Alessandro Marchetti (1633-1714)
italienischer Dichter
Die Schönheit adelt das Gefühl
(Sonett)
So kann nicht Venus hoch am Himmel strahlen,
Beginnt sie mit dem Frühroth sich zu zeigen,
So wonnig Lächeln ist dem Meer' nicht eigen,
Läßt sich's von holder Abendröthe malen;
So glänzen nicht des blonden Phöbus Strahlen,
Wie sie mit scharfer Gluth herab sich neigen,
Daß aller Frost zur Tiefe muß entsteigen,
Tritt er daher mit leuchtenden Sandalen:
Als ich die hellen, göttlich heitern Blicke
In euern Augen glänzend flammen sehe,
Die ringsum streuen süßer Strahlen Regen.
Alsdann geschiehts, daß aus der Welt zurücke
Das Sehnen kühn sich aufschwingt in die Höhe,
Und hier das Herz der Sel'gen wallt entgegen.
(S. 477)
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Fischer-Sonett
Nice, sieh dort der Liebe Stern entquellen
Des Ostens Bett, wie strahlenvoll ihn krönen
Die Reiz' und Huld' des Göttlichen und Schönen;
Bald wird die Höh' ein heitres Roth durchschwellen.
Ergreif' das Netz; vertrau das Schiff den Wellen
Und fahre aus nach Krebsen und Muränen;
Hier, wo des Wassers Ebnen still sich dehnen,
Wird mächtig reiche Beute uns sich stellen.
Auf und besorge nicht, daß dich berücke,
Wie nur zu oft geschah, des Meeres Stille,
Umwandelnd sich zu Wind und Sturmes Toben;
Dein süßes Reden, deine holden Blicke
Versöhnen lächelnd wilder Elemente Fülle,
Und heller strahlt die hehre Sonne droben.
(S. 477-478)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]