Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Magyarodi (1820-?)
ungarischer Dichter


Die Erschaffung des Weibes
Paramythe

Mit würd'gem Schluss zu krönen
Sein Schöpfungswerk voll Pracht und Herrlichkeit,
Schuf Gottes ew'ge, unermess'ne Güte
Den ersten Menschen einst.

Doch ob auf Edens blühenden Gefilden:
Im Herzen doch des ersten Mannes wohnte
Die Freude nicht. Ihm dünkt' des Himmels Glanz
So kalt, so schmucklos ihm der Sterne Schimmer,
Die Erde öd', und leer, und ohne Reiz.
Denn die an seine heisse Brust er schlösse
Als Erdenengel - war noch nicht erschaffen.

Des Himmels reine Geister, die den Lichtkreis
Des Schöpfers bilden, sah'n des Menschen Gram.
Von sanfter Regung ward ihr Herz bewegt,
Und sie, die glanzumstrahlten Himmelsbürger,
Des Mitleids süsse Thräne' im schönen Antlitz,
Sie sangen, tief ergreifend, so ihr Lied:

O Herr, zu deines Thrones Stufen
Im Staub der Erde flehen wir zu dir;
O schaff' nach deiner ew'gen Gnadenfülle
Ein Erdenwesen noch,
Das an Gestalt uns Himmelsbürgern gleich,
Schaff' einen Engel, der uns Schwester sei.
Schaff' sie, o Herr, auf's Zarteste, damit
Die Stärkste sie, und gieb in ihre Hand
Die holde Scham als Waffe ihr.

Schaff' sie, o Herr, aus Lilien,
Damit die Unschuld ihre zarte Brust
Als Schild umgebe.
Schaff' aus der Blum' sie des Vergissmeinnichts,
Das auf dem Boden nur der Heimat blüht,
Damit ihr Herz von heisser Lieb' erglühe
Für diese Heimat, für ihr Vaterland.

O Herr, erschaff' die Schwester
Uns aus der Muttererde dunklem Staub,
Damit sie dieses Staubes Perle sei,
Und Mutterliebe des Geschlechtes Zierde
Und reinster Schmuck.

Schaff' aus des Mannes eig'nem Körper sie,
Dass ein geheimnissvolles Band ihn eine
Der Sympathie, mit ihr.
Doch nicht aus seiner Stirn,
Dass über ihn sie steh',
Nicht aus des Fusses Bein,
Dass seine Sclavin sie,
Schaff' sie aus einer Ripp' der linken Seite,
Damit sie seinem Herzen nahe steh',
Und er sie schütze als sein eigen Blut,
Als seinen Leib, vor jeglicher Gefahr.
Schaff' aus der Liebe Stoff sie nur,
Aus dem allein ihr Leben stamm',
Dass sie beglückend wandle ihre Bahn,
Als aller Blumen schönste, süsseste,
Als Preis der höchsten Seligkeit erblüh'.
Ja, schaffe, Herr, solch Erdenwesen uns,
Wir fleh'n d'rum deine ew'ge Liebe an.

Und gnädig blickte Gott, der Ewige,
Auf seiner also fleh'nden Engel Chor.
Und auf den mächt'gen Donnerruf: "es werde!"
Ward allsogleich des Himmels Meisterwerk.
Der leibgeword'ne göttliche Gedanke,
Das Weib - der Erdenengel ohne Flügel,
Es war erschaffen zu der Erde Glück.
(S. 254-255)
_____



Weisse Taube

Der Freude weisse Taube
Sie ruht auf deiner Brust,
Und girrt da unaufhörlich:
"Dein ist sie, dein!" - o Lust!" -
(S. 256)
_____



Offenes Geständniss

Deiner schatt'gen Wimpern Schleier,
Deines Blickes Strahlenfeuer,
Deines Nackens Marmorglätte,
Deines Antlitz's Rosenstätte,
Deines kleinen Händchens Beben,
Deines Busens wallend Heben,
Thät Verstand und Sinn mir rauben: -
Doch - dein Geist nicht - kannst mir's glauben!
(S. 256)
_____



Vergangenheit und Zukunft

Stets blick' ich mit gleichem Bangen
In das Dunkel, nachtumfangen,
Und auf schwarzes Mädchenhaar.
In der Nacht wird Volkesstrebens,
In dem Haar des eig'nen Lebens,
Schwarzer Flor mir offenbar.

Völlig gleich ist mein Entzücken,
Ob rein' Blau in Himmelsblicken,
Ob's in Mädchenaug' mich grüsst.
Himmelsbalu des Volkesstrebens,
Augenblau des eig'nen Lebens,
Schön're Zukunft mir erschliesst.
(S. 256)
_____


übersetzt von Gustav Steinacker (1809-1877)

Aus: Ungarische Lyriker
von Alexander Kisfaludy bis auf die neueste Zeit (die letzten 50 Jahre)
In chronologischer Reihenfolge metrisch übertragen
und mit literar-historischer Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen versehen
von Gustav Steinacker
Zweite Ausgabe Leipzig Joh. Ambr. Barth Buda-Pest
Grill'sche (vormals Geibel'sche) Buchhandlung 1874

 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite