Jan Kasprowicz (1860-1926)
polnischer Dichter
Aus: Salome
O komm!
O komm, o göttlicher Prophet!
Salome ruft dich mit flammendem Blick!
Auf das sonnige Feld der Liebe dahier,
Umringt von der Lüste Blütenzier,
Salome ruft nach dir!
O komm! . . .
Salome hat ihrer Haare kupferrote Flut gelöst,
Gleich einem blutenden lodernden Brand der Zeiten,
Sie schlägt in der goldnen Harfe Saiten
Und singt . . .
O komm!
O komm, o bleicher Prophet!
Ein lebend Feuer wird die Lilienschläfen dir umfließen,
Ein lebend Feuer wird dir im erloschnen Antlitz sprießen,
Entfacht von meiner Lippen Glut!
Salome, der Herodias weiße Blüte,
Gepflückt vom Baum der Erkenntnis mit sündiger Hand,
Schleudert ihr blutendes Lied in der Zeiten Brand,
Ihr unvollendetes Lied -
Und ruft dich, Prophet! o komm! . . .
Im königlichen Gemach hieß ich Teppiche legen,
Aus der weichen Wolle der Schafe von Galaad gewoben,
Und schwere Vorhänge majestätisch mein Bett umhegen,
Der Schwäne zarten Flaum! . . .
Mich ängstigt die Qual!
Wie fürchtet meine Seele, daß ein goldner Strahl
Frech zu meiner Sehnsucht dringt!
Daß ein Myrtenblatt -
Sobald der Wind im Hain erweckt ein leises Rauschen -
Erbebt, vernehmend das gedämpfte Plauschen
Unsrer ohnmachtvollen Lust . . .
Und außer der Stille wird keiner diesen Raum betreten,
Nur die Stille und meines Verlangens Glut,
Die mir im Herzen blüht,
Daß es singt ein Lied, das in der Zeiten Majestät
Die Welt, die weite Welt durchzieht -
Dieses unvollendete Lied:
O komm! Prophet, o komm! . . .
Ich habe meine Jungfräulichkeit in klarem Marmor gebadet,
Wo des Rosenwassers Quell aus schlanken Schnäbeln springt
Und die Sonne durch eifersüchtige Kristalle dringt,
Um meiner Hüften weißen Marmor zu umkosen
Und meiner Brüste tauumglänzte halberschloßne Rosen.
Ich ließ mich wonnig salben;
Und ein Lächeln glitt entkräftend um meinen halbgeöffneten Mund,
Im Vorgefühl der ungekannten Zärtlichkeit,
Als Jesabel, die ausgelaßne Maid,
Salbend meinen Schoß,
Mir in die Seele geraunt, daß ich eine Traube wär,
Die köstlichste aller Trauben!
Ach, ich golde mich in der Sonne bläulichem Meer
Und warte auf den Weinbergen von Engadda,
Bis er mir naht, umsonnt von meiner Huld,
Er, der Winzer, voll Verlangenswucht
Und seine Hand in Ungeduld
Erhebt zu dieser goldnen Frucht . . .
O komm! . . .
Auf die Ozeane
Unerschöpflicher Lust
Schleudre deiner Segel Linnen!
O komm! . . .
Ich warte dein voll Lust und Freude,
Des Verlangens voll,
Das sich erfüllen soll,
Wie der vor Blüten berstende Lenz!
O komm!
Die Lider sanken über die abgründigen Tiefen
Meiner traumtrunkenen Augen,
Als irgendwo, auf ihrem Grunde - so groß, wie fern am Weltensaum
Des Meeres unumgrenzter Raum -
Bilder erwachten, vom Duft getragen
Aus dem Paradies - wo der Bruder den Bruder erschlagen! . . .
Und ihre Lust war so mörderisch wie der Tod,
Der auf diese kunstvolle Schüssel
In wollüstigem Rausch sein Haupt mir bot,
Eingehüllt in dunkler Haare Flut
Und triefend von Blut . . .
O komm! . . .
Wie deine Augen glühen - obwohl erstorben!
O, du mein Geliebter!
Du mein einzig Geliebter!
Ich entzünde in Alabastern kostbare Öle,
Umflute mit Lichtern meines Bettes Pracht
Und wandle zum leuchtenden Tag die Nacht!
Daß dieser Lichter Quell
Unsre Liebe umfließe, daß sie strahle so hell
Wie des sterbenden Tages Glut! . . .
Oder ich lösche die Flammen in kostbaren Schalen,
Umhülle mit Purpur dämmerdicht mein Bett,
Verbann aus diesem Tempel der Sterne Strahlen,
Es versinke unsrer Liebe Pracht
In ewiger, unenträtselter, endloser Nacht! . . .
Und aus der geheimnisvollen Umarmungen Macht -
Wenn deine Seele, o Prophet, die meine verschlingt,
Wenn in deinen halbgeschloßnen Augen Salomes Zauber schwingt
Und sich steigert zur ungeheuren Kraft unerwarteter Lust,
Wenn die ganze Welt in des Verlangens Allmacht versinkt,
Und du ganz in der Sättigung Flut wirst vergehen,
Dann mag der Erlöser erstehen,
Oder der Satan, der über aller Erden Horizonte
Entfaltet das ewige unsterbliche Verbrechen! . . .
Des Triumphes Stimme soll über des Lebens Wirrnis fließen,
Oder Angst und Stöhnen, die aus Fesseln der Verbrecher sprießen,
Er soll in des Todes Tore mit der Verzweiflung Hämmern schlagen
Und auf Kreuzen, Galgen, Pfählen sich schleppen
Zum stummen Himmelsgewölbe, in Wolken oder Blau.
Und du, Prophet, voll Unersättlichkeit -
O höre mein Lied, mein unvollendet Lied,
Das die uferlosen Fernen durchzieht,
Und komm!
Sollen die Mächte zerbrechen,
Soll in Trümmer zerfallen
Dieser Thron, worauf der Schöpfer die Unsterblichkeit gesetzt;
Diese Erde und diese Sterne, Sonnen und Monde
Sollen zu Nebeln zerbersten im weiten Raum,
Und der Ewigkeit Ahnung soll verwehen als Traum;
Doch du erhöre mein Lied
Und komm!
O, du Geliebter mein!
Du einzig Geliebter! . . .
Wie glühen deine Augen - obwohl erstorben!
O, ihr meine Dienerinnen, meine Freundinnen!
Öffnet meines Palastes Tore weit!
Verschiebt über dem Lager die roten Verhänge!
Mein Geliebter naht!
Schlagt die Lauten und Harfen!
Und tanzet! Daß ein froher Reigen ersteht!
Mein Geliebter weilt bei mir,
Der göttliche Prophet!
In dieser Wirrnis,
Wo ach! die ganze Welt mit mir sich dreht,
Rinnt von der Schüssel das Blut
In dunkler Flut!
Reißt von mir die Bänder ab!
Reißt ab die teuren Hüllen!
Über meinen weißen Schoß mög fließen das Blut!
Daß meinem Leib sich vermähle
Diese allerkostbarste Flut!
O, heilige Offenbarung meiner göttlichen Schönheit!
Diese Augen,
In die mein Geliebter wird blicken,
Bis ihm der Rausch die ganze Welt wird entrücken!
O komm! . . .
Dies mein kupferrotes Haar,
Das er um seine Hand wird legen,
Um zwischen seinen Fingern ihre strahlige Flut
Mit lustvollem Lächeln zu wägen!
O komm!
Diese Lippen, von Purpur umflossen
Und der taufeuchten jungen Rose Farben!
O komm!
Meiner träumenden Brüste Rund!
Er wird sie einem schlummernden Schwanenpaar vergleichen
Und sie erwecken mit glühendem Mund,
Daß sie entflammen von lustvollen Zeichen!
O komm! . . .
Diese Hüfte, die deiner Arme Ring wird umschließen!
O komm! . . .
O komm, Geliebter, komm! . . .
Der Wald wird erbrausen, und du, o Prophet,
Der einzige auf der Erde und im Himmel,
Wirst ihn hören und im Vorwärtsschreiten
Horchen in diese rauschende Ferne,
Und vertiefen des Brausens tiefen Klang,
Wirst darin Salomes Seele erkennen
Und spenden ihr den Lobgesang,
Daß sie schon war, bevor in der Bäume Wipfeln
Erwachte dies geheimnisvolle Singen . . .
Durch mich, durch mich wirst du der Jahrhunderte Dunkel durchdringen
Und umsonnen alles, was dem Dämmer erlag!
Durch mich, durch mich
Wirst du erkennen das Band zwischen der Wolken
Sonndurchglühtem Zauber
Und der smaragdenen Eintagsfliege, die über den Wasserspiegeln
Ob dem säuselnden Schilf, mit durchsichtigen Flügeln
Funkelt, von der Sonne erhellt,
Und an der Ewigkeit Rätsel vorbeifliegt,
Und an dem Leben und Sterben der Welt.
O du, o König Herodes,
Des Lebens und des Todes barbarischer König:
Die jungfräuliche Scham wird zum Tanz vor dich treten,
Doch erlaub mir zu nehmen
Das Haupt des göttlichen Propheten! . . .
Und ihr, Dienerinnen! Meine Freundinnen!
Lauschet meiner Harfe Klängen!
Reißt von mir die Bänder, alle!
Die teure Hülle falle!
Daß des Lebens und Todes barbarischer König
Sich an meinem Leib berausche ganz!
Daß ihn niederschleudre dieser Tanz
Der entfesselten Brunst!
Und daß er weiß: obwohl mein Leib aus Asche
Und zur Asche vergeht,
Bei mir weilt der Prophet,
Der Geliebte mein!
Warum kommst du nicht? Warum?
Salome, die weiße Blume im Garten der Herodias erblüht,
Gepflückt vom Baum der Erkenntnis mit sündiger Hand,
Singt ihr brünstiges Lied . . .
Komm!
Warum glühn deine erstorbenen Augen so sehr
In der Abendröte leuchtendem Meer?
Komm!
Salome dich ruft . . .
Salome hat ihrer kupferroten Haare Pracht gelöst,
Gleich einem blutenden Feuerglanz der Zeiten
Und schlägt in der ewigen Harfe Saiten
Und singt -
Und ruft dich Prophet: komm! o komm! o komm!
Nimm mich in deinen Tempel auf!
Wir werden Palmen schwingen,
Gepflückt vom Baum des Frühlingsauferstehens,
Und Psalme singen
Und preisen den Gott
Als einzigen Gott,
Der der Lüste Brand
In deine Salome gebannt.
Wir werden Myrrhen streun in Räucherpfannen,
Helles Feuer sei entfacht,
Abrahams Opfer sei vollbracht!
Daß das Haupt des göttlichen Propheten,
Der geboren diesen Sang voll Glut,
Diesen ewigen Sang,
Auf der goldenen Schüssel ruht!
Oder wir zünden allmächtigen Aufruhr!
Zertrümmern des Tempels Mauern,
Daß sie zu unseren Füßen niederstürzen
Zusammen mit Gott, der in der Brust der allerersten der Töchter
Erweckt der Verzweiflung Stimme,
Wie das Grab so dunkel und kalt,
Die die große Nichtigkeit durchschallt
Und den roten Dämmer
Des sterbenden Seins wird durchziehn,
Über diese Augen, die so schrecklich glühn! . . .
O, erwählte Schüssel! o güldene Schüssel!
Du meiner Harfe ewige Saite! . . .
Ach! komm, Prophet! komm! . . .
Und ihr, meine Dienerinnen,
Reißt von mir diese Bänder -
Und tanzt . . . und tanzt! . . . und tanzt! . . .
O auserwählte Schüssel! o du güldene Schüssel! . . .
übersetzt von Lorenz
Scherlag (1881-1941)
Aus: Moderne polnische Lyrik
Eine Anthologie deutscher Übertragungen
Herausgegeben von Lorenz Scherlag
Amalthea Verlag Zürich Leipzig Wien 1923 (S. 52-62)
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