Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Giuseppe Giusti (1809-1850)
italienischer Dichter




An die ferne Geliebte
(1836)

Nun hält dich am tyrrhenischen Gestade
Heilkräft'ge Flut, einsame Pilgerin,
Und durch so weite Pfade
Der Lüfte dringt kein Seufzer zu dir hin,
Nicht kühlst du mir den Brand
Der bittern Zähren mit der lieben Hand!

Und Liebe kennst du, weißt, daß wenn die Schmerzen
Der Trennung vom Geliebten an uns nagen,
Es tröstlich ist dem Herzen,
Nach ihm die die ganze Schöpfung zu befragen.
Ach, wenn die Qualen mild
Das stumme Mitgefühl der Dinge stillt,

Wenn wir in Sommernacht, wo seine lichten
Schleier der Mond so sanft und kühl verbreitet,
Den Blick zum Himmel richten,
Und eine Thräne scheu dem Aug' entgleitet,
Die unsre Seele weint,
Weil sie gedenkt an ihren fernen Freund -

Dann strömt die Kraft, die deine Brust mit süßen
Und schwermuthsvollen Nachtgedanken füllt,
Nur aus den Seufzergrüßen
Des Liebsten, die, in Schweigen eingehüllt,
Fernher sich zu dir stehlen,
Des Wegs wohl kundig zwischen treuen Seelen.

Wenn eines Lüftchens kaum bewegte Schwinge
Die Welle kräuselt, die dich weich umfließt,
Und um dich her im Ringe
Säuselnd der Blüten Balsamduft ergießt,
Den drüben aus den Lauben
Der Gärten am Gestad die Winde rauben, -

Dann sprich: die Welle, die hier schluchzt, die Luft,
Die mit so würz'gem Athem mich umschauert,
Sie künden, daß der Liebste nach mir ruft,
Der unablässig mein gedenkend trauert,
Seit ihm der Tag enteilt
Freudlos und leer, den wir so schön getheilt!

Und wenn der Sturm heranbraus't auf den Wogen,
Die salz'ge Flut hoch schleudernd an die Küste,
Und dichte Nacht umzogen
Des Meeres einsam unfruchtbare Wüste,
Und du mit tiefem Grauen
Mußt in des Abgrunds Kampf und Toben schauen, -

Dann denk, o Liebste, wie von gleichen Qualen
Der Leidenschaft so oft dies Herz zerrissen.
Ach, wenn mit holden Strahlen
Ein Stern sich Bahn bricht in den Finsternissen,
Ist's nur dein lichtes Bildniß,
Das Frieden bringt in die empörte Wildniß.

So schweif' auch ich am Arnostrand und pflege
Zwiesprach mit dir und glaube dich zu sehn
Leibhaft auf meinem Wege
Mit süßem Troste mir entgegengehn;
Im tiefstem Busen schon
Hüpft mir das Herz bei deiner Stimme Ton.

O wohl, ich höre sie, wie sie beweglich
Mit Seufzen spricht: Geliebter Freund, entzieh
Ihr, die dich liebt unsäglich,
Dein Denken, Dichten, deine Treue nie!
Im Schutz der Lieb' allein
Vertraut sie dir, getröstet sie sich dein.

Dann warnt sie mich, dann ruft sie mich zurück
Zu sich von falschen Freunden, eitlem Hoffen.
Dir steht ein kurzes Glück,
So spricht sie, doch mit reiner Ehre offen:
Ein nie getrübter Strahl
Verklärt dir deinen Weg durchs Erdenthal.

Dich selbst erkennend, hüte Leid und Lust
Und deine Liebe vor der Welt Gewühle.
Einsam in stummer Brust
Gedenke mein, und streitende Gefühle
Laß Niemand inne werden,
Als mich, die einz'ge Freundin dir auf Erden.

Dann kehrt das theure Bild voll Himmelsfreude
Heim zu dem Geiste, der es grüßt in Treue.
In eines Engels Kleide
Erscheint als Weib verwandelt sie aufs Neue,
Wie in der Morgenluft
Ein Wölkchen schwebt in zartem Rosenduft.

So kannst du auch von fern in Wonn' und Pein
Mit mir, dem Fernen, Wechselreden halten.
Dolmetscher müssen sein
Die himmlischen und irdischen Gewalten;
Dein Leben geht und meines
In ew'gem Tausch zusammen auf in Eines.

Du weißt's, du bist mir noth; wie manche Lüge
Mußt' ich dereinst in holden Träumen spinnen!
Jetzt stehen andre Züge
Nie lieblich lockend mehr vor Herz und Sinnen.
Vor allem Süßen nun
Flieht meine Seele, um in dir zu ruhn.

Doch einsam hier mit meinem heißen Sehnen
Versagt die Kraft den Gliedern wie dem Geist.
Ach, wie sich trostlos dehnen
Die Stunden, die die Hoffnung eilen heißt!
Von tausend Müh'n umgeben
Neigt sich schon niederwärts mein junges Leben.

Vielleicht dringt nicht zu dir mein sehnlich Flehen,
Wenn schon mich überschleicht die letzte Stunde.
Nie soll ich mehr dich sehen,
Nie hangen Brust an Brust und Mund an Munde.
Dann wirst du weinend lesen
Dies letzte Lied, das mir vergönnt gewesen.

Wenn dieser wunde Geist nach Lebensmühen
Vor seinem Abend schon zur Rüste geht,
Laß sein Gedächtniß blühen
Unwandelbar in dir; und ein Gebet
Von Lippen, die erbeben
In herbem Kummer, sich zu Gott erheben.

Wir werden sterben; doch getrennt von hier
Winkt uns zu neuer Lieb' ein neuer Stern.
Dann, Liebste, leben wir
Ein bessres Leben, allem Wandel fern,
Und unser heißes Sehnen
Wird schöner dort gestillt, als wir es wähnen.

Mit sicherm Fittich ziehn von Stern zu Sternen,
Verklärte Töchter Gottes, unsre Seelen,
Um in den Himmelsfernen
Die Wunder alle, die er schuf, zu zählen
Und hochentzückt dem Rauschen
Der ew'gen Weltenharmonie zu lauschen.
(S. 243-247)
_____



An ein Mädchen
(1841)

Nicht auf der zücht'gen Wange
Der zarte Rosenschimmer,
Nicht dieser Mund, der immer
Von Unschuld überfließt,
Wenn sich das Herz ergießt mit süßem Klange;

Nicht dieses Leibes Schöne,
Die jedes Lob besiegt,
Dies Füßchen leichtgewiegt
Auf heller Freude Schwingen,
Sobald zum Tanz erklingen muntre Töne:

Nicht das hat mich bestrickt,
Daß mir das Herz erglühte:
Nein, die bescheidne Güte,
Die selten uns so golden,
So rein in einem holden Bild entzückt.

Den Augen, die hienieden
Kein süßres Gut gewahren,
Strömt aus dem lieben, klaren
Gestirn ein Thauen zu
Von kummerloser Ruh' und Engelsfrieden.

Der Himmel ist mit nichten
Versagt den Staubgebornen.
Der Herr gönnt den Erkornen,
Sein Paradies zu schauen,
Um dieser Erde Grauen sanft zu lichten.

Doch wie ein Mädchen bange
Nur leis zu athmen wagt,
Wenn sie den Spiegel fragt,
Da er vom Hauch getrübt,
Ihr sonst zu schauen giebt die Rosenwange,

So, wenn mich's drängt zu sagen,
Was mir die Brust erschüttert,
Stockt mir das Herz und zittert
In Ehrfurcht stumm und zag,
Und nur ein Seufzer mag mein Sehnen klagen.

O Kleinod, Ehrenblüte
Der Welt, o hab Erbarmen,
Und mit den weichen Armen
Sänft'ge dies wilde Herz,
Das ohne dich im Schmerz einsam verglühte!

Laß seine herbe Sendung
Den Dichter nicht entgelten;
Scheint er auch gern zu schelten
Und lachend sich zu weiden
An seiner Brüder Leiden und Verblendung:

Nur zögernd und voll Scham
Enthüllt er Wahn und Fehle.
Es treibt die ernste Seele,
Gedenk der hohen Pflichten,
Zum Rügen und zum Richten nur der Gram.

Um festen Blicks zu wachen,
Wenn Andre Siechthum quält,
Hab' ich den Blick gestählt
Im heil'gen Liebesborne,
Und traurig aus dem Zorne stammt mein Lachen.

Du aber, wenn die Menge
Mich schmäht, verschließ dein Ohr.
Sieh, wie ich mich empor
Zu deinen lichten Höhen,
Mein Heil von dir zu flehen, sehnlich dränge.

O darf ich als der Deine
Dich treu mein eigen wissen,
In Lebensfinsternissen
Trost und Vertrauen saugen
Aus deiner Schwesteraugen Himmelsreine,

Wird mein verzagt Gemüth
Erstehn zu bessrem Leben
Und sich gestärkt erheben,
Wenn neu im Heiligthume
Der Brust die schöne Blume Hoffnung blüht.

Ach, deine Stimme scheuchte
Den Bann, von dem umnachtet
Mein tiefstes Sein geschmachtet,
Und weckt mir neuen Muth,
Wie Öl mit weicher Flut die matte Leuchte.

Zurück in ihre Grüfte
Schwinden die Spukgesichte.
Das Herz, von mildem Lichte
Verjüngt, bebt wie am Strauch
Ein zartes Laub im Hauch der Sommerlüfte.
(S. 251-253)
_____



Die friedfertige Liebe
(1844)

Wie traurig, Liebste, Nerven zu besitzen,
Die nackt und bloß sind und beständig beben,
Und glücklich Die, Gott möge sie beschützen!
Die sie mit einem Futteral umgeben.
Von warmem Fett, das trefflich sie behütet,
Wenn Nebel und Scirocco Unheil brütet.

Wir kläglichen lebend'gen Barometer,
Was haben wir von unsern warmen Herzen?
Empfindlich sind wir, überspannt, in steter
Verstimmung, sei's durch Launen oder Schmerzen,
Und nicht ein Kuß wird uns vergönnt zu küssen,
Den wir, früh oder spät, nicht büßen müssen.

Ach, meine Theure, dieses Possenspiel
Nimmt eines schönen Tags ein schlimmes Ende.
Laß uns gemeinsam, eh der Vorhang fiel,
Versuchen, ob sich nicht ein Ausweg fände.
Du leidest, ich mit dir - 's ist wahrhaft kläglich;
Komm, härten wir uns etwas ab, wo möglich!

Als Gegengift für unsre armen Seelen,
In denen Liebe stets ein Fieber war,
Laß von dem stillen Bunde dir erzählen,
Der friedlich eint ein hochbeglücktes Paar,
Männlein und Weiblein, die sich so zu sagen
Vom ersten Kuß wie Käs' und Brod vertragen.

Nun schon seit einem Menschenalter kennt sich
Das Paar und betet sich getreulich an,
Doch stets vernünftig. Veneranda nennt sich
Die Schöne und Taddeo ihr Galan,
Zwei Namen, voll und rund, wie sich's gehört
Für Leute, die gesetzt und wohlgenährt.

Die Dame ist ein wahrer Carneval
Von Fleisch und Fett, mit Zügen sanft und satt,
Wie eine Henne, die im warmen Stall
Die Köchin lang mit Reis gemästet hat.
In jedem Zuge steht: "Nur sacht, ich bitte!"
Und Phlegma haucht sie aus auf tausend Schritte.

Ihr Freund, der dick und fett von Wohlsein blüht,
Gleicht einem großen B, so rundgeschwellt;
Die beste Haut, ein wahres Lammsgemüth,
So was nennt man "gemacht und hingestellt".
Mit Schnaufen schiebt sich fort die träge Masse
Und watschelt wie ein Truthahn durch die Gasse.

Im Übrigen sind Beide - zu geschweigen,
Daß ihr Charakter rein und unbescholten,
Und abgerechnet, daß, viel Geist zu zeigen,
Bei fetten Leuten nie für "Ton" gegolten -
Schön, frisch und wie gedrechselt anzuschauen,
Ein seltner Fall bei fetten Herrn und Frauen.

Wenn sie sich Abends oder Morgens sehen -
Zu festgesetzten Stunden, ganz bequem -,
So sprechen sie von Sulzen, von Geleen,
Und was sonst nahrhaft ist und angenehm.
Im Winter plaudert sie mit dem Erkornen
Vom Ofen und im Sommer vom Gefrornen.

Taddeo, wenn er zu ihr kommt, nimmt Platz
Und fragt: "Wie geht's? Der Appetit doch gut!" -
"Ich danke,"  sagt sie drauf; "und du, mein Schatz?" -
"Nicht übel, Herz." - "Und wie hast du geruht?" -
"In Einem Strich elf Stunden, meine Beste,
Und träumte, irr' ich nicht, von dir zur Sieste."

Dann ganze Stunden stumm bei ihr verdehnend,
So still wie Öl, ein Ölgötz recht in folio,
Auch wohl melodisch recht von Herzen gähnend,
Schlürft er, als wär' es Zucker und Rosolio,
Die heitre Apathie, die nie getrübt
Dies theure Vollmondsangesicht umgiebt.

Und ihrerseits die kühle Dame dort,
Lang hingestreckt, rückt jede halbe Stunde
An ihrem Strumpf um eine Masche fort,
Lacht ihren Schäfer an mit offnem Munde
Und sagt von Zeit zu Zeit mit süßen Lippen:
"Möchst du ein Gläschen Vino santo nippen?"

Denn diese Liebenswürd'ge, mußt du wissen,
Ist nicht geneigt, die Mode mitzumachen
Mit Büchschen, Fläschchen, Rococco, gewissen
Art'gen und überflüss'gen Siebensachen,
Mit denen du für unvernünft'ges Geld
Glasschrank und Tischchen wimmelnd vollgestellt.

Als gute Hausfrau, und weil ihr beschieden
Ein Freund, der völlig mit ihr gleichgestimmt,
Ist sie, statt aller Nippes, mit sehr soliden
Flacons versehn, drin geist'ge Labung schwimmt,
Mit Törtchen, Bouches-de-Dame und eingemachten,
Nur um sich nicht so trocken anzuschmachten.

Am Abend, wenn die Stunde näher rückt,
Wo Liebende sich ins Theater führen
Gähnt Veneranda, welche kaut und strickt,
Und fragt, doch ohne sich vom Fleck zu rühren:
"Mein Schatz, wie ist das Wetter?" - "Wunderschön." -
"Sei doch so gut, mal nach der Uhr zu sehn." -

"'s ist Acht." - "Schon Acht! Nun zieh' ich gleich mich an."
"Schön!" - "Aber bleibst du ungern hier allein?" -
"O nein; laß dir nur Zeit." - "'s ist bald gethan." -
Und wieder sitzen sie stumm wie die Steine.
"Taddeo, wie viel Uhr?" - "Neun Uhr." - "Nicht möglich!
Nun sput' ich mich." (Und immer unbeweglich.)

"Taddeo, sag, geh' ich im schwarzen Kleide?" -
"Ja, Herz." - "Und bind' ich die Mantille um?" -
"Thu's!" - "Aber wenn ich von der Hitze leide?" -
"'s ist wahr! laß sie zu Haus." - Dann wieder stumm.
Ein Weilchen sitzen sie sich gegenüber:
"Was ist die Uhr, mein Schatz?" - "Halb Zehn vorüber."

"Himmel! Wo steckt mein Mädchen? . . . Wie fatal!
Wir werden grad den Vorhang fallen sehen.
Was meinst du?" - "Gehn wir doch ein andermal!" -
"Auch wahr! 's ist besser, gleich zu Tisch zu gehen." -
So läuft's denn auch in gleich gemessnem Trab,
Wie man begreift, bei andern Dingen ab.

Streit, Ärger, Launen, eigensinn'ge Tücken,
Nie brachten sie den Hochbeglückten Kummer.
Die Eifersucht muß in Confect ersticken,
Der Argwohn sinkt, süßeingewiegt, in Schlummer;
Amor besucht sie nur in seinen Ferien
Und vespert, glaub' ich, bei dem trauten Pärchen.

Die Medisance (hör's, Liebste, die du leider
So wichtig nimmst, was die Fraubasen zischen,)
Die Medisance versäumte nicht, in Beider
Friedfert'ges Liebesglück sich einzumischen,
Nur um einmal zur Probe sie zu quälen
Und ihnen ein halb Stündchen Schlaf zu stehlen.

Doch ob sie auch die Hauer schliff und wetzte
Wie Ahle scharf und wohl zwei Schuhe lang,
Diesmal, als sie ins Fleisch die Zähne setzte,
Fand sie an Fett so reichen Überschwang,
Daß, eh sie bis ans Herz ihr Gift getrieben,
Noch mindestens vier Zollbreit übrig blieben.

Einmal zum Beispiel, stell dir vor, erfuhr
Die gute Veneranda, heimlich mache
Taddeo einer andern Frau die Cour,
Und sehr geheim betrieben sie die Sache.
Die Nachbarin, in mitleidsvollem Ton,
Nannt' ihr sogar das Haus und die Person.

Doch Veneranda sprach: "Ei nun, was ist da
Groß zu verwundern! Wenn's ihm Freude macht?
Er dauert mich; er ist noch jung, Ihr wißt ja.
Nur Eines scheint mir äußerst unbedacht:
Sie wohnt so weit; er läuft sich ab die Sohlen
Und kann sich leicht das Seitenstechen holen."

Ein andermal erzählten sie Taddeo,
Die arme Unschuld, Veneranda, hielte
Sich einen Lieutenant als Cicisbeo,
Mit dem sie schlau vor ihm Versteckens spielte,
So einen falschen Freund bekannter Art,
Der hinterrücks an ihm zum Judas ward.

"Wie?" sprach Taddeo, "Carlo? ist es wahr?
Der arme Carl, der mich so liebt im Grunde!
Doch wozu das Geheimniß? Sonderbar!
Ich bin ja gern der Dritt' in ihrem Bunde.
Ja, Carlo ist ein Tausendsappermenter,
Und Veneranden wohl gefallen könnt' er."

So sehn sie Wochen, Monde, Jahre schleichen
Und machen Lieb' und Leben sich bequem,
Um sachte sacht ein Alter zu erreichen
Zehnmal so hoch, wie einst Methusalem.
Und wir mit unsrer Herzen raschem Trab,
Wir werden alt und fahren nächstens ab.

O heil'ger Friede süßverbundner Seelen!
Lang lebe mit Taddeo Venerande!
Bei alle dem vergaß ich zu erzählen,
In welcher Art das Bündniß kam zu Stande.
Hab ich's noch nicht erzählt, so hör es jetzt;
's ist gleich, ob es zuerst kommt, ob zuletzt.

Sie waren aus der Nachbarschaft, zwei Tauben,
Die aus demselben Taubenschlage stammen,
Und in der Welt hier hegt man ja den Glauben:
Gott, der die Menschen schafft, paart sie zusammen;
Husten und Liebe machen sich bekannt,
Und wer benachbart ist, ist halb verwandt.

Ihr Wittwenkleid trug Veneranda noch,
Taddeo lebte frei auf großem Fuße;
Schon einmal ward - den Anlaß gab ein Koch -
Ein Briefchen ausgetauscht nebst einem Gruße.
Ein Compliment kann wenig nach sich ziehen,
Und weiter war die Sache nicht gediehen.

Doch eines Tags, als sie zu Mittag aßen
In eines Freundes Hause, froh und heiter,
Berührten sich, weil sie beisammen saßen,
Die Schultern, Ellenbogen und was weiter
Naturgemäß bei stattlicher Beleibung,
Wenn man zu enge sitzt, geräth in Reibung.

Ihr gleicher Sinn, gleich tief in fett verborgen,
Das Fünklein, das Natur der trägsten Masse
Zu leihen pflegt in treuen Muttersorgen,
Das Mahl, die Enge - Alles kam zu Passe
Und öffnete dem seltnen Paar die Augen:
Am Ende möchten sie zusammen taugen.

Nun hätte sich die Neigung gern verrathen,
Die, rings geschürt, doch blöde sich benahm.
Denn im Gedräng vom Fritto und vom Braten -
Was Wunder, wenn sie nicht zu Worte kam?
Und so, bis man die Tafel aufhob, stritt
Hart miteinander Lieb' und Appetit.

Die Andern hatten längst schon sich erhoben,
Um im Salon sich zum Kaffee zu wenden,
Als erst die Liebenden die Stühle schoben
Und auf den Tisch sich stützend mit den Händen,
Eins - Zwei - und Drei zum Aufstehen Miene machten,
Bis keuchend, schwankend sie zum Stehn sich brachten.

Dann, als man sicher auf den Füßen stand,
Bot er den schweren Arm ihr an mit Würde,
Nur bis zur Thür; dort lehnt' er an der Wand,
Und sich entladend seiner sanften Bürde
Versagt' er sich's, sie aus dem Saal zu führen;
Sie gingen ja nur einzeln durch die Thüren.

In Haus und Garten hin und her zerstreute
Sich die Gesellschaft, wie es ihr gefiel.
Doch war für unsre satten Liebesleute
Die Reise durch zwei Zimmer schon zu viel.
Sie zogen vor, sich nicht zu überhasten
Und auf dem ersten Sopha auszurasten.

Man weiß, daß Liebende zuerst mitsammen
Nicht grade sehr gescheidt zu plaudern pflegen;
Doch stehn sie beide nur recht hell in Flammen,
So kommt man sich auf halbem Weg entgegen.
Ein Jeder weiß schon, was der Andre meint,
Und hört auch, was er nicht zu hören scheint.

Nachdem sie ein halb Stündchen stumm geblieben,
Brach er das Eis, so wie von ungefähr.
"Sie schienen", sprach er, "jenen Creme zu lieben,
Signora?" - "Ei gewiß." - "Das freut mich sehr;
Und jene Drossel?" - "Köstlich!" - "Der Salat?" -
"Ganz exquisit!" - "Der Schinken?" - "Delicat!" -

"Zwar in der That, man saß ein wenig enge;
Ein Glück für mich, der neben Ihnen saß . . .
Doch bracht' ich Sie zufällig in Gedränge,
So sei'n Sie überzeugt, nicht gern geschah's!" -
"Im Gegentheil, Sie saßen sehr gedrückt -
Ich bin ein bischen stark . . ." - "Der Fehler schmückt." -

"Sie meinen?" - "Wahrlich, ein Gesicht wie dies,
Dies festlich heitre, ewig sonnenklare -"
"Ich bin gesund." - "Ein wahres Paradies!" -
"O gehn Sie! Ich bin viel zu stark!" - "Bewahre!
Ich - wenn ich dürfte - möchte wohl" - "Gestehen
Sie's frei." - "Sie etwas öfter wiedersehen." -

"Sie fänden's bald langweilig!" - "Ich? Sie scherzen!
Vielmehr, es würde stets mich neu entzücken." -
"Zu gütig! Thun sie denn . . . nach Ihrem Herzen." -
"Mir scheint, Signora, in den meisten Stücken
Stimmt Ihr Geschmack mit meinem überein.
Was meinen Sie?" - "Je nun, das könnte sein!" -

"So denk' ich denn, daß man sich's überlege,
Sich prüfe ob man's wünsche beiderseit;
Und ist es Ihnen recht, steht nichts im Wege;
Die Straß' ist eben und das Haus nicht weit.
Andre Bedenken können nicht dabei sein -
Die nächste Woche denn werd' ich so frei sein." -

So, ohne sich nur irgend zu erhitzen,
Ward dieser Bund berathen und gestiftet,
Und seit dem Tage, ganz bequem im Sitzen,
Nie von der Schwermuth trübem Hauch vergiftet,
Glomm weiter viele, viele Jahre lang
Dies Flämmchen, das dem Chylus einst entsprang.
(S. 261-269)
_____


übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)

Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Drei Satirendichte: Guiseppe Giusti, Antonio Guadagnoli, Giuseppe G. Belli
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 3
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 1999
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1889)


 

 


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