Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


König Jacob I. von Schottland (1395-1437)
englischer Dichter


Abschiedslied an die Geliebte

Ja! seit dein Auge, meines Glückes Sonn',
Aufhörte mir zu strahlen,
Fühl' ich von Seufzern mich durchbohrt, wie von
Zahllosen Schwerterstahlen.
Ich sterbe schmerzvoll,
Ich lebe peinvoll,
Mein Leid vermehrt sich,
Mein Geist verzehrt sich.
O Trennungsschmerz, o wehevolle Qualen!

Den Tag, wo die Geliebte schied von mir,
Liess' Freud' auch mich zurück;
Als ich getrennt mich fand von ihr,
Traf mich nur Missgeschick.
Da schwand auch hin
Mein froher Sinn,
Massloser Gram
Mich überkam.
O, jenes "Gute Nacht" entriss mein Glück.

Wie man der Turteltaube treues Herz,
Wenn sie verlor ihr Paar,
Auf dürrem Baumast ihren heissen Schmerz
Hört klagen immerdar:
So mein Gemüth
Von Sehnsucht glüht;
Klagt heiss und trüb
Um's ferne Lieb.
O Gott, lass Pein mich nicht ertödten gar.

Des Sommers Feuer, das kein Lüftchen kühlt,
Von Sirius' Gluth genährt,
Brennt so nicht, wie das Feu'r, das mich durchwühlt,
Und Seel' und Leib verzehrt.
Nicht Pfeiles Spitz'
Wirft solchen Blitz,
Wie dein Geschoss
In's Herz mir goss.
O Gott Cupido! und mir's ganz zerstört.

Wie Einer, der im Sturme schwimmend strebt
Und nach dem Ufer ringt,
Je mehr er kämpft, bald taucht, bald sich erhebt,
Die Fluth doch rückwärts schwingt:
So wächst mein Leid
In Kampf und Streit,
Die Gegenwehr
Entflammt's nur mehr.
O grause Lieb', die nur der Tod bezwingt!

Das Labsal sonst der Liebenden: die Nacht,
Erhöht nur meine Qual;
Und ist der lichte Tag erschienen, facht
Nur meinen Schmerz sein Strahl.
Am Tage Kummer
Und Pein im Schlummer;
Am Abend Sorgen,
Noch mehr am Morgen.
O Gott, nimm Lieb' und Leben mir zumal!

Und lass, wenn Schwermuth mich in Schlummer senkt,
Mich ihre Schwing' umfahn;
In Wachen grämt sich nur mein Herz und denkt
Der Leiden, die ihm nah'n.
Nichts schafft mir Ruh,
Spricht Trost mir zu,
Als einzig dies:
Zu träumen süss.
O Traum, du süsser, sei kein leerer Wahn!

Doch nun, o Muse, mein Bedürfniss du!
Hemm' deiner Klagen Lauf,
Still deinen Leiderguss, gebiet' ihm Ruh',
Zu singen hör' ich auf.
Wer klagen mag.
Die Plagen trag'.
Beschwerde zehrt,
Das Schweigen mehrt
Verstummtes Leid und drückt sein Siegel drauf.

Übersetzt von Julius Leopold Klein (1808-1876)

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 75-77)
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