Domenico Milelli (1841-1905)
italienischer Dichter
Das alte, ewige Lied
1.
Während es im Thale säuselt,
Während hell die Vögel singen
Und von Blüte sich zu Blüte
Honigfrohe Falter schwingen,
Und der Fluß in goldnen Strahlen
Wirft zurück die Sonnenküsse,
Und hervor aus grünen Hecken
Hauchen zarte Veilchengrüße,
Steigst im Garten meines Herzens,
Junge Sonne, du empor,
Und es duftet meine Starke
Jugend wie des Lenzes Flor.
Aufblüht der Jasmin der Sehnsucht
Und der Liebe rothe Rosen.
Küsse wollen die Tazetten,
Küsse wollen die Mimosen,
Und die Nelken, die vom Lichte
Deiner schönen Augen träumen,
Flüstern von zwei sanften Sonnen
Mit Geranien im Geheimen.
Und die Lilie: "Ein Wunder
Ist an Reiz sie, sonder Fehle! -"
Und du gehst vorbei, lebend'ger
Weißer Frühling meiner Seele!
(S. 246-247)
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2.
Sprich, und ich folge dir und frage nicht,
Wohin? Du bist mein Denken nur und Sinnen.
Ich glaub' an Nichts, als deiner Augen Licht;
Du bist der Sturm; trag mich als Blatt von hinnen.
O nimm mich mit! Es gilt mir gleich, wohin.
Was du willst, will auch ich zu allen Stunden.
Auf dich nur will ich hören! Ach, ich bin
An dich geschmiegt, geklammert, festgebunden.
Sprich, und mein Herz, ohn' eine Klage, soll
Bis an das End' der Welt dich stets begleiten.
Süß ist mein Wahnsinn, süß und wonnevoll,
Und rasch sehn wir den Strom der Zeit entgleiten.
Mein Herz glüht von Verlangen nur nach dir;
Du fülltest randvoll mir der Liebe Becher.
Wohlan! Bis zum Vergessen trinken wir!
Das "Morgen" ist verhüllt dem durst'gen Zecher.
Nimm mich mit dir, in Träume rosenroth,
In Wonneträume selig hingerissen.
Ach, deinen Hauch zu trinken ist mir noth,
Mein Mund verschmachtet sonst nach deinen Küssen.
Trag wie ein Kindlein mich im Arm mit Lust,
Wie du mir einst versprachst. O hab Erbarmen
Und laß, vom Dufte deiner weißen Brust
Berauscht, mich sterben dann in deinen Armen!
(S. 247-248)
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3.
Und der Herbst, so regenschaurig,
Naht sich und entflort die Au.
Alle Lust erstirbt. Die Freuden
Fliehn von dannen, schöne Frau.
Todt sind schon der Liebe Rosen,
Die Tazetten sind verblüht.
Nicht mehr dürstet jetzt nach Träumen,
Nicht nach Küssen mein Gemüth.
Schöne Frau, kommt Euch zuweilen
Jene blüh'nde Zeit in Sinn?
Ach, wie eilig floh der Frühling,
Ach, wie rasch das Leben hin!
Überm Garten meines Herzens
Wandelte die Sonn' im Flug.
Wenn Ihr lachtet oder küsstet,
Schien der Tag nie lang genug.
Jetzt verhüllt ein grauer Nebel
Rings umher die holde Schau -
Denkt Ihr manchmal noch an jene
Sonnentage, schöne Frau?
(S. 248)
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4.
Wohin mit diesem Rest
Des unfruchtbaren Lebens,
Und welcher Schatten birgt
Die Qual des nicht'gen Strebens?
- Nicht wiegst du, o mein Herz,
Dein Leiden je in Schlummer;
Denn dunkler als die Nacht,
Weit dunkler ist dein Kummer!
Den heißersehnten Tod -
Wer sagt, wo ich ihn finde?
Wo senk' ich diese Angst
In tiefste Wellengründe?
- Nicht wiegst du, o mein Herz,
Dein Leiden je in Schlummer;
Denn dunkler als die Nacht,
Weit dunkler ist dein Kummer!
Wohin entfliehn, und wie
Im Busen je begraben
Die Reugedanken, die
Mein Herz vergiftet haben?
- Nicht wiegst du, o mein Herz,
Dein Leiden je in Schlummer;
Denn dunkler als die Nacht,
Weit dunkler ist dein Kummer!
(S. 249)
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5.
Rückkehr
Sie kam zurück, und tief fühlt' ich erbeben
Mein schaudernd Herz, von neuer Qual bedroht.
Sie sprach: "Vergieb! Und kannst du nicht vergeben,
Glaubst du mich schuldig, gieb mir selbst den Tod!
Erwürg mich! Laß ein rasches Gift mich saugen!
Ich sterbe gern, sterb' ich vor deinen Augen.
Du schmähtest mich und drücktest hart mich nieder,
Und - sieh, ob ich dich lieb'! - hier bin ich wieder!"
(S. 249-250)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang Neue Folge
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 5
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 2002
(Nachdruck der Ausgabe Stuttgart Berlin 1905)