Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Michail Lermontow (1814-1841)
russischer Dichter




Der Gefangene

Gebt den hellen Tag mir wieder,
Oeffnet meines Kerkers Schloß!
Gebt mir mein schwarzäugig Mädchen,
Und mein schwarzgemähntes Roß!
Werde küssend, voll Verlangen,
Erst die süße Maid umfangen,
Dann auf's wilde Roß mich schmiegen,
Pfeilschnell durch die Steppe fliegen.

Eisern ist die Thür beschlagen,
Hoch des Kerkers Gitterdach -
Ferne weilt sie, der mein Klagen
Gilt, in ihrem Prunkgemach;
Und, des Sattelzeugs entkleidet,
Auf der Flur mein Rappe weidet,
Freut sich, frei umherzuspringen,
Läßt den Schweif im Winde schwingen.

Aber ich, im dumpfen Zimmer
Sitze trostlos und allein
Bei der Lampe mattem Schimmer,
Nackte Wand rings hüllt mich ein.
Durch die Thür nur hör' ich's hallen
Wie gemessner Schritte Schallen -
Draußen macht in nächt'ger Stunde
Noch der Wächter spät die Runde.
(Band 1 S. 13-14)
_____



Ich bin betrübt um dich

Ich bin betrübt um dich,
Weil ganz in Liebe dein;
Ich weiß: dein junges Leben,
So blühend und so rein,
Wird dem Geflüster der
Verläumdung nicht entgehen -
Für jeden hellen Tag
Den deine Augen sehen,
Rächt sich an dir mit Gram
Und Thränen das Geschick.
Ich bin betrübt um dich -
Weil so vergnügt dein Blick!
(Band 1 S. 18)
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Sie liebten sich so zärtlich

Sie liebten sich so zärtlich
Wohl manches liebe Jahr;
Sie litten füreinander
Und seufzten immerdar -
Doch mieden sie sich wie Feinde,
An jedem dritten Orte
Kalt waren ihre Mienen,
Kurz waren ihre Worte.
Sie mieden sich und litten
In stolzem Schweigen - kaum
Daß Einem das Bild des Andern
Einmal erschien im Traum.
Da kam der Tod - sie mußten
Sich auch im Tode trennen,
Und konnten in jener Welt
Sich gar nicht wiedererkennen.
(Band 1 S. 20)
_____


***

Wandr' ich in der stillen Nacht alleine,
Durch den Nebel blitzt der Steinweg fern -
Redet Stern zum Stern im hellen Scheine,
Und die Wildniß lauscht dem Wort des Herrn.

Golden schimmernd, hinterm Felsenhange,
Dehnt des Himmels Blau sich endlos weit -
Was ist mir die Brust so schwer, so bange?
Hoff' ich Etwas - thut mir Etwas leid?

Nein! mich lockt nicht mehr der Hoffnung Schimmer,
Und Vergangenes thut mir nicht leid -
Doch ich möchte schlafen gehn auf immer,
Freiheit such' ich und Vergessenheit!

Aber nicht den kalten Schlaf der Truhe,
Nicht die Freiheit, die uns todt begräbt;
Ruhe möcht' ich - doch lebend'ge Ruhe,
Drin noch athmend meine Brust sich hebt.

Unter immergrüner Eichen Fächeln
Möcht' ich ruhen all mein Leben lang -
Vor mir schöner Augen Liebeslächeln,
Und in Schlaf gelullt von Liebessang.
(Band 1 S. 298-299)
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Einer jungen Georgierin

O Mädchen, weine nicht so viel
Um ihn - die Herzenswunde heile!
Er ist's nicht werth, der dich zum Spiel
Gekost - geliebt aus Langeweile!

Viel schöne, junge Männer giebt
Es hier, mit großen, schwarzen Augen,
Die mehr als der, den du geliebt, -
Mehr als die Fremden Alle taugen.

Aus fernem, fremden Lande war
Er hergeschleudert vom Geschicke -
Ruhm sucht' er hier und Kriegsgefahr,
Das fand er nicht in deinem Blicke!

Weil dich sein Gold, sein Schwur betrog,
Mein Kind, entgingst du der Gefahr nicht -
Nur deine Küsse schätzt er hoch,
Doch deine Thränen schätzt er gar nicht!
(Band 1 S. 300)
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Das Stelldichein

I.
Schon hinterm Berg, dem blühenden,
Das Abendroth verschwand,
Den Quell nur noch, den glühenden,
Sieht man am Bergesrand;
Und Wohlgerüche steigen rings
Aus Tiflis' Gartenpracht;
So liegt die Stadt in Schweigen rings,
In Rauch gehüllt und Nacht.
In bösen Träumen winden sich
Die Menschen voller Pein,
Und gute Engel finden sich
Bei guten Kindern ein.


II.
Hoch, wo die alte mächtige
Bergveste drohend steht,
Und über mir die prächtige
Platane Kühlung weht, -
Lieg' ich allein und wiege mich
In Liebesträume ein -
O komm, mein Kind, umschmiege mich,
O komm, ich bin allein!
Ein Stelldichein, ein minniges,
Sagt'st du mir gestern zu:
Dein wart' ich, du herzinniges,
Geliebtes Mädchen du!


III.
Die Brückenlichter funkeln klein
Vom Strome bleich und matt,
Und Thürme stehn in dunkeln Reihn,
Wie Wächter, in der Stadt.
Klar durch das nächtge Grauen sieht
Mein Aug', wie eine Schaar
Schneeweißverhüllter Frauen zieht
Vom Bade Paar und Paar;
Ich seh' sie langsam feierlich
Entlang die Straße gehn,
Doch kann ich durch den Schleier dich,
Mein Mädchen, nicht ersehn!


IV.
Dort fern kann ich im Dunkeln sehn
Dein Haus mit plattem Dach,
Draus auch den Lichtschein funkeln sehn
Im Strome, matt und schwach -
Im Epheu grünt's, im rankenden,
Von Oben bis zum Fuß,
Und badet sich im schwankenden
Gewog des Kyrosfluß.
Ich seh' bei deinem Zimmer dicht
Die hohe Pappel stehn,
Doch kann ich gar den Schimmer nicht
Von deinem Lämpchen sehn!


V.
Ich zerre in Verdrossenheit
Am Teppich, drauf ich ruh',
Mein Aug' in Unentschlossenheit
Schweift wartend ab und zu:
Späht nach dem schönen Kinde fern,
Mein Herz wird trüb und schwer . . .
Da blasen kalte Winde fern
Aus Osten feucht einher.
Das Schneegebirg steckt Fahnen aus
Von weißen Nebeln dort -
Hier ziehen Karawanen aus
Der Stadt, nach fernem Ort . . .


VI.
Fort! feuchtet nicht die Wange mehr,
Schmachvolle Thränen, fort!
Nicht lange, glatte Schlange, mehr
Täuscht mich dein falsches Wort!
Der klirrend von der Brücke ritt,
Der stürmische Tatar,
Zu dir, zu meinem Glücke ritt -
Jetzt wird mir Alles klar!
Solch stattliche Geberde hat
Auch sicher goldnen Kern,
Und schöne Perserpferde hat
Dein Vater gar zu gern!


VII.
Die lange Flinte hänge ich
Auf mich und eile fort,
Wo steil in Felsenenge sich
Der Pfad hinabzieht dort -
Wo ich ihn sicher reichen kann
Mit meinem guten Rohr,
Wo er mir nicht entweichen kann,
Tritt er vom Haus hervor.
Umsonst in mir bewegt es sich
So wild - ich seh' ihn nicht,
Und müde . . . horch! da regt es sich . . .
Du bist es, Bösewicht! . . .
(Band 1 S. 308-314)
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Der Dolch

Ich lieb es, deinen kalten Glanz zu sehn,
Mein Dolch, mein Kampfgenoß, mein treuer Diener!
Zum wilden Kampfe schliff dich der Tschetschen,
Dich schmiedete zur Rache der Grusiner!

Es schenkte eine Lilienhand dich mir,
Als mich ihr Arm zum Letzenmal umschlossen,
Und - statt des Bluts - zum Erstenmal auf dir
Um mich geweinte Thränen flossen.

Ihr schwarzes Auge in der Schmerzensflut
Bald trüb sich schloß, bald blendend funkelte:
Gleichwie dein Eisen bei des Feuers Glut
Bald Blitze warf, bald sich verdunkelte.

Zum Pfande treuer Liebe weihte mir
Ihr Auge dich, das thränenfeucht verklärte:
Drum liebend ewig treu sein will ich ihr,
Ja, fest wie du, mein eiserner Gefährte!
(Band 2 S. 18-19)
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Rusalka
(Die Wassermaid)

Die Wassermaid schwamm auf der blauen Flut
Des Stromes in Mondesglut.
Und sie schlang ihr Haar und dreht sich im Tanz,
Umschaukelt von silbernem Glanz.

Und es krümmt sich der Strom und wogt und schwillt,
Drin zittert der Wolken Bild.
Und die Wassermaid sang und es scholl ihr Gesang
Die Ufer, die steilen, entlang.

So wundertönig entklang's ihrem Mund:
"Ich wohne auf dämmerndem Grund,
Von goldenen Fischlein dort wogt's überall,
Sind Städte von eitel Krystall.

Und es schlummert auf schwellendem Kissen im Sand
Ein Krieger aus fremden Land,
Den eifersüchtigen Wellen zum Raub
Schläft er unter schattigem Laub.

Wir küssen ihn oft und wir spielen zur Nacht
Mit der seidenen Locken Pracht.
Wir umschlingen ihn wild in der Mittagsglut,
Doch kalt ist des Schlummernden Blut.

Und wie wir ihn küssen, kalt bleibt er und stumm,
Nichts rührt ihn, ich weiß nicht warum -
Er athmet nicht, drück' ich ihn warm an die Brust,
Ihn weckt keine liebende Lust."

Es scholl der Gesang der Wassermaid bang
Die Ufer, die steilen, entlang;
Und es krümmt sich der Strom und wogt und schwillt,
Drin zittert der Wolken Bild.
(Band 2 S. 251-252)
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Einem Kinde

Von meiner Jugendstürme
Erinnerung und Trauern,
Voll von geheimer Wonne
Und von geheimem Schauern,
Wend' ich, du prächtig Kind,
den müden Blick zu dir -
O, wüßtest du, mein Kind,
wie lieb, wie lieb du mir!

Wie mich Entzücken faßt
bei deiner Stimme Klange,
Beim Glühen deines Aug's,
beim Lachen deiner Wange,
Bei deinen goldnen Locken -
man sagt - ist's wahr, mein Kind? -
Du sehest ihr so ähnlich!
Die Jahre floh'n geschwind!

Von schweren Leidens Schrift
ward ihr Gesicht beschrieben,
Doch unverändert ist
in mir ihr Bild geblieben!
Und ihre Feueraugen
allnächt'ge Sterne sind
In meinem Traum - doch du,
liebst du mich auch, mein Kind?

Macht dich mein Kosen nie,
mein Küssen nie erbangen?
Brennt meine Thräne nicht
zu heiß auf deinen Wangen?
Und küss' ich nicht zu oft
dein liebes Auge dir?
Doch Kind, von meinem Kummer
O rede nie zu ihr!

Nein, gar nicht sprich von mir -
leicht könnte dein Erzählen
Auf's Neu die Leidende
erzürnen oder quälen.
Doch mir vertraue ganz!
Wenn sie am Abend spät
Dich führt zum Heil'genbilde,
zum kindlichen Gebet,

Dich lehrt das Kreuz zu schlagen,
die Hände fromm zu falten,
Dich lehrt den Himmel bitten
die Lieben zu erhalten
Die eurem Herz befreundet,
die eurem Haus verwandt:
Hat sie nicht einen Namen
noch außerdem genannt?

Dir einen fremden Namen,
den Herrn dafür zu bitten?
Wohl bleicher wurde sie
als ihr das Wort entglitten -
Vergessen magst du's haben
unter den andern all -
Denk' nicht daran! ein Name
ist nur ein leerer Schall . . .

Gott gebe, dieser Name
sei ewig dir verloren!
Doch tönte ihn das Schicksal
dir einst in Herz und Ohren:
Denk' deiner Kinderzeit -
o geh' nicht in's Gericht
Mit ihm, mein Kind! dem Träger
des Namens fluche nicht!
(Band 2 S. 267-269)
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Verständigung

Laß doch den Thoren ihre Meinung,
Laß sein Geschwätz dem Unverstand,
Versöhnt er unsere Vereinung,
Weil uns nicht eint ein eh'lich Band.

Der Welt Idolen hab' ich nimmer
Gehuldigt und mein Knie gebeugt -
Es hat in mir ihr Trug und Schimmer
Nie Liebe und nie Haß erzeugt.

Wie du, muß ich im Strudel kreisen
Der Welt - doch bleib' ich allerwärts
Gleichfern den Thoren wie den Weisen,
Und lebe für mein eignes Herz.

Wir schätzen Glück hier und Vergnügen
Nach ihrem rechten Werthe immer,
Und weil wir selbst uns nicht betrügen,
Betrügen uns auch And're nimmer.

Wie schnell wir uns im Weltgetriebe
Erkannten, uns vereint zu zwei'n!
War ohne Freuden unsre Liebe:
Wird schmerzlos unsre Trennung sein.
(Band 2 S. 279)
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Rechtfertigung

Läßt einst, statt hohen Ruhm's Gedächtniß
Dein Freund, vom Tode hingerafft,
Der Welt kein anderes Vermächtniß
Als Nachhall wirrer Leidenschaft, -

Und ruht, erlöst des Erdenlebens
Dies Herz, das solche Glut durchdrang,
Wo so verzweifelt und vergebens
Die Liebe mit dem Hasse rang, -

Wenn dann die Leute von ihm sprechen,
Und du stehst stumm, das Haupt gesenkt,
Weil man verdammt wie ein Verbrechen
Die Liebe die du dem geschenkt:

Der dich geliebt aus Herzensgrunde,
Schuf er dir Kummer auch und Leid:
O denke nicht in jener Stunde
Des todten Freund's mit Bitterkeit!

Uns wird - das sag' dem blöden Haufen -
Ein And'rer richten nach der Zeit,
Und heil'ges Recht ist's, zu erkaufen
Verzeihung durch das Herzeleid.
(Band 2 S. 280)
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Die Nachbarin

Nie zur Freiheit führt mich mein Verhängniß,
Und ein Tag scheint ein Jahr im Gefängniß;
Gar zu hoch ist das Gitter und dicht,
Aus der Thür läßt der Wächter mich nicht.

Ganz verzweifeln hier würd' ich im Kerker,
Hätte nicht nebenan aus dem Erker
Als ich heut in der Frühe erwacht,
Mir ein lieblich Gesichtchen gelacht.

Wie wir, ob auch getrennt, uns gefunden,
Durch gemeinsames Schicksal verbunden!
Sie blickte nach mir - ich nach ihr,
Sie wünschte mich dort - ich sie hier.

Früh am Fenster mit spähendem Blicke
Saß ich, trauernd ob meinem Geschicke -
Gegenüber da klirrt es, wird hell,
Hebt am Fenster der Vorhang sich schnell . . .

Sieh: es gleitet das Tuch wie im Winde
Von der Schulter dem lieblichen Kinde -
Sieh: jetzt stützt sie den Kopf auf die Hand,
Und nach mir blickt sie lang' unverwandt.

Doch wie bleich ihre Brust, ihre Wangen!
Sie seufzt - wonach mag sie verlangen?
Sichtbar stürmisch bewegt sich's in ihr,
Und es nagt ihr im Herzen wie mir.

O, nicht klage ob meinem Verhängniß!
Wenn du willst - thut sich auf mein Gefängniß,
Und wie Vöglein des Feldes, so frei,
Ziehn wir dann von dannen, wir Zwei!

Stiehl mir nur die Schlüssel im Hause,
Und die Wächter setz' nieder zum Schmause,
Inzwischen, wenn Alles beschafft,
Vertrau' meiner eigenen Kraft.

Gieb dem Vater recht starke Getränke,
Und zum Zeichen dein Tüchlein mir schwenke -
Doch die Nacht sei recht dunkel und graus
Wenn wir beide entfliehen dem Haus.
(Band 2 S. 281-282)
_____



Gebet

Heut, Mutter Gottes! dir
nah' ich mich weihevoll,
Fromm vor dein heilig Bild
tret' ich in Andacht hin,
Nicht weil ich dankesvoll,
noch weil ich reuevoll,
Nicht um mein Seelenheil,
auch nicht vor Schlachtbeginn.

Nicht mich, den Fremdling im
eigenen Heimatland,
Den nichts mehr hoffenden
und nichts mehr nützenden,
Nein: ein unschuldig Kind
empfehl' ich deiner Hand,
Der in der kalten Welt
die Unschuld schützenden!

Die so des Glückes werth,
sei nie dem Glücke fern,
Treu mög' ihr Liebe und
Freundschaft beschieden sein,
Stets ihr der Bosheit
Verläumdung und Tücke fern,
Heiter die Jugend,
das Alter voll Frieden sein!

Gieb, daß sie sterbend nicht
ringen noch leiden muß,
Frei laß sie jeglicher
Sünden und Mängel sein:
Daß sie, wenn einst sie von
dieser Welt scheiden muß,
Möge im Himmel dein
seligster Engel sein!
(Band 2 S. 305-306)
_____

Übersetzt von Friedrich Bodenstedt (1819-1892)
Aus: Michail Lermontoff's Poetischer Nachlaß
zum Erstenmal in den Versmaßen der Urschrift
aus dem Russischen übersetzt
mit Einleitung und erläuterndem Anhange versehen
von Friedrich Bodenstedt
Erster und zweiter Band
Berlin 1852
Verlag der Deckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei


 

 


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