Joannis Gryparis (1872-1942)
griechischer Dichter
Der junge Handelsmann
Aus Stambul kam ein junger Handelsmann
mit auserles'ner Ware,
mit Silber- und mit Goldgeschmeid',
mit weichem, schwarzem Augenpaare.
Begierig drängen sich des Dorfes Dirnen
an Fenster und an Tür'n und schauen,
die Frau'n selbst büßen ihre Nachtruh' ein
durch seine schöngeschwung'nen Brauen.
Ein goldner Gürtel, dreifach umgeschlungen,
die schlanke Taille hält.
Die schöne Witwe kann sich nicht mehr lassen:
"Gar sehr, mein Bursche, mir gefällt
der Gürtel, den du trägst; sag', was du forderst,
ich biet' es doppelt, wenn's gelänge."
"Für Gold auch geb' ich ihn nicht her,
und gäbst du Silber noch die schwere Menge,
mit einem Kuß erkauft' ich ihn,
für zwei gäb' ich ihn wieder . . ."
"Geschwind zur schönen Grotte eil',
du Händler mit dem schwarzen Augenpaare!
Den Preis, den bring' ich dir dahin
und hol' mir meine Ware."
Zur schönen Grotte trabt er schnell
auf eines Maultiers goldverziertem Sitze;
Noch eh' ers denkt, ist er zur Stell'
in brennend glühnder Mittagshitze,
bindet das Maultier an den Apfelbaum,
der vor der Grotte Schatten spendet,
legt seine Hand sich vor das Auge
gegen die Sonne, die ihn blendet,
und saugt die Straße mit den Blicken ein:
Nichts ist zu sehn, nichts will sich regen.
So geht er in die Grotte, sich zur Ruh' zu legen.
In der verhexten Grotte drin,
wo er sich ruht die Glieder,
gaukeln vor ihm im Traum bald auf, bald nieder
Elfen mit schillernd bunter Brust,
mit Hälsen marmorblank,
mit Leibern voll von wilder Lust.
Sie tragen in den aufgesteckten Zöpfen
Geflecht von Seegras und von Frauenhaar;
die Finger sind wie Lilien weiß,
die Näglein Rosenblätter.
Und eine, die die tollste ist,
den Tod selbst überwand,
die schlägt den jungen Handelsmann
und raubt ihm den Verstand.
Im Städtchen geht der Handelsmann
nun klagend auf und nieder:
"Mit einem Kuß erkauft' ich ihn,
für zwei geb' ich ihn wieder,
den Gürtel, den die Liebste mir,
die teure Braut,
für einen Kuß gestickt;
betört hat mich nun eine Elfe in der Fremde,
hat mir den Kopf verrückt."
(S. 17-18)
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Übersetzt von Karl Dieterich
(1869-1935)
Aus: Neugriechische Lyriker
Ausgewählt und übertragen von Karl Dieterich
mit einem Geleitwort von Gerhart Hauptmann
Zweite Auflage In Kommission bei Friederichsen
de Gruyter & Co. m. b. H. Hamburg 1931