Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Kopf einer Thrakerin (von der Akropolis in Athen - gegen 470 v.Chr.)

 


Ibykos (um 550 v. Chr.)
griechischer Dichter




Frühlingsgesang

Frühling ward es und wieder blüht
Vom sanftströmenden Bach getränkt
Der Kydonische Apfelbaum,
Wo jungfräulicher Nymphen Schaar
Tief im Dunkel des Haines spielt
Und die Blüte der Rebe schwillt
Unter schattendem Weinlaub.

Doch nicht achtet der lieblichen
Jahrszeit Eros und läßt mich ruh'n,
Nein, wie thrakischer Wintersturm
Widerleuchtend von Blitzesschein
Fällt er, Kyprias wilder Sohn,
Mit blindsengender Wuth mich an
Und erschüttert gewaltsam mir
Die Grundfesten des Herzens.

Übersetzt von Emanuel Geibel (1815-1884)

Aus: Classisches Liederbuch
Griechen und Römer
in deutscher Nachbildung
von Emanuel Geibel
Berlin Verlag von Wilhelm Hertz 1875 (S. 44)
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Späte Liebe

Wieder unter schwarzen Wimpern
Mit bethörenden Augen schaut mich
Eros an und treibt mit tausend
Süßen Lockungen mich in Kypris
Unentrinnbar festes Netz.

Ach, vor seinem Nah'n erbeb' ich,
Wie am Wagen das Roß, das einstmals
Kranz und Siegespreis davontrug;
Ungern wagt sich's, nun gealtert,
Mit den geflügelten Renngespannen
In den Kampf der Bahn hinaus.

Übersetzt von Emanuel Geibel (1815-1884)

Aus: Classisches Liederbuch
Griechen und Römer
in deutscher Nachbildung
von Emanuel Geibel
Berlin Verlag von Wilhelm Hertz 1875 (S. 45)

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Ruhelose Liebe

Sieh in dem Lenze Kydonia's
Apfelsträuch von der Flüsse Geström
Wasserbenetzt, wo der Mägdelein
Lauterer Garten, und unter den schattigen
Zweigen des sprossenden Weinstocks keimende
Blüten des Weins sich entfalten; für mich jedoch
Ruhet die Liebe zu keiner Jahrszeit, welche dem an dem Blitz entzündeten
Thrakischen Nordwind gleich,
Herstürmend von Kypris in rasend versengendem finsterem Wüten
Betäubend mich schreckt mit dem Knaben, und streng bewacht hält
Meinen gefangenen Sinn.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben
im Versmaß der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen erläutert
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung 1859 (S. 408)
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Neue Liebe

Es beginnt mich von Neuem die Liebe
mit schmelzenden Blicken aus dunkelen Augen hervor
Durch mancherlei Zaubergewalt in Kypris' unendliche Netze zu werfen.
Fürwahr ich erzittre sie nahen zu sehn,
Wie ein gejochtes, vor Zeiten gekrönetes Roß in dem Alter sich ungern
Mit den hurtigen Wagen zum Kampfe begibt.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben
im Versmaß der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen erläutert
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung 1859 (S. 408)

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Ein schöner Jüngling

Grünender Zweig, Blauauge Euryalos, Liebling des Chors
Lockiger Chariten, dich ja hat Kypria
Und mit dem wonnigen Blick einst Peitho in blühenden Rosen erzogen.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben
im Versmaß der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen erläutert
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung 1859 (S. 409)

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Dem Schönheitssieger zugeworfen

Myrten, Leukoien und Helichrysos,
Aepfel und Rosen und zartgewachsner Lorbeer.

Übersetzt von Georg Thudichum (1794-1873)

Aus: Die griechischen Lyriker
oder Elegiker, Jambographen und Meliker
Ausgewählte Proben
im Versmaß der Urschrift übersetzt
und durch Einleitungen und Anmerkungen erläutert
von Dr. G. Thudichum
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung 1859 (S. 409)

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