Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Ludwig Holstein (1864-1943)
dänischer Dichter




Frühlingsverse

Und da kommt Mimi so leicht und so nett,
Eine Krokusblüte am Frühlingsjakett.

Die kleine Mimi im flachsblonden Haar
Mit dem lächelnden Mund, sie ist siebzehn Jahr.

Zierlich rafft sie den Rock an der Seite,
Ihre Augen blinzeln in sonnige Weite.

So eilt sie vorüber und nickt mir still,
Wie ein Duft, wie ein Lied, wie ein Traum im April.
(S. 79)
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Morgen

O die Lerchen all, die erwachen im Grund!
Es war in der bebenden Dämmrungsstund,
Da der Sommermond vom Waldeshang
Durch die Nacht ergoß seinen Schimmer,
Als etwas Holdes schluchzend und bang
Sich schlich aus meinem Zimmer.

Entschwunden, entschwunden! Wie kurz war die Nacht!
Die Träume entfliehen, die Welt erwacht,
Das Meer wird zum Meer im Morgenhauch
Der Wald wird wieder zu Walde;
Eine Insel, ragt der Ginsterstrauch
Aus den Nebelwogen der Halde.

O die Lerchen all in der Morgenstund!
Nun brechen die Quellen im einsamen Grund,
Nun hebt sich im Osten der Wolkenflor
Vor dem strahlenden Auge des Tages,
Nun wallen die Nebel langsam empor
Von der Haide, vom Rande des Hages.

Zu der Kühle der Höhen steig' ich hinan,
Wo der Wind erwacht im träumenden Tann
Und die Waldblumen weckt zu neuem Duft,
Wo der Weih sich entschwingt seinem Horste
Und weit sich stürzt in die blasse Luft
Über Meer und Haiden und Forste.

Wiege dich, Lerche, im Haidekraut!
Steig auf zum Himmel mit schmetterndem Laut!
Auf Haar und Antlitz Sonnenschein, -
Wer schliefe zu diesen Zeiten!
Ich ziehe hinan zu dem kühligen Hain
Durch singende Einsamkeiten.
(S. 80-81)
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September

In ihrem gürtellosen Gewand aus Seidenflor,
Das über den Busen fließt von dem Grün des Wellenschaumes,
Im Beginn ihrer Schwangerschaft, aber schön wie nur je zuvor,
Pflückt sie die roten und grünen Früchte des Apfelbaumes.

Sie öffnet die feuchten Lippen und atmet der Äpfel Duft
Mit großem, frischem Munde, ganz voller weißer Zähne!
Ihre Augen sind blau und klar wie die kühlige, hohe Luft;
Sie ist groß; bis zu den Hüften wogt des Haares blonde Mähne.

Sie streckt die nackten Knöchel auf dem weichen tauigen Gras,
Wie mit geschmeidigen Arme sie die schweren Zweige rüttelt,
Bis ihr der Baum seiner ganzen duftenden Schätze Maß
Mit dem Lärm eines Donnergusses über den Rasen schüttelt.

Bis vor die Füße rollt und springt ihr der Äpfelguß;
Sie aber, die Blonde, bückt sich in ihrem Mutterkleide
Und schöpft mit beiden Händen von dem schimmernden Überfluß.

Die Hände werden feucht, die Augen leuchten groß,
Wie sie die tauigen Früchte aufnimmt in ihren Schoß
Und sie dann gleiten läßt in den Korb aus geflochtner Weide.
(S. 82)
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übersetzt von Otto Hauser (1876-1944)

Aus: Die dänische Lyrik von 1872-1902
Eine Studie und Übersetzungen von Otto Hauser
Verlegt bei Baumert & Ronge in Großenhain 1904


 

 


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