Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Kopf einer Thrakerin (von der Akropolis in Athen - gegen 470 v.Chr.)

 


Aus der griechischen Anthologie

(In der Übersetzung von Johann Gottlob Regis)




Aus Straton, Knaben-Muse


Laßt uns beginnen vom Zeus, nach Aratos, des Weisen, Ermahnung,

Aber euch Musen für heut will ich belästigen nicht.

Denn, wenn an Knaben ich finde Geschmack und mit Knaben verkehre,

Was doch gehet dies euch, Helikonidinnen, an?

Straton (um 130 n. Chr.)

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Priamos nicht am Altar, in meinen Täfelchen suche,

Noch auch der Niobe Leid, oder Medeens Verdruß,

Noch in der Kammer den Itys und Nachtigallen im Laubgrün:

Denn dieß haben schon breit alles die Alten erzählt -

Sondern den Eros, den Süßen, und Bromios, tanzend mit frohen

Chariten. Aber dazu paßt nicht ein mürrisch Gesicht.

Straton (um 130 n. Chr.)

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Ja, ich liebe die Weisen, und schätze die Flachs- und die Honig-

Gelben, und wieder auch sehr bin ich den Braunen geneigt;

Auch nicht Blondinnen verschmäh' ich; doch über die Maßen den kohlschwarz

Glänzenden, Feuer umher sprühenden Augen bin gut.

Straton (um 130 n. Chr.)

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Aber den freundlichen Kuß mir bewillige! den es wird wohl noch

Kommen die Zeit, wo auch du könntest begehren die Gunst.

Straton (um 130 n. Chr.)

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Gar nichts liegt mir an weiblicher Lieb'; unerlöschlich vielmehr auf

Sprühende Kohlen gebannt, schmacht' ich in männlicher Gluth.

Dies ist die heißere Hitze. Je stärker der Mann als das Weib ist,

Um so gewaltiger auch lodert das Sehnen zu ihm.

Anonym

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Traurig, wer lieblos führet sein Leben; denn weder zu schaffen

Noch auch zu sagen etwas ohne ein Sehnen ist leicht.

Bin ich doch selber so träge wie Blei jetzt; aber sobald ich

Nur den Xenophilos säh', flög' ich geschwinder denn Blitz:

Rathe drum Allen zu flieh'n nicht das süße Verlangen, vielmehr zu

Nähren. - "Für Seelen ja bleibt Eros der wetzende Stein."

Alpheios von Mytilene (um 1 n. Chr.)

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Dich auch mit Willen nicht könnt' ich zum Freunde mir nehmen, da nichts du

Bittest, noch Bittenden gibst, noch was ich gebe, begehrst.

Anonym

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Schläfre nach Heliodoros, ich flehe dich, Eros, dies immer

Wache Verlangen mir ein! ehre mein Musen-Gesuch!

Denn sonst wahrlich - das schwör' ich bei deinem Bogen, der nie wem

Schnellt die geflügelten Pfeil' als nur mir Armen, in's Herz -

Wenn du erlegest auch mich, dann ertöne die Stimm' aus dem Grabmal:

Eros' Mördergelüst sieh hier, o Wand'rer, gekühlt.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Zeus labt wieder sich wohl an der Aethiopen Gelagen,

Oder in Danaë's Bett ist er geglitten als Gold:

Denn sonst Wunder! wie hätt' er geseh'n Periandros, den Schönen,

Und nicht geraubt? oder liebt nicht mehr die Knaben der Gott?

Leonidas von Alexandria (um 60 n. Chr.)

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Send', o Apoll, unversehrt, als er schied, mir den Polemon, fleht' ich,

Heim! (.. und zum Opfer dafür dir einen Vogel versprach ..)

Aber der Polemon kam rauchwangig, o Phöbos, zurück mir;

Nicht mehr für mich; mir entfloh'n war er in bitterer Eil'.

Keinen Hahn mehr opfr' ich dir nun; und betrüge nur mich nicht,

Wenn du mir Stoppel und Stroh bietest für Aehren zurück.

Statillius Flaccus (vermutlich Ende des 1. Jh. v. Chr.)

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Schön ist Protarchos, und will nicht, wird aber wohl später noch wollen:

Denn wie im Fackellauf eilet die Jugend dahin.

Alkaios von Messene (um 200 v. Chr.)

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Aber, solang' uns auch nur ein verglimmender Funke zurückblinkt,

Karge nicht! denn der Moment ist ja der Liebenden Freund.

Phanias (um 200 v. Chr. ?)

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Denk', o denke daran, wie das heilige Wort ich dir zurief:

Jugendblüthe ist das schönste und flüchtigste Gut.

Sie überholet im Aether auch nicht der geschwindeste Vogel.

Nun aber sieh, wie im Staub all' deine Blüthen verweh'n.

Thymokles (3 Jh. v. Chr. ?)

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Gruß bot Einer dem Andern, der ihm nicht dankte. - So sagt denn

Damon, der Reizende, jetzt nicht einmal "Grüße dich" mehr?

Kommen wird aber die Zeit, die das rächt; dann wird der Behaarte

Selber noch grüßen zuerst die nichts erwiedern darauf.

Julius Diokles (um 20 n. Chr.)

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Freund Nikandros verblich; ihm entfloh'n von den Wangen ist alle

Blüth', und von Chariten auch nicht mehr der Name zu seh'n;

Dem als Unsterblichen einst wir gehuldiget. Also, ihr Knaben,

Stellt nicht den Göttern euch gleich! denn es gibt Bärt' in der Welt.

Anonym

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Ehedem war eine Zeit, wo man noch mit dem farbigen Spielball,

Wachteln und Würfeln, geschenkliebende Knaben gewann;

Nun aber ist es die Münz' und der Napf, denn es ziehen die Possen

Nimmer. Ihr Knäbler, verlegt jetzt auf was anderes euch.

Glaukos (?)

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Früh schon am Morgen verpascht hat meine Seele der Säugling

Eros im Mutterschoos, als er mit Würfeln gespielt.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Nun, da lieg' ich. Beschreite mit Fersen den Nacken du Qualgeist:

Kenne dich, weiß beim Olymp! wie zu ertragen du schwer;

Kenn' auch dein Feuergeschoß. Doch sprühe nur Gluth in die Seele;

Zündet nicht mehr, denn zu Asch' ist sie verglühet schon längst.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Trink', unsel'ger Verliebter, vom Besten! dein Knabengelüst wird

Bromois wiegen in Schlaf, der zu vergessen uns lehrt.

Trinke vom Besten! Und wenn du den Becher mit Rebengeblüt schlürfst,

Spüle vom Herzen den marknagenden Gram dir hinweg.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Asklepiades, trink! Wozu sollen die Thränen? Was quält dich?

Dich nicht allein hat die hartherzige Kypris besiegt,

Noch hat die Pfeil' und den Bogen auf dich nur alleine gewendet

Eros, der Bitt're. Warum äscherst du lebend ein?

Trinken wir Bromios' laut'res Gewächs! denn es deutet der Eos

Finger. Wie? oder verlangt dich nach der Lampe zum Schlaf?

Trinken wir also getrost, Unglücklicher! Über ein Kleines,

Wahrlich werden wir ausruh'n in der ewigen Nacht.

Asklepiades (um 285 v. Chr.)

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Günstig den Schiffern, entriß den Andragathos, ihn, meiner Seelen

Hälfte, der Süd, o die ihr Schmerzen der Liebe versteht.

Dreimal selig ihr Schiff', und dreimal glücklich die Wogen!

Viermal beseligt auch du knabengeleitender Wind!

Wär' ich doch nur ein Delphin, daß, auf meinen Schultern getragen

Übergesteuert, er säh' Rhodos, mein Knabengefild!

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Wenn ich den Theron sehe, dann seh' ich auch Alles; wenn aber

Alles ich säh', und nicht ihn, säh' ich hinwiederum nichts.

Anonym

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Pisa behütender Zeus, o bekränze der Kypria zweiten

Sprossen Peithenor, am hochragenden Kronos-Gebirg!

Raube mir ja nicht den, statt des reizenden Dardanos-Enkels,

Als hochschwebender Aar, König, zum Schenken des Weins!

Aber wenn je ich dir bot ein willkommenes Musengeschenk, o

Winke die Neigung des gottähnlichen Knaben mir zu!

Anonym

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Dionysios seh' ich, den Schönen, nicht. Schenket, o Zeus, er

Etwa als Zweiter, entrückt, seligen Göttern den Wein?

Sag', Aar, als um den Holden die Schwinge du schlugest so dicht, wie

Trugst du ihn? Hast mit den Klau'n ihn doch nicht etwa geritzt?

Anonym

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Selber bekämpft' ich den Zeus, wenn er dich, o Myiskos, zum Schenken

Seines nektarischen Weins wäre zu rauben geneigt.

Und doch sprach er schon öfters zu mir: was zagst du? ich will nicht

Eifersucht zünden in dir; kann mich erbarmen, gebrannt. -

Dieß zwar sagt' er; ich aber, sobald eine Fliege vorbeischwirrt,

Zag', ob zum Lügner an mir selbst der Kronide nicht ward.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Wenn nicht mit Fittichen Eros und Bogen und Köcher bewehrt wär',

Noch der Begierden in's Mark lodernde Pfeile verschöß',

Nimmer - ich schwör's beim Geflügelten selbst - kennbar an der Bildung

Wäre, wer Zoïlos, wer Eros, der Himmlische, wär.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Würden verlieh'n dir die goldenen Fittiche, hinge vom silber-

Leuchtenden Nacken der pfeilbergende Köcher herab,

Trätest so neben den Eros - beim Kunstfreund Hermes! auch Kypris

Könnt' unterscheiden nicht mehr, wen sie von Beiden gebar!

Asklepiades (um 285 v. Chr.) (oder Poseidippos um 275 v. Chr.)

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Thränenbelastete Seele! warum denn entbrennen, vernarbt kaum,

Eros' Wunden auf's Neu' tief dir im innersten Mark?

Nimmer, o nicht doch - beim Zeus beschwör' ich dich, o du verweg'ne!

Rühre die unter der Asch' äugelnden Flammen nicht auf!

Denn gleich züchtiget dich, du der Qualen Vergeßliche, Eros,

Wenn die aus seiner Gewalt böslich entwichne er fand.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Seelenbetrügende Schmachter, o ihr um Knaben-Verzücktsein

Wissende, die ihr vom süßbitteren Honig genippt:

Eisiges Wasser, o eisig, vom eben geschmolzenen Schnee gießt, -

Eilet - so hurtig ihr könnt - gießet mir über das Herz!

Denn Dionysius wagt' ich zu seh'n. Mitsklaven, o helft mir,

Eh' sie in's Eingeweid zündet, ersticken die Gluth!

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Kypris, die weibliche, flößt weibtolles Begehren dem Mann ein;

Eros aber, er selbst, wecket nach Knaben den Trieb.

Wohin neig' ich, zum Knaben mich, oder zur Mutter? doch weiß schon,

Sagen wird Kypria selbst. Jnäbchen, mein keckes, du siegst.

Meleagros (um 130-60 v. Chr.)

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Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1791-1854)

Aus: Epigramme der Griechischen Anthologie
ausgewählt und in den Versmaßen
der Urschrift verdeutscht
von Dr. Joh. Gottlob Regis
Stuttgart Hoffmann'sche Verlags-Buchhandlung 1856
(S. 240-245)

 

siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Anthologie




 

 


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