Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Victor Hugo (1802-1885)
französischer Dichter


Sultan Achmet

Zu Juana sprach, der Schönen,
Die da lacht in Silbertönen,
Sultan Achmet halb im Scherz:
Meine Krone, süßes Leben,
Würd' ich für Medina geben,
Und Medina für dein Herz.

"Hoher Sultan, laß dich taufen!
Um geringern Preis erkaufen
Wirst du nimmer meine Gunst.
Einen blinden Heiden stündlich
Zu liebkosen wäre sündlich,
Und mich schreckt der Hölle Brunst!"

Wohl, so schwör' ich's bei den reinen
Perlen, die verdunkelt scheinen
Neben solcher Schultern Glanz,
Daß ich dein Gebot vollführe,
Wenn ich deines Nackens Schnüre
Nehmen darf zum Rosenkranz.
(S. 43)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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Die Favorite

Genug, o Jüdin, deinetwegen
Entvölkert' ich mein Frau'ngemach;
Nun laß zum Mitleid dich bewegen,
Es folge deines Fächers Schlägen
Nicht stets ein Schlag des Beiles nach.

Laß endlich ab, Geliebte, schone
Der Schaar, die dich nicht ärmer macht!
Zum Schleier gab ich dir die Krone;
Was flehst du nun mit Schmeicheltone
Um ihren Tod noch jede Nacht?

Wenn du liebkosend mein Verlangen
Mit deiner Lippen Balsam stillst,
Verräth die Glut auf deinen Wangen,
Dein trunkner Blick, dein heiß Umfangen
Nur, daß du neue Opfer willst.

Ha, eifersüchtigste der Frauen!
Du Herz von Stahl und doch so schön!
Halt ein! Wann hat man auf den Auen
Der Rose wegen je die blauen
Harmlosen Blumen sterben sehn?

Dein bin ich. Kannst du mehr begehren?
Wenn sanft dein Haupt an meinem ruht,
Was gilt dir's, daß nach gleichen Ehren
Umsonst sich hundert Frau'n verzehren
In Seufzern ungestillter Glut?

Laß immer in verwaister Zelle
Sie dich beneiden, Sultanin!
Sieh sie vorbeiziehn, wie die Welle,
Und nimm die Welt, die sonnenhelle,
Mein Leben, meinen Thron dahin.

Nimm hin mein Volk, mach's zu dem deinen,
Nimm Stambul, das am Meer sich sonnt!
Mit Kuppeln prangt's und Palmenhainen
Und seine tausend Spitzen scheinen
Ein Mastenwald am Horizont.

Die Spahis nimm! Das Blachfeld fliegen
Im Scharlachturban sie entlang.
Schau, wie sie mit behendem Wiegen
Im Sattel sich vorüberbiegen,
Wie Ruderer auf ihrer Bank!

Balsora, Trapezunt, das hehre,
Nimm hin und Cyperns alten Ruhm,
Nimm Mosul mit dem Weltverkehre
Und Fez, das Goldstaub schickt zum Meere,
Und das bethürmte Erzerum.

Nimm Smyrna's Markt, wo an die neuen
Paläste blau der Hafen stößt,
Den Ganges, den die Wittwen scheuen,
Die Donau, deren Wogendräuen
Sich friedlich in fünf Ströme löst.

Was schaust du auf Circassiens Schönen,
Damanhurs Lilien neidisch hin?
Was auf die Mohrin, die mit Stöhnen
Nach Liebe lechzt in fremden Tönen,
Wie eine junge Tigerin?

Nie lockt ein Schwanenhals mich wieder,
Ein Busen nie von Ebenholz.
Nicht weiß, nicht braun sind deine Glieder,
Doch scheint's, es schmolz auf dich hernieder
Ein Tropfe flüss'gen Sonnengolds.

Besprich denn, grimmste der Sirenen,
Den Gluthhauch, der mein Beet entlaubt!
Erstick' im Glanz dein blutig Sehnen,
Daß nicht mit jeder deiner Thränen
Zu Boden fall' ein Frauenhaupt.

Beschau' den Golf von deinen Zinnen,
Und bade dich in Ambraflut;
Doch laß dies eifersücht'ge Sinnen! -
Dem Sultan stehen Sultaninen,
Dem Dolche stehen Perlen gut.
(S. 44-46)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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Komm junge Zauberin

Komm junge Zauberin, die meine Seele bannte!
Als Göttin priese dich Virgil, als Engel Dante,
So hoch ist deine Stirn, so schwebend leicht dein Fuß,
Und vom halboffnen Mund so lieblich klingt dein Gruß.
Wie müßte wundervoll zu deinen stolzen Brauen
Der blaue Panzer stehn der alten Schildjungfrauen!
Und mehr als Ein Serail beneidete vielleicht
Dich um der Lippen Roth, das der Koralle gleicht.
Cellini würd', entzückt von deiner Anmuth, gülden
Auf einem Trinkgefäß dein holdes Gleichniß bilden,
Wie du, das Haupt empor, mit sanftgebog'nem Leib
Aus einer Lilie stiegst, die ausläuft in ein Weib,
Aus einem Lotuskelch, von Laubgerank umkleidet,
Um dessen fremden Reiz Natur die Kunst beneidet.

O komm' und hör' mich an, du, deren Blick ein Stral! -
Der Tag, an dem ich dir genaht zum erstenmal,
Das war ein goldner Tag. O, blieb in deinem Innern,
So wie in meiner Brust von ihm ein licht Erinnern?
Du lächelst. Gieb mir denn die Hand so weiß und weich,
Und komm! Der Frühling blüht, der Pfad ist schattenreich,
Die Luft ist lau, und dort am Hang im Eichengrunde
Vernimmt kein lauschend Ohr das Wort aus unserm Munde.
(S. 47)

Übersetzt von Emanuel Geibel (1815-1884)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862


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Lied

Weil jede Brust ihr Leben,
Ihr bestes Gut
Sich sehnt dahinzugeben,
Klang, Duft und Glut:

So geb' ich dir zur Stunde
An dich geschmiegt
Was Edles mir im Grunde
Der Seele liegt.

Mein Denken nimm, mein Sehnen,
Das ernst und still
Nur, wie der Thau, in Thränen
Dir nahen will;

Nimm aller Wünsche Segen,
Und was zur Frist
Lichtglanz auf meinen Wegen
Und Schatten ist;

Den Geist, der ohne Steuer
Im Strudel sinkt,
Wenn nicht als leitend Feuer
Dein Aug' ihm winkt;

Mein Lied, das dich nur meinet
Mit jedem Gruß,
Und weil mit dir es weinet,
Oft weinen muß;

Nimm ganz mein Herz, verklär' es
Du Stern des Lichts!
Ach, ohne Liebe wär' es
Ein trostlos Nichts.
(S. 51-52)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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An die Geliebte

Weil mir dein voller Kelch die heißen Lippen kühlte,
Weil meine bleiche Stirn in deiner Hand geruht,
Weil ich den süßen Hauch von deiner Seele fühlte,
Der wie ein Weihrauch ist in dunkler Lüfte Flut;

Weil mir's gegeben ward, von dir die süßen Laute
Zu hören, drin das Herz sich aufschließt bis zum Grund,
Weil deine Thräne sanft auf meine Wimper thaute,
Weil ich mein Lächeln sah erblühn auf deinem Mund;

Weil auf mein Haupt ein Stral in wundervollem Glanze
Von deinem Sterne fiel, der sein Gewölk durchbrach,
Weil ich ein Rosenblatt, aus deiner Tage Kranze
Entrissen, sinken sah in meines Lebens Bach:

So sprech' ich unverzagt zu den entflieh'nden Lenzen:
Zieht hin, zieht immer hin! Nicht altert dies Gemüth.
Wie Schatten schwindet fort mit euern welken Kränzen!
In mir ist eine Kraft, die unvergänglich blüht.

Die Schale, die mich labt, ist stets zum Rand gefüllet,
Und nie zertrümmert sie der Flügelschlag der Zeit.
Mehr Feuer hat mein Geist, als ihr in Aschen hüllet,
Mehr Liebe hat mein Herz, als ihr Vergessenheit.
(S. 55)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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Lied

Hast du nichts mir zu vertrauen,
Warum kommst du Zauberin?
Würde dich ein König schauen,
Wär' auch seine Ruh' dahin.
Hast du nichts mir zu vertrauen,
Warum kommst du Zauberin?

Hast du nichts mir zu gestehen,
Warum diesen Druck der Hand?
Von den fremden, süßen Wehen,
Die dein Busen jüngst empfand,
Hast du nichts mir zu gestehen,
Warum diesen Druck der Hand?

Wenn du möchtest, daß ich gehe,
Sprich, o sprich, was treibt dich her?
Zittr' ich doch, wenn ich dich sehe,
Und mein Herz wird leicht und schwer.
Wenn du möchtest, daß ich gehe,
Sprich, o sprich, was treibt dich her?
(S. 63)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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Ständchen

Es tagt, und nur dein Haus umnachten
Die Läden noch! Warum noch ruh'n?
Die Rosen alle schon erwachten, -
Willst du denn nicht ein Gleiches thun?
O hör', du Süße,
Den Liebsten hier!
Er jubelt Grüße
Und fleht zu dir!

Aufmunt'rer nah'n in schönem Gliede. -
Das Frührot ruft: Der Tag ist nah!
Das Vöglein ruft: Dein harrt der Friede!
Laut ruft mein Herz: Die Lieb' ist da!
O hör', du Süße,
Den Liebsten hier!
Er jubelt Grüße
Und fleht zu dir!

Dir, Göttin, sei mein Heil verschrieben!
Dich kür' ich, Lieblichste der Frau'n! -
Gott schuf mein Herz nur, dich zu lieben,
Mein Auge, deinen Reiz zu schau'n.
O hör', du Süße,
Den Liebsten hier!
Er jubelt Grüße
Und fleht zu dir!
(S. 73-74)

Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900

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Erwartung

Klimm auf, Eichhörnchen! Klett're, steige
Bis zu der Krone dünnstem Zweige,
Der wie ein Rohr schwankt ab und auf!
Ihr Störche, des Gemäuers Gäste,
Schwingt euch, gestützt vom schnellen Weste,
Vom Kirchlein hoch zum Wall der Veste, -
Vom Dachfirst auf des Burgturms Knauf.

Gewalt'ger Aar, von deinem Sitze
Steig auf zur schnee'gen Felsenspitze,
Des Berges altersbleichem Haupt.
Und du, - die lust'ge Liebesproben
Schalmeit, eh' sich der Tag erhoben,
Frohlaun'ge Lerche, schweb' nach oben
Zu Höh'n, wo man den Himmel glaubt.

Und dann, und dann, vom Eichen-Wipfel,
Vom Knopf des Turms, vom Bergesgipfel,
Vom Himmel, wo die Sonne blinkt,
Könnt ihr durch Nebelfernen spähen?
Bemerkt ihr einer Feder Wehen,
Und ist ein keuchend' Roß zu sehen,
Das meinen Liebsten wiederbringt?
(S. 74-75)

Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900

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Laß uns flieh'n ...

Laß uns fliehn in's Reich der Träume.
Wie du lockst, entführ' ich dich!
Hier zwei Zelter, die ich zäume.
Vöglein grüßen dich und mich.

Ich - dein Herr und deine Beute!
Komm, bald bricht die Nacht herein.
"Frohsinn" soll mein Renner heute,
Deiner soll "die Liebe" sein.

Eine Reise voll Genüsse!
Seit' an Seite trabt das Paar,
Statt des Hafers biet' ich Küsse
Unsern beiden Rößlein dar.

Wie sie stampfend vorwärts drängen!
Und schon seh' ich beide weit:
Meins das Thor der Sehnsucht sprengen,
Deins das Thor der Seeligkeit.

Etwas muß man mit sich tragen, -
Lieb war uns des Bündels Druck:
Recht viel Wünsche, einige Klagen
Und all' deiner Reize Schmuck.

Wie die frechen Spatzen höhnen!
Denn sie hören ganz genau
Meines Herzens Ketten tönen,
Die du wandest still und schlau.

Braune Nacht umarmt die Eichen.
Und aus Buschwerk und Gesträuch
Tuschelt's mit geheimen Zeichen
Uns entgegen: Liebet euch!

Tief im Wald, im nächtlich feuchten,
Komm! Sei lieb! Mich faßt ein Rausch.
Folg' dem Trieb, dem aufgescheuchten,
Komm zu süßem Wonnetausch.

Und es hält mit Klageliedern
Nachtigall vor Staunen ein.
Nixchen mit den weißen Gliedern
Tauchen auf und kichern fein.

Und sie wispern zu einander:
"Wir sind närrisch! Während dort
Hero lehnet an Leander,
Rinnt uns unser Bächlein fort."

Doch dem Sonnenland entgegen
Lustig weiter ziehen wir,
Und die Liebe bringt uns Segen:
Mir den Ruhm, den Reichtum dir.

Uns're Zauberrosse tragen
Uns empor zum Wolkenzelt,
Ins Gebiet uralter Sagen,
In die weite Flimmerwelt.

Gönnt ein Gasthaus wo uns Muße,
Zahlen wir für's kurze Glück:
Ich mit meinem Schülergruße,
Du mit deinem Mädchenblick.

Also sind wir zwei ein Pärchen:
Ich der Graf, die Herrin du!
Komm! wir raunen unser Märchen
Heute noch den Sternen zu.
(S. 76-78)

Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900

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"Puisque ici bas ..."

Wie jedes Seelenleben
Im Schöpfungsdrang
Strebt andern hinzugeben
Duft, Farbe, Klang -

Und wie in Zorn und Güte
Nach jedes Art
Der Dorn hier, dort die Blüte
Sich offenbart -

Wie Wind am Frühlingsmorgen
Durch Eichen streicht -
Und wie die Nacht den Sorgen
Den Schlaftrunk reicht -

Und wie der Vogel Lieder
Den Zweigen schenkt -
Wie auf die Saaten nieder
Der Tau sich senkt -

Wie selbst die kühle Welle
Das Ufer küßt,
Da es zur Ruhestelle
Ihr worden ist:

So geb' ich dir zur Stunde
Als Eigengut
Was mir im tiefsten Grunde
Der Seele ruht.

Empfang' die Liebesgrüße,
Die trüb' sind, schau'!
Und dich benetzen, Süße,
Mit Thränentau.

All' meines Strebens Wonne
Sei dir geweiht,
All' meines Lebens Sonne
Und Düsterheit -

Der heiße Rausch im Ringen
Um deine Gunst -
Das Klingen und das Singen
All' meiner Kunst -

Mein Herz, das frei und offen
Nach Edlem drängt,
Das zwischen Tod und Hoffen
An deinem hängt -

Mein Lied, das dein Erscheinen
Zu träumen meint,
Das, wenn du weinst, muß weinen
Und häufig weint!

Nimm, die in Lebensfluten
Mir strahlt als Stern,
All meiner Liebesgluten
Urtiefsten Kern!
(S. 79-81)

Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900

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Das Mädchen von Otaheiti

Was macht er denn, um den sie sich betrübt?
Er liebt wohl nicht, den sie so sehr doch liebt?
Alfred de Vigny Dolorida

"So willst du fliehn? so trägt dich bald von dannen
Das unbeständ'ge Segel schon?
Ihr Zelt abbrechen und das Tauwerk spannen
Hört' ich die Schiffer diese Nacht; - wie rannen
Die Thränen mir bei ihrer Lieder Ton!

Fliehn unser Eiland? - sage, schmückt das deine
Ein schön'rer Himmel? kennt den Schmerz es nicht?
Und, wenn du stirbst, bedecken die Gebeine
Dir deine Brüder weinend mit dem Raine,
Des heil'ge Blumen Keiner bricht?

Denkst du des Tags, wo günst'ger Winde Wehen
Zuerst dich trug in diesen stillen Port?
Du riefest mir, zum Hain mit dir zu gehen;
Nie hatt' ich dich bis jenen Tag gesehen,
Und dennoch kam ich auf dein Wort.

Schön war ich damals, doch mich knickten Thränen.
Zieh' nicht, o Fremdling! bleibe hier, bleib' mein!
Von deiner lieben Mutter sprich! - die schönen
Gesänge deiner Heimath laß ertönen,
Die, wie dein Beten, mir das Herz erfreun!

Du nur sollst füllen alle meine Tage!
Hab' ich, daß du entfliehn willst, dich betrübt?
O, laß dich halten! stillen deine Klage
Und gut sein will ich; nennen dich - o, sage
Ihn mir! - bei'm Namen, den dein Land mir giebt!

O, daß ich bei dir nur als Sklavin bliebe!
Säh'st du zuweilen nur herab auf mich!
Gewiß, nicht länger wär' ich bleich und trübe!
Doch, wie die Schwalb', ist flüchtig deine Liebe!
Ich - all' mein Leben lieb' ich dich!

Ach, wo sich drüben deine Berge heben,
Pocht dir entgegen einer Fremden Brust!
O, mein Gebieter, nimm mich mit! - ergeben
Will ich ihr sein, sie lieben wie mein Leben,
Wenn ihre Liebe deine Lust!

Fern meinen Eltern, die ein zärtlich Glühen
Für mich berauscht, fern diesen Wäldern hier,
Fern diesen Palmen - werd' ich nicht verblühen?
Hier sterb' ich einsam; - laß mich mit dir ziehen!
O, laß mich sterben wenigstens bei dir!

Wenn säuselnd die Bananen dich empfingen,
Wenn du mich je geliebt, verstoß mich nicht!
Woll' ohne mich nicht deine Fahrt vollbringen,
Aus Furcht, mein Geist auf seiner Sehnsucht Schwingen
Folge dir nach in einer Wolkenschicht!" -

Als in die flücht'gen Segel früh am Tage
Die Sonne schien, stand ihre Hütte leer;
Nicht am Gestad und nicht im Palmenhage
Sah man die Jungfrau mit der sanften Klage -
Doch auch bei Ihm nicht war sie auf dem Meer.
(S. 23-25)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Dir

Beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel
Psalm 17

Wach auf, o Lyra, lange müssig! - siehe,
Der Tag erhebt sich, den Ihr Name schmückt!
Sie steigt empor, die gottgesandte Frühe,
Die ewig uns begeistert und entzückt!

Geoffenbaret meiner Kindheit, Hehre
Und Reine, hat ein Gott dich feierlich!
Gleich einem Stern in trüber Wolken Sphäre
Sah ich schon früh in meinen Himmeln dich.

Da sprach ich: "Komm, laß theilen uns, Geliebte,
Ein Glück, das Nichts auf Erden unterbricht!"
Denn ich war jung und wissenlos; noch trübte
Mir die Vergangenheit die Zukunft nicht.

Die süße Neigung, weh' mir, ward ein blindes
Und wildes Feu'r, das keinem Zwang sich fügt;
Nicht gleicht mein Leben mehr dem Traum des Kindes,
Das eine unbestimmte Liebe wiegt.

Heut, das entschlafne Opfer plötzlich weckend,
Anstatt des Glückes, drum so heiß ich bat,
Mit finsterm Lächeln meine Seele schreckend,
Warf sich das Unglück schwarz in meinen Pfad.

Wenn einsam man den Kelch des Lebens leeren,
Den bittern, muß, der Galle nur enthält:
Was ohne der Geliebten Zähren
Bleibt dem Verwais'ten übrig auf der Welt?

Er flieht in Asche, wenn um's Haupt der Zecher
Bei'm lauten Mahl die Blumenkrone weht;
Ihm gleicht der Feste Freudenbecher
Der Urne, die auf Gräbern steht.

Die Welt verstößt ihn; - ach, vor ihrem Glücke,
Ein sterbend Licht, in Trauer wandelt er;
Zum Himmel nur hebt furchtlos er die Blicke,
Von Thränen, die nicht fließen können, schwer.

Doch du, o Jungfrau, komm, mir Trost zu geben!
Die Wunden heile, so die Welt mir schlug!
Du - lebe mir! und lasse dir mich leben!
Geliebt zu werden, ach, litt ich genug!

Beglücke mich mit deines Lächelns Schimmer!
Von dir geführt, laß mich durch's Leben gehn!
Nicht ward das Licht genommen mir auf immer;
Komm! zwar in Nacht, kann doch den Tag ich sehn!

Nach Glanz und Ruhm nicht streben meine Lieder;
Und - träfe dennoch mich dies Märtyrthum,
Sei ohne Furcht! nicht halle wieder
In seinem Glücke deines Gatten Ruhm!

In einer keuschen Ehe süßem Bunde
Lass' unser Glück verbergen uns der Welt;
Die Schlange, die sich schlängelt auf dem Grunde,
Ist fremd zwei Vögeln, die der Himmel hält.

Doch füllt mein Leben, schwankend, sturmgetrieben,
O Jungfrau, mit gerechtem Schrecken dich,
Dann fliehe mich, du, die du warst mein Lieben! -
Die du mir Mutter warst, erwarte mich!

Bald werd' ich schlummern auf dem letzten Pfühle,
Beglückt in meiner langen Dunkelheit,
Wenn meinem bald vergeßnen Saitenspiele
Des Wandrers Aug' gleichgült'ge Thränen weiht.

Du - möge nie des Unglücks Hand dich schlagen!
O, sei dein Leben nie von Schmerz getrübt
Um Einen, der gestorben ohne Klagen,
Und der mit so viel Liebe dich geliebt!
(S. 65-68)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Die Wolke

Ueber Thäler und Höhn,
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Durch Flammen und Seen
Wandl' ich, schlüpf' ich überall,
Schneller, als des Mondes Ball.
Shakespeare [Üb. Schlegel]

Die Wolke, Jungfrau, die so still dort ruht,
Sie gleicht den Menschen: - donnernd bald erheben
Wird sie den Sturm, wird sie der Sonne geben
Zurück in Blitzen ihre milde Gluth.

O, daß noch lange eines Engels Odem
Sie schön, wie jetzo, durch den Himmel führt!
Des Himmels Wolke wird ein Nebelbrodem
Der Erde, wenn die Erde sie berührt!

Die Früh' gebiert sie, weil sie schmücken muß
Den Abend, - dann, gebändigt, glühn am Throne
Der Sonne neid'sche Wolken: eine Krone
Von Neidern erst macht groß den Genius.

Losbricht der Sturm, wenn sich das Wetter bricht.
Fast alle sind der Seele Tage trübe;
Allein des Lebens irrende Wolke licht
Vergolden kann die ew'ge Sonn' der Liebe.

Ach, deine Wolke, die so still dort ruht,
Sie gleicht den Menschen: - donnernd bald erheben
Wird sie den Sturm, wird sie der Sonne geben
Zurück in Blitzen ihre milde Gluth.
(S. 72-73)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Wieder Dir

Ahora y siempre
Devise der Pomfret

Dir! immer dir! was sänge sonst die Leier?
Dir Lied der Liebe! Lied der Ehe dir!
Welch andrer Name fachte an mein Feuer?
Von wannen kämen andre Lieder mir?

Dein Aug' erhellt das Dunkel meiner Nächte;
Dein süßes Bild ist meiner Träume Glück;
Im Schatten gehend, hält mich deine Rechte,
Strahlen des Himmels sendet mir dein Blick.

Du flehst für mich mit schützendem Gebete;
Und, schläft mein Engel, so bewacht es mich;
Hör' deine süße Stimm' ich, kühn dann trete,
Das Leben fordernd, in die Schranken ich.

Bist unsern Au'n du keine fremde Blume?
Ruft dir kein Engel: "Komme wieder!" zu?
Tochter des Himmels! seiner Heiligthume
Abglanz, und Echo seiner Lieder du!

Des Tempels Vorhang zu berühren wähn' ich,
Wenn mir dein schwarzes sanftes Auge lacht,
Und, wie Tobias, ruf' mit brünst'ger Thrän' ich:
"O Herr, ein Engel ist in meiner Nacht!"

Als meine Schmerzen sich durch dich entwirrten,
Da fühlt' ich schon, daß mein du würdest; - da,
Dich schauend, stand ich, gleich dem heil'gen Hirten,
Als er zum Born die Jungfrau treten sah.

Ich liebe dich, wie über meinem Leben;
Wie eine Aeltermutter, reich an Rath;
Wie eine Schwester, sorgend mir ergeben;
Ach, wie ein Kind, das man im Alter hat!

So sehr, ach, lieb' ich dich: bei deinem Namen
Schon muß ich weinen! Reich die Erd' an Weh!
Doch Muth! der Baum, zu dessen Fuß wir kamen,
Erhebt die Zweig' in unbekannter Höh'!

O Gott, laß Fried' und Freude bei ihr wohnen!
Trüb' ihre Tage nicht! Herr, sie sind dein!
Du mußt sie segnen! laß die stillen Kronen
Des Glücks die Tugend ihr verlehn!
(S. 89-91)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Ihr Name

Nomen, aut numen!

Der Glanz des Scheins, der Heil'ger Haupt umglühet;
Der Lilie Duft, die Weste lind umwehn;
Des Freundes Klage, der um uns sich mühet;
Das Lebewohl der Stunde, die entfliehet,
Und eines Kusses süß Getön;

Die sieben Farben, welche, wie Trophäen,
Der Sturm zurückläßt auf der Wolke Saum;
Geliebter Züge plötzlich Wiedersehen;
Argloser Jungfraun rein und innig Flehen,
Und eines Kindes erster Traum;

Des fabelhaften Memnon süß Erklingen,
Wenn ihn die Morgenröthe reden hieß;
Entfernter Chöre leis verhallend Singen -
Was es auch geben mag von süßen Dingen,
Ist minder, als ihr Name, süß!

O, sprich ihn aus, wie ein Gebet, ganz leise!
Doch hall' er stets in unserm Lied! - Das Licht,
Das am Altar brennt zu des Ew'gen Preise,
Das Wort sei er, das im geweihten Kreise
Des Heiligthums stets Eine Stimme spricht!

O meine Freunde! eh' mit Flammenlauten,
Zugleich mit Namen, die der Stolz nur kennt,
Verirrten Fluges, diesen Einen trauten
Und keuschen Namen, welchen mir vertrauten
Engel der Liebe, meine Muse nennt:

Muß sich mein Hymnus wie ein Lied erheben
Von denen, welchen auf den Knien man lauscht;
Von seinem Tönen muß die Luft erbeben,
Wie wenn ein Engel im Vorüberschweben
Mit unsichtbaren Schwingen uns umrauscht!
(S. 92-93)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Spaziergang

Sieh' da die Orte, theuer meinem Träumen,
Sieh' da die Wiesen, deren Schmelz ich sang.
Amable-Tastu, die verirrte Leier

Komm! von dem Schleier sei dein Haupt umweht,
Den deine Nadel künstlich hat besä't
Mit Blumen! komm, tritt unter die Platanen!
O komm! wirf über Kaschmir's reichen Shawl,
Der einst verborgen eines Emirs Stahl,
Vielleicht den Busen selber der Sultanen!

Im Abendlichte sieh' der Weiler Rauch!
Er steigt empor und schwindet; - also auch
Seh'n Ehr' und Ruhm wir uns vorübergehen!
Ein thöricht Hoffen läßt uns glänzen hier,
Bald diesen und bald jenen, so wie wir
Dies letzte Licht den Rauch vergolden sehen.

Nah' einem Herzen, welches für mich schlägt,
Wie süß ist es, durch das Gefild bewegt
Zu wandeln, wenn der müde Tag erlischet!
Wie süß, an deiner Hand durch's Thal zu gehn,
Wenn mit des Abendwindes frischem Wehn
Sich deines Odems süßer Duft vermischet!

Für solch ein Glück schwärmt' ich von Kindheit an!
Es zu erringen, was hab' ich gethan!
Und was gelitten! - ohne dich, wo hätte
Ich Frieden, jetzt, wo Alles hadert schier?
Ich wünsche nichts mehr! zu bevölkern mir
Weißt du die Wüsten, und sogar die Städte!

O sieh', ein Stern zeigt nach dem andern sich!
So, wenn des Rauchwerks Düfte feierlich
Ein Schloß durchwehn bei einem großen Feste -
Die Kerze lodert, und die Fackel flammt! -
Sieht vor der Zeit oft auf den reichen Sammt
Man setzen sich die eiligsten der Gäste.

Ein Meteor! - es glüht, und es erblaßt!
So, von geheimen Uebeln rauh gefaßt,
Stürzt jählings oft ein Großer und ein Wackrer!
Die Menge sieht es kalt, und folgt dem Strom: -
Was ist ein Stern, der von des Himmels Dom
Herniederfällt, auf dem Gefild dem Ackrer?

O, du bist nicht so, du, die jedem Leid
Erhabner Seelen eine Thräne weiht!
Du, die da seufzet über den Poeten!
Die für die Opfer leise fleht, und um
Die Henker klagt, und (schweigend, doch nicht stumm!)
An eines Helden ernste Gruft mag treten!

Wenn deinem Blick mit schwarzen Thürmen durch
Den schwarzen Wald sich zeiget eine Burg,
Fern von der Stadt verwirrendem Getreibe:
Dann stehst du still, und zwischen den Creneaux
Des alten Thurms, bewachsen dicht mit Moos,
Sucht und verliert dein Aug' des Mondes Scheibe.

Ich bin es, Liebe, welcher dich gelehrt,
Zu lieben diese Trümmer, wo, bewehrt
Von ihrer Pathin, junge Ritter flehten;
Ich lehrte dich, zu lieben diesen Grund,
Wo einer Fürstin Küsse schon den Mund
Berührten des entschlummerten Poeten.

Doch laß uns gehn! die Dunkelheit bricht an!
O sieh', die Wellen wiegen schon den Kahn,
Der uns nach Hause tragen soll, den schwachen!
Er ist des unbeständ'gen Lebens Bild:
Der Strom der Zeiten schaukelt es, verhüllt
Von tiefer Nacht - der Abgrund trägt den Nachen!

Das Leben flieht mit jedem Augenblick
Zur Ewigkeit; - der Körper bleibt zurück,
Wenn sich der Geist emporschwang in die Lüfte.
So, bei der dunkelrothen Rose Tod,
Sinkt hin ihr Blatt, umsonst vom Morgenroth
Geküßt, und himmelwärts fliehn ihre Düfte!
(S. 113-116)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Gestern die Sommernacht

Gestern die Sommernacht, die freundlich ihre Schleier
Uns lieh - sie war dein werth, so brannten ihre Feuer!
So lieblich war ihr Hauch, ihr Wehn so feierlich!
So plötzlich ließ den Tag, den lauten, sie vertönen!
So mild besprengte sie mit ihres Thaues Thränen
Die Blumen, dich und mich!

Voll Lust, daß meinem Geist der deine sich vermähle,
Saß ich; - du sahst mich an mit deiner ganzen Seele!
Schönheit umwob dein Haupt mit Strahlen lichten Scheins.
Und, ohne daß ein Wort verrieth, was du gesonnen,
Senkte der süße Traum, den erst dein Herz begonnen,
Zu end'gen, sich in meins!

Und ich erhob den Herrn, daß er mich so beglückte;
Daß er die Nacht und dich mit so viel Reizen schmückte;
Daß er, den nimmer noch mein Mund genugsam pries,
Daß er euch schuf, die Nacht und dich, zu meiner Freude,
So voll von Licht und Duft und Murmeln - alle beide
So lieblich und so süß!

O, preis' ihn! Wolle fleh'nd dem Staube dich entraffen!
Er ist's, der dich erschuf, und der die Welt erschaffen.
Er, der mein Herz entzückt, und segnet mein Gesicht!
Er, den in jeglichem Myster man wiederfindet!
Der deiner Augen Licht auf Erden angezündet,
Wie dort der Sterne Licht!

Gott ist es, der die Lieb' in alle Dinge legte;
Sie, die von Anbeginn, was war und ist, bewegte!
Gott auch, durch den die Nacht von Wonnen überfließt!
Und er zuletzt auch, der, daß seine Huld dich kröne,
Auf deinen Leib ausgoß, wie einen Kelch, die Schöne;
Der Lieb' in's Herz mir gießt!

O, laß dich lieben drum! - Die Liebe ist das Leben!
Ihr Fliehn nur überrascht und schmerzt uns, wenn mit beben
Wir unsre Jugend sehn zu Ende neigen sich.
Nichts, was, wo sie nicht ist, besel'ge, strahle, lohne!
Die Schönheit ist die Stirn, die Liebe ist die Krone:
O, lasse krönen dich!

Was eine Seele füllt, ist wahrlich nicht, o glaub' es!
Ein wenig Gold und Ruhm, die nicht'ge Hand voll Staubes,
Die schweißbedeckt der Stolz im Kampfe sich erjagt!
Der Ehrgeiz ist es nicht, der da verscheucht den Frieden;
Der da den bittren Bast der Dinge, die hienieden,
Mit trüber Gier benagt;

Nein, siehst du, es bedarf, zu füllen unsre Seele,
Daß einer andern sie sich inniglich vermähle!
Des glüh'nden Kusses, der auf Lipp' und Busen brennt,
Der Worte, die ein Blick in eines andern Feuer
Kann lesen - jedes Lieds bedarf's der süßen Leier,
Die man das Herze nennt!

Nichts unter'm Himmel giebt's, was sein Gesetz nicht hätte
(Wenn ein geheimes auch,) und seine Ruhestätte,
Die unsrer Triebe Macht uns ewig suchen heißt;
Der Fischer hat den Kahn, daß ihn die Hoffnung fahre;
Der Schwan hat seinen See, die Felswand ward dem Aare -
Die Liebe ward dem Geist!
(S. 316-319)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Weil lechzend meine Lipp' an deinem Kelch gesogen

Weil lechzend meine Lipp' an deinem Kelch gesogen,
Weil meine bleiche Stirn in deinen Händen lag;
Weil deines Odems Duft mein Odem eingesogen,
Weil ich an meiner Brust gefühlt der deinen Schlag;

Weil mir's gegeben ward, daß ich dich sagen hörte
Die Worte, die das Herz ausspricht mit heil'gem Flehn;
Weil, heiß in meines glüh'nd, dein Auge mir gewährte,
Froh lächeln dich zu sehn, und weinen dich zu sehn:

Weil auf mein lockig Haupt, das, ach! nur selten helle,
Ein Strahl schien deines Sterns mit wunderbarem Glanz,
Und weil ich fallen sah in meines Lebens Welle
Ein prangend Rosenblatt aus deiner Tage Kranz;

So kann ich sagen jetzt: - Vorüber, flücht'ge Jahre!
All' eure Blumen schon sind welk! ich bin ein Mann,
Der nimmer älter wird, der eine wunderbare
Blum' in der Seele trägt, die keiner brechen kann!

Streift euer Flügel auch, doch bricht er nicht, der rasche,
Die Schale, deren Born mir ew'ge Labe beut;
Mehr Gluth hat meine Seel', als ihr besitzet Asche;
Mehr Liebe hat mein Herz, als ihr Vergessenheit!
(S. 326-327)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Die arme Blume

Die arme Blume sprach zum Schmetterlinge:
Flieh' nicht! uns fiel
Ein zweifach Loos; du ziehst auf flücht'ger Schwinge,
Ich haft' am Stiel!

Und dennoch lieben, fern der Menschen Neide,
Einander wir!
Wir gleichen uns; man sagt uns: alle beide
Seid Blumen ihr!

Doch, ach! du folgst der Lüfte mildem Wehen;
Mich hält der Strauch!
Wie gerne schickt' ich in die blauen Höhen
Dir meinen Hauch!

Umsonst! du flatterst rastlos auf den Matten,
Gibst Kuß auf Kuß;
Indeß ich, trauernd, einsam meinen Schatten
Betrachten muß!

Du fliehst, kommst wieder, zeigst auf jedem Beete
Des Fittigs Glanz,
Und findest mich bei jeder Morgenröthe
In Thränen ganz!

O du, mein König, soll die Lieb' uns bringen
Glück, Wonne, Rast:
Gleich mir dann wurzle, oder gib mir Schwingen,
Wie du sie hast!

Zuschrift an . . . . . . .

Rosen und Falter, alle sie einst einen
Im Grabe sich.
Warum erst dann? Im Leben, sollt' ich meinen! . . . . .
Wir beide? - sprich!

Sei's hoch im Licht, wenn lieber dessen Spuren
Dein Flug begrüßt;
Sei's auf der Flur, wenn gern sich auf den Fluren
Dein Kelch ergießt!

Wo dir's gefällt! Im Thal und auf dem Hügel
Und in der Luft!
Gleichviel, ob du Korolle bist, ob Flügel,
Glanz oder Duft!

Doch Eins thut Noth: Beisammensein! - O werde,
Die mich beglückt!
Dann kann man wählen, Himmel oder Erde,
Wie es sich schickt!
(S. 336-338)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Lyrische Gedichte von Victor Hugo
Deutsch von Ferdinand Freiligrath
Frankfurt am Main Druck und Verlag von Johann David Sauerländer 1845
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Warum verbirgst Du Dich? Du hast geweint, allein,
Im Stillen. Was Dich drückt und schmerzt, - was mag es sein?
Was trübt der Seele Spiegelfläche?
Ein düstres Vorgefühl? Der Reue Biß, der traf?
Ist's die Erinnerung, die Todte weckt vom Schlaf?
Ist's weiter Nichts als Frauenschwäche?

Sahst Du der Liebe Glück Dir schwinden über Nacht,
Die holden Schwestern all, die Hoffnungen, die sacht
Herschweben, wenn der Morgen funkelt,
Sie, die vor unsrem Thor bekränzt sich drehn im Tanz,
Die lächelnd deuten nach dem fernen, goldnen Glanz,
Und sterben, eh' der Abend dunkelt?

Kehrt' aus dem dunkeln Grab ein Schatten bei Dir ein
Mit Freundeszügen, auf dem Antlitz Schmerz und Pein,
Und hörtest Du ihn leise wimmern
Und fragen: wann Du vor den Kreuzen, bald von Stein
Und bald von schwarzem Holz wirst knie'n im Abendschein,
Dran so viel welke Kränze hängen?

Doch nein, es war kein Geist und keine Vision:
Denn Thränen, ach, entlockt uns der Gedanke schon,
Daß nie der Honig ohne Galle
Hienieden, daß auch schwarz der Himmel, daß sein Ziel
Der Ehrgeiz stets verfehlt, daß wir des Zufalls Spiel,
Daß Hoffnung nicht uns schützt vorm Falle.

Was fliegt dort vor uns her mit Schwingen wunderhold,
In Purpur und Saphir buntschimmernd und in Gold?
Wir rennen nach, wir große Jungen.
Doch Purpur, Gold und Schmelz, sie haben nicht Bestand,
So bald den Schmetterling ergreift des Kindes Hand,
Wenn Du, was Du gehofft, errungen.

O weine! - Weine selbst im Glück! - Der Seufzer macht
Dein Lied nur schöner; kaum getrocknet, süßer lacht
Dein Auge, heitrer uns entgegen.
Ein Sommerregen färbt mit frischem Grün die Au,
Im hellsten Glanze schwimmt des Himmels Azurblau,
Nachdem es rein gespült der Regen.

Wie Rahel hat geweint, wie Sarah, wein' auch Du!
Denn Schmerz ist unser Theil, nie läßt er uns in Ruh;
Wer lacht, kann nur als Thor erscheinen.
Wenn wir gefallen, hebt uns auf die Hand des Herrn,
Die Guten hat er, mehr die Leidenden noch gern,
Die knien und beten und die weinen.

O weine! Thränen sind ein himmlisches Geschenk!
Du hast gefehlt, es fließt die Thräne Dir, bedenk,
Wie sie mit neuer Kraft Dich segnet.
Oft fühlt die Seele, wenn des Zweifels Stimme schweigt,
Wie aus der innern Nacht der Tag, der lichte, steigt
Und sie mit süßem Thau beregnet.

O weine! Vor der Welt verbirg Dich, wenn Du weinst,
Such' ein Asyl in Dir! - Und um mit Weisheit einst
Den bittersüßen Kelch zu leeren,
Tief unterm äußern Glanz der frohen Gegenwart,
Im Grund der Seele, wie man eine Frucht verwahrt,
Birg heimlich Deinen Schatz der Zähren.

Die Blume, die gerührt dem Tag entgegenweint,
Im schönsten feuchten Glanz am Mittag noch erscheint,
Und strahlt wie eine Himmelsleuchte,
Tief unterm goldnen Schmelz oft hegt sie einen Fund,
Wo all ihr Duft sich birgt, in ihres Kelches Grund
Birgt oft die Perle sie, die feuchte.

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 35-37)

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An ***

O Ros' und Schmetterling! - Das Grab vereint uns - kommen
Wird der Tag.
Sei hier schon mein. Bedenk, daß all das Warten frommen
Uns nicht mag.
Sei in den Lüften, wenn in des Himmels Lüfte
Du dich tauchst;
Sei mein im Feld, wenn du im Feld als Blume Düfte
Lieber hauchst.

Sei, was du willst. Ein Duft, ein Farbenspiel, und strahle
Lustig, frei,
Beflügelt, oder als halboffne Blum' im Thale,
Wo es sei,
Sei stets bei mir! O laß nach Andrem nicht uns schauen,
Sei nur mein,
Mag's auf der Erde, mag es hoch im ewig blauen
Himmel sein.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 129)

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Am Meeresstrand

O sieh, wie schön! - Die Landschaft, grenzenlos,
Die ewig vor uns endet und beginnt,
Kornfelder, Bäche, Wiesen, das Gehölz,
Die Hütte dort, aus der man lachen hört,
Der Ocean, in welchen sich der Strand
Verliert, auf dem wir stehn, der Golf, gebildet
Durch Gottes und der Menschen Hand, der Spuren,
Von Beiden deutlich schon im Umriß zeigt,
Die Felsenmassen unter Thurmruinen,
Die Haiden, Wälder, die zerrissnen Klüfte,
Die Höhlen, die des Meeres Wogen trinken,
Der Berg, mit Wolken um die Stirne, der
Ein grünes Thal in seiner Falle trägt,
Wie Blumen trägt ein Kind in seiner Schürze,
Die Stadt, im Nebel halb versteckt, und summend
Von fern, mit tausend Häusern, Dach an Dach,
Der Menschenlärm, das Sausen in den Zweigen,
Verlorne Worte, halbverwehte Lieder,
Die Wogen, die am Strande sanft sich brechen,
Wodurch der Berge Schatten zitternd spielt,
Das Seegras mit den langen, grünen Haaren,
Die Vögel, fliegend, schäckernd; hier ein Pflug,
Und dort ein Boot, die beide Furchen ziehen,
Die Masten und die Bäume, Spiel der Stürme,
Und jenseits über diesen fernen Hügeln
Am Horizont seltsame Wolkenbilder.
Das Alles, was verschwimmend oder klar
Wir schau'n, im Schatten gaukelnd, hell erscheinend
Im Sonnenschein, entfliehend, aufrecht stehend,
Geneigt, vereinzelt, wimmelnd, Wellen, Felsen
Und grüne Rasen: - schau, das ist die Erde!

Und über deinem Haupt die lichten Wolken,
Wo halb zerrissen hängt ein Purpurmantel,
Das Azurblau, das Abends schwarze Nacht
Wird sein, die Wohnung ew'ger Harmonie,
Die Sonne, diese strahlenreiche Sonne,
Die jedes Ding für unsern Blick verändert,
Und Regentropfen in Metall verwandelt,
So daß man glänzende Ruinen nur
Zu sehen wähnt, emporgethürmte Massen
Von blankem Erz und Kupfer, die sich über
Einander stürzen, Panzer, Schilde, Schienen,
Harnische, goldne Decken auf dem Rücken
Von weißen Rossen; jener Ocean,
So weich, so bläulich, ohne Grund und Mitte,
Und ohne Grenz' und Ufer, - dort der Aether,
Der zitternd schwingt bei jedem Athemzug,
In dem, was athmet, kreist, gezogen zieht,
Hat seine Welle, die mit andern Wellen
Sich mischt, in dessen unermessnem Schooß
Zusammenströmen Nord- und Frühlingswinde,
Des Morgens Grau'n, die Abenddämmerung,
Dezemberfrost und schwüle Hundstagshitze,
Der Duft der Blumen und des Weihrauchs Wolke,
Die Sterne, funkelnd auf dem Kleid des Abends,
Des Nebels Schleier, und der fahle Schimmer
Der Sterne, Flittergold im dunkeln Flor,
Der Lärm der Schlacht, der Trommel wilder Wirbel,
Des Nestes Rauschen, das vor Liebe zittert,
Hauch, Echo, Nebel, Rauch, die tausend Dinge,
Die noch kein Menschenmund genannt, die Wogen
Des Lichtes und des Schalls gewiegte Wellen,
Was man am Tage sieht und ahnt bei Nacht,
Das Alles, Wolken, Aether und Azur,
Der Weltraum, dieser Ocean der Luft,
Die hohe Region der Flammenstrahlen
Des Lichts, wohin den Menschen zieht der Geist,
Wohin wir beide fliehn, wo um das Haupt
Und neben uns, nach ewigen Gesetzen,
Die Vögel fliegen, fern von uns die Welten,
Dies unaussprechlich unermessne Reich,
So furchtbar schön, - schau auf, es ist der Himmel.
***
Die Erd' ist reizend, ja, der Himmel schön gebreitet;
Doch wenn Dein Auge flammt, Dein Busen wogt so bang,
Wenn auf dem Rasen hin Dein leichtes Füßchen gleitet,
Und keine Leier tönt so lieblich wie Dein Gang;

Und wenn Dein Lächeln süß, des Geistes Morgenröthe
Mich überstrahlt, der mit Entzücken Dir sich neigt,
Und wenn vom ros'gen Mund die Flamme, die erhöhte,
Wie zum Zenith, hinauf zu Deiner Stirne steigt;

Wenn Deiner Stimme Laut von fern mir dringt zu Ohren,
Ein halb verständlich Wort, das kaum gesagt entflieht,
Wie Wellenrauschen, das in Büschen sich verloren,
Wie eines Vogels Lied, den man nur hört, nicht sieht;

Und wenn mein Lied, dem sie mit Hohn und Haß erwidern,
Für einen Augenblick auf Deinem Haupte ruht,
Wenn trauernd Obdach sucht mein Lied bei Deinen Liedern,
Wie hinter weißer Hand sich birgt des Lichtes Glut;

Seh' ich in Deinem Aug' oft Deine Seel' erscheinen,
Wenn Abends wir im Thal uns setzen, laubumhüllt;
Und blickst du, trauernd wie verbannte Schwestern weinen,
Nach einem schönen Stern, nach einem Tugendbild;

Wenn unter Deinen Brau'n, - wie Feuer unter Bäumen, -
Dein Auge matter glänzt, und banger schlägt das Herz;
Wenn vom vergangnen Leid Du oft beginnst zu träumen,
Wenn Du mir lächeln willst, und weinen mußt vor Schmerz;

Wenn Sinn und Nerven mir, durch Dich gerührt, sich regen,
Gleich einem Instrument, das angeschlagen klingt,
Wenn Deine Finger sich auf meine Finger legen,
Die zittern, und mein Herz mitbebend tönt und singt;

Wenn ich Dein Engelsbild, die himmlisch süßen Mienen
Betrachte, wenn Dein Geist und Wesen auf sich schließt,
Und wie der Feuerbusch, in dem einst Gott erschienen,
Der Blüthen Fülle zeigt und Flammen rings ergießt; -

Die tausend Reize, die Dein Wesen dann umkosen,
Die süßen Düfte, die dann Deine Schönheit streut,
Der feinste Wohlgeruch, wie Hauch von hundert Rosen,
Es ist die Liebe, - mehr als Erd' und Himmel weit.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 130-133)

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Da uns der Blüthenmond ins Freie lockt,
So komm, und werde müde nicht die Seele
An Wald und Feld und schattigem Grün zu laben,
Am Mondschein auf den schlafenden Gewässern,
Am Pfad, der endet beim Beginn der Straße,
An Lenz und Luft und blauem Himmelssaum,
An dem die Erde hängt in freud'ger Demuth,
Wie Lippen ruhn auf eines Kleides Saum.
O komm, damit der Blick der keuschen Sterne,
Der, dicht umschleiert, doch zur Erde dringt,
Der Baum, umhaucht von Duft und Vogelsang,
Des Mittags heißer Athem im Gefild,
Und Sonn' und Schatten, Wellen, frisches Grün,
Die ganze Strahlenfülle der Natur,
Wie eine Doppelblum', aufblühen macht
Auf Deiner Stirne Schönheit, Lieb' im Herzen.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 136)

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Die Andern schlendern in des Lebens Irre,
Und Wunsch, Verlangen, Geist und Triebe wenden
Sich, wie's die Dinge fügen, die da kommen,
Die Füße gehn, doch ohne Kopf, sie handeln
Baar des Gedankens, blindlings gehn sie nach
Entwürfen, Träumen, jeder Pforte, die
Sich öffnet, jedem Wind, der sich erhebt.
Der Augenblick verschlingt sie ganz und gar,
Sie waren nie und werden niemals sein,
Sie sind nur. Ewig schwankend ist ihr Geist.
Sie gehn, und halten keine Richtung ein,
Eins löscht in ihnen aus das Andre, Lust
Und Langeweile, Heut und Gestern, Ja
Und Nein. Von einem Tag zum andern leben
Sie, von Gedanken zu Gedanken nur,
Und regellos sind sie in ihren Wünschen
Und ohne Gränze, Maß und Harmonie.
Fällt's Ihnen ein, ein Stündchen nachzudenken,
So haben sie vom Hintergrund des Lebens
Nicht eine Ahnung noch von ferner Zukunft;
Nichts weiß ihr mattes Herz von Liebesgram,
Und die Vergangenheit ist ohne Wurzeln
Für sie, und ohne Blüthen ist die Zukunft.

Doch Du, das Licht, die Freude meiner Seele,
Die, Frau zumal und Engel, seit zwölf Jahren
Mich zog nach Oben, und hier unten lenkte,
Die unter ihren Fittig bald mich nahm,
Bald in den Arm, in Ruhe mich zu wiegen,
Die immer in ihr Wort die Seele legte,
Die täglich, als ein lebendes Symbol,
Den innern Frieden durch die äußre Ruhe
Mir vor das Auge stellte, durch des Leibes
Gesundheit ihres Geistes süße Frische,
Durch Frohsinn ihrer Güte, gleich den Göttern
Die höchste Schönheit durch die höchste Tugend;
Du, meine Leuchte, mein Magnet, mein Pol,
Du weißt, indeß wir schwankend gehn durch's Leben,
Daß ihre Regel jede Seele trägt
In sich, drum bist Du lautre Heiterkeit,
Klarheit und Treue, nie die Harmonie
Des Ganzen wirst Du stören, und Du bist
Auf Erden, was im Himmel ist die Sphäre.
In Dir ist keine Härte, die sich stößt,
Anmuth an Dir ist Alles, Deine Seele
Vermählt sich heiter lächelnd Deinem Geist,
Dein Leben, oft vom Thränenthau befeuchtet,
Verborgen, wie ein Nest im Wald, in dem
Man wimmern hört, wie leise, träge Wellen,
Hinschleichend über Moos, ist ein Concert,
In bunten Tönen hold zusammenklingend,
Dein Lächeln, Deine Güte, Schönheit, Jugend,
Dein ganzes Sein ist ein erhabner Hymnus,
So schön bist Du, so ganz vollendet, daß
Aus jeder Regung, jedem Schritt Musik
Hervor in ernsten, reinen Tönen strömt.
Schall sind die Andern, Du, Du bist ein Lied.

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 137-138)

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Die Liebe, Mädchen, ist ein Spiegel für die Frau'n
Zuerst, in dem kokett die Schönen sich beschau'n,
Ihr Tröster ist er, ihr Vertrauter;
Doch, wenn sie Euer Herz ganz eingenommen, fegt
Sie, wie die Tugend, aus das Böse, das ihr hegt,
Und macht die Seele rein und lauter;

Dann etwas tiefer steigt ihr nieder, weh, der Fuß
Glitscht aus ... Ein Wirbel ist's, der euch verschlingen muß;
Eh ihr es ahnt, seid ihr gesunken.
Die Lieb' ist reizend, rein und sterblich. Traut ihr nicht.
Ach, manches Kind schon hat gespiegelt sein Gesicht,
Benetzt im Fluß, und ist ertrunken.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 198)

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Hier auf Erden, wo mit Bangen
Nachts im Wanderzelt man ruht,
Darfst Du Freude nicht verlangen,
Liebe sei Dein liebstes Gut.

Nur die Liebe bleibt; das Leben
Jammer ist's und Qual und Frohn,
Leidend sich zu Gott erheben
Lernen muß der Erdensohn.

Blüthen wird der Baum nur bringen,
Saugt er Säfte wieder ein.
Der Vollendung Ziel erringen
Wird der Mensch durch Leid allein.

Jeder hofft, ein Freudebringer
Sei der junge Tag, der winkt,
Jeder streckt mit Hast die Finger
Aus nach einem Ding, das blinkt.

Jede Seele weckt aus süßen
Träumen auf des Unglücks Hand,
Ein Gespenst auf Felsenfüßen
Langsam schreitet es durch's Land.

Herb ist Alles, was wir haben,
Und ein Auge, feucht umhüllt,
Sieht vom Glück und seinen Gaben
Nur ein fernes Schattenbild.

Hoffnung, süß und täuschend immer,
Die wie Morgenroth uns blinkt,
Dämmernd leiser, ros'ger Schimmer
Um das Ziel, das fern uns winkt!

Widerschein der ew'gen Sonne,
Der durch Dunst und Nebel fließt,
Abglanz jener sel'gen Wonne,
Die das gläubige Herz genießt!

In entzückenden Gesichten
Goldne Wunder sehn wir blühn,
Die aus Eden durch die lichten
Zweige seiner Bäume glühn.

Schatten senkt von jenen Bäumen
Sich auf unsre ird'schen Au'n.
Rauschen hört in seinen Träumen
Sie das Herz mit süßem Grau'n.

Ach, den Widerschein von jenen
Gütern nennen wir das Glück.
Schatten haschen wir mit Sehnen,
Doch das Wesen bleibt zurück.

Nun, wozu durch lüftge Räume
Segeln? Leb' und leide hier,
Lächeln kann man über Träume,
Was uns bleibt, beweinen wir.

Hat gekreuzigt nicht die Menge
Gottes Sohn? - O klage nicht.
Dulde! sagt die Pflicht, die strenge.
Liebe! sagt die süße Pflicht.

Laß zu Zwei'n uns sein, in Freude
Lieben uns, wie in Gefahr!
Schön sind nur zwei Augen, beide
Flügel machen erst den Aar.

Ja, zu Zwei'n! Die Hand uns geben
Wir zum innigsten Verein!
Eins soll unser Beider Leben,
Eins soll unsre Hoffnung sein.

Und im Schmerz mich glücklich wähnen
Will ich, wenn mein Traum, o Kind,
Ist Dein Traum, wenn meine Thränen
Allezeit die Deinen sind.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 309-311)

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Gott, der gnädig ist den Engeln
Und den Menschen, wird, wenn rein,
Kind, Du bist und frei von Mängeln,
Zufrieden sein.

Und die Welt, wo prächtig flimmernd
Herrscht der eitle, kalte Schein,
Wird, wenn schön Du bist und schimmernd,
Bezaubert sein.

Doch, mein Herz, in Deiner Nähe,
Süß berauscht vom Liebeswein,
Wird, wenn ich Dich glücklich sehe,
Im Himmel sein.

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Dritter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 348)

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An Dich
Vierte Ode

Sub umbra alarum tuarum protege me (Ps. XVI.)
Beschirme mich unter dem Schatten Deiner Flügel

Wach' auf, mein Saitenspiel, der stummen Nacht entsage.
Er kommt, dem unser Herz entzückt entgegenschlägt,
Der Tag, der schönste aller Tage,
Der ihren süßen Namen trägt.

O Jungfrau, schon dem Kind hat Dich in Schönheit blühend
Und rein ein Gott gezeigt, Dich durft' im Traum ich sehn;
Wie einen weißen Stern, durch Wolkenschleier glühend,
Sah frühe schon ich Dich an meinem Himmel stehn.

"Du, meine Hoffnung!" - wagt' ich damals Dir zu sagen:
"O theil' ein Glück mit mir, das nie vergeht, mein Licht!"
Denn die Vergangenheit, in jenen kind'schen Tagen,
Verdunkelt hatte sie die Zukunft mir noch nicht.

Der süßen Flammenglut war ganz mein Herz ergeben,
Weh' um die schöne Zeit, die, ach, so rasch verfliegt,
Wo eines Kindes Glück mein Leben
Noch war, das spielend sich in Liebesträumen wiegt.

Vor seinem Opfer hat das Schicksal sich erhoben,
Und weckt den Träumer, der an Unglück nie gedacht,
Tritt ihm vor's Auge, das der Hoffnung Strahl umwoben,
In schrecklicher Gestalt und grinst ihn an und lacht.

Wenn der Unglückliche des Lebens Kelch soll leeren,
Der bittern Wermuth ach, und Galle nur enthält, -
Was, ohne der Geliebten Zähren,
Bleibt ihm noch übrig in der Welt?

Wenn Blumen um die Stirn sich winden frohe Gäste,
In Sack und Asche muß er fliehn, betrübt und bleich:
Der Freudenbecher seiner Feste
Sieht einer Todtenurne gleich.

Wie ein erloschnes Licht, umnachtet ist sein Leben,
Den Leidenden verstößt die Welt, er ist im Bann;
Allein zum Himmel hebt sein Aug' er ohne Beben,
Das Auge thränenschwer, das doch nicht weinen kann.

Doch Du, o Jungfrau, komm', erhöre meine Bitten,
Den Giftpfeil zieh' mir aus, und lindre meine Pein;
O tröste, - liebe mich! Genug hab' ich gelitten,
Sei Du mein eigen, laß mich ganz Dein eigen sein!

Mir holder Sonnenschein sei Deines Lächelns Schimmer;
Die Liebe nur beglückt! Noch bin ich nicht verzagt,
O komm, entrissen ist das Licht mir nicht für immer,
Nacht ist's um mich, doch seh' ich schon, wie hell es tagt.

Ich singe nicht um Ruhm, er wird mich nie bethören,
Und wird mir diese Last, - o schrecke nicht zurück:
Nie wird des Gatten Ruhm, - deß sei versichert! - stören
Der Gatten stilles Liebesglück!

O laß uns selig sein am häuslich stillen Herde,
Vor aller Welt versteckt sind wir uns selbst genug!
Die Schlange, kriechend an der Erde,
Schreckt nicht zwei Vögel, die zum Himmel trägt ihr Flug.

Doch wenn mein Lebenslenz, der stürmische, Du zarte
Jungfrau, Dir scheint bedroht von Schrecken und Gefahr,
Dann fliehe, Theure, die mir Gattin war! - Erwarte
Du mich, die meine Mutter war!

Bald werd' ich schlafen, fern dem eitlen Prunk der Ehre,
Zufrieden, glücklich in der Nacht, die mich umschlingt,
Wenn auf mein einsam Grab fällt eines Wandrers Zähre,
Dem mein verschollnes Lied noch spät im Ohre klingt.

Doch Du, - nie mögen Dich bedrohn umwölkte Tage,
Und denke seufzend nie und nie mit stiller Reu'
An den, der ruhig ist gestorben ohne Klage,
Und Dich geliebt so heiß, so treu!

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 260-262)

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Dir und wieder Dir
Zwölfte Ode

Ahora y siempre
Devise der Pomfret

Nur Dir! und immer Dir! Wem könnt' ich sonst wohl singen?
Für Dich ein Liebeslied! Ein Brautlied Dir, nur Dir!
Bei welchem Namen sonst wird meine Leier klingen?
Weiß ich ein Lied denn sonst? Wo blüht mir schönre Zier?

Zum Tage wird die Nacht in Deiner lichten Nähe,
Und schlaf' ich ein, so blickt Dein Bild in meine Ruh',
Du führst mich an der Hand, wenn ich im Dunkel gehe,
Aus Deinen Augen lacht des Himmels Glanz mir zu.

Dein frommes Flehn bewahrt vor Kummer mich und Leiden,
Entschläft mein Engel, Dein Gebet beschirmt mein Haus,
Klingt Deine Stimme mir, so stolz und so bescheiden,
Zum Kampfe fordr' ich dann das Schicksal selbst heraus.

Ruft nicht Dich heim ein Laut aus einer Engelskehle?
Ein fremdes Blümchen bist Du doch im irdschen Thal;
Der Engel Schwester bist Du, Seele meiner Seele,
Ein Echo ihres Lieds, von ihrer Glut ein Strahl.

Rauscht Dein Gewand vorbei, berührt mich Deine Schleife,
Seh ich Dein Auge, schwarz und hold, wie mir es lacht,
Ist mir, als ob ich leis des Tempels Vorhang streife,
Und, wie Tobias, seh' ich Engel in der Nacht.

Sprichst Du zu mir, ist schnell mir Schmerz und Leid zerronnen.
Ich fühl' es, wie zu Dir ein Zauber hin mich zieht,
Dem frommen Hirten gleich, der reisemüd zum Bronnen
Die Jungfrau mit dem Krug am Abend wandeln sieht.

Ich liebe Dich, als wärst vom Himmel Du gesendet,
Wie eine weise Frau, ehrwürdig, fromm verklärt,
Wie eine Schwester, die mir Trost und Labung spendet,
Als wie ein jüngstes Kind, dem Alter spät bescheert.

So innig lieb' ich Dich, daß schon Dein Name Zähren
Mir lockt ins Auge, Du bist meines Lebens Licht.
Nein, durch die Wüste kann der Zug nicht ewig währen:
Der Baum, der Schatten uns verleiht, - hier grünt er nicht.

Verleih ihr, Herr, daß sie sich sanfter Tage freue,
Gönn' ihr den Frieden, die Dich über Alles liebt.
Du wirst sie segnen, denn ihr Herz voll Lieb' und Treue
Wünscht nur ein stilles Glück, wie es die Tugend gibt.

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 280-281)

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Ihr Name
Dreizehnte Ode

Nomen aut numen

Der Lilie reiner Duft, der Sonne letztes Glühen,
Das Säuseln, wenn der Abend thaut,
Des Freundes Klage, der dem Freund des Lebens Mühen
Will lindern, das Lebwohl der Stunden, die verblühen,
Der Liebesküsse holder Laut;

Das siebenfarbige Band, das, fliegend gleich Trophäen,
Der Sturm der Sonne läßt, die siegt im Himmelsraum,
Der lieben Stimme Ton beim ersten Wiedersehen,
Der Jungfrau stiller Wunsch und tief geheimes Flehen,
Des Kindes erster holder Traum;

In stiller Wüstenluft der Memnonsäule Klingen
Beim ersten Strahl des Morgenlichts,
Das Zittern eines Tons, verhallend fernes Singen, -
Was nur es geben mag von himmlisch süßen Dingen,
Süß wie ihr Name klingt doch Nichts.

Leis, meine Laute, darfst du nur den Namen nennen.
Und ein Gebet für sie sei jegliches Gedicht.
Er soll als ew'ges Licht im dunkeln Tempel brennen,
Er sei das heilge Wort, das fromme Beter kennen,
Das stets dieselbe Stimme spricht.

Ja, Freunde, eh' ich ihn in Worten, die mir Flammen
Auflodern, ihn, der mich erfüllt,
Mit andern Namen, die unheilgem Kreis entstammen,
Und die die Welt verehrt, je nennen mag zusammen,
Das Kleinod, das mein Herz verhüllt, -

Muß hell mein Lied erst, rein, wie jene Hymnen klingen,
Bei deren heil'gem Ton die fromme Andacht kniet;
Durch alle Lüfte muß es sie erschütternd dringen,
Wie wenn ein Engel, leis bewegend seine Schwingen,
Im Flug an uns vorüberzieht.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 282-283)

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Die Favoritsultane

Falsch wie die Welle
Shakespeare

Leert' ich genug nicht Deinetwegen,
O schöne Jüdin, mein Serail?
Will sich in Dir kein Mitleid regen?
Muß immer Deinen Fächerschlägen
Ein Schlag auch folgen mit dem Beil?

Nicht über Frauenleichen bahne,
O Herrin, Dir den Pfad zur Macht!
Prinzessin wirst Du und Sultane,
Laß doch die Andern leben, mahne
Ans Morden mich nicht jede Nacht.

Liegt der Gedanke Dir im Sinne,
Kniest Du vor mir und lachst mir zu.
Bei jedem Fest, schon im Beginne,
Strahlt mir Dein Aug' in süßer Minne,
Dann weiß ich, Köpfe forderst Du.

O Eifersucht! Welch trüber Schatten!
So schön, und dieses Herz von Stahl!
Gönn' andre Frau'n auch Deinem Gatten;
Stirbt denn die Blume auf den Matten,
Glüht über ihr der Rose Strahl?

Bin ich nicht Dein? Willst Du nicht sehen,
Wie hundert Frau'n, indeß mein Arm
Dich heiß umschlingt, in Liebeswehen
Vor meiner Thüre harrend stehen,
Entflammt, verzehrt von ödem Harm?

Laß sie vor Neid erblassen neben
Der Schönsten! Schiert Dich ihre Pein?
Wie Wellen laß vorbei sie schweben,
Mein Leben Dir, o laß sie leben,
Dein sei mein Thron, die Welt sei Dein!

Dein all mein Volk, die Sklavenrotte,
Dein Stambul, das vor Dir sich schmiegt,
Dir huldigend gleich einem Gotte,
Mit tausend Thürmen, - eine Flotte,
Die schlafend still vor Anker liegt.

Dein meine Spahi's mit den rothen
Turbanen, Reiter, stolz und schlank,
Stets dienstbereit, wenn Du geboten,
Zu Roß sich bückend, gleich Bedrohten,
Wie Ruderer auf ihrer Bank.

Dein Basra, Trapezunt, das weite,
Dein Cypern, reich an altem Ruhm,
Fez, wo Dir Goldstaub wird zur Beute,
Mosul, die Stadt der Handelsleute,
Der Marmorgrund von Erzerum!

Dein Smyrna mit dem Schmuck der neuen
Paläste, die das Meer umfließt,
Der Ganges, den die Wittwen scheuen,
Die Donau, die durch Wüsteneien
Fünfarmig sich ins Meer ergießt.

Scheint Dir die Griechin nicht am Platze,
Das Lilienkind aus Damanhur?
Die Negerin, die Tigerkatze,
Die aufspringt mit behendem Satze
Und brüllt, die brünstige Kreatur?

Wie, süße Jüdin, macht Dir Qualen
Die schwarze Brust, die ros'ge Haut? -
Du bist nicht weiß, nicht roth, Dir malen
Das Angesicht der Sonne Strahlen,
Die Dich mit goldnem Glanz bethaut.

Laß ab, o Fürstin, zu verheeren
Die Blumen, die Dein Zürnen bricht.
Genieße froh der höchsten Ehren,
Doch daß mit jeder Deiner Zähren
Ein Kopf auch fällt, - das fordre nicht.

Denk' an den Schatten der Platanen,
An's duftge Bad, den Wellentanz
Im Golf, die schwimmenden Tartanen . . .
Dem Sultan ziemen die Sultanen,
Dem Dolche ziemt der Perlen Glanz.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 461-464)

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Sarah, die Badende

Es ließen Sonn' und Wind, wo dicht die Buchen stehen,
Ihr über's Angesicht den Blätterschatten wehen.
Alfred de Vigny

Sarah schaukelt hin und wieder
Ihre Glieder
In der Hängematt' und ruht
Ueber'm Becken einer Quelle,
Deren Welle
Kommt aus des Ilyssus' Flut.

Und die schwanke Binsenmatte
Strahlt der glatte
Born zurück und sie, der Frau'n
Schönste, diese Maid, die weiße,
Die die heiße
Stirne neigt, um sich zu schau'n.

Streift die Schaukel dann im schnellen
Flug die Wellen,
Zittern sie bewegt zum Gruß,
Es entsteigt ihr Hals den Wogen
Schöngebogen,
Und ihr marmorweißer Fuß.

In die Wellen wagt zu schlagen
Sie mit Zagen
Mit dem Fuß, der rosig thaut,
Weil ihr Bild sie ihr entstellen;
Ob der Wellen
Frischer Kühle lacht sie laut.

Bleibst Du hier verborgen stehen,
Wirst Du sehen
Bald das nackte Kind mit Lust
Aus dem Bade sich erheben
Und hinschweben,
Mit den Armen vor der Brust.

Wie ein Stern ist sie zu schauen,
Die der blauen
Flut entsteigt und hold gebückt,
Triefend horcht, ob Niemand lauert,
Leise schauert
An der Luft und um sich blickt.

Sieh sie dort, die scheue Taube,
Unterm Laube
Zagend, ob kein Unfall droht;
Schwirrt um sie mit leiser Tücke
Eine Mücke,
Wie Granaten glüht sie roth.

Blühend schaust Du, ohne Hülle
Ihre Fülle,
Und ihr blaues Aug' im Traum
Siehst Du blitzen, gleich dem Sterne,
Der von Ferne
Strahlt im blauen Himmelsraum.

Und sie wischt sich ab die Glieder,
Und hernieder
Rinnt's, wie Regen tropft vom Ast;
Gleich als wenn gelöst zu Falle
Kämen alle
Perlen, die ihr Halsband faßt.

Sarah zögert dem Behagen
Zu entsagen,
Eile, wahrlich, hat sie nicht,
Und indem sie spielt und gaukelt,
Und sich schaukelt,
Lächelt leis ihr Mund und spricht:

"Wär' ich eine Kapudane,
Ja, Sultane,
Ambra müßt' ins Bad mir thaun,
Sprudeln müßt' es aus dem Rachen
Eines Drachen
Zwischen goldner Greisen Klau'n.

Weich in seidnen Hängewiegen
Würd' ich liegen,
Die sich schmiegen, Wellen gleich,
Und die Ottomane würde
Meine Bürde
Tragen, schwellend, düftereich.

Jede Laune würd' ich stillen,
Ohne Hüllen
Plätschert' ich im Wellenschooß,
Sicher, daß im Hain, dem dunkeln,
Nirgends funkeln
Späheraugen, - sorgenlos.

Keiner wagt' es, mich zu schauen,
Todesgrauen
Schütze rings mein Paradies,
Durch Heiducken und Eunuchen
Müßt' er suchen
Seinen Weg, durch Schwert und Spieß.

Läßig über Saal und Treppe
Meine Schleppe
Streifen ließ' ich, schön beschuht
Mit den prächtigsten Sandalen,
Welche strahlen
Feurig in Rubinen-Glut." -

So sich zur Prinzessin träumend,
Mäßig schäumend
Schaukelt sich das schöne Kind,
Nur zum Spiel die Sinne lenkend,
Nicht bedenkend,
Daß beschwingt die Tage sind.

Und von ihrem Fuße spritzen
Tropfen, blitzen
Auf das Gras und übersprühn
Ihres Hemdes Falten, fliegend
Und sich wiegend
Hoch am Busch im Ufergrün.

Die Gespielen ziehn, die frischen,
All inzwischen
Mit der Sens' auf's Ackerland,
Ziehn dahin in hellen Haufen,
Rennen, laufen,
Hüpfen lustig, Hand in Hand.

Und sie lachen, singen, necken
Sie, die Kecken,
Jede spottet, wie sie mag:
"Noch nicht angekleidet? - Schäme
Dich, Bequeme -
Heut, an einem Erntetag!"

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 480-484)

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Erwartung

Esperaba, desperada

Eichhörnchen, auf die höchsten Zweige
Der hohen Eiche steige, steige
Die schwankt bei jedem Windesstoß!
O fliege, Storch, der Trümmerreste
Der alten Burgen liebt, vom Neste,
Vom Tempel zu der steilen Veste,
Vom Kirchthurm zu dem hohen Schloß!

O Aar, aus deinem Horst erhebe
Dich zu dem höchsten Berg, und schwebe
Hinauf, hinauf, zum ew'gen Schnee.
Und du, o Lerche, munter immer
Und wach vor'm ersten Morgenschimmer,
Steig' auf vom irdischen Gewimmer,
Schwing' jauchzend dich zur Himmelshöh';

Und von des Baumes hohem Sitze,
Des weißen Thurmes goldner Spitze,
Vom Berg, vom Himmel laßt den Blick
Weit schweifen, sagt mir: seht ihr biegen
Nicht eine Feder sich und wiegen,
Seht ihr ein Roß nicht dampfend fliegen,
Und kehrt mein Liebster nicht zurück?


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 485)

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Wunsch

Wie eine Rose man erlesen
In
Saron mag in freier Wahl,
So wählt Euch ein jungfräulich Wesen,
Die Lilie aus in Eurem Thal.
Lamartine

Wär' ich das Blatt, das auf den Flügeln
Der Winde fortgewirbelt flieht,
Das hinschwimmt auf den Wellenhügeln,
Dem träumend nach das Auge sieht;

Noch frisch und grün vom Zweig gefallen,
Gern folgt' ich, ohne Gegenwehr,
Den Lüften, die nach Osten wallen,
Dem Bach, der kommt vom Westen her.

Weit über Ströme weg und Bäche
Und ferner Berge blauen Dust,
Weg über Berg und Schlucht und Fläche
Flög' ich in freier Himmelslust;

Der Wölfin Höhle, und die Wälder,
Wo Tauben nisten ungesehn,
Die Saaten und die öden Felder,
Die Quelle, wo drei Palmen stehn;

Die Felsenkluft, aus deren Räumen
Der Sturm hervor verwüstend saust,
Den düstern See, umringt von Bäumen
Mit Haaren, lang und wild zerzaust;

Des Mohrenfürsten Reich, das alte,
Der schwingt den Jataghan und Speer,
Dem auf der Stirne Falt' an Falte
Sich reiht, wie Wellen auf dem Meer; -

Weit Alles würd' ich überfliegen,
Den Arta-See, gekräuselt lind,
Zurück den Gipfel ließ' ich liegen,
Der Mykos scheidet und Korinth;

Hin flög' ich, wie ein Pfeil, und sehnend
Schwebt' über Mykos' still ich hin,
Die Stadt, im Viereck weit sich dehnend,
Mit Kuppeln, schimmernd hell von Zinn;

Des Priesters Tochter müßt' ich sehen,
Schwarzäugig, weiß von Angesicht,
Die spielt am Thor im Abendwehen,
Am Fenster singt im Morgenlicht.

Ihr flög' ich armes Blatt entgegen,
Ihr auf die Stirne, rein und klar,
Würd' ich mich niedersinkend legen,
Und auf ihr lockig goldnes Haar;

Dem Papagei dann würd' ich gleichen,
Im goldnen Korn verloren fast;
Noch mehr, - in Edens lichten Reichen
Der grünen Frucht auf goldnem Ast.

Dort auf dem Haupt der schönen Dirne,
Ha, schöner weit erschien' ich mir,
Als auf des Sultans hoher Stirne
Der Reiherfeder stolze Zier.


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 489-491)

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Sultan Achmet

O erlaube, schönes Mädchen,
Daß ich meinen Hals mit Deinem Arm umschlinge
Hafiz

Zu der reizenden Juanina,
Die sich hüllt in die Basquina,
Achmet sprach im Liebesschmerz:
- Gerne gäb' ich, ohne Scherz,
Meine Krone für Medina,
Und Medina für Dein Herz.

- Werde Christ, o Herr, und finden
Laß nicht länger Dich als Blinden,
Frevel, ach, ist meine Lust
An des türk'schen Mannes Brust.
Groß und schwer sind meine Sünden
Und ich bebe schuldbewußt.

- Bei dem Perlenschmuck, dem glatten,
Schöne Herrin, dessen Schatten
Fällt auf Deines Busens Glanz,
Dir zu Willen bin ich ganz,
Doch Dein Halsschmuck, - mir gestatten
Wirst Du's, - sei mein Rosenkranz!


Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 506)

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Die Kornblumen

Si es verdad o non, yo no lo he hy de ver,
Pero non lo qulero en olvido poner.
Jean Lorenzo Sogura de Asterga

So lang inmitten goldner Aehren
Die blauen Blumen Feld und Flur
Mit ihrem glänzenden Azur,
Wie Sterne glühend, hold verklären,
Bevor die scharfe Sichel fällt
Die Halme, die im Wind sich bücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Von allen andalusischen Städten
Ist keine, die im Grün so hell,
So sonnig glänzt, wie Pennafiel,
Umschlungen rings von Blumenketten,
Ist keine, die dem Feind sich stellt
So stolz mit Mauern, Thürmen, Brücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Zu keinem Kloster, weitberufen,
In keine Stadt der Christenheit
Wallfahren zur Ambrosius-Zeit
Und liegen auf den Kirchenstufen
So viele Pilger, in der Welt
Weiß keine sich wie sie zu schmücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Kein Land ist, wo die jungen Dirnen
Am Abend, bei des Reigens Lust,
Mehr Feuer haben in der Brust,
Mehr Rosen auf den weißen Stirnen,
Und nirgends sind so licht erhellt
Die Augen, die durch Schleier blicken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Hört! - Andalusiens Stolz, Alice,
Die schöne, war aus Pennafiel,
Wie eine Blume, strahlend hell,
Umschwärmt von Bienen, war die Süße.
Den Schwestern ward sie aufgestellt
Als Musterbild in allen Stücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Ein Fremdling kam, gar stolz zu schauen,
Schön, jung; - auf einmal war er da.
War aus Sevilla, Murcia
Der Maure? Aus Granada's Gauen?
Kam er aus einem Wüstenzelt,
Aus Tunis, reich an schlanken Bricken? . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Man wußt' es nicht. - Er liebt' Alice,
Alice liebt' ihn, ach, die Flur
Xarama's war nicht einmal nur
Die Zeugin ihrer Liebesgrüße.
Wo durch den Wald das Mondlicht fällt,
Da wandelten sie voll Entzücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Die Stadt war fern und lag im Dunkeln,
Der Mond, der stillen Liebe hold,
Ließ seiner Strahlen lichtes Gold
Auf den gezackten Thürmen funkeln.
Still ist die Luft, kein Glöckchen schellt,
Indeß sie liebend sich beglücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Die Andalusierinnen dachten
Alicens nur mit Eifersucht,
Wenn unter'm Baum mit goldner Frucht
Sie tanzten, scherzten, sangen, lachten.
Die Zither klingt, die Pfeife gellt
Und widerhallt am Bergesrücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Indeß der Geier stößt zur Tiefe,
Schläft warm der Vogel noch im Nest;
Alice'n war's, als wenn sie fest
In ihrer süßen Liebe schliefe.
Kastiliens König war ihr Held,
Don Juan, er mocht' ihr Herz berücken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

O hätte sie Ihn nie gesehen!
Einst, auf des Königs strenges Wort,
Ward sie entführt, sie mußte fort,
Und mochte sie vor Leid vergehen.
Ein Klostergitter knarrt und hält
Verborgen sie vor Männerblicken . . .
Geht, schöne Mädchen, geht, zu pflücken
Kornblumen rings im Aehrenfeld.

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)

Aus: Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke
Deutsch von Ludwig Seeger
Zweiter Band
Stuttgart Rieger'sche Verlagsbuchhandlung (Adolf Benedict) 1861 (S. 516-519)

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