Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Alphonse de Lamartine (1790-1869)
französischer Dichter



Erinnerung

Vergebens folgt ein Tag dem Tag,
Sie fliehn und keine Spur ist blieben; -
Du letzter Traum von meinem Lieben,
Nichts ist, das dich verlöschen mag!

Die raschen Jahre seh' ich wallen,
Sie thürmen hinter mir sich auf,
Die Eiche so ringsum zu Hauf
Sieht ihre welken Blätter fallen.

Die Stirne Silber mir umschlingt,
Mein abgekühltes Blut fließt träge,
Wie jene Quelle dort am Wege
Des Nordwinds eis'ger Athem zwingt.

Dein Bild nur, jung und ohne Fehle,
Verschönert durch der Sehnsucht Schmerz,
Bewahret unergraut mein Herz,
Und zeitlos ist es, wie die Seele.

Nein, nicht verlassen hast du mich,
Und meine Augen, einsam schweifend,
Auf Erden dich nicht mehr ergreifend,
Sie fanden in dem Himmel dich!

Und dort erblick' ich dich noch immer
In jener Stunde Glanzgestalt,
Wo du zum ew'gen Aufenthalt
Flogst mit der Morgenröthe Schimmer.

Ja, deiner Schönheit reines Kleid
Mit dir gen Himmel durft' es schweben;
Die Augen, drin erlosch das Leben,
Sie strahlen von Unsterblichkeit!

Noch spielt mit deines Haares Wallen
Des Westes Hauch in Liebeslust;
Und wieder seh' ich auf die Brust
Dir seine dunkeln Flechten fallen.

Gemildert noch dein Antlitz bebt
Dir aus der Schleyer schwankem Schatten,
Wie sich die Dämmrung aus dem matten
Gewölk der Morgenschleier hebt.

Vergänglich ist des Tages Blüthe,
Es steigt und sinkt der Sonne Pracht,
Doch meine Lieb' hat keine Nacht,
Und ewig strahlst du dem Gemüthe.

Dich hör' ich, dich erblick' ich, du
Bist in den Wolken, in der Wildniß,
Die Welle sendet mir dein Bildniß,
Der Zephyr haucht dein Lied mir zu.

Und wenn der Schlaf die Welt verdüstert,
Und hör' ich seufzen dann den Wind,
So däucht mir, daß es Worte sind,
Voll heil'gen Sinns, von dir geflüstert.

Labt mich der Himmel goldne Zier,
Der Nächte Schleyer, licht durchflimmert:
Der Stern, der dann am klarsten schimmert,
Der wird zu deinem Bilde mir.

Und wenn der Athem der Zephyre
Mich mit der Blumen Dufte tränkt,
In ihren Wohlgeruch versenkt
Ist es dein Athem, den ich spüre.

Wer trocknet meiner Thränen Flut,
Wenn ich mit heimlichem Gebete
Zu tröstenden Altären trete?
Ist's deine Hand nicht, die es thut?

Du wachest, wenn ich schlummr', im Dunkeln,
Und deine Flügel ruhn auf mir;
Und jeder Traum, er kommt von dir,
Süß, wie Verklärter Blicke funkeln.

Und knüpfte mir dein Finger los
Das Band, das meine Tage weben,
O du, mein halb, mein himmlisch Leben,
Erwachen würd' ich dir im Schoos.

Ja, wie vom Morgenroth zwey Strahlen,
Wie zwey vermischter Seufzer Hauch,
Sind Eines unsre Seelen auch,
Und ich - ich singe noch von Qualen?
(S. 93-99)

Übersetzt von Gustav Schwab (1792-1850)
Aus: Auserlesene Gedichte von Alphonse de Lamartine
Metrisch übersetzt von Gustav Schwab
Mit beigefügtem französischem Texte
Stuttgart und Tübingen
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1826

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Anruf

Die du erschienen mir in diesem öden Leben
Du Himmelsbürgerin, durchwandernd dieses Land;
Die du in dunkler Nacht, auf meinem Aug' zu beben,
Der Liebe Strahl gesandt;

Laß den erstaunten Blick dein Wesen inne werden!
Was ist dein Nam' und Loos? wo deine Heimathflur?
War deine Wiege schon auf Erden?
Bist du ein Gottesathem nur?

Wirst du zum ew'gen Licht zurück schon morgen eilen?
Mußt länger in dem Land der Quaal und Trauer weilen,
Dem Elend folgen noch auf mühevoller Spur?
Wie du dich nennen magst, zu was und wo geboren,
Ob Erdentochter du, ob aus des Himmels Reihn -
Laß nur mein Leben auserkoren
Ganz dir zu Dienst und Liebe seyn!

Wirst du die Erdenbahn gleich uns vollenden müssen,
So sollst mir Stütze du, sollst Führerin mir seyn,
So laß mich stets den Staub der theuren Füsse küssen: -
Doch schwingst du, fern von uns, dich plötzlich himmelein,
Der Engel Schwester, dich den Brüdern anzureihn,
Und wolltest mir die Welt nur stundenlang versüssen; -
So denk' in deinem Himmel mein!
(S. 121-123)

Übersetzt von Gustav Schwab (1792-1850)
Aus: Auserlesene Gedichte von Alphonse de Lamartine
Metrisch übersetzt von Gustav Schwab
Mit beigefügtem französischem Texte
Stuttgart und Tübingen
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1826

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Liebeshymne
Neapel, 1822

O Leyer! könnte je dein Saitenspiel erklingen
Dem süssen Rauschen gleich, das auf der Weste Schwingen
Sich in den Zweigen regt;
Der Bäche Murmeln gleich, die durch die Wiesen irren,
Der Täublein Stimme gleich, die an dem Ufer girren,
An das die Welle schlägt;

O könnte, wie der Schilf, den Hauche mild beleben,
Die leise Saite dir von jener Sprache beben,
Die nur der Himmel kennt;
Die dort, wohin der Geist nur fliegt, am heil'gen Orte,
Die Engel, Blick in Blick sich flüstern, ohne Worte,
Wenn Lieb' in ihnen brennt;

O könnte sich dein Klang so weich und lieblich biegen,
Auf hellem Bildertraum die Seele kosend wiegen,
Die Liebeshauch erschließt:
So wie des Himmels Wind die Wolken lässet fluthen
Im lautern Tageslicht, das mit den Purpurgluten
Die wogenden umfließt:

O klängst du, Leyer! so: dann liess' ins Ohr der Schönen,
Die hold auf Blumen schläft, ich leise, leise tönen
Den seufzenden Accord,
Der reinen Wonne gleich, darein ihr Bild mich tauchet,
Dem Halle gleich, den uns ein Traum herüberhauchet
Vom unnennbaren Bord.

O du mein einzig Licht! (säng' ich) erschleuß die Augen,
Aus deinem Augenstern laß meine Blicke saugen
Dein Lieben und mein Seyn.
Dein sehnsuchtsvoller Blick ist theurer meinem Herzen,
Als einem blinden Aug' aus jenen Himmelskerzen
Der allererste Schein!

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sie läßt auf Einen Arm des Halses Bürde sinken,
Bedeckt die schöne Stirn zur Hälfte mit dem linken,
Der weich sich niederbiegt;
Den Alabasterhals krümmt so die Turteltaube
Und wölbt, entschlafnen Aug's den Fittig um die Haube
In Schlummer eingewiegt.

Der leichten Seufzer Hauch, die ihrer Brust entbeben,
Wallt hin, im Murmelton der Welle zu verschweben,
Die durch die Blumen flieht;
Der West wogt auf und ab, auf ihrer Wimper Saume,
Die einen Schatten wirfst, als wär's von einem Traume,
Der durch das Auge zieht.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wie süß dein Schlummer ist, mein Täublein ohne Fehle!
Wie wallt dir sanft die Brust und sendet durch die Kehle
Den langen Athemzug;
So schwellen, milder nicht, im Mondenstrahl zwei Wogen,
Leis rauschend kommen sie, nun die, nun die geflogen,
Und sterben in dem Flug.

Laß mich den würz'gen Hauch vom rothen Munde schlürfen!
Was that ich? wehe mir! hab' ich dich wecken dürfen?
Der Himmel duftig Licht
In deinen Augensternen, den scheuen, kommt's geflossen,
Doch du, dein sanfter Blick, ihr sucht, dem Tag erschlossen,
Mein Aug' und Andres nicht.

Mit süssen Blicken laß sich unsre Seelen tränken,
Wie in einander sich zwei reine Strahlen senken,
Laß, hin und her geschickt,
Sie uns in beider Herz die schwanke Flamme tragen,
Das innre Licht, das kommt, in einer Brust zu tagen,
Darein die Liebe blickt.

Bis eine Zähre schleicht aus deiner Augen Quelle
Sich auf die Wimper legt und dir des Tages helle
Mit flücht'ger Wolke nimmt;
Ein Frühroth sauget so zu sich von duft'gen Matten
Des Morgens Thränen auf, indem in lichten Schatten
Es halb verborgen schwimmt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sprich! jedes Wort aus deinem Munde,
Es tönt in meines Herzens Grunde,
Wie Nachhall eines Liedes aus;
Und wenn dein Laut im Ohr verschwebet,
So hallet meine Seel' und bebet,
Wie bei der Götter Wort ihr Haus.

Ein Hauch, ein Wort, dann eine Stille -
Dem Geiste gnügt's, der in die Fülle
Halbausgesprochner Worte dringt,
Der Deiner Stimme Strom belauschet:
So, wenn des Bächleins Welle rauschet,
Versteht der Rasen, was sie singt.

Den Ton, der, eh er wird, verhallet,
Das Lächeln, halb der Lipp' entwallet,
Den Laut der Klage fass' ich leicht.
So wird zur wonnevollen Weise
Der Hauch des Westes, wenn er leise
Durch einer Leier Saiten streicht.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Was wallen übers Haupt die Locken dir, die losen?
O gönne meiner Hand, die Wolke wegzukosen!
Schämst du der Schönheit dich, o meiner Augen Lust!
Doch Eos decket sich, wie du, mit ihren Rosen:
O Schaam, o Himmelstrieb, Geheimniß reiner Brust!
Ja, was am reinsten glänzt, sucht, wie es sich verhülle,
Als dürfte Gottes Bild, der Schönheit heil'ge Fülle,
Allein dem Himmel seyn bewußt.

Deine Augen sind zwei Quellen
Drinn des Himmels Licht sich mahlt,
Wo an halbumbüschten Stellen
Seine Bläue niederstrahlt.
In den hellen Spiegeln schwanken
Deine blitzenden Gedanken,
Die im Flug vorüberziehn,
Wie, auf lichter Wellen Glanze
Wallt der Schwäne Bild im Tanze,
Wenn sie durch die Lüfte fliehn.

Bald entschleiert, bald geborgen,
Gleicht der wolkenlosen Nacht,
Wie sie harret auf den Morgen, -
Deiner Stirne heitre Pracht.
Wenn dein Mund, zu lächeln fliehet,
Ists die Welle, die sich ziehet
Vor des Westes Hauch zurück;
Wo entwoget sind die Lippen,
Winken an entstiegnen Klippen
Ophirs Perlen unserm Blick.

Auf die Schulter sanft geneiget,
Schwankt dein Hals von süsser Last,
Wie der Weide Zweig sich beuget,
Drauf ein Vögelein hält Rast.
Deine Brust, die, leicht umhüllet,
Sich mit deinem Athem füllet
Und des Herzens Bürde schwellt,
Gleicht zwei Täubchen, die mit Zagen
Ihre regen Schwingen schlagen,
Wenn des Voglers Hand sie hält.

Körben gleichen deine Hände,
Die durchblinkt des Tages Glanz,
Deine Finger, um das Ende
Schlingen einen ros'gen Kranz;
Von der Grazie ganz durchdrungen,
Von dem Rasen fest umschlungen,
Setzt dein Fuß sich auf das Gras;
Und dein Regen und Bewegen,
Wie zu sichrer Laute Schlägen,
Lenkt der Anmuth seel'ges Maas.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Warum mit deinem Blick die Seele mir durchbohren?
O wende weg von mir, wend' ab, ich bin verloren,
Der keuschen Augen Blitz!
Auf und erhebe dich! laß Hand in Hand uns schreiten,
Laß dich mit meinem Arm umschlingen, laß dich leiten
Durch diesen Blumensitz!

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

An blauen Sees Rand ein kleiner Hügel steiget,
Der mit der grünen Stirn sich sanft zum Ufer neiget,
Den Wassern zuzusehn;
Die Sonne hört nicht auf, ihn lieblich anzulächeln,
Des Wassers Athem nicht, ihm Kühle zuzufächeln,
Wo Zweige schattig wehn.

Zwei Eichen stehen dort! du siehst den wilden Reben
Durch das Geäst empor nach ihrer Stirne streben,
Und krönend sie umziehn.
Mit seinem blassen Grün beleuchtet er die dunkeln,
Fließt dann, wo längs dem Feld durchbrochne Lichter funkeln;
In heitern Ranken hin.

Dort winkt im hohlen Stein des Felsenüberhanges
Die Grotte, drin so gern die Taube liebebanges
Gegirre seufzen mag;
Sie kleidet und umhüllt der Feigenbaum und Rebe,
Nur mühsam dringt der Strahl des Lichts durch das Gewebe,
Und mißt darin den Tag.

Das blasse Veilchen blüht hier, im bescheidnen Schatten,
Tief in der frischen Nacht, viel länger, als auf Matten,
Mit seinem scheuen Blau;
Und in der Wölbung wohnt die klagenreiche Quelle,
Und, weinend, wie ein Lied, tropft aus verborgner Welle
Euch auf die Stirn ihr Thau.

Durch dieses Vorhangs Grün der Blick nichts weiter schauet,
Als Himmel, und als Flut, die von dem Himmel blauet,
Und auf der Wellen Duft,
Gespreitet über's Schiff der kühnen Fischer Seegel,
Die dieses flüss'ge Blau durchschneiden, wie die Vögel,
Mit Flügelschlag die Luft.

Das Ohr, es höret nur die Klagen einer Welle,
Die, wie ein langer Kuß, murrt an des Ufers Schwelle,
Den West nur, wie er stöhnt;
Nur das melod'sche Lied verliebter Nachtigallen,
Des Felsen Echo nur, das seiner Seufzer Hallen
In unsre Seufzer tönt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Laß fliehn uns zu dem günst'gen Schatten,
Bis sich die Dämmerung ergießt,
Bis sich der Blumenkelch dem matten
Gesunknen Blick des Tages schließt.
Mein Stern, hier ist dein Himmel! blinke!
Enthülle dich! dein Schleyer sinke!
Erleuchte diese dunkle Kluft!
Sprich! seufze! rede! denke! träume!
Nur daß dein Blick nicht länger säume,
Begegne meinem, der ihn ruft!

Daß mit dem Blüthenflaum der Rose
Dein Bett ich streue, gönne mir!
Dann laß mich auf dem weichen Moose
Mich lagern, zu den Füßen dir.
O wohl dem Rasen, den du drückest,
O wohl der Knospe, die du knickest,
Die Hand auf ihrer frischen Glut!
O wohl den rothen Blüthenkelchen,
An denen deine Lippen schwelgen,
Wie Bienen an der Blume Blut!

Wenn von den Lilien, die du pflücktest,
Ein Tropfen aus dem Kelche rollt,
Wenn von den Stängeln, die du knickest,
Der Wind mir kleine Reste zollt,
Wenn deine Locke, niederfallend
Um über meine Wange wallend
An meiner Lippe Rand verirrt,
Dazu dein Athem rauscht verloren: -
Dann schaudr' ich, weil an meinen Ohren
Vorbei des Todes Flügel schwirrt.

Die Stunde sey gebenedeiet
An der der Götter milde Hand
Dich auf mein Leben ausgestreuet,
Wie Schatten auf den dürren Sand:
Du weißt's, seit jener seel'gen Stunde,
Ganz mit dem deinigen im Bunde,
Entschwebt mein Leben mir im Flug,
Es ist ein stets gefüllter Becher,
Draus schlürf' ich, wie ein durst'ger Zecher,
Unschuld und Lieb' in langem Zug.

Ach wenn, von Schlummerdrang belastet,
Die Stirn' an deine Brust sich legt,
Und so in süssem Schlafe rastet,
Von deines Herzens Schlag bewegt,

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Einst wird mit Eiseshauch die neid'sche Zeit entfärben
Dir deiner Wangen Roth, wie junge Blumen sterben
Auf diesem Wiesengrund.
Und ach! der rasche Kuß, der sich mir jetzt entziehet
In seiner frischen Glut, er welket, er verblühet
Auf deinem süssen Mund!

Doch wenn dein Auge dann, in Thränenfinsternissen,
Auf jener Tage Flucht, die dir den Reiz entrissen,
Sich heften wird mit Schmerz;
Wenn du in deinem Geist und in des Ufers Welle
Vergebens suchen wirst dein Bild so hold, so helle:
So blicke mir ins Herz!

Fort blühet hier dein Reiz, die Zeit kann ihn nicht kränken,
Auf ewig wachet hier dein süsses Angedenken,
Im Schatten meiner Treu.
Wie goldner Lampe Licht, das, durch den Tempel schreitend,
Die heil'ge Jungfrau schützt, die Hand darüber breitend,
Indeß es flimmert scheu.

Und wenn der Tod erscheint, dem andre Lieb' entblühet,
Wenn unser doppelt Licht vor seinem Hauch verglühet,
(Er löscht es lächelnd aus!)
Ach, neben deinem Bett bereit' er dann das meine,
Und meine treue Hand, sie fasse noch die deine
Im dunkeln Schlummerhaus.

Doch dürften lieber wir der Erde längs entschweben,
So wie zwei Schwän' im Herbst sich aus dem Nest erheben,
Das ihre Wohnung war:
Man sieht sie, Schwing' an Schwing', hoch in der Luft sich wiegen,
Und in ein milder Land vergnügt zusammen fliegen,
Ein einsam liebend Paar!
(S. 259-283)

Übersetzt von Gustav Schwab (1792-1850)
Aus: Auserlesene Gedichte von Alphonse de Lamartine
Metrisch übersetzt von Gustav Schwab
Mit beigefügtem französischem Texte
Stuttgart und Tübingen
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1826

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Der See

So dürfen wir, umstürmt vom ewigen Orkane,
Zu neuen Ufern stets entführt vom Wellenschlag,
Denn nie vor Anker gehn im Zeitenoceane,
Auch nicht für Einen Tag?

O See, kaum ist's ein Jahr, daß mir die Engelreine
Ein Wiedersehn verhieß an deiner theuren Flut;
Doch einsam rast' ich heut, sieh her, auf diesem Steine,
Auf dem einst Sie geruht!

So rauschtest du empor, daß dumpf die Felswand dröhnte,
So sah ich am Geklipp die Brandung nahn und fliehn,
So warf der Wind den Schaum, der deine Wogen krönte,
Zu ihren Füßen hin.

Denkst du des Abends noch? der Kahn, in dem wir ruhten,
Glitt still dahin und still versank der Glanz des Tags,
Und nichts vernahm das Ohr, als auf den Spiegelfluten
Den Takt des Ruderschlags.

Da plötzlich rief ein Laut gleichwie von Engelsmunde
Den müden Wiederhall am Felsenufer wach;
Die Lüfte horchten auf, die Wasser in der Runde,
Als die Geliebte sprach:

"O Zeit, halt ein im Flug, und ihr, laßt ab zu fließen,
Ihr Stunden, einmal nur!
Vergönnt uns unverkürzt das Höchste zu genießen,
Das je ein Herz erfuhr!

Zur Flucht beschwören euch die elend und zerschlagen;
Flieht, flieht für sie mit Hast!
Mit ihren Tagen nehmt von dannen ihre Plagen;
Doch die Beglückten laßt!

Doch fleh' ich Rast umsonst, den Augenblick zu kosten,
Die Zeit nimmt ihren Lauf;
Noch sprech' ich zu der Nacht: Verweil'! und schon im Osten
Glüht hell das Frühroth auf.

So laßt uns lieben denn! Die Stunden solcher Gnade
Sind kurz; genießen wir!
Der Mensch hat keinen Port, die Zeit hat kein Gestade,
Sie flieht und wir mit ihr." -

O Zeit, wie kann's denn sein, daß du die Wonneschauer
Des Tags, da uns den Kelch randvoll die Liebe schenkt,
Uns ganz so rasch entführst, als wie den Tag der Trauer,
Der uns mit Zähren tränkt!

Wie? Spurlos löscht' es aus, was uns so hoch entzückte?
Hin wär's, auf immer hin? Und ohne Wiederkehr?
Die Zeit, die's einmal gab, und die es dann entrückte,
Sie gäb' es nimmermehr?

Abgrund der Ewigkeit, nie ausgeforschter Bronnen
Vergangenheit, wo bleibt, was rastlos du verschlingst?
Sprich, ob du nie den Rausch zu früh entriss'ner Wonnen
Dem Herzen wiederbringst?

O See, o Felsgeklüft, o dunkle Waldesbreiten,
Euch rührt die Zeit nicht an; so wahrt denn, ewig jung,
O wahrt von dieser Nacht verscholl'nen Seligkeiten
Ihr die Erinnerung!

Sie wohne, schöner See, in deiner Ufer Prangen,
Im schwarzen Föhrenkranz, der dir zu Häupten ruht,
In jenen Klippenhöhn, die schroff herniederhangen
Auf deine blaue Flut;

Sie wohn' in deiner Ruh, in deinen Ungewittern,
Im Echo, das von Strand zu Strand fortklingend fließt
Im silberstirn'gen Mond, der sein Geleucht mit Zittern
Auf deinen Spiegel gießt;

Auf daß der Seufzerhauch im Schilf, des Windes Klage
Die Luft, die dein Gestad klar wie Krystall umgiebt,
Daß Alles, was man hört und sieht und athmet, sage:
"Sie haben sich geliebt."
(S. 22-24)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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Erinnerung

Die Tage fliehn; ich acht' es kaum,
Denn keiner läßt mir ein Erinnern;
Nur du wohnst ewig mir im Innern,
Du meiner Liebe letzter Traum!

Die Jahre, die vorüberwallen,
Wie häufen sie sich hinter mir!
So sieht um sich der Blätter Zier
Die Eiche welk zur Erde fallen.

Schnee hat sich auf mein Haupt gelegt;
Mein Blut ist träg und kalt geworden,
Wie Wellen, die der Sturm aus Norden,
Der eisige, in Fesseln schlägt.

Doch ewig jungen Reiz entfaltet
Sehnsuchtverklärt dein Bild in mir,
Wie meine Seele hüt' ich's hier
Im Busen schön und unveraltet.

Nein, meinem Blick entschwandst du nicht,
Da du vom Erdenleid genesen;
Ich seh' dich, ganz wie du gewesen,
Hinwandeln in dem ew'gen Licht;

Das Haupt von Anmuth noch umwoben,
Ganz wie an jenem letzten Tag,
Da deiner Seele Flügelschlag
Dich mit dem Frühroth trug nach oben.

So schön, so rein, so schmerzgeweiht
Seh' ich dich durch die Himmel schweben;
Dein Auge, drin erlosch das Leben,
Nun stralt es von Unsterblichkeit.

Wohl geht zu Rast der Sonne Schimmer
Und birgt sich, bis der Tag erwacht;
Doch meine Lieb' hat keine Nacht,
Ob meiner Seele stralst du immer.

Dich hör' ich, schau' ich überall,
Im Wolkenzug, im Dunst der Wildniß,
Es zittert auf der Flut dein Bildniß,
Im Winde deiner Stimme Schall.

Und wenn im Dämmerflor, im düstern,
Der schwüle Tag entschlief zur Ruh,
Ist mir, im Lufthauch nahest du,
Mir dein Geheimniß zuzuflüstern.

Ich meine Nachts, wenn dichtgedrängt
Die Himmelsleuchten ziehn im Blauen,
In jedem Sterne dich zu schauen,
An dem mein Aug' am liebsten hängt.

Im Dufte, den vom Rosenstrauche
Der West an mir vorübertrug,
Empfind' ich deinen Athemzug,
Der mich erquickt mit sanftem Hauche.

Und deine Hand ist's wunderbar,
Die mir vom Auge nimmt die Thränen,
Wenn ich geflohn mit meinem Sehnen
Zum Trost verheißenden Altar.

Du wachst an meinem Bett im Schatten
Und deckst mich mit den Flügeln zu;
Die leichten Träume sendest du,
Die mir ein dämmernd Glück gestatten.

Und löst im Schlaf einst deine Hand
Die Fessel, drin ich mich noch quäle,
Dann sinkt, o Zwilling meiner Seele,
Mit ihr die letzte Scheidewand.

Zwei Seufzer, himmelan getragen,
Zwei Stralen eines Morgenscheins
Sind unsre beiden Seelen Eins -
Und du, mein Herz, du kannst noch zagen?
(S. 25-27)

Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862

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