Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Der Frühling - Wandmalerei aus Stabiae

 


Horaz (Quintus Horatius Flaccus) (65-8 v. Chr.)
römischer Dichter




Oden

Erstes Buch

XIII.
An Lydia

Wenn du, Lydia! Telephus
Rosennacken mir rühmst, Telephus Arme rühmst,
Weiss, wie Wachs: von der bittersten
Gall' entflammt sich o weh! Alles, in mir, mein Sinn
Irrt unstäter; mein Angesicht
Wandelt schneller die Farb' und der entschlüpfende
Wehmuthstropfen verräth dir bald,
Welch' ein Feuer, geheim wühlend, mein Herz verzehrt!
Ha! ich glühe, wenn blendende
Schultern dir ein Gezänk, tobend vom Rausch, entstellt;
Oder frevelnd des Küssers Zahn
Sein erinnerndes Mahl dir auf die Lippen prägt!
Glaub's, wenn anders du mich noch hörst,
Treu' auf Ewig umsonst schwört, wer so liebliche
Küss' entweihet: das Fünftel träuft'
Ihres Nectars auf sie Venus mit eigner Hand.
Dreymal selig, o seliger
Weit noch mehr, die ein Band knüpfet, untrennlich - schön!
Nicht Zwiespalte; der letzte Tag -
Der von allen nur darf! - scheidet die Liebenden.
(S. 30-31)

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XIX.
An Glycera

Schon vollendet das süsse Spiel,
Träumt ich: aber mich ziehn Amors tyrannische
Mutter, Semelens arger Sohn
Und zaumloser Gelust wieder mit Macht hinein.

Mich durchflammet der Glycera
Liebreiz. - Parischer Stein leuchtet so herrlich nicht! -
Mich Muthwille, bezaubernd-hold,
Mich ihr Auge! - Wer mag ohne Gefahr es schau'n?

In mich - Cypern verliess sie - stürzt
Venus ganz! O wer darf, Scythen! von euch, wer dich
Parther singen, auf fliehendem
Ross noch Held? und was sonst Lieb' ungesungen lässt?

Hier neusprossenden Rasen her!
Weihrauch! heiliges Laub! Knaben! die Schale mir
Mit zweyjährigem Wein gefüllt!
Wenn ihr Opfer nun fällt, wird sie mir holder seyn!
(S. 43-44)
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XXIII.
An Chloe

Fliehst du, Chloe, mich nicht, scheu, wie das junge Reh,
Das, abweges, im Bergwalde, die furchtsame
Mutter sucht, vor dem kleinsten
Hauch bangt's und vor dem regen Blatt!

Denn, mit kommendem Lenz, darf sich ein junger West
Etwa wiegen im Laub, oder durch Bromber hin
Schlüpft goldgrünlich die Eidechs:
Ach! gleich beben ihm Herz und Knie.

Und doch jag' ich dir nicht, reissenden Tigern gleich,
Und gätulischen Leun, dich zu zermalmen, nach.
Mägdlein! reif für den Mann schon,
Hang' nicht ewig am Mutterarm!
(S. 50)
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XXV.
An Lydia

Sachter schon und seltener pocht der Buhlen
Kecker Schwarm an deine verschlossnen Fenster.
Ruhig bleibt dein Schlummer. Die Thür, die rasch sonst
Lief in der Angel,

Wie so standhaft liebt sie doch ihre Schwell' itzt!
Und nun täglich weniger hörst du jammern:
"Nächte lang schmacht' ich, ihr Getreuer, ach! und
Lydia schlummert!"

Ja! bald wirst du weinen im öden Winklein,
Dass die Flattrer stolz dich verschmähn, dich Greisin;
Während in neumondlicher Nacht, der Nordwind
Lauter dahersaust!

Dann wird neuauflodernde Flamme, Brunst dir,
Wie bey Mutterrossen sie tobet schamlos,
Durch die tiefverwundete Leber rasen!
Seufzen wirst du dann:

"Weh! der Jugendlaune! Nur grünen Epheus
Sich zu freun, und dunkeler Myrt', und - grausam! -
Dürres Laub dem Eurus zu weihn, des Winters
Kaltem Begleiter!"
(S. 53-54)
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XXX.
An Venus

Du, auf Gnidos thronende! du auf Paphos!
Lass dein Cypern! dort in das schöne Haus komm,
Wo Gebet der Glycera, unter Weihrauch-
Wolken emporsteigt!

Mit dir komm', herhüpfend dein muntrer Knab' und
Gürtellos die Grazien, mit dir Nymfen
Und Juventas, öder ach! ohne dich! Auch
Fehle Mercur nicht!
(S. 63)
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XXXIII.
An Albius Tibullus

Nun dann endlich vergiss Glycera's Grausamkeit!
Zu lang', armer Tibull! tönet dein zärtliches
Klaglied, dass bey der bundbrüchigen Buhlerin
Dich ein jüngerer Freund verdrängt!

Auch Lycoris - umsonst locket die kleine Stirn! -
Flammt für Cyrus allein: ach! der Verblendete
Hangt an Pholoens Reiz; aber dem Appuler-
Wolf schliesst eher das Reh sich an,

Als durch Bande mit Dém Pholoe sich entweiht.
So wills Paphia, Freund! Paare, sich an Gestalt
Ungleich, und an Gemüth, spannet die Herrscherin
Schadenfröhlich in's ehrne Joch!

Mir auch winkte voreinst edlere Lieb'. Umsonst!
Denn mich fesselte hold Myrtale, war sie gleich
Sklavenbluts, an Trotz Hadria's Woge gleich,
Die Calabriens Busen krümmt.
(S. 68-69)
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Zweites Buch

IV.
An Xanthia Proceus

Xanthias! der Liebe zur Sklavin schäme
Dich nur nicht! Auch jene, die einst Achilleus
Trotz gebeugt, die weisse Briseis war von
Ähnlicher Abkunft.

Und Teomessa, trug sie auch Kriegesfesseln,
Fing den Ajas, Telamons Sohn, mit Schönheit.
Agamemnon, mitten im Siegstriumphe,
Da von dem Helden

Aus Larissa Phrygiens Trupp gemäh't lag,
Hector todt und Pergamus Fall nun leicht war,
Agamemnon brant' um die weggeraubte
Königestochter.

Ob die Ahnentafel der blonden Phyllis
Auch nicht prang' hochherrlich, wie deine? weisst du?
Sie fürwahr! auch königlich Blut, betraurt ihr
Häuslich Geschick nun.

Glaub' es! nicht aus niedrigem Pöbel sprosste
Solch ein Zweig; kein schimpflicher Mutterschoos trug
Diese Huldin, welche dich sonder Anspruch,
Und so getreu liebt!

Ich, in Unschuld, preis' ihr Gesicht, die Ärmlein,
Und wie hold der rundliche Fuss daherspielt.
Fürchte nicht! Der schöneren Lustern acht schon
Sah' ich hinabfliehn!
(S. 90-91)
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Drittes Buch

VII.
An Asterie

Was doch weinest du? Glaub's! glaubs, o Asterie!
Wenn das Jahr sich verjüngt, wehet ein heitrer West
Den dir ewig getreuen
Gyges reicher anthyrischer

Ladung, wiederum heim. Neidischer Süd verschlug,
Weil Capella getobt, weit ihn nach Oricum:
Seitdem schwindet ihm schlaflos
Und in Thränen die öde Nacht.

Botschaft flügelt die liebathmende Wirthin zwar:
"Chloes flammendes Herz schmachte für ihn, wie du!"
Wird verkündet, und Amors
Tausendfältige List versucht.

Warnend schildert man Greulthat des verbuhlten Weib's,
Wie's den Prötus, den Leichtgläubigen, fing mit Lug,
Ihn zum Morde des allzu-
Keuschen Bellerophontes trieb;

Auch wird Peleus berührt, nahe dem Tartarus,
Weil Hippolyten er floh, der Enthaltsame,
Und noch manches der Mährlein,
Das Untreue beschönt: umsonst!

Gyges, tauber, als Fels in der icarischen
Meerflut, bleibt unbewegt. Aber du selbst? wohl Acht!
Dass nicht etwan Enipeus
Mehr als ziemend, dein Nachbar sey!

Ob auch einzig an Ihm hange des Volkes Blick,
Wenn er kühner das Ross lenkt auf dem Marsgefild',
Ob so rasch in dem Tusker-
Strom kein Anderer schwimmt hinab:

Dennoch, dämmert die Nacht, schliess du früh dein Haus;
Seufzt die Flöte daher, meide das Fenster mir!
Grausam heiss er dich Zehnmal;
Grausam bleib' und der Pflicht getreu!
(S. 148-149)
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IX.
Horaz und Lydia

Horaz
Als dein Einziger ich noch war,
Ich - kein Sterblicher sonst durft' - um Lydia's
Marmornacken die Arme schlug:
Ach! mir Seligen wich Persiens König weit!

Lydia
Als du branntest für mich allein,
Als von Chloen noch nicht Lydia's Reiz erlosch:
Da war Lydia's Name gross,
Nicht Roms Ilia ward höher gefeyrt, als ich.

Horaz
Doch itzt dien' ich der Trazerin,
Hold singt Chloe und hold schlägt sie das Cytharspiel:
Leicht für Chloen ist mir der Tod,
Schont die Parze des nachbleibenden Mädchens nur.

Lydia
Mit erwiederter Glut, entflammt
Mich nun Ornytus Sohn, Thusiums Calais:
Zweymal sterb' ich für Calais,
Schont die Parze des nachbleibenden Jünglings nur.

Horaz
Wie? wenn Venus von neuem nun
Legt' ihr ehernes Joch um die Geschiedenen?
Liess' ich Chloen, die blonde, frey,
Fänd' itzt Lydia's Thür offen, wie sonst, für mich? -

Lydia
Er ist schöner, wie Sternenglanz,
Du bist wankendes Rohr, zorniger, als die Flut
Im aufbrausenden Adria:
Dennoch lebt' ich mit dir, stürbe mit dir so gern!
(S. 152-153)
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X.
An Lyce

Tränkst du Tanais Flut, Lyce! des fernesten
Barbarn Gattin; o doch läg' ich an deiner Thür
Einlass flehend, und du weintest, dass heimischer
Nordsturm kalt mich umsausete!

Hör', o Lyce! der Thür lautes Geknarr! o hör',
Wie's am Marmorpallast den Hain durchwühlt!
Schau! o schaue, wie schnell heiterer Himmelsfrost
Schnee verwandelt in starres Eis!

Ach! leg' endlich den Stolz - Liebe verdammt ihn - ab,
Dass nicht, zürnend, sich schnell wende Fortunens Rad!
Du bist Tuscierbluts, keine Penelope,
Die mit Strenge die Freyer jagt!

Rührt denn Alles dich nicht? Gaben und Schmeichellaut?
Nicht die bleiche Violfarbe der Schmachtenden?
Nicht auch, dass den Gemahl eine pierische
Buhlin fesselt? - o schone dann

Bittlich flehender nur! Du; wie der Eichenstamm
Unbeugsam, an Gemüth maurischer Natter gleich!
Nicht stets - denke daran! duld' ich die harte Schwell'
Und den nächtlichen Regenguss!
(S. 154-155)
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XI.
An Lyde

O Merkur! Allmächtiger! denn von dir einst
Lernt' Amphion Töne, die Stein bewegten;
Und, du Lyra, kundig des Spiels auf sieben-
Facher Besaitung!

Ohne Klang vormals und verachtet, doch itzt
Goldnem Schmaussaal theuer und Götterwohnung,
Melodey lass hören, die Lyde's hartes
Herz uns erweiche:

Welche, gleich dem Füllen auf off'nen Weidraum,
Spielend aufhüpft, scheu noch vor jedem Anlauf,
Fremd der Heurathswonn, und des Manns Gelust sich
Immer noch sträubend!

Tieger zähmst du, lauschende Haine raffst du
Mit dir, du hältst mitten im Fall den Strom auf.
Dir, o lieblich Schmeichelnde, wich des Nachtreichs
Grässlicher Thorwart:

Cerberus wich; lagern sich gleich der Nattern
Hundert um den Furienscheitel, athmet
Pest sein Anhauch, sprudelt ihm Geifer aus drey-
Züngigem Rachen.

Ja Ixion, Tityos selber zwangen
Ihr Gesicht zum Lächeln, es stand die Urne
Leer ein wenig, als sie dein Zauber hinriss,
Danaus Töchter.

Hör', o Lyde! höre der Mädchen Unthat
Und bekannte Strafen: das ewig boden-
Lecke Fass, dem ewig das Wasser abrinnt,
Und wie noch jenseit

Rach' auf Blutschuld harret im Schooss des Orcus!
Ungeheuer - ha! es ist ohne Beispiel! -
Ungeheuer tauchten in unvermählte
Herzen den Morddolch!

Eine nur von Vielen, der Fackel Hymens
Würdig, log ruhmvoller dem freveln Vater,
Und der Jungfrau heilige Namen preist noch
Jegliche Nachwelt.

Auf! so weckt' ihr Ruf den verlobten Jüngling,
Eh' dich trifft ein ewiger Schlummer, woher
Du nicht ahnst! Auf! fort von dem Schwäher! fort von
Blutigen Schwestern!

Wie die Leuin sich auf ein junges Reh stürzt,
Schlachtet Jed' ihr Opfer. Ich, sanftern Herzens,
Schonen will ich deiner, ich will die ehrnen
Thore dir aufthun!

Schliesst mich auch mein Vater in schwere Band' ein,
Weil ich dein, Unglücklicher! mich erbarmet;
Bannt die Schiffsflott' auf die entleg'ne Sandflur
Africa's mich hin:

Geh', wohin dich Lande, dich Meere tragen;
Nacht und Venus schirmt! Mit gewog'nem Stern geh';
Und ein Wort, das unser gedenk' in Wehmuth,
Schreib' auf mein Grabmal!
(S. 156-158)
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XII.
Neobule's Selbstgespräch

O der Drangsal, wo das Kussspiel mit dem Amor unerlaubt ist
Und der Labquell des Lyäus, wo das Scheltwort von dem Oheim
Ah! so schneidend, wie die Dolchspitz', und in Angst jagt! Neobule!
Aus der Hand rafft der Paphide dir den Nähkorb, und der schöne
Liparäer dir das Webschiff und das Kunstwerk der Minerva,
Wenn mit Salböl um die Schultern in den Tibris er hinabschwimmt,
Er das Ross lenkt, wie voreinst Bellerophontes, in dem Faustkampf
Unbesiegbar und im Wettlauf; wenn er gleichrasch auf dem Blachland',
Wo der Damhirsch' eine Rudel vor ihm aufspringt, sie hinabstreckt,
Und das Hauptschwein aus dem Dickicht zu besteh'n weiss mit dem Jagdspiess!
(S. 159)
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XV.
An Chloris

Weib des ärmlichen Ibycus!
Endlich stecke dem Greul' schändlicher Lüst' ein Ziel
Und ruchtbaren Bestrebungen!
Du, der Urne gereift lange schon, lass nun ab,
Mit zu hüpfen im Mädchenkreis';
Auf so helles Gestirn falle, du Nebel, nicht!
Was uns reizet an Pholoën,
Chloris! widert an dir. Wild auf ein Jünglingshaus
Sturm zu laufen, der Baccha gleich,
Treibt sie Trommelgeroll, eignet der Tochter mehr.
Die flammt Liebe zu Nothus auf,
Dass sie lüstern daher spielt, wie ein junges Reh!
Dir ziemt Wolle vom edeln Kamm
Der Lucerier! dir, Alte, die Cithar nicht,
Nicht der purpurne Rosenkranz,
Noch, dass Krüge du leerst rein bis zur Hef' hinab!
(S. 164)
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XXVI.
An Venus

Vor Zeiten hatt' ich lieblicher Mädchen Gunst,
Aus manchem Feldzug kam ich umlorbeert heim:
Nun hang' ich Waffen und mein dienstlos
Barbiton willig an dieser Wand auf,

Die meiner Flut-entsprossenen Königin
Zur Linken steht! Hier ruhet denn, leuchtende
Windfackeln! hier Brechtstang' und Hebel,
Einst der verrammelten Thür so furchtbar!

O du, die Cyprus seliges Reich beherrscht
Und Memphis, das kein Thrazierschnee umstarrt!
Die stolze Chloe lass nur Einmal
Deine geschwungenste Geissel fühlen!
(S. 186)
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Viertes Buch

I.
An Venus

Krieg, der lange schon ruhte, Krieg
Weckst du? - Schone den Freund! schone! Nicht bin ich mehr,
Was ich unter der freundlichen
Herrschaft Cinara's war. Lass, o der hüpfenden

Amorn grausame Mutter, ab,
Mich unlenkigen - zehn Lustern vollbracht' ich fast -
In dein sanfteres Joch zu zieh'n!
Geh, wohin dich der Wunsch schmeichelnder Jugend lockt!

Weit willkomm'ner, wenn du ein Herz
Suchst, das leichter empor loderet, schwebtest du
Mit dem Schwanengespanne, wo
Paullus Maximus gastfreundliche Tafel winkt.

Er, liebreizend, von edelm Stamm,
Er vorsprechender Freund zagender Schützlinge,
Reich an Künsten - wer zählt sie all'? -
Wird treu deinem Panier folgen, so weit du willst.

Er darf lachen, wenn Gold auf Gold
Sein Mitbuhle verstreut; und, nach errung'nem Sieg',
Stellt er dich am Albanersee,
Unter cedernen Prachtbalken, in Marmor auf.

Dort, in duftender Wolke, steigt
Weihrauch dir; und Gesang, zu berecynter Horn
Hehr auftönend und Leyerspiel -
Flöt' auch lispelt darein - weidet dein göttlich Ohr.

Dich hoch feyernd, o Königin!
Stampft, Jünglingen gepaart, blühende Mädchenschaar,
Zweymal täglich mit Liljenfuss,
Wie Mars Priester, im Dreyschlage, den freyen Plan. -

Mich nur, welchen mit Gegenlieb'
Hoffnung oft schon belog, locket kein Mädchen mehr,
Kein Wettkampf um das blinkende
Kelchglas, oder ein frisch athmender Kranz um's Haar.

Doch, warum, Ligurina, schlüpft
Mir schon Sichern die Thrän' über die Wang' hinab?
Will ich reden, warum versagt
Mir unziemend die Stimm', ach! mir Beredten sonst?

Dich, im rosigen Traum der Nacht,
Halt' ich vester umarmt, wenn du entfliehest, dir
Folg' ich nach in den dämmernden
Lusthain, dir an den Rand silberner Bäche nach!
(S. 201-203)
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XIII.
An Lyce

Nun, o Lyce, gewährt haben die Götter, nun,
Was ich wünschte, gewährt! Lyce! du wirst betagt,
Und willst immer noch schön seyn;
Frech liebäugelst du, becherst hoch,

Lockst, mit heiserm Gesang, taumelnd, den paphischen
Gott her! Aber umsonst! Schöner lagert Dér
Auf den rosigen Wangen
Der tonkundigen Chierin!

Denn trotzköpfig vorbey flattert er dorrenden
Eichen! Lycen vorbey! Traun! der umschwärzte Zahn,
Grau Haar, hässliche Runzel -
Furchtbar scheuchen sie Amorn weg!

Koisch Purpurgepräng', helles Geschmeide nicht
Bringt dir jenen Triumph blühender Zeit zurück,
Grub der flüchtige Tag ihn
Einmal leider! den Fasten ein!

All' die Reize, wohin? Farbe des May's? o Wurf
Netter Füsse? von Dér, Götter! was bleibt von Dér,
Die Lieb' athmend und Liebe,
Mich allmächtig entrafft mir selbst?

O welch' Wunder du warst! o wie bezaubernd! - Kaum
Ging dir Cinara vor! Aber die Schickung liess
Schnell uns Cinara wegblüh'n;
Dir hingegen - sie ist gerecht -

Dir Krähnalter verlieh'n hat sie, o eitles Weib,
Dass lautlachender sühn', die dich umschmachtet sonst
Wie die leuchtende Fackel
Nun in Asche zusammenfällt!
(S. 236-237)
_____


Fünftes Buch

XV.
An Neära

Nacht war's, und hell unter den kleineren Sternen des Himmels
Erhob sich Luna's hehres Licht;
Da - schon mit dem Entschluss, die ewigen Mächte zu täuschen -
Da schwurst du mir die Worte nach;
Enger dich meinem Arm anschmiegend, wie Sprosse des Epheu's
Umstrickt den Eichbaum, schwurst du mir:
"Unsere Liebe, sie soll feststehn, so lange die Lämmer
Der Wolf bekriegt, so lang' der Sturm-
Deuter Orion bedroht den Seemann, und um Apollons
Freyfliegend Haar der Zephyr spielt!" -
Ach! wie wird dich der Muth des Liebenden kränken; Neära!
Denn fühlt sich Flaccus irgend noch,
Wahrlich! er duldet es nicht, dass jegliche Nacht mit dem Günstling
Du Freche theilst; er sucht, erzürnt,
Gleichere Lieb', entsagend dem Reiz, der einmal ihn abwies,
Wenn volle Rachwuth ihn erst treibt!
Aber, wer immer du seyst, du Glücklicher, der anitzt dich
Hoch brüsten darfst, mit meiner Schmach,
Rühme des Reichthums dich an Herden und Hufen, unzählbar,
Ja, ströme mild Pactolus dir,
Eingeweiht sey in des zwiergebohrenen Samiers Weisheit,
Verdunk'le Niereus selt'nen Reiz:
Dennoch wirst du dereinst, verdrängt dich ein Anderer, jammern;
Dann trifft die Reih', zu lachen, mich!
(S. 276-277)
_____
 

Übersetzt von Eberhard Karl Klamer Schmidt (1746-1824)

Aus: Des Horatius Flaccus
sämmtliche lyrische Dichtungen
in den Versmaassen der Originale
von neuem verdeutscht von Klamer Schmidt
Halberstadt in H. Vogler's Buch- und Kunsthandlung
1820


 


 

 


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