Jan Pietrzycki (1880-1944)
polnischer Dichter
Der alte Faun
Des Mondes Silberstrahlen durch das Blattwerk dringen,
Von fernher tönt so silbern der Hirtenflöte Singen,
Und der Orangenhain ist ganz in Duft versunken . . .
Am Springbrunn tanzt der alte Faun ganz toll und trunken,
Als hätt er seine Jugend wieder jetzt gefunden,
Da Schafe er gehütet und in goldnen Stunden
Fing junge Nymphen in des klaren Stromes Wogen,
Indem er sie am kupferfarbnen Haar gezogen
Und dann sie auf die Wiese in den Wald getragen . . .
O Faun, du alter Tänzer aus Pompeji Tagen!
Um dich herum: Ruinen, Trümmer, irre Träume.
Zerschlagne alte Pfeilerreste, morsche Bäume
Umliegen jetzt den Springbrunn. Rings hausen Tod und Sterben.
Du siehst es nicht. Du träumst von süßem Liebeswerben
Entschwundner Jugend, von der Sommernächte Klingen,
Von blütenreichen Wiesen und von Flötensingen . . .
(S. 151)
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Traumlose Nacht
Am herrlichsten ist jene Liebe allein,
Die nur der Sehnsucht bleibt immer geweiht -
Wo niemals die Lippen sich küssend berühren . . .
Und unsere Wege bei Mondenschein
Ins goldene Traumland sich sachte verlieren,
Entfernt von des Lebens Wirklichkeit.
Am herrlichsten ist jene Liebe allein,
Die sanft der Lenz in Gärten trägt,
Wenn duftende Blüten zur Erde fallen.
Am gnädigsten ist jener Sonnenschein,
Der in des Spitales schweigenden Hallen
Auf kranke Gesichter belebend sich legt.
Ach, träumend leben - - mit frohem Gemüt
Ins Grab dann schreiten, wo endloses Schweigen - -
Und stille verlassen den sonnigen Reigen,
Wie Blumen, die nachts ganz heimlich erblüht.
Der Sehnsucht urewigen Träumen entfliehen
Und unsere Seele in Ketten bannen
Und dann ohne Traurigkeit gehen von dannen,
Wenn sonnige Ahnungen fromm uns durchziehen.
(S. 152-153)
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übersetzt von Lorenz
Scherlag (1881-1941)
Aus: Moderne polnische Lyrik
Eine Anthologie deutscher Übertragungen
Herausgegeben von Lorenz Scherlag
Amalthea Verlag Zürich Leipzig Wien 1923