Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Flora Majthenyi (1837-1915)
ungarische Dichterin


Es flieht die Wolke . . .

Es flieht die Wolke hoch über der Blume,
Und schleiergleich deckt sie den Himmel so rein,
Sie flieht, sie flieht im Spiel mit den Lüften,
Läßt aber die Blume zurück allein.

Es blickt die Arme ihr nach mit Sehnen,
In Düften gleichsam fleht sie zu ihr:
"Ach nimm mich dahin - in schönere Gegend,
Wohin ich nicht fliehen kann, nimm mich mit dir!"

Die Wolke, vielleicht vernahm sie es nimmer,
Eilt über die Berge, zieht hin und her
Weit durch des Aethers strahlende Ferne,
Doch auf die Blume sieht sie nicht mehr.

Zur Rast erwählt sie den höchsten der Gipfel,
Nachdem sie lange durchzogen die Luft,
Und ruhelos wandert, ach unbeachtet
Ihr nach der Blume Seele - der Duft!


Aus: Klänge aus dem Osten.
Ungarische Dichtungen frei übersetzt von
Demeter Dudumi [1855]
Zweite Auflage Pesth Verlag von H. Geibel 1855 (S. 71-72)
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O glaub' nur, dass ich glücklich bin . . .

O glaub' nur, dass ich glücklich bin,
Mag Kummer trüb den Blick umgrau'n,
Sahst niemals eine Wolke du
Auf Blumenhügel niederthau'n?

O glaub' nur, dass ich glücklich bin,
Ob auch die Thrän' im Auge blinkt,
Im Meer auch taucht die Perle auf,
Wer sagt, was sie der Tief' entringt?

O glaub' nur, dass ich glücklich bin,
Ob stumm und sprachlos gleich der Mund.
Auch auf der Flut der Himmel glänzt,
Doch ruhig bleibt des Spiegels Rund.

O glaub' nur, dass ich glücklich bin,
Ob auch mein Antlitz bleich und kalt,
Wer ahnt nicht unterm Schneegewand
Des Frühlings Athem alsobald?

O glaub' nur, dass ich glücklich bin,
Ob wehmuthsvoll auch tönt mein Sang,
Das Echo leis' auch spricht, obgleich
Ein spielend Kind weckt seinen Klang.

O glaub' nur, dass ich glücklich bin,
Und warum sollt ich's auch nicht sein?
Die Menschen sind mit mir so gut,
So hell glänzt Frühlings Sonnenschein.

übersetzt von Gustav Steinacker (1809-1877)

Aus: Ungarische Lyriker
von Alexander Kisfaludy bis auf die neueste Zeit (die letzten 50 Jahre)
In chronologischer Reihenfolge metrisch übertragen
und mit literar-historischer Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen versehen
von Gustav Steinacker
Zweite Ausgabe Leipzig Joh. Ambr. Barth Buda-Pest
Grill'sche (vormals Geibel'sche) Buchhandlung 1874 (S. 446-447)

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Lieb's so sehr . . .

Lieb's so sehr, im Wald zu träumen,
Tief im Walde, ganz allein,
Wo ich hör' die Bäume rauschen
Ueber mir im Sonnenschein.

Wo so fern die Welt, das Leben,
Wo von Beiden keine Spur,
Wo auf grünem Rasenteppich
Langsam kriecht ein Käfer nur.

Wo nichts rührt sich und nichts reget,
Und doch Alles gibt Bericht,
Wo ein Lüftchen und ein Seufzer
Von des Waldes Leben spricht.

Wo ich rings auf Alles merke,
Allem lausch' mit regem Sinn:
Doch nicht fühl' des Herzens Pochen,
Und vergesse - dass ich bin.

übersetzt von Gustav Steinacker (1809-1877)

Aus: Ungarische Lyriker
von Alexander Kisfaludy bis auf die neueste Zeit (die letzten 50 Jahre)
In chronologischer Reihenfolge metrisch übertragen
und mit literar-historischer Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen versehen
von Gustav Steinacker
Zweite Ausgabe Leipzig Joh. Ambr. Barth Buda-Pest
Grill'sche (vormals Geibel'sche) Buchhandlung 1874 (S. 448)

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