Giambattista Marino (1569-1625)
italienischer Dichter
Bruchstück aus dem Adonis
(Gesang VIII. Stanze 104 sq.)
Es lag am weiten, hochgekrümmten Bergesrücken,
Der Sonne unbekannt, vom Laub umdacht,
Durch's Thal bekränzt, das Menschen nie erblicken,
Die Grott' aus Fels gehöhlt, in stiller Nacht.
Den Pfad, den dicht verschlug'ne Zweig' umstricken,
Hat fast nur Ruh' und Schlaf zu gehn gewagt.
Die dunkeln Schatten dieser Felsenmauern
Verehren Wild und Hirt durch heil'ges Schauern.
Kunst ward von der Natur hier überwunden,
Die wunderbaren Schmuck der Höhle lieh.
Ein ländlich reizend Bild ward dort gefunden;
Auswärts und drin schuf Blüth' und Laubwerk sie.
Zum Schatten sind die Zweige eng' verbunden,
Des glüh'nden Tages Hitze spürt man nie.
Die Sonn' ist durch den Epheu nie gedrungen,
Der tausendfach am Eingang sich verschlungen.
Hierher pflegt' oft das schönste Paar zu fliehen
Wenn Sonnenbrand die Felder überzog,
Beglückt und froh sehn sie die Stunden ziehen,
Indeß der Odem gern die Kühlung sog,
Wenn sanfte Weste holden Schlummer liehen
Vor'm Bett' aus Gras sich Laub als Vorhang bog;
Berg, Schlucht und Thal, so sich dem Blick gewährten,
Sind jenes Paars verschwiegene Gefährten
Vorm blonden Bogenschützen, der die Strahlen
Vom goldnen Sonnenbogen erdwärts schickt,
Muß sie des Waldes Astgeschling umschalen.
So ruh'n die beiden Liebenden beglückt;
Von lauen Lüften, die sich herwärts stahlen,
Bewegt, hat Tann' und Buche leicht genickt,
Und flüsternd (jedes Blatt war Zeug') erkläret:
Lieb' hat uns mehr als Sonn und Naß ernähret.
Hierher sah sie ihn einstmals wiederkehren,
Erschöpft und angestrengt durch lange Jagd,
Sie trocknet oftmals ihm des Schweißes Zähren
Vom Gold des Haar's und von der Wangen Pracht;
Sie schlägt um ihn die Arme voll Begehren,
Worauf sie ihren Schoß zum Polster macht;
So sitzend schaut sie seiner Augen Wonne,
Wie unverwandt der Adler blickt zur Sonne.
Ihr Blick ruht auf den treu geliebten Blicken,
Antlitz auf Antlitz, Brust lehnt sich an Brust,
Sie saugt und trinkt bei seinem Kuß und Drücken
Den Kuß und Druck mit innig süßer Lust.
Ach! wer kann meinen Augen dich entrücken?
Sei nie der Trennung sich mein Sinn bewußt!
Vor keiner Qual wüßt' ich mich so geborgen,
Als daß mein Schmerz so wenig dir schafft Sorgen.
Ich sehe wohl, daß du von gleichem Feuer
(Wer hät's geglaubt?) zu mir nicht bist entflammt;
Du hüllest dich in süßer Lügen Schleier,
Dein Kosen ist der Wahrheit nicht entstammt.
Mehr liebst du Arbeit als des Amor Feier,
Statt Liebesruf folgst du dem Jägeramt,
Und magst, noch läppischer als and're Knaben,
An kind'scher Lust vor Allem nur dich laben.
So sprechend trocknet sie mit schönem Schleier
Die weichen Perlen ihm vom Angesicht,
Den holden Thau, lebend'ger Blüth' Erfreuer,
Die frisch hervor aus süßem Antlitz bricht;
Dann greift sie in das Haargewirr mit Feuer,
Des Gold sie ordnend auseinanderflicht.
Sie netzt mit Thränen ihn, und läßt die Zähren
Wie Perlen auf der Wangen Naß verklären.
Er sprach: O laß nicht fürder Thränen fließen,
Und änd're deiner Klagen traur'gen Ton,
Eh' mögen Schnee und tiefe Furchen sprießen
An deinem Haar, auf deiner Wangen Thron,
Als fremder Lieb' mein Herz sich darf erschließen
Und ich durch Flucht dir zahlt' der Minne Lohn;
Wirst du unsterblich, theure Göttin, blühen,
Soll auch mein Herz für dich unsterblich glühen.
Beim Feuer schwör' ich, das für dich entbrannte,
Beim Strahle der behend mein Herz durchzückt,
Bei diesem Aug' und Haar', von dem entsandte
Amor den Pfeil, den golden er geschmückt,
Daß nie zu And'rer Lieb' Adon sich wandte,
So hält ihn deiner Augen Sonn' entzückt.
Hab' And'res dir, als Wahrheit, ich geschworen,
Mag mich des grimmen Ebers Zahn durchbohren.
Und sie zu ihm: o kennest du die Süße,
Zu lieben, wenn man selber ist geliebt,
Und wie nichts mehr die Liebenden verdrieße,
Als wenn sich der Geliebt' hinwegbegibt:
Dann spendetest du stärk'rer Liebe Küsse,
Und ruhtest hier, im Wonnetausch geübt;
Wir wären Liebende und gleich Geliebte,
Beglückte beid' und beide Unbetrübte.
Wohl kann nichts ab das holde Sinnen halten,
Das stets das theure Bild zeigt unserm Blick:
Sind Seelen von so edelm Band gehalten,
Zieht sich beim Scheiden Amor nicht zurück,
Und ob wir Lybiens Wüstenei'n durchwallten,
Ob Ocean uns schied, ob Alpenrück.
Doch schlimmer ist's von seinem Gut sich trennen,
Als es verschmäh'n, und gleichwol danach brennen.
Genuß und Liebe heißen Amors Gaben,
Lieb' ist für Lieb' ein würd'ger Preis allein,
Zwei Seelen, die so verbündet haben,
Sind eine nur im herzlichen Verein,
Und da sich beid' in fremdes Herz begraben,
Vergehn im eignen sie, um dort zu sein.
Amor bewohnet die verlass'ne Zelle,
Versieht der Seele und des Herzens Stelle.
O Süßigkeit, die nimmer auszusagen,
O holdes Wunder, angenehmer Brand,
Wo Wieg' und Grab für uns're Herzen ragen,
Die, gleich dem Phönix, selber sich verbrannt;
Wo schöne Blicke uns're Seele plagen,
Die lebend stirbt, die Tod nicht überwand,
Die, ohne Schmerz, ohn' Eisen, ohne Bluten
Verschmachtend seufzt in Amors hellen Gluthen.
So lehrt die Seele Amor süßes Sterben,
Facht Feu'r in ihr, macht sie dem Pfeil zum Ziel,
Sie fühlt im Glüh'n, dem süßen und doch herben,
Wie sie durch Todeswund' unsterblich fiel.
Ein Tod, durch den wir Heil und Lust erwerben,
Ist gar nicht Tod, ist Leben, Kraftgefühl.
Amor, der Schütz' und Zünder, gibt ihr Leben,
Um stets von Neuem ihr den Tod zu geben.
Entspricht dein Wollen meinem eignen Willen,
Sind meine Wünsche deinen zugeneigt?
Wünsch' ich was dir beliebt nur zu erfüllen?
Wird mir von dir nur was ich will gereicht?
Ist nur ein Wunsch in zweier Körper Hüllen?
Ist eine einz'ge Seel' aus zwei'n erzeugt?
Nimmst du mein Herz, beglückst mich mit dem deinen,
Was sollen nicht auch Leib und Leib sich einen?
O meiner Seele liebliches Erglühen,
O meines Herzens köstlich süße Pein,
O Augen, die für meine Licht versprühen,
O du mein Kuß, mein Zauber, Seufzer mein,
O wende sie, wo alle Gnaden blühen,
Zu mir, des reinen Sapphirs Bächelein.
Den Becher reich', an dem Rubinen blinken,
Vom Loos ersehn, um d'raus den Tod zu trinken.
Die Augen zeige, deren Blick gibt Leben,
Die Augen, die der meinen Spiegel sind,
Die Köcher, Bogen und die Pfeile geben,
Durch die zur höchsten Lust Amor gewinnt.
Ihr Lebenssterne, anzuschau'n mit Beben,
O Augenpaar, der Schönheitssonne Kind,
O heit're Sterne, deren lieblich Glänzen
Mit ew'ger Nacht wird mein Gestirn umkränzen.
Den Mund, den theuern Mund wollst du mir reichen,
O du, der Burg des Lächelns Perlenthor,
O Rosenzaun, wo Düfte ohne Gleichen
Der Liebe kleine Schlange haucht hervor,
O goldne Lad', die uns nur Glück mag reichen,
O Purpurschrein, o Schlucht wo Cypripor
Sich birgt, hat er ein Seelchen sich entführet,
Und Schutz, wenn er ein Herz erschlug, verspüret.
Sie schweigt. Doch wo soll ich die Sprache finden,
Die jedem Wort verleihet volle Kraft;
Die Zung' allein kann würdig sie verkünden,
Die, jene bildend, solchen Zauber schafft.
Indeß sich Rausch und Nüchternheit verbinden,
Löscht sie den Durst, doch nicht die Leidenschaft.
In's Herz muß fester sich die Gluth stets saugen,
Da sie die Lippen küßt, und schönen Augen.
Nun küssen sie, und schauen nach dem Küssen
Die holden Stellen, die sie küßten, an,
Tief seufzen beid' und bleiben lustbeflissen,
Da süße Kost der Mund dabei gewann.
Zwei Leben sind in einem hingerissen,
Zwei Sprachen zwingt in eine Liebesbann;
Die Herzen dringen in der Lippen Spitzen,
Indeß die Seelen in einander blitzen.
Von flücht'gen abgebrochnen Tönen hallen
Der Höhle Gründe, rauh und tiefenreich.
Sag', Göttin, ob die Küsse so entwallen
Dem Herzen, als von deinen Lippen weich.
Sie spricht: Im Kuß mag Amor sich gefallen,
Die brünst'ge Lippe ist d'rum Amors Reich,
Das Herz weicht ihm, die Lipp' ist sein Verkünder,
Mehr letzt die Seele sich, der Mund nur minder.
Nicht Küsse sind's, beredte Abgesandte
Und Boten der einmüth'gen Liebeslust,
Wortlos spricht d'rin die Zunge, die entbrannte,
Solch Schweigen ist sich tiefen Sinns bewußt.
Mein Herz, das sich in Küssen zu dir wandte,
Spricht stumme Laute seufzend in der Brust,
Und Antwort geben sich die glüh'nden Seelen,
Die nur sie selbst verstehn und And're hehlen.
Besiegt vom Kuß wird Seufzen, werden Blicke,
Obwohl auch sie der Liebe Stimmen sind,
Den Pfeil läßt er im Herzen tief zurücke,
Indeß beim Mund sich Seel' an Seele spinnt.
Was wehret mehr, daß uns das Feu'r ersticke,
Als wenn der Mund am Munde Labsal find't.
Die Lippen, Nektar duftend, der in ihnen
Versteckt, sind Rosen und zugleich auch Bienen.
Das schöne Roth, das unsern Mund entzündet,
Ist (Niemand zweifelt d'rob) des Herzens Blut,
Wenn nur im Blut, wie Weise oft verkündet,
Die Seele wie in ihrer Wohnung ruht,
So wird, wenn Kuß mit Munde Mund verbindet,
Der Geist geküßt durch andern Geistes Gluth.
Wenn Küss' auf Küsse folgen, nicht zu zählen,
Muß meinem Geist der deine sich vermählen.
Auf der geliebten Lippen äußerm Rande,
Wo sich des Geistes Blüthe ganz vereint,
Schwebt, eine Seel' im leiblichen Gewande
Der Kuß, der sich mit deiner Seele eint;
Er stirbt alldort für Amors süße Bande,
Wo auch sofort sein holdes Grab erscheint,
Doch kann das Grab nicht lange ihn verdecken,
Weil neue Götterküss' ihn auferwecken.
Indessen Mund und Mund so sich begegnen,
Und Kuß auf Kuß sich gegenseitig drängt,
Muß hohe Lust die Seelen beide segnen,
Daß an zum Fluge sich ihr Fittig strengt.
Für Wonnen, wie auf uns herab nun regnen,
Fühlt sich des Herzens Urne zu beengt.
Sie müssen auf die Lippen sich ergießen,
Wo Seelen lechzend in den Tod zerfließen.
Die Geister zittern in lebend'gen Gluthen,
Wenn so zum Tod der Kuß die Seele treibt,
Herz muß und Zung' zum Andern überfluthen,
Daß Geist an Geist und Herz an Herz sich reibt,
Das Auge zuckt, die Wange muß verbluten,
Daß nur der Liebe Blässe auf ihr bleibt.
Es zögern kluge Liebende im Sterben,
Um Wonnetod sich zwiefach zu erwerben.
Du siehst im Tod die Seele dir entfliehen,
Ich fange sterbend sie im Kusse auf,
So seh' aus Tod ich Leben mir erblühen
Und gebe meins für deines dir zum Kauf.
Mich schaust du an, um seufzend zu erglühen,
Dich ich, und hemme nicht der Seufzer Lauf.
In jeden Seufzer wünscht' ich meine Seele,
Daß Kuß und Blick sich mit dem Tod vermähle.
So laß, mein Herz, hört man Adonen sagen,
Mich für den Tod Unsterblichkeit empfah'n,
Die Seele werde himmelwärts getragen,
Den ew'gen Göttern selig sich zu nahn.
Laß leben mich, laß sterben (darf ich's wagen),
Und laß alsdann mich schön'res Loos umfah'n.
Im süßen Schmachten gib zur selben Stunde
Im Herzen Tod, und Leben mir im Munde.
Es find' auf süßer Purpurlippen Rande
Mein Sehnen sich mit deinem im Verein,
Es schließe uns'rer Seel' und Geistes Bande
Ein Leben nur und nur ein Streben ein,
Der Tödter sterbe an der Todten Brande;
Die Tödt'rin mag im Tödten todt gleich sein.
Indeß wir beide mit einander sterben,
Woll'n wir im Tod uns neue Gluth erwerben.
Laß mich, Geliebte, ohne aufzuhören,
An deinen Lippen hangen voller Lust,
Nicht wolle Amor rothen Lippen wehren
Voll Neid den Kuß auf deine weiße Brust,
Er wolle streng das Auge voll Begehren
Versagen nicht dem sehnenden Genuß.
Ich werd' in dir, du hier gestorben leben,
Und geben so zurück, was du gegeben.
Gehört an uns nichts uns, ist nichts zu finden
Was sich mein Eigenthum, was sich das deine nennt?
Gehört nicht ganz, nicht halb mir mein Empfinden,
So wie dein eignes nicht in dir mehr brennt?
Da du mein Feuer bist, ich dein Entzünder,
Und im Begehren Nichts uns Beide trennt?
Mit eig'ner Hand hat Amor uns verbunden,
Und muß den Bund besiegeln und bekunden.
Gestatte dich zu küssen, und gewähre
Dich zu umarmen, wie du mich umstrickst,
Entzünde, dräng', entgeistere, zerstöre,
Bis du die Seel' erglühst, das Herz zerknickst,
Auf daß uns eine Wechselgluth verzehre,
Du, Amor, uns in einem Band bestrickst.
Es dürfen nimmer rasten unsre Zungen,
Und zwiefach werde Lipp' und Arm verschlungen.
Und von der Lippen Blüthen auf und nieder
Fliegt wie ein Vöglein hold und schmeichelhaft
Amor mit hundert seiner frohen Brüder,
Ein Schalk, und birgt des Bogens Götterkraft,
Wie ob der Süße neidisch mir zuwider,
Verweigert er, daß Durst sich Lind'rung schafft,
Drum, hab' ich mir, zu löschen meine Gluthen,
Geraubt den Kuß, muß ich vom Pfeile bluten.
Zuweilen doch entschlüpf' ich ihm und eile
Zum Munde, wo der tiefe Purpur glüht,
Dort wird Ambrosia süßer mir zu Theile,
Als er im Paradiese uns erblüht.
Den Zephyr fühl' ich, tödtlich meinem Heile,
Der deine Ros' in holdes Lächeln zieht.
Das Feuer, welches schon mein Herz verzehret,
Wird so zu wild'rer Flamme noch empöret.
(S. 451-457)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]