Ugo Fleres (1851-1939)
italienischer Dichter
Sprich, woher die finstre Grille,
Alle Dinge schwarz zu sehn,
Breitend eines Bahrtuchs Hülle
Über das, was hold und schön?
Böse Menschen mag es geben,
Doch auch edle fand ich schon -
Sage, sahst du sie nicht eben,
Wie sie trat auf den Balkon?
Willst du mit der Hand erfassen,
Was erreicht das Auge kaum?
Was im Dunkel ward gelassen,
Nennst du einen Lügentraum?
Ob ein Gott regiert das Leben,
Ob ein blindes Ungefähr,
Weiß ich's? Aber sahst du eben,
Wie sie grüßte zu mir her?
Armer, du verlorst den Glauben
An die Kunst, die wir verehrt,
Möchtest nun auch mir ihn rauben,
Rühmst mir als des Schweißes werth
Dieser heut'gen Welt Bestreben,
Nur um schnödes Gold bemüht -
Aber sahst du sie nicht eben,
Wie ihr Lächeln aufgeblüht?
Heute, Freund, ist klar der Himmel.
Um mich her im Frühlingswind
Schwirrt der Vögel bunt Gewimmel,
Und ich werde neu zum Kind.
Schilt's ein selbstisch Überheben,
Sprich der Götterwonne Hohn -
Ach, du sahst wohl nicht, wie eben
Sie gelacht auf dem Balkon?
(S. 192-193)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang Neue Folge
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 5
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 2002
(Nachdruck der Ausgabe Stuttgart Berlin 1905)