Guittone d'Arezzo (1250-1294)
italienischer Dichter
An die Jungfrau Maria
(Sonett)
Glorreiche Jungfrau, die du uns geboren
Den guten Jesus, dessen heil'ges Sterben
Uns lösen soll aus höllischem Verderben
Und Sünd', in der sich Adam einst verloren.
Schau' an die Qual, zu der mich Lieb erkoren,
Und wie ich Schmerzen nur mir kann erwerben!
Halt' von mir huldreich Amor ab, den herben
Verfolger, der mir bittern Tod geschworen.
Erfülle mich mit jenes Gottes Liebe,
Die auf zum Urquell unsre Seele ziehet,
So daß sich lösen ird'scher Liebe Bande!
Dies ein'ge Mittel heilt die starken Triebe,
An diesem Quell' allein das Feu'r verglühet,
Wie Stift nach Stift sich löst von Rades Rande.
(S. 9)
_____
Die spröde Geliebte
(Sonett)
Je mehr mich martert mein verliebtes Sinnen,
Das ihre Grausamkeit in mir erschaffen,
Seh' ich nur tiefer rings den Abgrund klaffen,
Und hoff', obschon die Hoffnung flieht von hinnen.
Ich rede zu mir und befinde drinnen,
Daß ich erliegen muß so starken Waffen;
Doch weiß die Sehnsucht solch ein Glück zu schaffen,
Daß ich nur folgen kann und nicht entrinnen.
Allein es mag vielleicht, wem einst nach Jahren
Durch dieses Lied mein Schmerz sich hat erwiesen,
Sein Mitleid meinem harten Loose schenken.
Wer weiß, ob sie, die meiner nicht will denken,
Wenn sie ihr Leid in meinem Leid erfahren,
Nicht Thränen meinem Tod wird lassen fließen.
(S. 9)
_____
Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]