John Keats (1795-1821)
englischer Dichter
Ode an Psyche
Göttin! lausche diesem armen Lied,
Das lieb Erinnern, süßer Zwang geboren,
Verzeih, daß dein Geheimnis es erriet
Und wiederkündet deinen eignen Ohren:
Ich träumte heut - denn sollte wacher Sinn
Wohl je die lichtbeschwingte Psyche schauen?
In lichtem Walde schritt ich für mich hin,
Da plötzlich faßte mich ehrfürchtig Grauen:
Eng Seit an Seit lag ein schönes Paar
Ins Gras gebettet, über ihnen spann
Das Laub ein flüsternd Dach, ein Bächlein rann
Durchs Grün, kaum wahrnehmbar.
Auf blumiger Au, die bunt und silberklar
Und kühl und duftend in die Stille sann,
Sanftatmend lagen sie, die Flügel bogen
Sich aneinander und die Arme auch,
Die Lippen trennte nur ein Atemhauch,
Als habe Schlummer Mund von Mund gezogen,
Als würden jungerwachte Liebeswogen
Zu neuem seligen Küssen sie beglücken.
Den Knaben kannte ich;
Du Taube doch, du lieblichstes Entzücken,
Warst Psyche sicherlich!
O letztgebornes lieblichstes Gesicht
Hoch über des Olymps verbleichter Pracht!
O schöner du als erstes Sternenlicht,
Das wie ein Glühwurm in den Abend wacht.
Ja schöner du! Obgleich nicht ein Altar
Noch Opfer dir geschichtet
Und nächtens keine süße Mädchenschar
Zu dir Gesänge richtet:
Kein Wort, kein Flötenspiel, kein frommer Rauch,
Der sanft aus schwingenden Gefäßen wellte,
Kein Schrein, kein Hain, nicht ein inbrünstiger Hauch,
Der eines bleichen Priesters Träumen schwellte.
O Strahlendste! Zu spät für jene Zeit,
Zu spät, zu spät auch für leichtgläubige Leier,
Die heilig sprach des Waldes Einsamkeit,
Heilig die Luft, das Wasser und das Feuer.
Doch selbst in unsern Tagen, die so ferne
Von froher Frömmigkeit, erglänzt dein Flug,
Der über stürzenden Olymp dich trug,
Nun meinen Augen, und ich bete gerne.
So laß mich sein die süße Mädchenschar,
Die betet am Altar,
Dein Wort, dein Flötenspiel, dein frommer Rauch,
Den dir ein schwingend Weihgefäß entsendet,
Dein Schrein, dein Hain und dein inbrünstiger Hauch,
Den eines bleichen Priesters Traum dir spendet.
Ich will, dein Priester, dir den Tempel richten
In meiner Seele unbegangnem Hain:
Verschlungene Gedanken sind die Fichten,
Die flüsternd schützen deinen heiligen Stein,
In dunklen Gruppen sollen all die Bäume
Die steilen Bergesklüfte dicht befiedern,
Und schlummernde Dryaden wiegt in Träume
Der Wind, der Strom, der Wald mit seinen Liedern.
Und in der Mitte dieser weiten Stille
Baut dir ein rosiges Heiligtum mein Wille
Mit allem, was inbrünstiges Hirn ersinnt,
Umrankten Gittern, seltnen Blütenglocken.
Im Blumenhain, den Phantasie dir spinnt,
Ist alle Blühen ewiges Frohlocken,
Und dort ist dein allsüße Seligkeit,
So weit wie Träume fassen,
Und Fackel nachts und Fenster, das bereit,
Die Liebe einzulassen.
(S. 18-20)
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An -
Wär ich von ritterlichem Wuchs, vielleicht
Wär meinem Weh ein Widerhall erwacht
Und hätte wohl dein Herz in Glut entfacht,
Daß es mir selbst die Waffen überreicht.
Doch ach, ich bin kein Held, dem alles weicht,
Und meine Brust schirmt keine Panzerpracht;
Kein Schäfer bin ich, dem ein Mädchen lacht,
Und dessen Mund erzittert und erbleicht.
Und muß dich dennoch lieben - süß dich nennen,
Viel süßer noch als Hybla's Rosenbecher,
Wenn sie von Tau gefüllt fast überrinnen.
Ach, dieser Tau! Ich will, ich muß ihn kennen!
Erscheine Mond! Mach mich zum seligen Zecher!
Mit Spruch und Zauber muß ich ihn gewinnen!
(S. 78)
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An G. A. W.
Nymphe des Lächelns mit gesenkten Blicken,
In welchen glanzverklärten Tagesstunden
Sei deiner Lieblichkeit der Kranz gewunden:
Wenn süße wirre Reden dich verstricken -
Wenn du in himmelheiterem Verzücken
Gedanken lebst - wenn du so ungebunden
Hintanzest durch des Gartens Sonnenstunden
Und hundert Blumen dir Willkommen nicken?
Oder wenn du gebannt in süßem Lauschen
Die Rosenlippen teilst? - Wie darf ich fragen!
Ein Schönstes gegen Schönstes umzutauschen,
Wär Torheit nur. Ich könnte dann auch sagen,
Welche der Grazien in Apolls Geleit
Die erste sei an holder Lieblichkeit.
(S. 80)
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Auf ein Bild des Leander
Ihr sittsam süßen Mädchen, kommt gegangen,
Senkt unter Wimpern blasser Augenlider
Demütig keuschen Blick zur Erde nieder
Und haltet milde Hand von Hand umfangen,
Als könntet ihr bestürzt nur und mit Bangen
Ein Opfer eurer Schönheit sehn, das nieder
In nasse Nacht sinkt: niemals löst ihn wieder
Die junge Liebe ais den Wogenschlangen.
Leander ist's, der sich zu Tode müht.
Ohnmächtig lächeln noch die matten Lippen
Den letzten Kuß, den Sturm zu Hero trug.
O schrecklich! Seht, wie seine Kraft versprüht.
Sein Leib löscht aus wie Leuchten zwischen Klippen,
Aufperlt der Liebe letzter Atemzug.
(S. 88)
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Wenn Furcht mich faßt, mein Dasein könne enden,
Noch eh' die Feder, was mein Hirn erdachte,
In Schrift, in Büchern wußte zu vollenden,
Das reife Korn in volle Speicher brachte -
Wenn wolkengleich tief seltsame Legenden
Der Nacht besterntes Antlitz überfließen,
Und ich es weiß, daß nie mit Zufallshänden
Das Glück mir hilft, ihr Bild in Form zu gießen -
Und wenn ich fühle, Schönste du von allen,
Daß nur die flüchtige Stunde uns umfängt,
Daß nie mein Herz in jenen Zauberfallen
Gedankenloser Liebe träumend hängt -
Dann steh ich einsam vor den Ewigkeiten,
Bis Ruhm und Liebe in ein Nichts entgleiten.
(S. 90)
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An eine Dame
(flüchtig gesehen in Vauxhall)
Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.
Und dennoch: schau ich auf zum Sternenlicht,
So zeigt Erinnrung deiner Augen Glanz,
Und seh ich rosiger Rosen zarten Kranz,
Denkt meine Seele nur an dein Gesicht.
Kein Knospenschwellen kann mein Auge sehen,
Ohn' daß mein töricht Ohr sich neigt und lauscht,
Um deines Mundes Worte zu verstehen.
So wird in jedes Glück dies Deingedenken
- Wie tiefre Lust, die inniger berauscht -
Den süßen Stachel seiner Schmerzen senken.
(S. 91)
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An Fanny
Ich schreie: hab Erbarmen! - Mitleid! - Liebe!
Liebe, die sich erbarmt und die nicht quält,
Beständige, arglose, offene Liebe,
Die, makellos, sich keine Maske wählt.
O gib dich ganz! Sei mein - sei meinem Flehen!
Gestalt und Antlitz - süßer kleiner Mund -
Himmlische Augen, Hände, die verstehen,
Der warmen Brüste freudevolles Rund, -
Gib deine Seele - gib dein ganzes All,
Halt nichts zurück, nichts - nichts! Ich würde sterben!
Und lebte ich, dein elender Vasall,
Ich würde doch an meinem Schmerz verderben!
Ich könnte meines Daseins Sinn nicht finden,
Mein Geist, mein Ehrgeiz würden stumpf erblinden!
(S. 94)
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La Belle Dame sans merci
Was fehlt dir doch, du armer Wicht,
Was schweifst du einsam bleich umher?
Das Schilf ist längst schon welk, es singt
Kein Vöglein mehr.
Was fehlt dir doch, du armer Wicht;
Was bist du so verhärmt und krank?
Des Eichhorns Speicher ist gefüllt,
Die Ähre sank.
Eine Lilie blüht auf deiner Stirn,
Betaut von Fieber, Not und Qual,
Die Rosen deiner Wangen sind
Verwelkt und fahl.
"Ein Fräulein traf im Hag ich an,
War schön, wie nur ein Feenbild,
Ihr Haar war lang, ihr Schritt war leicht,
Ihr Blick war wild.
Ich hob sie auf mein schreitend Roß,
Und seitwärts lehnte sie und sang;
Nun sah ich nichts als sie im Tag -
Viel Stunden lang.
Ich flocht ihr einen Kranz aufs Haupt
Und duftigen Kranz um Brust und Arm,
Sie dankte mir mit Blick und Wort
So süß und warm.
Sie suchte saftiges Wurzelwerk,
Wildhonig, Manna-Tau für mich
Und sagte mir in fremdem Laut:
Ich liebe dich.
Sie nahm mich in ihr Grottenschloß
Und sah mich an und seufzte tief.
Ich küßte ihr die Augen zu,
Sie lag und schlief.
Dort schlief auch ich im Moose ein,
Da träumte mir ein Traum so bang,
Der letzte Traum, den ich geträumt
Am Hügelhang.
Sah Könige, Fürsten, Ritter stehn -
So bleich, wie Tod nur bleich sein kann -
Sie schrien: La belle dame sans merci
Hat dich im Bann!
Aus klaffend offnem Totenmund
Der schauerliche Warnruf drang.
Ich wachte auf und fand mich hier
Am Hügelhang.
Und darum irr ich einsam hier
Und bleich im welken Schilf umher,
Obgleich ich weiß, es singt schon längst
Kein Vöglein mehr."
(S. 96-97)
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Zeilen an Fanny
Was kann ich tun, um meinen Augen
Erinnrung zu entziehn? Warst du doch nah;
Erst eine Stunde ging, seit ich dich sah,
Mit durstigem Blick dein Bildnis aufzusaugen.
Berührung hat Gedächtnis! Lieb, o sage,
Wie kann ich das ertöten?
Wie rett ich mich aus diesen tiefen Nöten,
Daß ich in aller Freiheit wieder rage?
Wenn jeder Schönen, die ich sah, mein Fang
Geschickt gelang,
So riß doch bald die schlechtgewebte Schlinge,
Und ich entsprang!
Ob dürftige, ob farbenbunte Dinge -
Ich fühlte meiner Muse Flügel,
Ich hielt die Zügel!
Und stets war ihre Kraft bereit
Sich meinem Wunsch zu schenken,
Der ohne nachzudenken
Doch thronte in erhabner Göttlichkeit.
In Göttlichkeit! - Der Vogel, den sein Flug
Hintanzend über Meeresrauschen trug,
Wird er im heitren Steigen, Neigen, Senken -
Ein Philosoph - an Ziel und Absicht denken?
Wie soll ich tun,
Von neuem nun
Verlorne Federn wiederzuempfangen,
Empor, empor,
Bis drunten Amors Flattern sich verlor,
In ewigreinen Äther zu gelangen? -
Berausche dich in Wein! -
Das ist gemein,
Ist Sünde, Ketzerei,
Die das Gesetz der Liebe schmählich schändet.
Nein, - nur den Frohen macht das Trinken frei,
Doch mir ist Leid gesendet! -
Wie soll ich wissen, wo mein Friede sei?
Und wie mich stählen, jenem grausigen Lande,
Dem Kerker meiner Freude, fern zu bleiben:
Dem eklen Strande,
An dem sie scheiterten und haltlos treiben;
Der fürchterlichen Welt, wo trübe Flüsse
Die schmutzigen Wellen an die Ufer spülen
Und nie die Nähe heitrer Götter fühlen -
Wo rauher Wind beeiste Ruten schwingt
Und Geißelhiebe bringt
Und wilden Schmerz als einzige Genüsse -
Wo blind und schwarz erfrorne Wälder ragen,
Dryaden schreckend -, wo verdorrtes Gras,
Des dürren Ochsen widerlicher Fraß,
Die Wiesen deckt, die keine Blumen tragen -
Wo niemals lockt ein lieber Vogelruf:
Dem Land, das die Natur im Zorn erschuf!
O daß ein Wunder käme!
Daß Sonne diese Höllenschatten nähme!
Sie müssen fort! - Bei Tages Dämmerschein
Ist meine Dame mein!
O meiner Seele Lust:
Noch einmal ruhn auf dieser süßen Brust!
Noch einmal meine Arme fühlen lassen,
Daß sie als Kerkermeister dich umfassen!
Noch einmal mich an deinen Atem drängen,
Daß seine Düfte in mein Haar sich hängen!
Du tiefe Süße solcher Qual -
O küß mich noch einmal!
Genug! genug! Es ist genug für mich:
Find ich im Traume dich!
(S. 99-100)
_____
An -
Süsses, denk nicht dran, laß ruhn;
Weine nicht, sei still.
Seufze nur, doch laß es ruhn,
Laß es gehn wie's will.
Süßes Lieb, blick nicht so trüb,
Nicht so trüb und matt.
Einen Tropfen Träne gib,
Der den Tod schon hat.
Noch so bleich? So wein dich aus!
Und ich sammle dann
Alle Tränen, daß daraus
Segen perlen kann.
Klarer als ein Bächlein rinnt,
Dir's vom Auge goß,
Linder noch als Wellchen sind,
Dein Geflüster floß. -
Um ein Glück, das von ihm schied,
Klagt wohl jedermann -
Gut nur, daß solch Klagelied
Man auch küssen kann.
(S. 101)
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Das Milchmädchen
Wo gehst du nur hin, du Mädchen, sag?
Und was trägst du im Körbchen so sittig?
Du sauberes Kind, eil nicht so geschwind,
Reich mir einen Trunk, ich bitt dich!
Ich mag deinen Anger, ich mag deinen Klee,
Und Milch naschen mag ich unendlich;
Doch lieber mir's ist, wenn dein Mündchen mich küßt,
Das ist ja so selbstverständlich.
Ich mag deine Hügel, deine Täler so sehr,
Und ich mag deine blökenden Schafe -
Doch ach, mich ins Heu zur Seite dir treu
Zu betten zum Liebesschlafe!
Dein Körbchen, das stell ich recht sorgsam beiseit,
Deinen Schal häng ich auf an der Weide,
Und dann seufzen wir matt in Blumen und Blatt
Und küssen und küssen uns beide.
(S. 102)
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Stanzen an Miss Wylie
O komm, Georgiana! Die Rosen schau an,
Den blumigen Teppich, den Flora rings spann;
Die Luft ist voll Süße, das Wasser voll Glanz,
Der West schwebt mit funkelndster Sonne zum Tanz.
O komm! Laß uns ziehn ins erfrischende Grün,
Durch Schatten und Matten, die duften und sprühn,
Zur Waldlichtung hin, wo die Feen sich drehn
Und Sylphen wie lichtester Sonnenglanz gehn.
Und bist du dann müde, so bett ich dich sacht
Auf Moos und auf Blumen mit liebem Bedacht;
Dort lieg ich, Georgiana, zu Füßen dir nah,
Mein Märchen von Liebe erzähl ich dir da.
Und atme so zärtlich und seufze so lind,
Als seufze von Liebe der Frühsommerwind;
Dein schönes Knie preß ich und atme so tief -
Da fühlst du, daß ich's war, der seufzend dich rief.
Warum, liebstes Mädchen, entbehren dies Glück?
Ein Narr nur weist soviel Beglückung zurück:
So lächle Gewährung und gib deine Hand
Und ein zärtliches Wort, das dein Herz für mich fand.
(S. 103)
_____
Übersetzt von Gisela
Etzel (1880-1917)
Aus: John Keats Gedichte
übertragen von Gisela Etzel
Im Insel Verlag zu Leipzig 1910