Alfred de Musset (1810-1857)
französischer Dichter
Barcelona
Wer, der auf Barcelona's Gasse
Mein andalusisch Mädchen sah?
Wer sah sie steh'n auf der Terrasse?
'S ist meine Löwin, meine blasse
Markesa d'Amaegui ja!
Für sie hab' ich mich oft gehauen,
Für sie Sonette gar gemacht!
Wie oft, ein Haar nur ihrer Brauen
Durch's Weh'n des Vorhangs zu erschauen,
Hielt ich vor ihren Fenstern Wacht!
Mein ist sie! mein ist dieser Wangen,
Mein dieser Lippen lechzend Glüh'n!
Mein dieses Auge, schwarz verhangen
Von seid'nen Wimpern! mein die langen
Haarwellen, so ihr Hermelin!
Mein, mein ihr Hals, seh'n sie die Wände
Des Schlafgemachs in üpp'ger Ruh!
Mein das Gewand um ihre Lende!
Mein ihre kleinen weißen Hände,
Und mein ihr Fuß im schwarzen Schuh!
O, wenn durch ihres Netzes Franzen
Ihr Auge blitzt mit wildem Brand,
Bei allen Heiligen im ganzen
Castilien, man bräche Lanzen,
Zu rühren nur an ihr Gewand!
Beim Cid! man muß sie seh'n im weißen
Nachtkleid, die prächtige Gestalt!
Man muß es seh'n, dies Schlagen, Beißen,
Wenn unter Küssen, grimmigen, heißen,
Sie wüthend fremde Worte lallt!
Und, o! wie toll ist ihre Freude,
Wenn sie am Morgen singt und lacht!
Wenn, da just in des Strumpfes Seide
Ihr Füßchen schlüpft, ihr unter'm Kleide
Des Leibchens straffer Atlas kracht!
Auf, Page, folge meinen Pfaden!
Hinaus mit Tambouringeklirr!
Heut' Abend will ich serenaden,
Daß fluchen sollen die Alcaden
Bis an den Quadalquivir!
(S. 346-348)
Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Gedichte von Ferdinand Freiligrath
Vierte, vermehrte Auflage Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1841
(darin auch Übersetzungen enthalten)
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Das Lever
O Herrin, es wird helle!
Dein Leibroß, Isabelle,
Begrüßt dich wiehernd; - schau
Auf der Piqueur' und Führer
Grünfarb'gen Aermeln ihrer
Stoßfalken schwarze Klau'!
Sieh', Pagen und Bereiter!
Der flücht'gen Stuten Leiter,
Ein unbewamster Troß,
Das Haupt vom Busch umflogen,
So kommen sie gezogen
Mit Armbrust und Geschoß.
O, höre deiner schnellen
Windspiel' und Doggen Bellen!
Horch, Pfiff und Gertenhieb!
Zur Jagd! frisch in den Bügel
Den Fuß! ergreif' die Zügel!
Viel Glück zur Jagd, mein Lieb!
Und nun zuerst verhülle
Des schönen Busens Fülle
Mit des Habites Grün!
Laß, moorumspannt, mit seinen
Göttlichen Formen scheinen
Ein süßes Räthsel ihn!
Mit weißer Hand zu kämmen
Dein Haar, laß überschwemmen
Das dunkelbraune dich!
Dein Haar, früh aufgebunden,
Und in den Abendstunden
Gelös't durch dich und mich!
Frisch auf denn, meine Wilde!
Weithin durch das Gefilde
Tönt deines Thiers Gescharr!
Und wie den Speer ein Knappe,
So schwingt, in bunter Kappe,
Den Sonnenschein dein Narr.
Und nun noch die gestickte
Schärp' um die goldgeschmückte
Jagdrobe wirf! geschwind!
Und in des Mantels Falten
Will tragen ich und halten
Dich, wie ein schlafend Kind!
(S. 349-351)
Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Gedichte von Ferdinand Freiligrath
Vierte, vermehrte Auflage Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1841
(darin auch Übersetzungen enthalten)
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Madrid
Madrid, du Licht von Spaniens Thalen,
In deinen tausend Feldern strahlen
Viel tausend Augen, schwarz und blau.
Du weiße Stadt der Serenaden,
Viel tausend kleine Füße baden
Sich Nachts in deines Prado's Thau!
Madrid, und kämpfen deine Stiere,
Dann lassen tausend Händchen ihre
Buntfarb'gen seid'nen Schärpen weh'n;
Und in den sternerhellten, lauen
Lenznächten sieht man deine Frauen
Auf deinen blauen Treppen steh'n.
Madrid, Madrid, laß sie sich sehnen!
Ich spotte deiner stolzen Schönen,
Die muthig tummeln Maul und Pferd!
Denn unter Allen weiß ich Eine;
Laß Braun' und Blonde kommen - Keine
Ist ihre Fingerspitze werth!
Und mich nur, wenn die Sterne scheinen,
Läßt die Duenna dieser Einen
Durch ihr vergittert Fenster! - Wer
Nach zorn'gen Blicken trägt Begehren,
Der nah' ihr nur beim Messehören,
Sei Bischof oder König er!
Denn, wisset, meine wilde Kleine
Aus Andalusien ist es! meine
Wittib mit dunkelm Flammenblick!
Sie ist ein Teufel und ein Engel!
Braun, der Orange gleich am Stengel,
Und wie ein Vogel flügg' und quick!
O, wenn wir zitternd Küsse tauschen,
Wenn um mein Haupt mit süßem Rauschen
Entfesselt ihre Locken weh'n,
Dann muß man sie mit glüh'nder Wange,
Behend und schnell, wie eine Schlange,
In meinem Arm sich winden seh'n.
Und fragt ihr, welchem Preis die schlanke
Erob'rung ich denn wohl verdanke?
'S war meines Rosses Mähnenpracht;
Das Loben ihrer Sammtmantille;
Nicht zu vergessen: - auch Vanille-
Bonbons in einer Faschingsnacht!
(S. 352-354)
Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Gedichte von Ferdinand Freiligrath
Vierte, vermehrte Auflage Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1841
(darin auch Übersetzungen enthalten)
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Die Frau Markisin
Ihr kennt ihr Aug' und ihre Züge,
Ihr kennt die Andalusierin!
Ihr wißt, daß ich im Arm sie wiege
Vom Abend bis zum Morgen hin!
O, seht sie, wenn ihr Arm, wie eines
Schwans weißer Hals, mich fest umschlingt;
Wenn, dicht an ihrem Haupte meines,
Die Nacht uns süße Träume bringt!
O, kommt! ob unserm Nest begegnet
Und schnäbelt euch, ihr Vögelein!
Durch ihren Schlummer, den Gott segnet,
Strahl' eurer Flügel Widerschein!
Preis der Vergessenheit gegeben,
Sei Alles, nur die Liebe nicht!
Die Wollust ruft: vergeßt das Leben!
Der Vorhang ruft: vergeßt das Licht!
O, laß uns ruhen, Mund auf Munde!
Hauch' deine Seel' in mich hinein!
O, laß uns ruh'n so bis zur Stunde,
Wo man uns bringt den Todtenschrein!
Und fürchte nicht des Sternes Schimmer,
Der jetzt die Furcht der Weisen ist!*
Vielleicht, schlägt er die Welt in Trümmer,
Daß unsern Winkel er vergißt!
In meiner Seele frisches Bluten
Laß rinnen deinen lichten Geist,
Wie sich in eines Gießbachs Fluthen
Der Wiese Blumenquell ergeußt!
Denn weißt du wohl, wie viele Schmerzen
Ich litt, ach, um zu leben nur?
Siehst du in meinem wunden Herzen
Des Ueberflusses blut'ge Spur?
Gib einen Kuß mir, meine Kleine!
Mit meiner Hand in deinem Haar,
Laß mich erzählen dir beim Scheine
Der Lampe, was mein Unglück war!
Nun sieh', wie gut ich bin, mein Leben!
Daß gestern du auf meiner Brust
Entschliefst - ich will es dir vergeben!
Und war's auch, als ich schwatzte just.
Denn, auf des Königs Wort, sobald es
Wird dunkel in der Hauptstadt sein,
Zieht hier im Lustrevier des Waldes
In's Schloß die Frau Markisin ein.
Mein Arm sei der Geliebten Wiege
Vom Abend bis zum Morgen hin.
Ihr kennt mein Lieb, ihr kennt die Züge
Der braunen Andalusierin!
(S. 355-357)
* Man redete damals
viel von dem Kometen von 1852
Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Gedichte von Ferdinand Freiligrath
Vierte, vermehrte Auflage Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1841
(darin auch Übersetzungen enthalten)
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Fragment
Ich habe dich geliebt; - und wie? - o Gott, mein Leben
Hätt' ich in jener Zeit für dich dahin gegeben!
Du aber hast mich selbst verscheucht von deiner Brust,
Du selbst, zu lieben dich, benommen mir die Lust!
Du fängst mich jetzt nicht mehr in deines Lächelns Schlinge,
Auch deine Thränen jetzt sind überflüss'ge Dinge!
So, wenn der alte Saal ein Kind mit Schrecken füllt,
Lös't vom Getäfel es Helm, Harnisch oder Schild.
Mit der Trophäe dann, die zitternd es erstritten,
Sucht es sein Kämmerlein mit bangen, hast'gen Schritten;
Legt das Gewaffen ab, und hüllt beim matten Schein
Der Dämm'rung furchtsam sich in seine Kissen ein.
Doch, wenn der Morgen nun verscheucht der Nacht Gespenster,
Dann funkelt das Phantom im Morgenroth am Fenster.
Dann lacht es seiner Angst, und ruft: wie war ich blind!
Wie war ich furchtsam doch! wie war ich doch ein Kind!
(S. 358-359)
Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Gedichte von Ferdinand Freiligrath
Vierte, vermehrte Auflage Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1841
(darin auch Übersetzungen enthalten)
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Sonett
Den ersten Frost des Winters hab' ich gerne,
Wenn unter'm Fuß des Jägers knarrt der Schnee,
Wenn auf die Felder krächzend zieht die Kräh',
Und wenn der Damhirsch Reif trägt am Gehörne!
Jetzt nach Paris! - Jüngst kehrt' ich aus der Ferne
In seine Mauern! - Ernst aus ihrer Höh'
Sah'n Säul' und Louvre, Nebel zog am Quai,
Drin glommen röthlich Fackel und Laterne.
Wie liebt' ich diese graue Zeit! - die Seine
Begrüßt' ich jubelnd, die in ihrem Bette
Wie eine Fürstin normandiewärts schwamm!
Du ja warst in Paris! - Ho, eine Thräne? -
Daß sich Ihr Herz so bald geändert hätte,
Wie konnt' ich es denn wissen auch, Madame?
(S. 369)
Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
Aus: Gedichte von Ferdinand Freiligrath
Vierte, vermehrte Auflage Stuttgart und Tübingen
J. G. Cotta'scher Verlag 1841
(darin auch Übersetzungen enthalten)
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Lied
Ich fragte mein Herz, das schwache, einmal:
Und ist's nicht genug, nur an Einer zu hangen?
Und fühlst du denn nicht, daß stets Andre umfangen
Das Glück uns verbittert mit ewiger Wahl?
Es ist nicht, versetzte mein Herz in der Brust,
Es ist nicht genug, nur an Einer zu hangen;
Und fühlst du denn nicht, daß stets Andre umfangen
Nur süßer uns macht die vergangene Lust?
Ich fragte mein Herz, das schwache, einmal:
Und ist's nicht genug an all diesem Bangen?
Und fühlst du denn nicht, daß stets Andre umfangen
Uns täglich nur Leiden bereitet und Qual?
Es ist nicht genug, so versetzte mein Herz,
Es ist nicht genug an all diesem Bangen;
Und fühlst du denn nicht, daß stets Andre umfangen
Nur theurer uns macht den vergangenen Schmerz?
(S. 95)
Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862
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An Pepa
Spät Abends, Pepa, wenn ihr Zimmer
Gesucht die Mutter müden Blicks,
Und du entschnürt beim Lampenschimmer
Gekniet vor deinem Crucifix;
Wenn du dein Häubchen abgenommen
Und zögernd dich der Nacht vertraut,
Nachdem du furchtsam und beklommen
Noch leuchtend unter's Bett geschaut;
Wenn alle Träume freigegeben,
Entfesselt alle Wünsche sind,
Woran gedenkst du dann mein Leben,
Pepita, du mein reizend Kind?
Vielleicht an Helden aus Romanen,
Wie man sie dichtet Tag für Tag?
An alles, was die Sehnsucht ahnen,
Die Wirklichkeit verweigern mag?
An einen Berg, der tief im Grunde
Ein winzig Mäuschen in sich faßt?
An Naschwerk, an die Trennungsstunde?
An einen Schatz, den du nicht hast?
An ein Geheimniß deiner Schwestern,
Vertraut zur Zeit des Dämmerlichts?
An Kleider, Schmuck, den Ball von gestern?
Vielleicht an mich? - Vielleicht an nichts!
(S. 96-97)
Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862
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O Kind des Staubs
O Kind des Staubs, bestimmt, nur Einen Tag zu währen,
Was klagst und seufzest du und härmst dich spät und früh?
Was bangst du sehnsuchtsvoll in schlummerlosen Zähren?
Unsterblich ist dein Geist und trocken werden sie.
Dein Herz ist krank und wund um eines Weibes willen,
Um ihre Laune will's vergehn in heißem Schmerz;
Du flehst nach Trost empor, die bange Qual zu stillen;
Unsterblich ist dein Geist und heilen wird das Herz.
Um ein verlornes Glück verzehrst du dich in Sorgen,
Blind für die Zukunft macht dich die Vergangenheit;
O klag' um Gestern nicht! Erwarte still den Morgen,
Unsterblich ist dein Geist und hingehn wird die Zeit.
Dein Haupt wird müd und schwer, dein Knie versagt im Wallen,
Du fühlst, daß dieser Bau in Staub zu brechen droht
Vor des Gedankens Wucht - O Thor, so laß ihn fallen!
Unsterblich ist dein Geist, und dich befreit der Tod.
Wie bald wird dein Gebein im Sarkophag verwesen!
Dein Nam' erlischt, dein Ruhm, wie stolz er einst gedieh,
Nur deine Liebe nicht, dafern sie ächt gewesen;
Unsterblich ist dein Geist und nie vergißt er sie.
(S. 99)
Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862
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An eine junge Künstlerin
Fahr wohl! Mir schwant, daß es im Leben
Für uns kein Wiedersehen giebt;
Dich ruft ein Gott, ich muß mich drein ergeben,
Doch scheidend fühl' ich, daß ich dich geliebt.
Doch keine Thräne! Keine Klagen!
Ich weiß, was ich der Zukunft schuldig bin;
Das Segel schwillt, dich fortzutragen,
Und lächeln will ich, zieht es hin.
Dein Herz, voll Hoffen heut' und Sehnen,
Wird stolz sich heben, wenn es wiederkehrt;
Doch fremd verschließt sich's dann vor jenen,
Die dich am schmerzlichsten entbehrt.
Zieh' hin, dem schönen Traum entgegen!
Berausche dich in reizender Gefahr!
Der Stern, der aufgeht über deinen Wegen,
Uebt seinen Zauber wohl noch manches Jahr.
Doch einst vielleicht wirst du erkennen,
Welch Kleinod eine treue Brust;
Wie wohl es thut, sie sein zu nennen,
Und welch ein Kummer ihr Verlust.
(S. 100)
Übersetzt von Heinrich Leuthold (1827-1879)
Aus: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage
in Übersetzungen von Emanuel Geibel und Heinrich Leuthold
Stuttgart Cotta'sche Verlag 1862
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An eine Blume
Du liebliches Erinn'rungszeichen,
O Blümelein, was willst du hier?
Du, Gunst noch werbend im Erbleichen!
Sag' an, wer sendet dich zu mir?
Gar weiten Weg bist du gekommen,
Vom stummen Siegel wohl verwahrt.
Hat dir wohl etwas offenbart
Die Hand, die dich vom Strauch genommen?
Bist du zum Welken nur entsprossen
Wie deiner Schwestern große Zahl?
Erblüht dein Kelch wohl noch einmal,
Und hält er Sinniges umschlossen?
Ich seh' in deiner Blüte Weiß
Die Unschuld glückversagend blinken,
Doch seh' ich scheu die Hoffnung winken
Aus deinem grünen Blätterkreis.
Bist du ein Sendling? Gieb dich freier!
Vertrau'! Ich weiß zu schweigen auch.
Ist deine Sprache dieser Hauch?
Ist dieses Grün vielleicht ein Schleier?
Wenn ich's erriet, so raun' mir's zu,
Du Botin, du geheimnisvolle!
Wenn nicht, - an meinem Herzen ruh'
Und wahre deine stumme Rolle!
Ich kenne wohl die kleine Hand,
An Launen reich und reich an Gnaden,
Die deinen bleichen Kelch umwand
Mit silberfeinem Seidenfaden.
O diese Hand! Wer fände schnell
Nur eine zweite, ihr vergleichbar?
Und gälte Venus als Modell,
Kaum einem Phidias wär's erreichbar.
Die Hand, geschickt zu tausend Dingen,
Ist schön und edel, weiß und weich.
Wer einst versteht, sie zu erringen,
Den macht sie glücklich, macht sie reich.
Doch sie ist klug und streng in Pflichten!
Mir sei genug, was ich erfuhr.
Sie soll uns nicht im Zorne richten:
Still, Blümchen! Laß mich träumen nur.
(S. 99-100)
Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900
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An Pepita
Pepita, wenn die Sonne scheidet
Und Mutter spricht: Geh, es ist spät!
Und du im Stübchen, halb entkleidet,
Still hersagst noch dein Nachtgebet -
Zur Stunde, wo du Leid und Sehnen
Der milden Tröst'rin Nacht vertraust -
Wo du entwirrst des Haares Strähnen
Und bang' nach einem Späher schaust -
Wenn rings vom Schlummer schon umfangen
Die Eltern und Geschwister sind:
Pepita, Maid mit glüh'nden Wangen,
Woran dann denkst du wohl, mein Kind?
An eine Heldin, die verkläret
Ihr großes Elend überragt, -
An alles, was ein Traum gewähret
Und was die Wirklichkeit versagt, -
An einen Schatz von goldnen Münzen -
An ein geblümtes Seidenstück -
Vielleicht an einen Märchenprinzen -
An Zuckerzeug - an Mutterglück -
An Schwüre, die du einst verstohlen
Erlauschtest, strahlenden Gesichts -
An einen Tanz auf flücht'gen Sohlen -
Vielleicht an mich - vielleicht an nichts?!
(S. 103-104)
Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900
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Die Andalusierin
Saht ihr in Barcelonas Gassen
Die edle Andalusierin
Vom Stamme der Morisko-Rassen,
Der Herbsttagssonne gleich, der blassen?
's ist meine braune Herzogin!
Ich hab' mich oft für sie geschlagen, -
Sang oft die Nachbarn aus dem Schlaf, -
Hielt Wache an manch' langen Tagen,
Um einen Blick davonzutragen,
Der vom Balkon mich heimlich traf.
Mein ist ihr Herz und mein ihr Wille,
Die dichten schwarzen Brauen mein!
Mein ihres Haares üpp'ge Fülle,
Lang wie des Königs Purpurhülle -
Ihr runder Leib, ihr dralles Bein!
Mein ist ihr Busen, - mein das Mieder,
Das, wenn sie schläft, am Boden liegt!
Mein ihre biegsam schlanken Glieder!
Und mein, was von dem Kopftuch nieder
Zum Halbschuh ihren Reiz umschmiegt!
Wenn ihre Feueraugen schüren -
Bei allen Heiligen der Welt! -
Geblendet ließ man sich verführen,
Nur die Mantille zu berühren,
Und wenn's das Heil der Seele gält'!
Wie köstlich wild ist sie beim Lieben,
Wenn sie, zuletzt entschleiert, jäh
Zu wüth'gem Kusse wird getrieben!
Wer könnte sie bei Seite schieben,
Wen sie umklammert heiß und zäh'.
Wie ist sie toll in ihren Launen,
Wenn sie am frühen Tag erwacht.
Sie drückt den Busen in die Daunen,
Sie läßt ihr Miederchen bestaunen
Und schnürt es, daß die Seide kracht.
Auf, Page! stell' dich in Parade!
Die schöne Sommernacht ist nah.
Heut' sing' ich eine Serenade,
Daß die Alkaden schrei'n um Gnade
Von Burgos bis nach Granada.
(S. 105-106)
Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900
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An Ninon
Wenn ich euch sagte, was ich für euch fühle,
Blauäugig Weib, was sagtet ihr? Wer weiß!
Ihr kennt des Liebesschmerzes dumpfe Schwüle,
Die Pein, als ob ein Gift das Hirn zerwühle, -
Ihr gäbt vielleicht mich dennoch zürnend preis.
Wenn ich euch sagte, wie seit langen Wochen
Wahnsinn'ge Sehnsucht meine Qual verstärkt, -
Ninon, ihr dürf't auf eure Schlauheit pochen,
Ihr ratet, was noch gar nicht ausgesprochen, -
Und riefet kühl vielleicht: Ich hab's bemerkt!
Wenn ich euch sagte, daß ich wie ein Schatten
Mich an euch hefte in der Liebe Licht, -
Ihr wißt, wie gut euch Schwermut kommt zu statten
Und eurem Blick ein schmerzliches Ermatten, -
Ein Seufzer rief' vielleicht, ihr glaubt es nicht.
Wenn ich euch sagte, wie mir lieb und teuer
Von euren Lippen das geringste Wort, -
Wer nicht vor euch in Ehrfurcht steht, in scheuer,
Den trifft aus eurem Aug' des Blitzes Feuer, -
Ihr wieset mich vielleicht streng von euch fort.
Wenn ich euch sagte, wie mir Thränen fließen,
Wie Nacht für Nacht mich Eifersucht beschleicht, -
Mag euer Mund ein Lächeln nur erschließen,
So glauben Falter, daß dort Blumen sprießen,
Ihr wißt's - und lachtet über mich vielleicht.
Allein ich sag' euch nichts! Mir soll's genügen,
Mit euch zu plaudern bei der Lampe Schein.
Ich schwelg' in euren Worten, euren Zügen, -
Und mögt ihr's ahnen, es bespötteln, rügen,
Gleich wonnig wird mir euer Anblick sein.
Ich träume mir ein Reich von Wunderdingen:
Wenn ich euch Abends am Piano schau',
Dann hör' ich eure Zauberhände singen, -
Und darf ich euch im Walzerwirbel schwingen,
Ist mir's, als hielt' ich die besiegte Frau.
Und Nachts, wenn ich zu scheiden bin gezwungen,
Stürz' ich nach Haus und schieb' den Riegel vor, -
Der Schatz, den zu erhaschen mir gelungen,
Ein Duft der süßesten Erinnerungen
Quillt aus dem Herzen ungehemmt empor.
Ich liebe, doch ich weiß mich zu bezähmen.
Ich liebe, - keinem sei es kundgethan.
Mein Leid ist groß, doch laß ich mir's nicht nehmen.
Ich liebe, wunschlos - nichts als einen Schemen,
Und bin doch glücklich, denn ich darf euch nah'n.
Nicht meines Bleibens ist im Glück-Asyle,
Ich darf nicht um euch werben, kühn und heiß,
Nicht sterben auf dem wonnesamsten Pfühle. - -
Wenn ich euch sagte, was ich für euch fühle,
Blauäugig Weib, was sagtet ihr? - Wer weiß! . . .
(S. 106-108)
Übersetzt von Sigmar Mehring (1856-1915)
Aus: Die französische Lyrik im 19. Jahrhundert
Mit eigenen Übertragungen von Sigmar Mehring
Grossenhain und Leipzig Verlag von Baumert & Bonge 1900
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An Fräulein . . .
Ja, Frauen, was man sagen mag,
Verhängnisvoll ist eure Macht:
Ihr lächelt, - und mit einem Schlag
Umgarnt uns Lust und Schmerzensnacht.
Zwei Worte nur, selbst wenn ihr schweigt,
Ob achtlos, spöttisch euer Blick:
Zerreißend dieser Dolch erreicht
Das tiefste Herz voll Liebesglück.
Ja, euer Stolz ragt unerreicht.
Ihr dankt es unsrer Niedrigkeit,
Daß eurer Macht so gar nichts gleicht
Als euere Gebrechlichkeit.
Doch jede Macht auf Erden sinkt,
Wenn übermütig sie sich bläht.
Wer still den Leidensbecher trinkt,
Die Thrän' im Auge von euch geht.
Wie schmerzlich auch die Wunde flammt,
Ein traurig Los ist dennoch schön.
Ich tausch' nicht euer Henkeramt,
Und sollte ich vor Schmerz vergeh'n.
(S. 9)
Übersetzt von August Geist (1897)
Aus: Mussetsche Gedichte in deutscher Fassung
Von August Geist, K. Gymnasiallehrer
Programm des Königl. humanistischen Gymnasiums in Kempten
zu Kempten für das Schuljahr 1896/97
Kempten Buchdruckerei der Jos. Kösel'schen Buchhandlung 1897
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Suschen, leb' wohl!
Lied
Leb' wohl, Suzon, du blonde Rose!
Acht Tag' hat deine Lieb' gewährt:
Schwand sie auch schnell im Zeitenschoße,
Ward jemals bessere beschert? -
Weiß ich denn jetzt, wo ich dich meide,
Wohin mein irrer Stern mich trägt?
Und dennoch, Liebchen, ja, ich scheide
Flugs, in die Weite,
Sturmbewegt.
Ich geh', und noch auf meinem Munde
Brennt glühendheiß dein letzter Kuß.
Vertrauend ruht' zur vor'gen Stunde
Im Arm der schönen Stirne Guß.
Fühlst du mein Herz an deiner Seite?
Wie schlug es dir so wonniglaut!
Und dennoch, Liebchen, ja, ich scheide
Flugs, in die Weite,
Liebetraut.
Paff! schon will man das Pferd bereiten
Könnt' ich entführen durch die Luft
Dein wildes Köpfchen zum Begleiten,
Das mir die Hand erfüllt mit Duft!
Du lächelst, Schelmin, daß ich leide?
Der Nymphe gleich huschst du dahin.
Und dennoch, Liebchen, ja, ich scheide
Flugs, in die Weite,
Froh im Sinn.
Wie traurig, doch wie voll Entzücken,
Geliebtes Kind, war dein Lebwohl!
Selbst deine Thrän' kann mich beglücken,
Wenn sie dein Herz mir zeigen soll.
Zum Leben gibt dein Blick Geleite,
Im Tod ließ er mich ungebeugt.
Und dennoch, Liebchen, ja, ich scheide
Flugs, in die Weite,
Thränenfeucht.
Verlorst du, Suzon, mein Gedenken,
Die Liebe rufe dir zurück!
Der bleichen Blumen Strauß versenken
Magst du im Schoß, wie altes Glück.
Leb' wohl: die Lust weilt dir zur Seite,
Erinn'rung bleibt mir nur allein.
Ich nehm' sie mit, auch wenn ich scheide,
Flugs, in die Weite,
Ewig dein.
(S. 11-13)
Übersetzt von August Geist (1897)
Aus: Mussetsche Gedichte in deutscher Fassung
Von August Geist, K. Gymnasiallehrer
Programm des Königl. humanistischen Gymnasiums in Kempten
zu Kempten für das Schuljahr 1896/97
Kempten Buchdruckerei der Jos. Kösel'schen Buchhandlung 1897
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