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Pall Olafsson
(1827-1905)
isländischer Dichter
Der kleine Wasserfall
Ergötzliches sah ich da jüngst einmal
in den Fjorden im südlichen Lande,
als morgens ich saß am Meeresstrande.
Ein munteres Flüßchen im grünen Tal
hatt' einen Fels auseinander getrieben -
es war so lang' bei der Arbeit geblieben,
daß nie der Schlaf in sein Auge klar
seit dem Morgen der Zeiten gekommen war.
Es hat erst unter den Felsen dort,
nachdem es vom steilen Berge gekommen,
was seine größte Lust war, vernommen:
ein Lachen und Plätschern in einem fort,
ein Singen und Brausen, ein Jubeln und Spielen
im lustigen Reigen zusammen von vielen;
da wurde geflüstert, geküßt und gelüpft
und dann und wann auch ein Tänzchen gehüpft.
Es waren ja Wellen, die nicht gewußt,
daß es Flüsse auch gebe, große und kleine;
sie sprangen spielend über die Steine,
das Rollen der Kiesel war ihre Lust.
Da fiel es dem Flüßchen ein, zu entweichen,
durch eine Spalte sich fortzuschleichen.
Doch der Felsen unten war steiler Stein,
das Flüßchen aber so zart und klein.
Was braucht es da vieler Worte Schwall,
zu melden von Gegnern, mit denen's gerungen,
und wie es endlich den Felsen bezwungen;
es ward nun zu einem Wasserfall.
Dann eilt' es, versteckt im Gestein zu fließen,
um lautlos sich in das Meer zu ergießen.
Es zu schaun ist den Wogen doch erst geglückt,
als ein Küßchen es ihnen aufgedrückt.
Sie wichen zurück in die Meeresflut
und zürnten alle dem kleinen Flüßchen
und waren ganz feuerrot von dem Küßchen,
als hätt' sie bestrahlt des Abendscheins Glut.
Das Flüßchen jedoch, das schwatzte vom Küßchen.
Da riefen ans Land sie und fragten das Flüßchen:
Wie heißest du denn? - Ei: Wasserfall!
Was willst du? - Das Küssen gibt fröhlichen Schall.
Das Küssen? so schrien sie entsetzt - und im Nu
begann die Ebbe sich einzustellen;
jedoch, als es Tag ward, da hatten die Wellen
im Meere draußen nicht länger Ruh':
die Weiße des Flüßchens, sein Stimmgekose,
sein Singsang, sein Liebesgeplauder, das lose,
sein Kuß: dies alles lockte sie an,
und so schlichen sie wieder ans Ufer heran.
Dann kamen für immer sie überein,
bei ihm zu bleiben und Lieder und Sagen
und Küsse zu tauschen nach Lust und Behagen
und immerdar wach und munter zu sein. -
Wie glücklich ist, wem zu seinen Lieben
der Gang auch immer so leicht geblieben,
des Lebens Beschwerden so mühelos,
wie dem Flüßchen der Fall in der Wogen Schoß!
(S. 132-134)
Der kleine Wasserfall (Litli fossinn) befindet sich zwischen
Kolfreyjustadur und Árnagerdi am Fáskrúdsfjördur in der
Sudur-Múla-Sysla im Ostviertel Islands.
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Das Liebesnetz
In die weite Welt hinaus
wollt' mein Sinn vergnüglich eilen,
flatternd nippen da und dort,
ohne länger zu verweilen.
Anders doch, als er gedacht,
ist es ihm gar bald ergangen,
denn er fiel auf dich, mein Lieb,
blieb in deinem Netze hangen.
Lockend ist dein Liebesnetz,
feingeknüpft sind seine Maschen;
leicht drum war's dir, meinen Sinn
und mein Herz auch zu erhaschen.
Keine Masche hat versagt,
holdes Lieb, in deinem Netze;
denn aus Tugenden geknüpft
sind sie, die zuhöchst ich schätze.
Aus der Liebe bestem Garn
ist das ganze Netz gesponnen;
hat auch unten festen Grund
in der Treue Fels gewonnen.
Eine Flamme spielt ums Netz -
ich allein nur dürft' sie kennen;
wollt' ich dir entfliehen, Lieb,
würden meine Federn brennen.
Glaub mir, daß in deinem Netz
ich verstrickt nun bin für immer;
glaub nicht, daß ich fliehen könnt' -
denn, bei Gott, ich möcht' es nimmer!
(S. 135-136)
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Wunsch,
als der Dichter
Heu in den Schuhen seines Weibes sah
Ich möchte gern ein Grashalm sein,
der verwelkt in deinem Schuh;
denn über meine Fehler schritt'
niemand so leicht hinweg wie du.
(S. 136)
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Waberlohe
Nicht die Sünde noch ein böser Geist,
niemand nah' dem schneeig-weißen Bette
meines Weibes! Waberlohe flammt
hoch empor um ihre Lagerstätte.
Ich nur, der so heiß sie liebt, ihr Mann,
jeden Abend sie durchdringen kann.
(S. 136)
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An Ragnhildur
in der Nacht vor
dem 7. November 1883
Im schwanenweißen Bette, Frau,
schläfst du nun schon so gut!
Mittwinternacht ist jetzt, o schau:
hell strahlt des Nordlichts Glut.
Die Berge, Sterne und der Mond
erglühen in des Lichtes breiter Flut.
Reib aus den Augen dir den Schlaf!
Es kann sich ändern schnell.
Wer weiß, ob, wie es heut sich traf,
je eine Nacht so hell
zu sehn uns noch einmal gegönnt;
denn unsre Lebenszeit verstreicht so schnell.
Du schläfst so fest, in süßem Traum -
So geh' ich denn allein
und such' betrübt im Himmelsraum
den Stern mit lichtem Schein,
wo uns mein Björn erwartet schon.
Doch ihn zu finden wird wohl mühvoll sein.
(S. 137)
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Wiesenstrophen
Hab' dir hier ein Bett bereitet,
und mein Herz soll's Kissen sein;
meine Arme sind gebreitet
für die müden Glieder dein.
Wirst mich küssen, eh' der Schlummer
leis in deine Augen zieht,
und ich werde ohne Kummer
singen dir mein Schwanenlied.
Singen dir von Lust und Lieben,
wie's der Lenz mit sich gebracht,
da des Lebens Frühlingstrieben
hold die Sonne zugelacht;
singen von der Söhne Grabe,
dem ich meinen Schmerz geweiht,
und von deiner Augen Labe,
die mir Kraft und Mut verleiht.
Singen von dem letzten süßen
Schlummer, der mir nicht mehr fern,
und wie ich dich dort begrüßen
möcht' als allererster gern.
Froher sing' ich meine Lieder
dort als hier am Todesstrand,
führ' ich unsre Knaben wieder
und auch dich an meiner Hand.
(S. 137-138)
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übersetzt von Josef
Calasanz Poestion (1853-1922)
Aus: Eislandblüten Ein Sammelbuch neu-isländischer Lyrik
von J. C. Poestion
Mit einer kultur- und literarhistorischen Einleitung
und erläuternden Glossen
Leipzig und München 1904 Verlag von Georg Müller
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