Nikolai Maximowitsch Minski (1856-1937)
russischer Dichter
Ich lese in Deinem reinen Gemüthe,
Ich fang' Deinen liebeverschämten Blick,
Ich hör' Deine silberne Stimme voll Güte -
Und schmerzlicher traur' ich ob meinem Geschick.
Ich traure, weil ewige Nacht mich umfangen,
Weil mir in der Brust keine Gottheit mehr spricht,
Weil wundenzerfressen mein Herz und voll Schlangen,
Weil nichts mich erlöst - denn auch Du kannst es nicht! ...
So trauert der Wandrer, erschöpft und verschmachtet,
Erglänzt ihm ein Demant im Wüstensand;
Von trostlosem Leid wird sein Auge umnachtet,
Es flüstern die Lippen im Fieberbrand:
Zur Zeit, da voll Kraft ich gestrebt und getrachtet -
O, wärst Du mir damals vom Himmel gesandt!
Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)
Aus: Der russische Parnaß
Anthologie russischer Lyriker
von Friedrich Fiedler
Zweite unveränderte Auflage
Dresden und Leipzig Verlag von Heinrich Minden [1910]
(S. 244)
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In meinem Herzen geht die Liebe
Wie eine Sonne auf voll Glanz,
Und reiht viel holde Minnelieder
Zu einem duftigen Blumenkranz.
Mein Herz durchflammen Sonnengluthen,
Von Deinem kalten Blick entfacht ...
O, daß Dein kalter Blick erglühte
Von meiner Sonne Flammennacht!
Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)
Aus: Der russische Parnaß
Anthologie russischer Lyriker
von Friedrich Fiedler
Zweite unveränderte Auflage
Dresden und Leipzig Verlag von Heinrich Minden [1910]
(S. 245)
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An alle
Sonett
Ich hab' euch alle heiss geliebt, ihr holden Frauen!
Mein Leben gab ich euch und meine Seele hin.
Nur eine war von euch - doch wer? - die Königin,
Nur eine durfte ganz den Liebesschwüren trauen.
Warst du's, du keusches Kind mit sanften Augenbrauen?
Warst du's, du Leblos-kalte mit dem stolzen Kinn?
Warst du's, du Sorglose mit frohem Kindersinn?
Warst du's, du Lasterhafte mit den Tigerklauen!
Ich liebte eine nur; und dass mein liebend Wort
Auch sie einmal erreicht, bin ich aufs Knie gefallen
Vor jeder. Doch zu End' geht jetzt mein Erdenwallen.
O schwing' dich auf mein Lied, sobald mein Leib verdorrt,
Und preise jede holde Frau an jedem Ort:
Sie sei die Königin, die herrlichste von allen!
übersetzt von Alexander
Eliasberg (1878-1924)
Aus: Russische Lyrik der Gegenwart
Deutsch von Alexander Eliasberg
Mit einer Einleitung und vier Bildnissen
München und Leipzig R. Piper & Co Verlag 1907 (S. 107)
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Es zog der flücht'gen Stunden Schar
An uns vorbei, wie Wasser an der Brücke;
Der Pendel an der Uhr gebar
Und tötete sofort die Augenblicke.
Nach vielen Jahren voller Pein
Hab' ich dir meine Liebe leis' verkündet.
Dein stummer Blick erwidert: "Nein"
Und löscht die Glut, die du in mir entzündet.
übersetzt von Alexander
Eliasberg (1878-1924)
Aus: Russische Lyrik der Gegenwart
Deutsch von Alexander Eliasberg
Mit einer Einleitung und vier Bildnissen
München und Leipzig R. Piper & Co Verlag 1907 (S. 110)
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Eine Vision
Sonett
Am müden Himmel sah ich ein Gesicht,
Wie drei Gestirne miteinander rangen:
Die Sonne sank, der Mond war aufgegangen,
Der Abendstern ergoss sein bleiches Licht.
Es hielten alle drei das Gleichgewicht.
Schon wollte sie die blinde Nacht umfangen,
Da sah ein Weib ich nach den Sternen langen,
Ein Weib, dem Grab entsteigen zum Gericht.
Ich sah das Weib sich in den Himmel recken
Und mit den Armen Stern und Mond bedecken;
Ihr Atem löschte aus der Sonne Licht.
Doch statt des Monds, des Sternes und der Sonne,
Erstrahlte mild ihr holdes Angesicht:
Es gab dem Weltall Wärme, Licht und Wonne!
übersetzt von Alexander
Eliasberg (1878-1924)
Aus: Russische Lyrik der Gegenwart
Deutsch von Alexander Eliasberg
Mit einer Einleitung und vier Bildnissen
München und Leipzig R. Piper & Co Verlag 1907 (S. 111)
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