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James Montgomery (1771-1854)
englischer Dichter
Hannah
Des sechzehnjähr'gen Schwärmers Brust
Durchdrang der Pfeil der Liebeslust;
Und jede Fiber schwamm in Freuden,
Ich fühlte nie so süße Leiden.
Wo rings der Wald den Pfad umspinnt,
Traf ich das wunderholde Kind;
Ich stahl ihr Händchen, 's floh mit Bangen -
Doch nein, es blieb bei mir gefangen.
Und als in aller Jugendglut
Die Liebe sprach mit Wahrheitsmuth,
Da sah ich Hannah's Aug' so innig,
So freundlich schön, so schüchtern minnig.
Mit wärmerm, reinerm Frühlingslicht
Wirbt Sonnenstrahl um Maiblüth' nicht;
Noch hat Maiblüthe vor dem Grüßen
Je magdlicher erröthen müssen.
Doch schnell, wie scheue Täubchen fliehn,
So floh mein Liebesmorgen hin;
Ach, daß im düstern Tag der holde
Morgen so bald verschwinden sollte!
Der Trübsalsengel zog durch's Land,
Mit tausend Plagen in der Hand,
Goß mir auf's Haupt die volle Schale,
Mein Himmel schwand mit einem Male.
Doch stolz, mit innrer Freudigkeit,
Bestand ich allen Zorn der Zeit;
Ich stand, die Stirn vom Sturm umwettert;
Ich stand, das Herz vom Blitz zerschmettert.
Ich mied mein Mädchen, wagte traun
Nicht in ihr süßes Aug' zu schaun;
Ich mied sie, konnt' es nicht erwinden,
Sie mit dem Elend zu verbinden.
Mein Herz war krank, hab' nichts gehofft,
Doch sah ihr theures Bild ich oft
Wie Regenbogenglanz mir strahlen
Und mir ein fernes Glück noch malen.
Der Sturm verging; da fliegt er schon,
Der Friedensbringer Alcyon!
Der Sturm verging; und lächelnd schwellen
Der Jugend und der Freude Wellen.
Im ersten wonn'gen Maiengrün
Zog ich zu Hannah's Hüttchen hin:
So leicht, so hoffnungsreich im Herzen,
Wie Schwalben, die im Lenze scherzen.
Und als ich hoch zu Berg gewallt,
Dacht' ich der Liebestage bald,
Und träumt' von Eh'glück, mir beschieden,
Von Weib und Kind im Hausesfrieden.
Und als den Kirchthurm ich erblickt,
Sprang mir die Seel' ins Aug' entzückt;
Die Glöcklein klangen voll im Chore,
Und meine Seele ward zum Ohre.
Das Dorf war festlich anzusehn;
Ein Feiertag im Dorf ist schön -
Ein Brautzug kam; ich trat zur Seite -
Die Hannah war's im Brautgeschmeide.
'S gibt Kummer, dem's Gefühl gebricht;
Der Wunden schlägt, die heilen nicht:
Nichts fühlt' ich in der eis'gen Stunde -
Nun fühl' ich gnug: wann heilt die Wunde?
(S. 625-629)
Übersetzt von Otto Leonhard Heubner (1812-1893)
Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Leonhard Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856
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