Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Kopf einer Thrakerin (von der Akropolis in Athen - gegen 470 v.Chr.)

 


Aus den Orphischen Hymnen (2.-3. Jh.)




Hymnos an Aphrodite


Himmelsmacht, glorreich, du holdanlächelnde Kypris,

Meergeborne Gebärerin du, nachtfeiernde, hehre;

Nächtliche, knüpfend das Band, trugflechtenden Mutter des Zwanges!

Alles ja stammet von dir, ja dir gehorchet das Weltall;

Selbst des Geschicks Göttinnen beherrschest du, alles gebährend,

Was im Himmel nur lebt, und was auf fruchtbarer Erde,

Und in des Meeres Abgrund. Erhabne Gesellin des Bakchos,

Froh des Freudengelags, Ehstifterin, Mutter der Sehnsucht;

Peitho, im Lager der Liebe geheim, Huldgeberin, Fürstin;

Sichtbar und unsichtbar, schönlockige, edeles Vaters;

Bräutliche, sitzend am Mahl, mit der Ewigen Zepter, Lykäna;

Quelle des Stamms, Mannfreundin, ersehnteste, Quelle des Lebens;

Welche die Sterblichen fesselt mit unauflöslichen Banden,

Und des Gewildes Geschlecht, im rasenden Taumel der Liebe.

Komm, Aphrodite, du göttlicher Spross, ob du im Olympos,

Götterkönigin weilst, in freudiger Schöne das Antlitz;

Ob du in Weihrauchduft den syrischen Tempel umwandelst;

Ob in den Segensaun des heiligen Landes Aegyptos

Du, mit goldenem Wagen, umhegst die fruchtbaren Wasser,

Oder mit dunklem Geschirr zu des Meers aufwogender Wallung

Jetzo genaht, dich erlabst am Zirkeltanze der Robben;

Oder der Nymphen dich freust, blauäugiger, jetzo in Dia,

Taumelnder Wonn', am sandigen Strand leichthüpfendes Fusses;

Ob in der heimischen Kypros, o Königin! alwo dich holde

Unvermählte Mädchen und Bräut' in jeglichem Jahre

Preisen, o Selige, dich und den himmlischen reinen Adonis,

Komm, o selige Göttin, in deiner reizenden Anmut!

Reines Herzens ja ruf' ich dich an mit heiligen Worten.
(S. 134-135)

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Eros Rauchopfer

mit Gewürzen


Heilige Macht, Preis dir, o süsser lieblicher Eros,

Bogengewalt, Fluggott, glutbrausender, rennend im Sturme;

Der mit den Göttern spielt und den sterblichen Erdenmenschen;

Doppelnatur, sinnreich, der zu allem die Schlüssel bewahret,

Zum Hochäther und Meer, zu dem Erdreich, und die des Fruchtgrüns

Göttin den Menschen ernährt, zu den allerzeugenden Hauchen,

Auch was des Tartaros Raum einschliesst, und der donnernde Abgrund:

Denn du lenkest allein von diesem allen das Steuer.

Seliger, auf, den Geweiheten komm mit lauterem Sinne,

Und des schnöden Gelüsts Aufwallungen banne von ihnen!
(S. 144)

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Übersetzt von David Karl Philipp Dietsch (1822)

Aus: Die Hymnen des Orpheus
griechisch und deutsch
In dem Versmasse des Urtextes
zum erstenmale ganz übersetzt
von David Karl Philipp Dietsch
Erlangen
bei I. I. Palm und Ernst Enke 1822



 

 

 


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