüster Schrei:
Ein Rabe krächzte auf, so bös zugleich und bange.

Ich weinte damals ... Jetzt umklingt mich Lust und Scherz.
Doch immer schreckhaft noch bin ich, wie einst als Knabe:
Ins Auge seh ich dir, und zitternd ahnt mein Herz -
Gleich, gleich wird krächzen mir der schwarze Unglücksrabe!
(S. 32-33)
_____


Wir sind allein ... bei Nacht! ... O namenloses Glück! ...
Der spiegelglatte Fluß sprüht Myriaden Sterne,
Und endlos über uns - wirf nur das Haupt zurück -
O, welche Tiefe birgt die klare Himmelsferne!

Du nennst mich sinnlos ... Wohl, mir steigt zu Kopf das Blut -
Darum hast du das Recht, mich wie du willst zu nennen ...
Ja, in dem Herzen fühl ich solcher Liebe Flut,
Daß ich dir alles will, dir alles muß bekennen!

Ich bin verliebt, bin krank an Herzen und Verstand! ...
Nichts länger berg ich mehr ... Darum vernimm, drum höre,
Drum laß gestehen dir, was ich dir nie bekannt -
Daß dich ich liebe nur, daß dich nur ich begehre!
(S. 33)
_____


O, welche bitterböse Kränkung:
Schon morgen muß ich fort von hier! ...
Mir ist, als gähne unheildräuend
Des Hades schwarzer Schlund vor mir!

Noch rauscht es mir in Kopf und Herzen
Gleichwie nach süßem Firnewein.
Wie wird nun meine Heimatzelle
Mir engen Leib und Seele ein!

Doch, treu der Stimme meines Herzens,
Werd ich auf jedem Schritt und Tritt,
In wüstem Wald und öder Steppe
Dein reines Bildnis tragen mit.

Ja, tief wird wahren meine Seele
Der Doppelschönheit Doppelglück:
Dein kindlich wunderliebes Antlitz
Und deinen sinnend holden Blick.
(S. 33-34)
_____


Oft schleich ich müßig hin und trüb und krank.
Der Zweifel keimt aus meines Glaubens Saaten,
Die Kräfte fehlen mir zu hehren Taten
Und keine Worte find ich einem Sang.

Voll heißer Eifersucht und sehnsuchtbang
Tret ich die Spur, die deine Füße traten,
Denn deiner Nähe kann ich nicht entraten.
Und deiner Liebe weiß ich Preis und Dank.

Auch dir, o Leben, Dank! Wenn auch zu Stunden
Mir das Geschick die Seele schlägt voll Wunden
Und sie versenkt in tiefen Schlafs Bereich:

Wird sie berührt vom wesenlosen Schönen -
Erwacht mir die unsterbliche, und tönen
Hör ich sie zitternd, einer Harfe gleich.
(S. 37)
_____


Die Venus von Milo

Enthüllt die Hüften und die Brüste,
Jungfräulich rein zugleich und kühn,
So strahlt der Leib, der gottgeküßte,
In unverwelkter Schöne Blühn.

Bekrönt von leichtgewelltem Haare
Und blinkend wie der Gletscher Firn,
So thront der Stolz, der wonnig klare,
Auf ihrer unentweihten Stirn.

Der Hauch der Leidenschaft durchglüht sie,
Sie schauert im Geperl des Schaums -
Und unbesiegt - allsiegend sieht sie
Ins Ewige des Weltenraums.
(S. 37-38)
_____


Wenn die Dämmerung niederrinnt - lausch ich,
Ob die Klingel nicht bebt an der Tür.
Komm, o komm, du mein herziges Mädchen,
Und verbringe den Abend mit mir.

Vor dem Spiegel verlösch ich die Kerzen:
Der Kamin haucht gar hellende Glut ...
Hören muß ich dein heitres Geplauder,
Daß es leichter mir werde zu Mut.

Lauschen muß ich den kindlichen Träumen
Von der Zukunft, die Glanz dir verheißt,
Daß mir selige Tränen enttauen
Und vom Staube sich schwinge mein Geist.

Vor dem Frührot noch hüll ich behutsam
In das Wolltuch dich ein bis ans Ohr
Und geleite die Mauer entlang dich,
Die vom Mond überflimmte, zum Tor.
(S. 38)
_____


Einer Sängerin

O, entrück in die klingende Ferne mein Herz,
Wo verklärt ist, wie Mondlicht, der Schmerz!
Milde leuchtet die Liebe und lächelt und nickt
Deinem Sang, den die Träne erstickt.

O, wie wohl ist es mir, in dem Äthergebiet
Zu vertraun deinem leitenden Lied!
Hoch und höher stets geh ich den silbrichten Gang,
Wie ein Schatten vom Flügelschlag schwank.

Deine Stimme verhallt und verstirbt und verglüht
Wie das Spätrot im Meere versprüht -
Aber plötzlich ertönt ihr erschillernder Schall,
Wie die Perlen erblusten im Fall ...

O, entrück in die klingende Ferne mein Herz,
Wo verklärt ist, wie Lächeln, der Schmerz!
Immer höher will gehn ich den silbrichten Gang,
Wie ein Schatten vom Flügelschlag schwank.
(S. 39)
_____


O, könntest du verstehen mein Geständnis,
Das stumm dir spricht aus meines Herzens Flehn!
Ich steh vor dir in banger Gotterkenntnis,
Und meine Seele fliegt durch Himmelshöhn.

Laß mich dein Bild vor diesem letzten Scheiden
Für immerdar mir prägen ins Gemüt,
Daß ohne dich und doch mit dir im Leiden
Des Todeskampfs die Seele mir verglüht.

Als eine Gottheit in der Sonne Strahlen
Stehst du vor mir, derweil ich vor dir lieg!
Ich Seliger! In jeder meiner Qualen
Erseh ich deiner Schönheit neuen Sieg!
(S. 40)
_____


Liebst du, wie ich dich, mich wahr und unendlich,
Ist diese Liebe dein Atem, dein Leben -
Leg deine Hand auf mein Herz - und verständlich
Wird dir sein Glühen und Klopfen und Beben.

Zähl nicht die Schläge: in jeglichem Schlage
Lebst du und webst du voll Wonnen und Qualen.
Also aus Nacht tritt der Heilquell zutage
Sprudelnd mit schäumenden, kochenden Strahlen.

Willst du vergehn im vergänglichen Glücke -
Trink diese Fluten in durstigen Zügen!
Trink sie und frag nicht mit zweifelndem Blicke,
Ob sie nicht balde verglühn und versiegen.
(S. 41)
_____


Wir sind getrennt. Du wanderst fern im Süden.
Ich würde schmerzvergehn,
Wär uns geheimnismächtig nicht beschieden,
Daß wir uns stündlich sehn.

Wenn dich in wüstem, seelenlosem Reigen
Der Menschenschwarm umkreist
Und du das Köpfchen senkst in trübem Schweigen -
Dann spricht zu dir mein Geist.

Wenn in dem Park, dem Weltgedröhne ferne,
Du trinkst die stumme Nacht -
Dann spricht zu dir der Gruß der großen Sterne
Von meiner Liebe Macht.

Wenn du entschläfst und sich vor deinem Bette
Leis regt der Vorhangflor;
Wenn dich ein Traum von dieser Leidensstätte
Auf Flügeln trägt empor;

Wenn du dich schwingst durch stumme Ätherkreise
Und sprichst: "Ich liebe dich!" -
Von meiner Hand dann bebt der Vorhang leise,
Der Liebe Traum - bin ich.
(S. 41-42)
_____


Im Garten war ich wiederum,
In der Allee, der grünbelaubten,
Wo wir im Lenze, selig-stumm,
Hinschritten, liebten, hofften, glaubten.

Wie drängte damals uns das Herz,
Zu künden unser Sehnen, Träumen -
Doch ach, kein Schatten allerwärts
Entrieselte den jungen Bäumen.

Nun lagern rings die Schatten schwer
Und Duft entströmt dem Blütenreigen -
Doch ach, wie seellos ist's ringsher!
Wie tötet dieses Grabesschweigen!

Die Nachtigall nur schluchzt ihr Weh
Voll Sehnsucht nach verlornem Glücke,
Und trostlos spät in der Allee
Mein Blick nach einem holden Blicke.
(S. 42)
_____


Hin durch den Saal, den kerzenhellen, schritt ich,
Wo wir so oft vorzeiten uns gesehn.
Und wieder sah mein Geist dich. Schweigend litt ich
Und blieb gesenkten Hauptes seufzend stehn.

Licht durch den Dämmer der Erinnrung tagte
Mir auf ein gleicher Tag am gleichen Ort,
Wo ich im Wahnsinn dir mein Sehnen klagte
Und dir im Wahnsinn sprach der Liebe Wort ...

Berauschend tönen mir dieselben Klänge,
Berauschend rinnt derselbe Duft um mich,
Da wir hinschwebten durch die bunte Menge
Und du mir flüstertest: "So sprich doch, sprich!"

Es glüht mein Hirn zum glühen Herzensschlage,
Und übermächtig drängt's mich fort und fort,
Daß ich im Wahnsinn dir mein Sehnen klage
Und dir im Wahnsinn sprech der Liebe Wort.
(S. 44)
_____


Alte Briefe

Vergessen längst, bedeckt mit Spinneweb und Staube,
Wie tut ihr traut und lieb euch meinem Herzen kund!
Was längst der lauten Welt gefallen war zum Raube -
Erstanden ist es nun auf meiner Seele Grund.

Noch immer spricht zu mir aus den verblichnen Zügen
Vertrauensseligkeit und Hoffnung, Liebesglut;
Und diese Worte all, dem Herzen einst entstiegen,
Vom Herzen treiben sie zur Stirn mir alles Blut.

Verurteilt habt ihr mich, ihr stummberedten Zeugen
Des Lenzes, der mich einst empor zum Himmel trug;
Wie damals sprecht ihr jung und heilig und treueigen,
Da grausam mahnend uns die Trennungsstunde schlug.

Und ich verriet das Herz, das mir so treu verblieben!
Ich suchte außerhalb der Liebe noch ein Glück!
Ich stieß zurück die Hand, die segnend euch geschrieben,
Und zog ins fremde Land, von eitlem Wahn getrieben,
Auf Nimmerwiedersehn mit kaltem, klarem Blick! ...

Ihr schaut gerührt mich an in mildem Allvergehen
Und flüstert mir ins Ohr der Liebe Kosungswort -
Doch nie kann auferstehn mein Herz zu neuem Leben,
Und diese Zeilen wäscht kein Strom von Tränen fort!
(S. 48)
_____


Ein lichtes Plätschern hielt gebannt mich wundersam.
Im Flusse durchs Gezweig sah eine wunderbare
Gestalt mein scharfer Blick. Sie regte sich, sie schwamm
Und ich erkannte - sie am schwarzen Lockenhaare,
Wie an den Hüllen auch am Ufer auf dem Sand.
Und ganz Verwirrung ward mein Herz und ganz Verzücken,
Als ich zerreißen sah das Kristallgewand
Und in den weichen Kies den Fuß, den jungen, drücken.
Nun bot sich völlig mir der nackte Reiz zur Schau;
Er starrte blickend weiß und schauerte und glühte ...
So fröstelt warmen Safts im kalten Morgentau
Der keuschen Lilie schneehelle, straffe Blüte.
(S. 51)
_____


Wenn dein Auge ins Auge mir sieht
Und dein Lächeln das Herz mir durchglutet,
Singt nicht dir meine Seele ihr Lied -
Nein, der Schönheit, die hell dich umflutet.

Von der Nachtigall heißt es, sie sei
In die Rose verliebt, und ihr sänge
Jede Mitternacht sehnsuchtgetreu
Sie die seligsten seelischen Klänge.

Doch der Blumen Gebieterin steht
Starr und stumm zu dem minnenden Flehen ...
Wenn ein Lied dank der Schönheit entsteht -
Wird die Schönheit auch liedlos bestehen.
(S. 54)
_____


Voll Glanznacht schwieg der Park. Im dunklen Saale lagen
Die Mondesstrahlen uns zu Füßen. Es entklang
Des Flügels Saiten leis ein Beben und ein Klagen -
Und auch mein Herz war ganz Erzittern, ganz Gesang.

In Tränen aufgelöst, sangst du, du seist die Liebe,
Und reicher künde sich die Liebe nimmer hier.
Und leben wollt ich dir allein im Weltgetriebe,
Um, Brust an Brust gepreßt, zu weinen über dir ...

Und Jahre schwanden hin. Und wieder klingt durch Tränen
In stummer Mitternacht mir deiner Stimme Schall;
Und deinen Seufzern hör ich's, wie dereinst, enttönen -
Daß du die Liebe bist, das Leben und das All.

Und mir auch sagt das Herz in seligem Erbeben,
Daß keinen andern Zweck das Dasein habe hier -
Als deiner Liebe nur und deinem Sang zu leben
Und, Brust an Brust geschmiegt, zu weinen über dir.
(S. 55-56)
_____


Ich leide noch - du hast schon ausgelitten!
Mich hält der Zweifel noch in seinem Bann -
Und dennoch will mein Herz sich nicht erbitten,
Was die Vernunft mir nimmer deuten kann! ...

O, welche Sonne ging uns auf! Welch Glühen
Im Widerschein des höchsten Liebesglücks! ...
Es mußte ja der Mai berauscht erblühen
Beim Abglanz deines wohlverwandten Blicks! ...

Erloschen nun ist dieser Blick! ... Mag stehen
Als Schreckgespenst auch Tod und Grab vor mir -
Ich neide dir dein ewiges Vergehen!
Dahin, dahin ins Nichtsein, - doch zu dir!
(S. 56-57)
_____


Es lockte mich mit seligem Berücken
Dein Seelenstrahl, so keusch und sonnenlicht;
Er weckte machtvoll schweigendes Entzücken,
Allein er scheuchte rings das Dunkel nicht.

Mag um uns her mit Fluch und Vorwurf gellen
Der wüste Schrei: "Es ist ein Fiebertraum!"
Ich trete mit dem Fuß des Meeres Wellen
Und schreite sicher durch den Brandungsschaum.

Ich trage deinen Strahl durchs Erdenleben
Als unsres Doppeldaseins doppelt Glück.
Nun ist dir die Unsterblichkeit gegeben!
Ich feire sie - sei's nur im Augenblick!
(S. 58)
_____


Sagt, warum tu ich mit allen freundlich,
Und mit ihm nur menschenscheu und feindlich?

Sagt, warum will ich ihn meiden immer,
Und kann dennoch ihn vermeiden nimmer?

Sagt, warum, sobald er mich verlassen,
Muß ich alle, alle Menschen hassen?

Sagt, warum, wenn wir zuzweit geblieben,
Muß ich ihn durch meinen Hohn betrüben?

Sagt, warum - mag's noch so seltsam scheinen -
Muß ich dann bis an das Frührot weinen?
(S. 60)
_____


Gestern grellten und hallten die Höhn
Von dem Blitz und dem Donnergedröhn.

Ich gedenk dieses Gestern, der Zeit,
Wo du antatst mir bitteres Leid.

Blassend zogst du dich, schweigend, zurück
Mit gesenktem, verloschenem Blick.

Endlich kamst du und sagtest in Hast,
Daß du alles begriffen nun hast,

Daß nichts frommt das Bedauern und Reun,
Daß zu eng ist die Erde uns Zwein,

Daß die Liebe den Atem uns stickt,
Daß sie Geist uns und Seele erdrückt,

Und daß fest du beschlossen ... Doch jäh
Dröhnte hallend die grellende Höh.

Du verstummtest und schmiegtest dich bang
An mein Herz ... O Gewitter, hab Dank!
(S. 61-62)
_____


Ihr trauten Seiten, muß ich euch noch einmal sehen?
O, wie voll Rührung sich mein Herz in Furcht verzehrt,
Daß fremde Hände einst den bunten Staub verwehen
Von diesen Blumen, die nur mir sind lieb und wert!

O, wie ist alles doch so nichtig und so kläglich!
Ein Menschenleben schwand in schweren Opfern hin -
Und schlägt nur in der Brust als Wehmut mir unsäglich,
Und diese Blumen sind sein einziger Gewinn!

Doch heilig sind sie mir, denn mein vergangnes Leben
Ist ohne sie nur noch ein krankes Wahngesicht.
Ja, ohne sie kann mir dies Sein nur Jammer geben,
Und die Vergebung find ich ohne sie hier nicht!
(S. 64)
_____


Ahn ich dich - steh ich erschüttert,
Kommst du - schlägt das Herz mir kaum,
Sprichst du - schweigt mein Herz und zittert ...
Bist du's, bin ich's, ist's ein Traum?

Deines Kleides Duft und Wehen,
Meines Kopfes Nacht und Licht -
Nein, ich darf den Blick nicht heben,
Weil zuviel mein Blick dir spricht!

Doppelmienen, Truggebärden -
Oder bin ein Knabe ich? ...
Gott, mein Gott, was soll das werden?
Wie beneid ich selber mich!
(S. 65-66)
_____


Hier, auf dem schwankenden Steg,
Sehn ich mich zitternd nach dir.
Hier, diesen heimlichen Weg,
Wolltest du kommen zu mir.

Leis weint die Mücke daher,
Leis rinnt das Blatt voll Verzicht;
Schärfer stets wird mein Gehör,
Schärfer stets wird mein Gesicht.

Schwer prallt der Käfer vom Baum,
Jäh stummt sein surrendes Lied;
Bang lockt ihr Lieb, wie im Traum,
Heiser die Dommel im Ried.

Säuselnd im Mondesgeglänz
Geht das Gesträuche zur Ruh ...
Ach, wie's erduftet nach Lenz! ...
Lieb, das bist du, das bist du!
(S. 69)
_____


Mein Herz verstummt in neuem Leben
Und zittert heiß:
Mit Blumen du - und dir zuneben
Ich kranker Greis!

Allein du herrschest allerwegen
Wie Sonngeglänz.
Ja, wo dein Blick spricht seinen Segen -
Wird alles Lenz!
(S. 70)
_____


Wie so leicht ist mit dir mir, so wohl!
O liebe mich ... nur diese Stunde ...
Und schenk mir der Liebe Symbol -
Diese Rose - mit lächelndem Munde.

Wenn die Liebe das Herz dir einst bricht
In des Lebensgewitters Getose -
Wirst du finden in meinem Gedicht
Diese ewigliche duftende Rose.
(S. 70)
_____


O wie reich hat bedacht die Natur
Meine Träume! ... O komm, sei die Meine!
Bunte Perlen entnehm ich der Flur
Und dem Himmel - vieledle Gesteine.

Sei die Meine! Komm furchtlos zu mir!
Farben hab ich und zaubrische Töne;
Alle geb ich als Huldigung dir
Um ein flüchtiges Kosen, du Schöne ...

Doch es darf keine Blume dir blühn
An dem Busen mit lockenden Grüßen,
Und nicht dürfen im Auge dir sprühn
Die vergiftenden Flammen, die süßen!

Und es darf deine Wange nicht warm
Überhaucht von der Schämigkeit werden -
Denn dann bin ich so elend, so arm
Und so hilflos, wie niemand auf Erden!
(S. 71)
_____


Nein, nein, ich bin dir treu! Ob auch mein Haar ergraute -
Ich war und bin dein Sklav in alter Liebesglut;
Und meiner Ketten Gift, daß schmerzlich-süße, traute,
Entflammt noch immer mir das Blut.

Ich weiß, uns trennt ein Grab, des Abgrund nicht zu messen,
Nun einem andern Grab ein jeder Tag mich weiht -
Doch glauben kann ich's nicht, daß mich dein Herz vergessen,
Denn du bist hier, vor mir allzeit.

Ja, ich erkenne dich, wenn im Vorüberschreiten
Ein ander hold Gebild mein trunknes Auge sieht.
Mein Herz fühlt einen Hauch verwehter Zärtlichkeiten
Und zitternd sing ich dir mein Lied.
(S. 71)
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Horch, welch seltsamer Ton! Klagt die Schnepfe im Moor,
Weint das Käuzchen im schweigenden Hain?
Wie die Liebe erklingt's, die ihr Liebstes verlor,
Wie ein Mahnen voll einsamer Pein.

Ist's ein krankes Geträum, das so bang zu mir spricht
Aus dem schluchzenden, sehnenden Ton? ...
Doch ich brauche nicht Worte, noch Blicke, noch Licht -
Wo du bist - sagt dein Atem mir schon!
(S. 72)
_____


Der lichte Tag entflammte unser Blut.
Wie warst du schön! Wie suchtest du das Schöne!
Du schwärmtest mir von deiner Liebesglut -
Mir aber ahnte, daß kein Glück sie kröne.

Allein mir, Blinden, war die Ahnung fern,
Daß, wenn die Nacht sich senkt auf unsre Erde -
Mir deine Seele, deiner Schönheit Stern,
Aus unerreichter Weite strahlen werde;

Daß, ewiglich getrennt, wir einst verstehn,
Wie wir verschmäht des Glückes reichste Gabe,
Und daß in Sehnsucht wir nach ihr vergehn,
Bis jeder einzeln steht an seinem Grabe.
(S. 72)
_____


Ich brauche des Glückes jäh bleichenden Schimmer,
Die Worte und Blicke des Mitleides nimmer!
Laß schluchzen mein Herz für und für!
Ja, laß in das Kissen die Stirne mich pressen,
Die Erde, den Himmel, mich selber vergessen
Und atmen - nur Liebe zu dir!

O, könntest du's ahnen, wie wonniglich-trübe,
Wie wahnsinnig-selig die einsame Liebe
Das Herz mir berauscht und betört -
Du wandeltest schweigend auf luftigem Stege,
Daß nichts mir auf deinem erduftenden Wege
Den Schlummer, den fiebernden stört ...

Kaum hat sich in lenzige Nächte gekleidet
Der knospende Hochwald - da jubelt und leidet
Die Nachtigall, schmachtet und glüht;
Doch brütet die Nacht ob der Erde nicht länger -
Erwacht der vom Frührot ernüchterte Sänger -
Und hin ist das Glück und das Lied!
(S. 72-73)
_____


Ich liege schlummerlos in stummer Mitternacht,
Und in mein starres Auge sehen
Die Götzen, denen einst ich Opfer dargebracht,
Mit herbem Vorwurf, mildem Flehen.

Ich liebe wiederum und bin geliebt aufs neu,
Mein Geist durcheilt die fernen Tage -
Derweil das Herz mich quält mit mitleidloser Reu
Und ungerecht gestrenger Klage.

Die treuen Freunde stehn im Halbkreis um mich her,
Bald ernster blicken sie, bald milder;
Doch keinerlei Altar erschaut mein Auge mehr:
Es sind entthronte Götterbilder!

Und wieder wird mein Herz der Freundschaftsgluten Raub -
Doch anders fühl ich's glühn und strahlen!
Mir ist, sie stiegen selbst zum Erdenstaub
Von ihren hehren Piedestalen.

Und nur der Göttinnen unnahbar strenger Chor,
Mit Blicken, gnadenlos beredten -
Auf unerreichter Höh ragt er, wie einst, empor
Und lauscht verächtlich den Gebeten.

Aus müdem Lid hervor sucht sie mein Blick und sieht
Sie spöttisch schauen auf mein Flehen,
Derweil am Fußgestell der Hoffnung Weihrauch zieht,
Um wieder spurlos zu verwehen.
(S. 73-74)
_____


Willst du, daß hüllenlos dir meine Seele sich weis -
Lies alsdann dieses Heft mit Sammlung und Fleiß.

Läßt sich mit nüchternem Blute vertrauen dem Blatt,
Was dem Berauschten die Muße anvertraut hat?

Nennen kann dir den Namen der Blume mein Mund,
Ihren Duft und mein Herz - tut die Muse dir kund.

Künden kann dir mein Mund, wie ich grenzenlos dich lieb -
Künden wird dir die Muse, wie krank ich und trüb.
(S. 74)
_____


Die Rakete

Die Seele flammte glüh in mir,
Doch scheucht ich nicht das nächt'ge Dunkel;
Erhoben hatt' ich mich vor dir
Im stolzen Fluge voll Gefunkel ...

Ich folge meinem Dichtertraum
Und fliege in den Tod voll Sehnen,
Um seufzend aus dem Himmelsraum
Zu weinen lichte Feuertränen.
(S. 74)
_____


Laß ab, durch Vorwurf und durch Grollen
Zu wühlen in der Seele mir!
Verstatte mir, dem Reuevollen,
Zu liegen auf den Knien vor dir!

Du strahlst und schwebst im Himmelsscheine. -
Gönn mir das Übermaß des Glücks:
Mich zu berauschen an der Reine
Und Schöne deines Seelenblicks!

O laß mich schaun, wie Sternenflimmer
Dein Wesen wie ein Flor umblinkt,
Wie diese Welt vor deinem Schimmer
In blauer Finsternis versinkt!

Mir ist so wohl im Selbstvergessen,
Mir schlägt das Herz so wonnig-bang,
Wenn ich vermag zurückzupressen
Des heißen Schluchzens wilden Drang!
(S. 74-75)
_____


Spätrotumglänzt, wie im Schlummer, im Traum,
Flüsterst du mir; ich verstehe dich kaum,
Aber ich fühle dein Kosen so heiß.
Hörst du, was traumhaft ich stammle dir leis?

Diese verfachende Sonne gleicht dir:
Also verglühst du und gehst du von mir.
Aber der Sonne, sobald sie verblich,
Folget das Spätrot. Das Spätrot - bin ich.

Wonniglich ist es, dein Feuer zu sprühn,
Wonniglich auch, dir im Tod zu verglühn! ...
Ach, hat der Morgen vom Schlaf dich geweckt -
Folg ich dir nimmer, vom Lichtglanz geschreckt.
(S. 76)
_____


Aus dem Lichtglanz, dem Menschengewühle
Schlichen fort wir, auf uns nur bedacht ...
Nur wir zwei in der schattigen Kühle,
Und als dritter - die blauende Nacht.

Selig zittern und bang unsre Seelen
Und verschmachten nach heimlichem Glück.
Vor der Welt können alles wir hehlen,
Vor den Sternen jedoch - keinen Blick!

Und nun sieht in dem silbrichten Scheine
Diese Sternnacht, von Düften umraucht,
Nur das Ewige, Schöne und Reine -
Das sie selber ins Herz uns gehaucht.
(S. 76)
_____


Wie klingt doch das Menschenwort rauh
Und fremd der Sprache der Musen! ...
Mit neidendem Blick erschau
Ich die Rose an deinem Busen.

Sie öffnet den Kelch und spricht:
"O, gleiche stets meinem Herzen:
Sei herrlich, jung und licht
In Wonnen, wie in Schmerzen!"

Nun welkt am Busen sie dir
Im letzten, seligen Grüßen,
Und wirft ihre duftige Zier
Dir huldigend zu Füßen.
(S. 76-77)
_____


Unter dem Einfluß von fremdem Gebot,
Strahlt mir dein Blick ein geheimes Verbot.

Doch mich befeuert die Glut, die versteckt
Dir deine Wangen verräterisch deckt.

Mut gibt mir ein diese nachtende Luft,
Mut dieser Blumen ersterbender Duft,

Mut dieses Baches süß raunender Klang,
Mut dieser Nachtigall lockender Sang.
(S. 77)
_____



Auf der Schaukel

Wieder stehen im zitternden Mond
Wir zusammen auf schwankendem Brette;
Wieder halten wir fest uns am Strick
Und schleudern uns auf um die Wette.

Wie du stolz bist, wenn hoch über mich
Du dich aufschwingst zu drohender Höhe!
Wie ich stolz bin, wenn tief unter mir
Ich an sicherer Erde dich sehe!

Zwar ein Spiel ist es nur, doch es kann
Sich hierbei auch was Ernstes begeben ...
Ach, mit dir, o Geliebte, vereint
Spiel ich freudig sogar mit dem Leben!
(S. 77)
_____


Und bietet auch mein Los der Erde Glück mir nicht -
Warum gemahnst du mich kalt lächelnd an mein Elend?
Warum gestattest du im Traumbild, im Gedicht
Mir nicht zu lieben dich, mich wonnevoll zerquälend?

Und wenn ich dir sogar mein heißes Flehn gesteh -
Warum verwehrst du mir mein schüchternes Bekennen
Und senkst die Wimpern nicht, die seidnen, daß nicht seh
Mein Blick in deinem Blick des Unmuts Glut entbrennen?

Du liebst mich nicht, ich weiß. Doch warum willst du mir,
Sei's durch Verstellung auch, nicht lindern meine Qualen,
Damit ich im Gebet mich könnte nahen dir
Und aufs Papier dein Bild in Versen könnte malen?
(S. 78-79)
_____


Des Hauptes Linien, die klaren,
Voll idealer Poesie,
Nicht Abbruch haben sie erfahren,
O nein - gewonnen haben sie!

Dein Blick schaut nicht mehr unschuldbange,
Doch deine Seele strahlt so süß,
Als wüßte nichts sie von der Schlange
Und dem verlornen Paradies!
(S. 79)
_____


Ich liebe noch, ich leide noch,
Geblendet von der Schönheit Schimmer,
Doch trotz der Leiden kann ich doch
Entsagen deiner Kosung nimmer!

Solang ich an der Erde Brust
Den Atem führe, selbst in Qualen -
Wird mir des jungen Lebens Lust
Verjüngend in die Seele strahlen ...

So birgt in dunkler Erdengruft
Die Wurzel ihre Lebenssäfte
Und sucht beim Tode neue Kräfte,
Zu keimen in der Frühlingsluft.
(S. 79)
_____


Kann's nicht sagen, nicht verstehen:
Muß ich, Lieb, dich immer sehen,
Um zu singen für und für?
Und vermag dein lachend Lauschen
Lebensfreudig zu berauschen
Jedes meiner Lieder mir?

Oder - was noch wunderbarer -:
Wird mit jedem Liede klarer
Mein Gemüt, das sonst so trüb?
Und erstrahlst aus diesem Grunde
Bis zum Schmerz mit jeder Stunde
Lebensfroher du, mein Lieb?
(S. 79-80)
_____


Hätte mein Herz dich nicht also gekost und geliebt -
Hätte nicht mein Wort so gekränkt und betrübt:
Jede Verstellung würde entfremden dich mir
Und den letzten Funken verlöschen in dir.

Glaubst du, ich kann nicht mehr leiden und schweigend dich sehn?
O, ich könnte in schweigendem Leiden vergehn!
Aber, spräch anders ich - löge mein Mund und Gesicht,
Dich aber anschaun und lügen - noch kann ich es nicht!
(S. 80)
_____


Den ganzen Tag, vom frühen Morgen,
Hast du in wehem Drang verbracht;
Es lächeln dir in müden Sorgen
Die Lippen selbst um Mitternacht.

Zu Füßen will mein Herz dir sinken
Voll hoffnungsstolzem Liebesglück,
Denn meine Seele will's bedünken,
Als blühe sonniger dein Blick.

Ich kann's nicht deuten, nicht entscheiden,
Was heimlich mir dies Feuer loht:
Verflammt ein Abendrot voll Leiden,
Flammt wonnig auf ein Morgenrot?
(S. 80)
_____


Wenn der Tag kaum verglüht
Und der Mond steigt herauf -
Bricht im tiefsten Gemüt
Eine Rose mir auf.

Ihres Dufts bin nur ich,
Bist nur du dir bewußt -
Denn die Rose und dich
Wahrt als Hort meine Brust.

Durch die Gartennacht stumm
Such ich dich allerwärts ...
Ach, wie's duftet ringsum! -
Lieb, das duftet mein Herz!
(S. 81)
_____


Verhöhnt mich nur! Mir ist die Freiheit teuer;
Nicht die Vernunft beherrscht mich, nein, das Blut -
Denn die Natur beseelt mein Herz mit Feuer,
Und preisen drum will ich der Liebe Glut.

Mein Meister ist des Lenzes Jubelklingen,
Mein Muster ist der Vögel Wonnegruß.
So wie ich lebe - also muß ich singen,
Und also leb ich - daß ich singen muß!
(S. 81-82)
_____


Der Winter, der starre, ging zögernd zu Ende;
Wir sahen uns endlich aufs neu,
Wir drückten uns glühend die kaltenden Hände
Und weinten und weinten dabei.

Es hielt uns geschieden die menschliche Tücke,
Doch wahrten wir fest uns die Treu;
Wir tauschten verstohlen die sehnenden Blicke
Und weinten und weinten dabei.

Da lachte der Lenz unserm liebenden Leide,
Wir atmeten selig und frei;
Wir saßen im Schatten der trauernden Weide
Und weinten und weinten dabei.
(S. 82)
_____


Wohl fliegen meine Träume wie im Schwarme
Zu Füßen dir -
Doch soll kein Wort von meinem Liebesharme
Entschlüpfen mir.

Und stammen wir auch aus verschiednen Zeiten -
Uns eint ein Licht;
Doch ach, ein sonderes Verstehn und Deuten
Vereint uns nicht ...

In meines Herzens Tempel will ich treten,
Das Haupt geneigt,
Und dort zur ewig holden Jugend beten,
Das Knie gebeugt.
(S. 83)
_____


Wohl sag ich dir, daß ich dich liebe ohne Grenzen
Um deiner Stimme Gruß, um deiner Locken Flut,
Um deiner Wangen Hauch, um deiner Schultern Glänzen,
Um deiner Brauen Schwung, um deiner Augen Glut ...

Doch das sind Steinchen nur und Blumen, duftig, blitzend,
Die sich im Lenz ein Kind zusammenliest und -pflückt
Und sie der Mutter schenkt, auf ihrem Schoße sitzend,
Und ihr in stummer Lust ins treue Auge blickt.
(S. 83)
_____


Nein, nenne mich nicht fühllos und verschlossen,
Wenn stumm mein Blick schaut in das Auge dir:
Sind doch zum langersehnten Glück die Sprossen,
Fast wie das Glück selbst, lieb und teuer mir.

Ich selber will die Zweifel mir nicht rauben,
Denn schöner als das Sein gilt mir der Schein;
Und weiß ich's auch - so möcht ich's doch nicht glauben,
Daß nichts uns trennt, daß endlich wir allein.

Nicht eilt mein Kuß aus flammendem Gemüte
Zum Munde dir, der mich verheißend grüßt:
Die Bienen, die da summen ob der Blüte,
Sind holder, als die stumm der Kelch verschließt.
(S. 83-84)
_____


Jedesmal, hör ich dies Vöglein singen -
Flattert mir das Herz vor heller Lust;
Jedesmal, hör deinen Schritt ich klingen -
Muß ich seufzen, stumm, aus tiefster Brust.

Ohne zu erröten, zu erblassen,
Bleibst du, milde strahlend, vor mir stehn ...
Wie verstehst du's nur - ich kann's nicht fassen -
Weder mich zu hören, noch zu sehn?

Ich jedoch erblasse und erröte!
Büßen wirst du mir für meine Pein:
Ohne Wolken in der Morgenröte
Darf man nicht so jung und strahlend sein!
(S. 84)
_____


Wieder hör ich, blaß und rot,
Deine Stimme schallen.
Scheiden, Meiden - bittre Not,
Bitterste von allen!

Hätt' ich früher es gewußt,
Was ich mir erkoren -
Hätt' ich alle Liebeslust
Zeitig abgeschworen!

Nimmermehr hätt' ich im Feld
Tags mit dir gescherzet,
Hätte nimmer dich im Zelt
Mitternachts geherzet!

Fest aufs Herz, bevor es bricht,
Will die Hand ich pressen ...
Du, du kennst die Liebe nicht,
Ich nicht - das Vergessen!
(S. 86-87)
_____


Lebwohl! O, hundertfach gesegnet
Sei mir der Augenblick, da dir
Zum erstenmal ich war begegnet,
Und du entflammt die Seele mir!

Ein Engel holder Kinderträume,
Ein Vöglein bei des Tags Beginn -
So schwangst du durch des Himmels Räume
Mir die verliebte Seele hin.

Von Dank erfüllt ist diese Seele
Und ganz von Leidenschaft durchglüht;
Drum will ich, daß sie nichts dir hehle,
Was täuschen könnte dein Gemüt.

Daß uns zwei sondre Wege scheiden,
Warst du dir selber wohl bewußt ...
Drum will vergessen ich in Leiden
Den unersetzlichen Verlust.

Noch herrlicher erblüht, wirst zwingen
Auch du dich zum Vergessen wohl ...
Drum um so wehmutvoller klingen
Darf dir mein letztes Lebewohl!
(S. 87)
_____


Wieviel, o Leben, gäb ich meiner Tage dir,
Um einen Abend nur von ihr mich nicht zu trennen,
Um mit der Blicke Wort zu sagen alles ihr,
Um diesen Abend nur mein eigen sie zu nennen!

Daß auf dem Haupte mir die lilienweiße Hand
Sorglosen Fingerspiels gemach das Haar zerwühle,
Daß von dem Herzen mir die Sorge sei gebannt,
Daß dieses Herz sich nur im Bann des Glückes fühle;

Daß in den Augen ihr nur eine Träne beb,
Die Träne, der ich nachts so oft in Tränen dachte;
Daß meine Seele ihr auf alles Antwort geb,
Was sie zum Ebenbild der höchsten Gottheit machte!
(S. 88)
_____


Vergebens werd ich mich im Weltgewühl verlieren,
Um in der Menge dich, Geliebte, zu erspähn:
Nie wird mein Los mich mehr mit dir zusammenführen,
Nie wird mein Auge mehr dein Sonnenauge sehn!

Nur einmal strahltest du im wüsten Weltgetriebe
Als Traum an mir vorbei und nicktest hold mir zu ...
Ach, schnell entflieht das Glück, die Jugend und die Liebe,
Die Hoffnung und der Ruhm - doch schneller noch bist du!

Aus deinem Blicke trank mein Blick ein neues Leben,
Von neuer Wahrheit ward die Seele mir erfüllt;
Ich sah vor mir die Nacht im Morgenrot verschweben
Und sah im wachen Traum vor mir dein holdes Bild.

O selig-süßer Traum, vom Augenblick geboren!
Vor Sehnsucht bricht mein Herz! ... Ich denke dein, nur dein!
Ich suche dich, nur dich, im Weltgewühl verloren;
Mein Leitstern ist mein Traum - bist du, bist du allein!
(S. 88-89)
_____


Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)

Aus: Gedichte von A. A. Feth
Autorisierte Verdeutschung im Versmaß
des russischen Originals von Friedrich Fiedler
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1903

 

 

Biographie:

Fet, Afanasij Afanas'evic (ab 1873; eig. A. A. Sensin), russ. Lyriker, 29. 10. (11.?) 1820 Novoselki b. Mcensk (im ehem. Gouv. Orlov) - 3. 12. 1892 Moskau; Vater Gutsbesitzer A. N. Sensin, Mutter Ch. Fet (Foeth); 1838-44, Stud. Lit. Moskau. Freundschaft mit A. Grigor'ev, 1840 Erstlingswerk Gedichtband
'Liriceskij panteon', 1845-58 Kavallerieoffizier, Bekanntschaft mit I. Turgenev, verwaltete später s. Gut, war als Friedensrichter tätig; in den 60er Jahren wegen s. tendenzfreien Lyrik von der liberalen Kritik befehdet und von 1865 an nicht mehr erwähnt,
schwieg er lange als Dichter. Stand in engen Beziehungen zu L. Tolstoj. - Knüpft im Frühwerk an Stil und Thematik Batjuskovs, Del'vigs und anderer aus dem Kreis um Puskin an, nimmt die Ästhetik des harmon. Maßes als Richtschnur; geht von e. durch
Anschaulichkeit, Deutlichkeit, klare Bildhaftigkeit gekennzeichneten Dichtung dazu über, gleichsam in zarten Pastellfarben intime seel. Zustände, durch äußeren Gegenstand veranlaßte flüchtige Emotionen, Unbewußtes, Träume, Phantasien in Poesie umzusetzen, läßt die Verse zu Improvisationen werden, verstärkt mit stilist. Mitteln, mit der Art der Verteilung von Hebungen und Senkungen im Satz das melod. Element, s. Vers ist überaus musikal. Setzt die Tradition Zukovskijs fort, beeinflußt bes. Bal'mont. S. Themen sind Liebe, Tod, vor allem die Natur, die er aus der Fülle der durch sie hervorgerufenen Empfindungen
erstehen läßt. Wurde in den 70er Jahren begeisterter Anhänger Schopenhauers, gab in s. Lyrik dem philos. Gedanken Raum; die Verse s. letzten Jahre leiten bereits zu den Anfängen des Symbolismus hinüber. Hat auf den Dichter Vl. Solov'ev, auf Blok und F. Sologub gewirkt. E. der großen russ. Lyriker, auch als
Übs. bedeutend; übersetzte Horaz, Ovid, Catull, Vergil, Goethes 'Faust' I und II in Versen, Schopenhauers 'Welt als Wille und Vorstellung'.
Aus: Autorenlexikon: Fet, Afanasij Afanas'evic, S. 2. Digitale Bibliothek Band 13: Wilpert: Lexikon der Weltliteratur.



 

 


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