Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


August Greguss (1825-1882)
ungarischer Dichter



Zum Geburtstag

Als einst an einem Wintermorgen
Wir uns die Hand gereicht zum Bund,
Und das: "Ich Dein" - "Du mein!" geborgen
Als heil'gen Schwur sprach unser Mund;
Als Traum und Wirklichkeit erblasste
Vor uns'rer Liebe Ueberschwang:
Im Vollgefühl des Glücks - erfasste
Mich plötzlich da die Sorge bang:

Dass einst der Strom, - jetzt mächtig brausend
Als Leidenschaft - im Sand verrinnt,
Der Seelen Poesie, versausend,
Zur Eh'stands-Prosa sich verdünnt.
Dass ew'ges Beieinander trübe
Langweil' und Ueberdruss gebiert,
Ein Glück noch, wenn die heisse Liebe
In laue Freundschaft sich verliert.

Wär's besser nicht, gleich jetzt zur Stunde,
Jung, in der Liebe vollstem Glück,
Mit Kraft und Seligkeit im Bunde,
Vereint zu sterben, Blick in Blick -
Als, der Ruine gleich, zerfallend,
Vergeh'n auf langer Lebensbahn,
Langsam zerstäubend und verhallend?
Doch - damals wollt' der Tod nicht nah'n.

Und sieh', die Zeit, urewig kreisend,
Wo nur verlierend man gewinnt,
Floh, auf der Zukunft Steinbild weisend,
Dess harrend, Sand auf Sand verrinnt.
Ob zögernd auch, es floh'n die Stunden,
Die Tage eilten schneller schon,
Mond hat zum Mond sich rasch gefunden,
Und - zwei Jahrzehnte sind entfloh'n.

In dieses Kreislaufs Sturmes-Wogen
Sind tausend Bilder, immer neu,
An unsern Blicken hingezogen,
Und eilten raschen Flugs vorbei.
Des ew'gen Wechsels Flutgemenge
Gab schwindelnd, wirbelnd sich uns kund,
Dass zitternd wir vermeint, es dränge
Auch uns in seinen finstern Schlund.

Rasch nach einander uns umwarben
So Tagesglanz wie nächt'ges Grau'n,
Des ird'schen Daseins Wechselfarben,
Gar bunt im Wirrwarr anzuschau'n.
Sah'n ab manch Freundes Herz sich kehren,
Im Tross nur Selbstsucht, Hohn, Verrath,
Hamlet's "Sein-Nichtsein's" Qual sich mehren,
Voll Blut und Graus der Heimat Pfad.

Wie mehr mit jedem Jahre reifte
Erfahrung, Kenntnis und Verstand,
So Leid um Leid auch stets sich häufte,
Damit im innigsten Verband.
Je mehr der Kämpfe wir bestanden,
Um desto dichter wuchs die Zahl
Der Freunde, die im Grabe fanden
Die letzte Ruh' nach banger Qual.

Und in so peinlicher Beklemmung,
Bei so viel bitt'rem Missgeschick,
Bei eitel Hoffnung, Täuschung, Hemmung,
Bei kurzem Lohn, Erfolg und Glück;
Bei zähem Leid und tiefen Schmerzen.
Nicht ganz an flücht'gen Freuden leer: -
Ein's blieb unwandelbar im Herzen,
Hört' nimmer auf, wuchs mehr und mehr:

Die Flamme einstens - uns're Liebe -
Zu heil'ger Glut ward sie verklärt.
Die einst geloht im ird'schen Triebe,
Jetzt Licht und Wärme sie gewährt.
Und das Vertrau'n - ein zarter Knabe -
Erwuchs zum Mann, der hoch sich hebt,
Ein neuer Schatz ward uns als Gabe:
Das theure Einst, vereint durchlebt.

Und sieh', - beglückter bin ich heute,
Als ich an jenem Morgen war;
Des Traumes lächelndes Geleite,
Als Wirklichkeit strahlt's hell und klar.
Vereintes Leben, hell und trübe,
Gab unsren Seelen Glück und Ruh',
Und - aus der Loge unsrer Liebe
Seh'n wir dem Spiel der Bühne zu.


übersetzt von Gustav Steinacker (1809-1877)

Aus: Ungarische Lyriker
von Alexander Kisfaludy bis auf die neueste Zeit (die letzten 50 Jahre)
In chronologischer Reihenfolge metrisch übertragen
und mit literar-historischer Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen versehen
von Gustav Steinacker
Zweite Ausgabe Leipzig Joh. Ambr. Barth Buda-Pest
Grill'sche (vormals Geibel'sche) Buchhandlung 1874 (S. 347-349)

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