Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Jens Peter Jacobsen (1847-1885)
dänischer Dichter




An Asali

Sonst träumt' ich wohl jedwede Nacht,
Ich hätte dein Herz gewonnen;
Ach, finster erschien mir des Tages Pracht,
Wenn der selige Traum zerronnen.

Nun quält mich allnächtlich ein Traumgesicht,
Ich hätte dein Herz verloren;
O wie scheint mir der Tag nun klar und licht
Und mein Glück aufs neue geboren.
(S. 326)
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Vor Dämmerung

Nur fort, eh das Lichtreich endet,
Eh die Westglut ausgebrannt,
Eh die Nacht ihre Dämmrung sendet
Über das schweigende Land!

Fort von des Waldes Schatten
Und der rollenden Wogen Pracht!
Hier müßte mein Herz ermatten
Im Kampfe wider die Nacht.

Nur fort von den bösen Träumen,
O blieben sie ewig still!
Erinnrungsströme schäumen,
Die ich nimmer befahren will.

Hinweg zu den glühenden Blicken
Der Fraun, zu der Becher Klang:
Dort mag die Erinnrung ersticken
In Küssen und Jubelgesang.
(S. 331)
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Asali

Wenn sich zuhöchst der Hoffnung Zweige ranken,
Zunächst dem Himmel, den mein Herz begehrt,
Dann grade zeugt die Seele Nachtgedanken,
Und wenig hilfts, wenn sich die Hoffnung wehrt.

Wird sie wohl je den Sklaven lieben können?
Denn Sklave war ich, eh sie mir erschien.
Wird sie zur Hilfe nur die Hand mir gönnen,
Doch höhnisch meinen Armen sich entziehn?

Und kann sie an mich glauben, mir sich neigen,
Den Weg der Liebe gehn an meiner Hand?
Wie weiß sie denn, daß mir noch Kraft zu eigen,
Und daß mein Mut die Knechtschaft überstand?

Doch nein! Zum Sklaven ward ich nicht geboren,
Es war ein Königssohn, den sie befreit;
Die Fessel fiel. Der hat sein Spiel verloren,
Ders wagt, zu trotzen meiner Herrlichkeit.

Ich will, daß sie empor zum Gatten schaue,
Sich voll Vertrauen dem Herrn ergebe, mir.
Sie teilt mein Reich als eines Königs Fraue,
Und fernste Zeiten wissen noch von ihr.
(S. 355)
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Eine Arabeske

Irrtest du je in dunklen Wäldern?
Kennst du Pan?
Ich hab ihn gefühlt,
Nicht in den dunklen Wäldern,
Als alles Schweigende sprach,
Nein! Den Pan hab ich nie gekannt,
Aber der Liebe Pan hab ich gefühlt,
Da schwieg, was sonsten spricht.

Auf sonnenwarmen Gefilden
Wächst ein seltsam Kraut;
Nur in tiefstem Schweigen,
Wenn tausend Sonnenstrahlen niederbrennen,
Eine flüchtige Sekunde lang
Öffnet es seine Blüte.
Es blickt wie eines Wahnsinnigen Auge.
Wie rote Wangen einer Leiche:
In meiner Liebe
Hab ichs geschaut.

Sie war wie Jasmins süßduftender Schnee,
Mohnblut floß in ihren Adern,
Die kalten, marmorweißen Hände
Ruhten ihr im Schoß,
Wie Wasserlilien im tiefen See.
Ihre Worte fielen weich,
Wie Apfelblütenblätter
Auf das thaufeuchte Gras;
Aber Stunden gabs,
Da wanden sie sich kalt und klar empor,
Wie des Wassers steigende Strahlen.
Seufzen war in ihrem Lachen,
Jubel in ihrem Weinen;
Vor ihr mußt' alles sich beugen -
Nur zwei durften ihr trotzen,
Ihre eignen Augen.

Aus giftiger Lilie
Blendendem Kelche
Trank sie mir zu,
Ihm, der nun tot,
Und ihm, der jetzt zu ihren Füßen kniet.
Mit uns allen trank sie
- Und da war der Blick ihr folgsam -
Den Becher des Gelübdes unwankender Treue
Aus giftiger Lilie
Blendendem Kelche.

Alles ist hin!
Auf schneebedeckter Fläche
Im braunen Wald
Wächst ein einsamer Dornbusch,
Die Winde durchwühlen sein Laub.
Stück für Stück,
Stück für Stück
Streut er die blutroten Beeren
Hinab in den weißen Schnee,
Die glühenden Beeren
In den kalten Schnee. -

Kennst du Pan?
(S. 356-358)
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Namenlos

Eines Abends gedenk ich vor allen,
Gedenke seiner genau, wehmütig stolz,
In jubelnder Demut. -
Stille wars im Zimmer,
Singendes Schweigen;
So klar und milde fiel der Lampe Schein
Über die feinen, schönen Züge;
Und ich sah - aber nicht, daß das Licht
Über die feinen, schönen Züge fiel -
Nein! es war, als lenkte meine Seele
In schaffender Gewalt den Blick
Fort von des Lichtes zitterndem Strom.
Und ihre Augen sahn auf mich so sehnsuchtsmilde,
Daß mein Gedanke seltsam zu flüstern begann:
Wert sei ich des Besitzes . . .
Dann fiel der Schatten auf die holden Züge.
Kein Wort ward laut
- Denn jedes Wort gab den Gedanken Fesseln -,
Kein Händedruck gewechselt,
Denn daß ich da sei, wußt ich wahrlich nicht.
Doch daß zusammen wir gehören, weiß ich,
Daß nichts in Ewigkeit uns scheiden kann,
War jener Tag auch unser letzt Begegnen.
(S. 359)
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Im Garten des Serails

Die Rose senkt ihr Köpfchen, schwer
Von Thau und Duft,
Und die Pinien schwanken still und matt
In schwüler Luft.
Der Quelle flüssiges Silber schleicht
Halbschlafend in des Flusses Bett,
Gen Himmel weist den Muselman
Das schlanke Minaret,
Und der Halbmond steigt empor und zieht
Still übers Meer
Und küßt die Blumen, die kleinen, all
Und der Rosen und Lilien Heer
Im Garten des Serails,
Im Garten des Serails.
(S. 360)
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An Agnes

Alle meine Wünsche umranken dich allein,
Alle Gedanken tauft' ich in dem süßen Namen dein,
All meine Wort' erlauscht' ich von deiner Lippe.
Doch wünsch ich nun wild,
Oder denk ich rauh,
Oder fallen zu schwer meine Worte,
So wisse: schwach mag ich sein, nicht schlecht!
Müde noch immer von hartem Gefecht
Verwirr ich mich wieder in alter Fehler Geflecht!
Dann sprich zu mir, sanft und stille,
Deine lichten, wilden Worte,
Drin Thränen glänzend beben,
Dann feßle mich mit dem leichten Flor
Des lautlosen Seufzers deiner Gedanken,
Doch o! verschließe des Auges Thräne,
Des Busens leisesten Seufzer!
Denn die Thräne könnt' ich sehn, den Seufzer hören,
Und daß ich je dir Schmerz bereitet,
Darf ich wohl ahnen, nie doch wissen,
Nie doch wissen!
(S. 361)
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Nennt dich mein Gedanke

Nennt dich mein Gedanke,
So rötet sich meine Wange,
Ballt sich meine Hand,
Erzittert meine Lippe.
Auf neuentsprossnem Laub ein Duft von Thau,
Die leichten Schatten eines nackten Strauches,
Rotgolden ein Sonnenblitz über fernen Fenstern,
Eine Hand, die rasch von meiner Schulter gleitet,
Zwei Lippenpaare, die voll Angst und Schmerz,
Doch lautlos, schnell sich voneinander reißen,
Das alles geht im Augenblick an mir vorüber.
Dann ist es Nacht,

Und oben, gegen einen dunkeln Himmel,
Von Geistern hingetragen, die mein Auge
Als farblos finstres Luftgekräusel schaut,
Liegst du, wie ausgegossen in der Luft.
Weiß ist und unbeweglich dein Gewand,
Dein Arm ruht über deinem Angesichte,
Und sichtbar nur des Mundes Leidenszug.
So seh ich langsam dich entschwinden,
Indessen ich versinke mit der Welt.
(S. 362)
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Der Begegnung Stunde schlägt

Der Begegnung Stunde schlägt!
Der Begegnung Stunde schlägt!
Einen goldnen Streifen legt
Meiner Lampe Flackerlicht
Durch den Garten, durch die Hecken, fort und immer weiter fort.
Wird es locken, wird es fangen?
Ja, es lockt und muß auch fangen,
Faßt mit Macht den Wonnebangen,
Treibt das Blut in seine Wangen,
Und mit sehnsuchtsvollen Blicken,
Liebestrunkenen Gedanken
Stürmt er ungeduldig vorwärts,
Wie ein Sturmwind, wie die Woge,
Wie ein Schatten,
Wie er selbst.

Und ich jauchze, und ich sorge,
Werde rot und werde bleich.
Und ich will ganz stille sitzen,
Halblaut singen -
Wenn ich könnte!
Aber fast versagt der Atem.
Ja, ganz stille will ich sitzen
Auf sein Bild beständig blicken.

Jetzt, jetzt kommt er - nein, er kommt nicht,
Jetzt, jetzt kommt er - nein, er kommt nicht,
Nein, er kommt nicht - nein, er kommt nicht.
O wie still ist's! Ich verzweifle -
Hahaha und sassassa!
Ich lache deiner Schönheit,
Deiner Lieb' und meiner Treue.
Ich lache deiner Treu' und meiner Liebe.
Wenn du wüßtest, wie reich ich mit dir war!
Wenn du wüßtest! . . . 
(S. 363-364)
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Hochzeitslied

So voll und reich wand noch das Leben nimmer
Euch seinen Kranz,
Und auf den Trauben spielt in kühnem Schimmer
Der Hoffnung Glanz.
Im Laube weich ein Glühen farbigen Saftes,
Und wie die Töne klar zusammenfließen!
Ergreift das alles, schafft es,
Erlebt es im Genießen.

Der Jugend Allmacht kocht in eures Blutes
Feuriger Kraft,
Nach Thaten treibt, nach Schöpfung freien Mutes
Der frische Saft.
So spannt denn eurer Welt tollkühne Bogen,
Die schlanken Säulen hebt zum Himmelszelt;
Füllt mit des Herzens Flammenwogen
Die neue Welt.
(S. 367)
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Und könnt ich auch auf Perlenschnüren

Und könnt' ich auch auf Perlenschnüren
Wie auf Saiten geigen,
Hätt' ich einen Mondenstrahl zum Bogen,
Daß die Töne rein gen Himmel steigen,
Nie vergäß ich doch den Gesang,
Der mein Herz durchklang,
Als das erste Mal des Wortes Engel
Mir im Morgenrot vorüberschwebte. -
Glänzend fiel das Licht über Haar und Schwinge,
Spiegelte blank sich in der blanken Klinge;
Frühwind folgte seinen Spuren sacht,
Blößte seiner Glieder marmorweiße Pracht . . .
(S. 375)
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Seidenschuh' über Leisten von Gold

Seidenschuh' über Leisten von Gold!
Eine Jungfrau ist mir hold!
Eine schöne Jungfrau ist mir hold!
Es kann in Gottes sonnenfroher Welt ihr gleich
Nicht eine sein.
Sie ist wie der Himmel im Süd, der Schnee in Frostes Reich
So rein.
Aber in meinem Himmel ist irdische Freude,
Und Flammen schlagen aus meinem Schnee.
Keine Sommerrose ist röter,
Als ihr Auge schwarz ist . . . . 
(S. 376)
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Irmelin Rose

Seht, es war einmal ein König,
Als den Reichsten pries man ihn,
Und der beste seiner Schätze
Hieß mit Namen Irmelin,
Irmelin Rose,
Irmelin Sonne,
Irmelin alles, was schön war.

Schier von jedem Ritterhelme
Wehte ihrer Farben Schein,
Und mit jedem Reim der Sprache
Klang ihr Namen überein:
Irmelin Rose,
Irmelin Sonne,
Irmelin alles, was schön war.

Freier kamen scharenweise
Hergezogen zum Palast,
Und zu zärtlichen Geberden
Klang ihr Schmeicheln ohne Rast:
Irmelin Rose,
Irmelin Sonne,
Irmelin alles, was schön ist.

Doch Prinzessin Stahlherz jagte
All die Freier schnippisch fort,
Fand an jedem was zu tadeln,
Hier die Haltung, da das Wort.
Irmelin Rose,
Irmelin Sonne,
Irmelin alles, was schön ist.
(S. 382-383)
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Genrebild

Page saß und spähte lang
Nieder von hoher Zinne,
Schrieb an einem Liebessang,
Thema: Leid der Minne.
Aber ach, ein Abschluß fehlte!
Saß und quälte
Sich mit Sternen, sich mit Rosen -
Fand sich ach! kein Reim auf Rosen.
Setzte verzweifelt sein Horn an Mund,
Griff an seine Wehre,
Blies über Berg und Thal im Rund
Seiner Frauen Ehre.
(S. 385)
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Gurre-Lieder

Valdemar
Nun dämpft die Dämmrung jeden Ton
Von Meer und Land,
Die fliegenden Wolken lagerten sich
Wohlig am Himmelsrand.
Lautloser Friede schloß dem Forst
Die lustigen Pforten zu,
Und des Meeres klare Wogen
Wiegten sich selber zur Ruh.
Im Westen wirft die Sonne
Von sich die Purpurtracht
Und träumt, in den Fluten gebettet,
Des nächsten Tages Pracht.
Nun rührt sich nicht das kleinste Laub
In des Waldes prangendem Haus,
Nun tönt auch nicht der leiseste Klang,
Ruh aus, mein Sinn, ruh aus.
Und jede Macht ist versunken
In der eignen Träume Schoß,
Und es treibt mich zu mir selbst zurück,
Stillfriedlich sorgenlos.


Tove
O, wenn Mondes Strahlen milde gleiten,
Friede sich und Ruh durchs All verbreiten,
Füllt dann Wasser noch des Meeres Raum?
Reiht im Wald sich wirklich Baum und Baum?
Sind es Wolken, die den Himmel schmücken?
Thal und Hügel dieser Erde Rücken?
Oder Farb und Form nur eitle Schäume,
Alles nur Symbol der Gottesträume?


Valdemar
Roß! mein Roß! was schleichst du so träg!
Nein, ich sehs, es flieht der Weg
Hurtig unter der Hufe Tritten.
Aber stärker noch mußt du eilen,
Bist noch tief in Waldes Mitten,
Und ich wähnte, ohn Verweilen
Sprengt' ich gleich in Gurre ein.
Nun weicht der Wald, schon seh ich dort die Burg,
die meinen Schatz umschließt,
Indeß im Rücken uns der Forst zu finstrem Wall zusammenfließt;
Aber wilder noch jage du zu!
Sieh, des Waldes Schatten dehnen
Über Flur sich weit und Moor!
Eh sie Gurres Grund erreichen,
Muß ich stehn vor Toves Thor.
Eh der Laut, der jetzo klinget,
Ruht, um nimmermehr zu tönen,
Muß dein flinker Hufschlag, Renner,
Über Gurres Brücke dröhnen;
Eh das welke Blatt - dort schwebt es -
Mag herab zum Bache fallen,
Muß in Gurres Hof dein Wiehern
Fröhlich wiederhallen. -
Der Schatten dehnt sich, der Ton verklingt,
Nun falle, Blatt, magst untergehn!
Volmer hat Tove gesehn!


Tove
Sterne jubeln, das Meer, es leuchtet,
Preßt an die Küste sein pochendes Herz,
Blätter, sie murmeln, es zittert ihr Thauschmuck,
Seewind umfängt mich in mutigem Scherz,
Wetterhahn singt, und die Turmzinnen nicken,
Burschen stolzieren mit flammenden Blicken,
Wogende Brust voll üppigen Lebens
Fesseln die blühenden Dirnen vergebens,
Rosen, sie mühn sich, zu spähn in die Ferne,
Fackeln, sie lodern und leuchten so gerne.
Wald erschließt seinen Bann zur Stell,
Horch, in der Stadt das Hundegebell! -
Höher und höher nun tragen die Stiegen
Meinen herrlichen Rittersmann,
Bis ich mein Herz an das seine schmiegen
Und ihn zu Tode küssen kann.


Beisammen

Valdemar
So tanzen die Engel vor Gottes Thron nicht,
Wie die Welt nun tanzt vor mir.
So lieblich klingt ihrer Harfen Ton nicht,
Wie Valdemars Seele dir.
Aber stolzer auch saß neben Gott nicht Christ
Nach dem harten Erlösungsstreite,
Als Valdemar stolz nun und königlich ist
An Tovelilles Seite.
Nicht sehnlicher möchten die Seelen gewinnen
Den Weg zu der Seligen Bund,
Als ich deinen Kuß, da ich Gurres Zinnen
Sah leuchten vom Öresund.
Und ich tausch auch nicht ihren Mauerwall
Und den Schatz, den sie treu mir bewahren,
Für Himmelsreichs Glanz und betäubenden Schall
Und alle der Heiligen Scharen.


Tove
Nun sag ich dir erst zum ersten Mal:
"König Volmer, ich liebe dich."
Nun küß ich dich erst zum ersten Mal
Und schlinge den Arm um dich.
Und sprichst du, ich hätt' es schon früher gesagt
Und je meinen Kuß dir geschenkt,
So sprech ich: "Der König, der ist ein Narr,
Der nichtigen Tandes gedenkt."
Und sagst du: "Wohl bin ich ein solcher Narr,"
So sprech ich: "Der König hat Recht;"
Doch sagst du: "Nein, ich bin es nicht,"
So sprech ich mir: "Der König ist schlecht."
Denn all meine Rosen küßt' ich zu Tod,
Dieweil ich deiner gedacht.


Valdemar
Es ist Mitternachts Zeit,
Und unselige Geschlechter
Stehn auf aus vergessnen, eingesunknen Gräbern,
Und sie blicken mit Sehnsucht
Nach den Kerzen der Burg und der Hütte Licht.
Und der Wind schüttelt spottend
Nieder auf sie
Harfenschlag und Becherklang
Und Liebeslieder.
Und sie schwinden und seufzen:
"Unsre Zeit ist um." -
Mein Haupt wiegt sich auf lebenden Wogen,
Meine Hand vernimmt eines Herzens Schlag,
Lebenschwellend flutet auf mich nieder
Glühender Küsse Purpurregen,
Und meine Lippe jubelt:
"Jetzt ist's meine Zeit!"
Aber die Zeit flieht,
Und umgehn werd ich
Zur Mittnachtsstunde
Dereinst als tot,
Werd eng um mich das Leichenlaken ziehn
Gegen die kalten Winde
Und weiter schleichen im späten Mondlicht
Und schmerzgebunden
Mit schwarzem Grabkreuz
Deinen lieben Namen
In die Erde ritzen
Und sinken und seufzen:
"Unsre Zeit ist um."


Tove
Du sendest mir einen Liebesblick
Und senkst das Auge,
Doch der Blick preßt deine Hand in meine,
Und der Druck erstirbt;
Aber als liebeweckenden Kuß
Legst du meinen Händedruck mir auf die Lippen -
Und du kannst noch seufzen um des Todes willen,
Wenn ein Blick auflodern kann
Wie ein flammender Kuß!
Die leuchtenden Sterne am Himmel droben
Bleichen wohl, wenns graut,
Doch lodern sie neu jede Mitternachtszeit
In ewiger Pracht.
- So kurz ist der Tod,
Wie ruhiger Schlummer
Von Dämmrung zu Dämmrung,
Und wenn du erwachst:
Bei dir auf dem Lager
In neuer Schönheit
Siehst du strahlen
Die junge Braut
So laß uns die goldene
Schale leeren
Ihm, dem mächtig verschönenden Tod:
Denn wir gehn zu Grab
Wie ein Lächeln, ersterbend
Im seligen Kuß.


Valdemar
Du wunderliche Tove!
So reich durch dich nun bin ich,
Daß nicht einmal mir ein Wunsch mehr eigen.
So leicht meine Brust,
Mein Denken so klar,
Ein wacher Frieden über meiner Seele.
Es ist so still in mir,
So seltsam stille.
Auf der Lippe weilt brückeschlagend das Wort,
Doch sinkt es wieder zur Ruh.
Denn mir ists, als schlüg in meiner Brust
Deines Herzens Schlag,
Und als höbe mein Atemzug,
Tove, deinen Busen.
Und unsre Gedanken seh ich
Entstehn und zusammengleiten,
Wie Wolken, die sich begegnen,
Und vereint wiegen sie sich in wechselnden Formen.
Und meine Seele ist still,
Ich seh in dein Aug und schweige,
Du wunderliche Tove.


Lied der Waldtaube

Tauben von Gurre! Sorge quält mich,
Vom Flug über die Insel her!
Kommet! lauschet!
Tot ist Tove! Nacht auf ihrem Auge,
Das der Tag des Königs war.
Still ist ihr Herz,
Doch des Königs Herz schlägt wild,
Tot und doch wild!
Seltsam gleichend einem Boot auf der Woge,
Wenn der, zu deß Empfang die Planken huldigend sich gekrümmt,
- Des Schiffes Steurer - tot liegt, verstrickt in der Tiefe Tang. -
Keiner bringt ihnen Botschaft,
Unwegsam der Weg.
Wie zwei Ströme waren ihre Gedanken,
Ströme fließend Seit an Seite.
Wo strömen nun Toves Gedanken?
Die des Königs winden seltsam sich dahin,
Suchen nach denen Toves,
Finden sie nicht.
Weit flog ich, Klage sucht' ich, fand gar viel!
Den Sarg sah ich auf Königs Schultern,
Henning stützt' ihn;
Finster war die Nacht, eine einzige Fackel
Brannte am Wege.
Die Königin hielt sie, hoch auf dem Söller,
Rachegiergen Sinns.
Thränen, die sie weinen nicht gewollt,
Funkelten ihr im Auge.
Weit flog ich, Klage sucht' ich, fand gar viel!
Den König sah ich, mit dem Sarge fuhr er
Im Bauernwamms,
Sein Streitroß, das oft zum Sieg ihn getragen,
Zog den Sarg.
Wild starrte des Königs Auge, suchte
Nach einem Blick,
Seltsam lauschte des Königs Herz
Nach einem Wort.
Henning sprach zum König,
Aber noch immer sucht' er Wort und Blick.
Der König öffnet Toves Sarg,
Starrt und lauscht mit bebenden Lippen,
Stumm ist Tove.
Weit flog ich, Klage sucht' ich, fand gar viel!
Wollt' ein Mönch am Seile ziehn,
Abendsegen läuten;
Doch er sah den Wagenlenker
Und vernahm die Trauerbotschaft:
Sonne sank, indeß die Glocke
Grabgeläute tönte.
Weit flog ich, Klage sucht' ich und den Tod.
Helvigs Falke
Wars, der grausam
Gurres Taube hingewürgt.


Valdemar
Herrgott, weißt du, was du thatest,
Als Klein Tove mir verstarb?
Triebst mich aus der letzten Freistatt,
Die ich meinem Glück erwarb!
Herr, du solltest wohl erröten:
Bettlers einziges Lamm zu töten!

Herrgott, ich bin auch ein Herrscher,
Und es ist mein Fürstenglauben:
Nimmer darf dem Unterthane
Ich die letzte Leuchte rauben.
Falsche Wege schlägst du ein:
Das heißt Tyrann, nicht Herrscher sein.

Herrgott, deine Engelscharen
Singen stets nur deinen Preis,
Doch dir wäre mehr von nöten
Einer, der zu tadeln weiß.
Ach, und wer mag solches wagen? -
Laß mich, Herr, die Kappe deines Hofnarrn tragen!


Die wilde Jagd

Valdemar
Erwacht, König Valdemars Mannen wert!
Schnallt an die Lende das rostige Schwert,
Holt aus der Kirche verstaubte Schilde,
Gräulich bemalt mit wüstem Gebilde.
Weckt eurer Rosse modernde Leichen,
Schmückt sie mit Gold, und spornt ihre Weichen;
Nach Gurrestadt seid ihr entboten,
Heut ist Ausfahrt der Toten!


Lied des Bauern

Deckel des Sarges klappert und klappt,
Schwer kommts her durch die Nacht getrabt.
Rasen nieder vom Hügel rollt,
Über den Grüften klingts hell wie Gold.
Klirren und Rasseln durchs Rüsthaus geht,
Werfen und Rücken mit altem Gerät,
Steingepolter am Kirchhofrain,
Sperber sausen vom Turm und schrein,
Auf und zu schlägt das Kirchenthor -
Da fährts vorbei! - Rasch die Deck' übers Ohr!

- Ich schlage drei heilige Kreuze geschwind
Für Leut und Haus, für Roß und Rind;
Dreimal nenn ich Christi Namen,
So bleibt bewahrt der Felder Samen.
Die Glieder auch bekreuz ich klug,
Wo der Herr seine heiligen Wunden trug,
So bin ich geschützt vor der nächtlichen Mahr,
Vor Elfenschuß und Trollgefahr.
Zuletzt vor die Thüre noch Stahl und Stein,
So kann mir nichts Böses zum Haus herein.


Valdemars Mannen
Gegrüßt, o König, an Gurre-Sees Strand!
Nun jagen wir über das Inselland,
Vom stranglosen Bogen Pfeile zu senden
Mit hohlen Augen und Knochenhänden,
Zu treffen des Hirsches Schattengebild,
Daß Wiesenthau von der Wunde quillt.
Der Walstatt Raben
Geleit uns gaben,
Über Buchenkronen die Rosse traben.
So jagen wir nach gemeiner Sag
Eine jede Nacht bis zum jüngsten Tag.
Hussa Hund! Hussa Pferd!
Nur kurze Zeit das Jagen währt!
Hier das Schloß, wie einst vor Zeiten!
Lokes Hafer gebt den Mähren,
Wir wollen vom alten Ruhme zehren.


Valdemar
Mit Toves Stimme flüstert der Wald,
Mit Toves Augen schaut der See,
Mit Toves Lächeln leuchten die Sterne,
Die Wolke schwillt wie des Busens Schnee.
Es jagen die Sinne, sie zu fassen,
Gedanken kämpfen nach ihrem Bilde.
Aber Tove ist hier und Tove ist da,
Tove ist fern und Tove ist nah.
Tove, bist dus, mit Zaubermacht
Gefesselt an Sees und Waldes Pracht?
Das tote Herz, du sprengst mirs schier -
O Tove, Valdemar sehnt sich nach dir!


Klaus Narr
"Ein seltsamer Vogel ist son Aal,
Im Wasser lebt er zumeist,
Kommt doch bei Mondschein dann und wann
Ans Uferland gereist."
Das sang ich oft meines Herren Gästen,
Nun aber paßts auf mich selber am besten.
Ich halte jetzt kein Haus und lebe äußerst schlicht
Und lud auch niemand ein und praßt' und lärmte nicht,
Und dennoch zehrt an mir manch unverschämter Wicht,
Drum kann ich auch nichts bieten, mag ich wollen oder nicht,
Doch - dem schenk ich meine nächtliche Ruh,
Der mir den Grund kann weisen,
Warum ich jede Mitternacht
Den Tümpel muß umkreisen.
Daß Palle Glob und Erik Paa
Es auch thun, das versteh ich so:
Sie gehörten nie zu den Frommen;
Jetzt würfeln sie, wiewohl zu Pferd,
Um den kühlsten Ort, weit weg vom Herd,
Wenn sie zur Hölle kommen.
Und der König, der von Sinnen stets, sobald die Eulen klagen,
Und stets nach einem Mädchen ruft, das tot seit Jahr und Tagen,
Auch dieser hats verdient und muß von Rechtes wegen jagen.
Denn er war immer höchst brutal,
Und Vorsicht galts doch allemal
Und offnes Auge für Gefahr,
Da er ja selber Hofnarr war
Bei jener großen Herrschaft überm Monde. -
Doch daß ich, Klaus Narr von Farum,
Ich, der glaubte, daß im Grabe
Man vollkommne Ruhe habe,
Daß der Geist beim Staube bleibe,
Friedlich dort sein Wesen treibe,
Still sich sammle für das große
Hoffest, wenn, wie Bruder Knut
Sagt, erschallen die Posaunen,
Wo wir Guten wohlgemut
Sünder speisen wie Kapaunen -
Ach, daß ich im Ritte rase,
Gegen den Schwanz gedreht die Nase,
Sterbensmüd in wildem Lauf, -
Wärs zu spät, ich hinge mich auf.
Aber wie süß solls schmecken zuletzt,
Werd ich dann doch in den Himmel versetzt!
Wohl ist mein Sündenregister groß,
Allein vom meisten schwatz ich mich los!
Wer gab der nackten Wahrheit Kleider?
Wer ward dafür geprügelt leider? -
Ja, wenn es noch Gerechtigkeit gibt,
So muß ich eingehn ins Himmelsgaden, . . .
Na, und dann mag Gott sich selber gnaden.


Valdemar
Du strenger Richter droben,
Du lachst meiner Schmerzen,
Doch dereinst, beim Auferstehn des Gebeins,
Nimm es dir wohl zu Herzen:
Ich und Tove, wir sind eins.
So zerreiß auch unsre Seelen nie,
Zur Hölle mich, zum Himmel sie,
Denn sonst gewinn ich Macht
Und zertrümmre deiner Engel Wacht
Und sprenge mit meiner wilden Jagd
Ins Himmelreich ein.


Valdemars Mannen
Der Hahn erhebt den Kopf zur Kraht,
Hat schon den Tag im Schnabel,
Und von unseren Schwertern trieft
Rostgerötet der Morgenthau.
Die Zeit ist um!
Mit offnem Munde ruft das Grab,
Und die Erde saugt das lichtscheue Rätsel ein.
Versinket, versinket!
Das Leben kommt in Macht und Glanz,
Mit Thaten und pochenden Herzen,
Und wir sind des Todes,
Der Sorge und des Todes,
Des Schmerzes und des Todes.
Ins Grab! ins Grab! zur träumeschwangeren Ruh -
O, könnten in Frieden wir schlafen!


Des Sommerwindes wilde Jagd

Herr Gänsefuß, Frau Gänsekraut, nun duckt euch nur geschwind,
Denn jetzt beginnt seine wilde Jagd der tolle Sonnenwind.
Die Mücken weichen ängstlich aus dem schilfdurchwachsnen Hain,
In den See grub der Wind seine Silberspuren ein.
Viel schlimmer kommt es, als ihr euch nur je gedacht;
Hu, wies schaurig in den Buchenblättern lacht!
Das ist St. Johanniswurm mit der Feuerzunge rot,
Und der schwere Wiesennebel, ein Schatten bleich und tot!
Welch Wogen und Schwingen!
Welch Ringen und Singen!
In die Ähren schlägt der Wind - ihm ist zornig zu Sinne -
Daß das Kornfeld tönend bebt;
Mit den langen Beinen siedelt die Spinne,
Und es reißt, was sie mühsam gewebt.
Tönend rieselt der Thau zu Thal,
Sterne schießen und schwinden zumal,
Flüchtend durchraschelt der Falter die Hecken,
Springen die Frösche nach feuchten Verstecken.
- Still! was mag der Wind nur wollen?
Wenn das welke Laub er wendet,
Sucht er, was zu früh geendet:
Frühlings blauweiße Blütensäume,
Der Erde flüchtige Sommerträume -
Längst sind sie Staub!
Aber hinauf, über die Bäume
Schwingt er sich jetzt in lichtere Räume,
Denn dort oben, wie Traum so fein,
Meint er, müßten die Blüten sein!
Und mit seltsamen Tönen
In ihres Laubes Kronen
Grüßt er wieder die schlanken schönen.
- Sieh! nun ist auch das vorbei,
Auf luftigem Steige wirbelt er frei
Zum blanken Spiegel des Sees,
Und dort, in der Wellen unendlichem Tanz,
In bleicher Sterne Wiederglanz
Wiegt er sich friedlich ein. -
Wie stille wards zur Stell!
Ach, war das licht und hell!
O schwing dich aus dem Blumenkelch, Marienkäferlein,
Und bitte deine schöne Frau um Leben und Sonnenschein.
Schon tanzen die Wogen am Klippenecke,
Schon schleicht im Grase die bunte Schnecke;
Nun regt sich Waldes Vogelschar,
Thau schüttelt die Blume vom lockigen Haar
Und späht nach der Sonnen aus.
Erwacht, erwacht, ihr Blumen, zur Wonne,
Seht, die Sonne!
Farbenfroh am Himmelssaum
Östlich grüßt ihr Morgentraum!
Lächelnd kommt sie aufgestiegen
Aus der Fluten Nacht,
Läßt von lichter Stirne fliegen
Strahlenlockenpracht.
(S. 338-354)
_____


Übersetzt von Robert Franz Arnold (1872-1938)

Aus: J. P. Jacobsen Gesammelte Werke
Erster Band: Novellen Briefe Gedichte
Aus dem Dänischen von Marie Herzfeld
Gedichte von Robert F. Arnold
Verlegt bei Eugen Diederichs Florenz und Leipzig 1899



 

 


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