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Philipp Sidney (1554-1586)
englischer Dichter
Stella
I.
Mit einer Liebe, die
Mir Leiden schafft,
Vergeud' ich meinen Geist
Und meine Kraft.
Die Jugend schwindet mir
In Nichts dahin;
Ich sehe wohl, dass ich
Verloren bin,
Und dennoch - dass ich nicht
Um Stella's Willen
Noch mehr verlieren kann,
Grämt mich im Stillen.
II.
Stella, Glanzstern, Himmelslichtflur!
Stella, aller Wünsche Richtschnur!
Stella, ach, die Augen dein
Gleichen Amor's Sonnenschein!
Stella, deiner Stimme Klang
- Ob in Rede, ob Gesang -
Lässt mir fast die Sinne schwinden
Und mich Engelsglück empfinden.
III.
Wie konnt' ich thöricht hoffen, zu geniessen
Mit Amor's Hilfe ihre schönen Augen,
Ihr edles Herz zu fesseln, einzusaugen
Das höchste Glück an ihrer Lipp', der süssen?!
Seh' ich doch Amor selbst an ihr sich letzen,
Und wer es wagt, sich ihm zu widersetzen,
Den blickt er an mit ihrem Blick voll Leben:
Dann unterwirft sich Jeder Amor's Willen,
Beglückt, kann dessen Machtwort er erfüllen,
Bereit, für sie sein Dasein hinzugeben.
Wenn Amor spielen will, sind's ihre Lippen,
Auf die er huscht, um Wonne d'ran zu nippen;
Mit Küssen er die beiden Lippen bindet.
Und will er je der stillen Ruhe pflegen,
Wird in ihr theures Herz er sich nur legen,
Wohl wissend, dass kein Mensch ihn dort ergründet.
(S. 82-83)
Übersetzt von Leopold Katscher (1853-1939)
Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Sonette
I.
Wie mit so schwerem Tritt, o Mond, seh' ich dich tauchen
Am Firmament herauf, wie stumm, wie bleich!
Wie! könnt es sein, dass selbst im Himmelreich
Der flinke Schütz den scharfen Pfeil darf brauchen?
Traun, wenn mit Liebe lang vertraute Augen
Sich d'rauf verstehn, dann macht die Liebe weich!
Ich les' es dir im Blick; dem Träumer gleich
Fühlst du wie ich. Dir kann kein Fürwand taugen.
So sag', o Mond, mein Leidgefährte, mir:
Gilt dort auch für ein Wahnsinn treues Lieben?
Sind dort die Schönen auch so stolz wie hier,
Dass sie wohl Liebe mögen, doch betrüben
Mit Hohn den, der dies Lieben ihnen weiht?
Nennt man dort Tugend auch Undankbarkeit?
II.
O Kuss, du Spender röthlicher Juwelen,
Wie? oder neuer Paradiesesfrüchte?
Der du mit Süssigkeit durchströmst die Seelen,
Den stummen Mund lehrst edlere Gedichte:
O Kuss, in dess Natur-Bann, zauberdichte,
Mit Geistern Geister selber sich vermählen,
Wie gern liess ich dich schau'n im hellsten Lichte,
Könnt' ich auch nur ein Theil von dir erzählen!
Doch Sie verbeut's; erröthend spricht ihr Mund,
Sie bau' ihr Lob auf ehrenwerthern Grund,
Doch mein Herz brennt, ich kann das Wort nicht missen.
Drum liebes Leben, wenn ich still sein soll,
Und doch nicht ruhn kann, vor Entzücken toll,
Musst du mich stillend, immer, immer küssen.
(S. 83-84)
Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1791-1854)
Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Antlitz und Stimme
Du hast gesehn dies Antlitz,
Gehört der Stimme Klang,
Nun sage: Wem von beiden
Gebührt der erste Rang?
Kannst richten ohne Zagen,
Kein Theil wird sich beklagen.
Die Schönheit spricht für jenes,
Musik für diese spricht,
Zwei Redner, deren Zauber
Den strengsten Richter besticht.
Die Barre jubiliret,
Wenn dieses Paar plädiret.
Für Stimm' und Antlitz streiten
Die edlen Kämpen nun,
Wie zwei einträcht'ge Brüder
Um Vaters Erbe thun,
Wo jeder seine Waffen
Läßt für den andern schaffen.
Denn Schönheit, mit Himmelsfarbe
Und Reiz verschönert sie
Die himmlischen Harmonien;
Und schönste Harmonie
Ist schönster Schönheit Seele
Im Antlitz ohne Fehle.
Musik thront auf der Sprache
Klangvoll beschwingtem Ton,
Und Schönheit glänzt durch Anmuth
Bezaubernder Aktion.
Es kämpfen in dem Streite
Mit Freundeshochsinn Beide.
Die Liebe schaut begeistert
Der Schönheit liebliche Pracht,
Und mehr noch schätzt Bewundrung
Der Töne Wundermacht.
Doch beiden nach Beidem verlanget,
Wie beides in beiden pranget.
Es nimmt Musik das Ohr sich
Zum Zeugen der Wahrheit treu,
Und Schönheit ruft das Auge
Zum Augenzeugen herbei:
Die müsse beide nach Pflichten
Untadliches berichten.
Nun wär' ein guter Schiedsmann
Wohl der gesunde Sinn -
Der hängt, statt recht zu richten,
Nach beiden Seiten hin:
Er will die Stimme krönen,
Und reicht den Kranz der Schönen.
Vernunft, o höchste Herrin,
Die waltet im Gemüth,
Verborgne Schönheit kennet,
Musik vom Himmel zieht,
Du magst mit beiden Ehren
Die Siegerin verklären.
(S. 19-21)
Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)
Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856
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Sonett
Komm, Schlaf, o Schlaf, du sichre Friedensblüthe,
Du Einkehr für den Geist, du Trost in Pein,
Im Elend Glücks-, im Kerker Freiheits-Mythe,
Du gleicher Richter zwischen Groß und Klein;
Mit deinem Schirm und Schild halt' ab und hüte,
Laß der Verzweiflung Pfeile nicht herein;
Den Streit im Herzen schlichte mir dein Friede;
Mit Hab und Gut will ich dir pflichtig sein.
Das weichste Kissen nimm, das weichste Bett;
Ein Stübchen taub für Lärm und blind für Licht;
Ein müdes Haupt und Rosenkränze nett.
Rührt deine träge Gunst dies Alles nicht,
Weil dir's zu Recht gebührt, so zeig' ich dir
Treuer wie nirgends Stella's Bild in mir.
(S. 23)
Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)
Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856
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Landstraße, heil'ger mir als Tempe's Gründe,
Wo ich zum Lied, dem doch zwei Herzen glühn -
Nach Rosseshufschlag Wortguirlanden winde,
Weit lieber, als nach Kammer-Melodien -
Zu Ihr, wo ich mein Herz gern ließ und finde,
Glückvolle, trage mich Beglückten hin,
Und Gruß und Dank und Wunsch, zum Angebinde,
Sei dir von mir und meinem Lied verliehn.
Gemeine Sorge mag dein Lob dir wahren;
Nicht Zeit, noch böser Wille schade dir,
Nicht Blut, noch Missethat magst du befahren.
O, laß dir sagen, sieh! nicht neid' ich dir
Das Höchste, will dich so gesegnet wissen:
Sollst Hundert Jahr' noch Stella's Füße küssen.
(S. 23)
Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)
Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856
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