Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Cino da Pistoja (um 1270-1336/37)
italienischer Dichter



Seelenbewegung durch Liebe
(Sonett)

Die schöne Dame, die kraft Amors Walten
Durch's Aug' in meine Seele eingegangen,
Wird oft von Mißmuth und von Zorn umfangen,
Die sich zu Worten an mein Herz gestalten:

"Hab' ich erst länger hier mich aufgehalten,
So stirbst du bald, und das ist mein Verlangen."
Darob krümmt sich das Herz in Furcht und Bangen,
Es weiß, daß Jene Macht hat Wort zu halten.

Die Seele, so die Rede wohl verstanden,
Erhebt sich traurig um hinweg zu ziehen,
Von ihr, die heget solchen Stolzes Tücke.

Doch Amor mitleidsvoll ist gleich vorhanden,
Und spricht: "Noch darfst du nicht entfliehen!"
So hält er sie mit Mühe dann zurücke.
(S. 96)
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Antwort auf Dantes: A chiascun' alma  presa
(Sonett)

Natur treibt wer da liebt zu dem Verlangen
Des Herzens Sinn der Dame aufzuschließen;
Dies sollte, ein Gesicht hat's jüngst bewiesen,
Zur Kenntniß dir nach Amors Wunsch gelangen.

Dein Herz war drum in Feuer aufgegangen,
Voll Demuth mußt' es deine Frau genießen,
Die erst vom Schlaf den Blick nicht konnt' erschließen;
Verhüllt lag sie, und fern war Schmerz und Bangen.

Als Amor kam, zeigt' er sich ganz nur Freude;
Denn was das Herz verlangt, hatt' er gegeben,
Da an einander er zwei Seelen band.

Als er der Liebe Qualen drauf erkannt,
Die er erfunden zu der Dame Leide,
Mußt' er mit Mitleidsthränen dir entschweben.
(S. 96-97)
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An Dante Alighieri, als Antwort auf dessen: Io mi credeo etc.
(Sonett)

Seit mich der schwere Bann am Heimathstrande
Zu einem Fremdling, Dante, hat gemacht,
Seit nicht die höchste Wonne fürder lacht,
Die je entsproß der Ewigkeiten Lande,

Wandr' ich geschlagen in der Schmerzen Bande,
Vom Tod verschmäht, in düstrer Unglücks-Nacht.
Erinnert Etwas mich an ihre Macht,
So sang ich, was mein Herz entflammt' zum Brande.

Mich rührt der ersten Liebe Mißgunst nicht,
Die letzte Hoffnung nicht, die mich entbindet,
Denn alle Hülfe sah' ich mir entweichen.

Nur eine Lust ist's, die mich löst und bindet,
Daß allen Schönen, die ihr etwas gleichen,
Zu huldigen, mir wird zu süßer Pflicht.
(S. 97)
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Madrigal

Madonna, das Erbarmen
Um das Euch alle meine Seufzer flehen,
Verlangt Erlaubniß nur, Euch anzusehen.
Ich fühle so Eu'r Mißbehagen
Wenn unverwandt an Euch mein Blick muß hangen,
Daß Euch zu sehn ich nicht mag wagen.
Und sterbe vor vergeblichem Verlangen.
Erbarmet Euch um Gottes willen,
Nur sehn will ich, das wird mein Sehnen stillen,
Laßt, Hohe, das mit Zorn Euch nicht erfüllen.
(S. 97)
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Madrigal

Es werden nimmer meine Augen müde
Zu schau'n Madonna's holdes Angesicht;
Sie wenden eh'r sich nicht,
Bis im Betrachten ich mein Glück gefunden. -
Nach Engel-Art, die höher durch Natur
Als Menschen-Creatur
In Gottes bloßem Anschau'n selig werden,
Könnt' ich auf ird'scher Flur,
Betracht' ich die anmuthigen Geberden
Der Dame, die mein Herz gewonnen,
Schon hier empfinden sel'ge Wonnen,
So groß ist ihre Macht, daß aus sie gehet
Und Andere erfüllt, was nur verstehet
Wen zu sehnsüchtiger Verehrung sie verbunden.
(S. 97-98)
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Sonett
Auf seiner Rückkehr aus der Lombardei
besieht der Dichter das Grab der Geliebten
auf den Apenninen

Ich war auf des beglückten Berges Höhen;
Den heil'gen Fels verehrte ich durch Küssen
Und auf den Stein hab' ich mich setzen müssen,
Der mich ihr keusches Antlitz nicht ließ sehen.

Versiegt blieb jeder Tugend Quelle stehen
Am Tage, wo der Tod sie uns entrissen,
Zerdrückt mein Herz die Reize sollte missen,
Die nicht die volle Blüthe konnt' erhöhen.

Zu Amor hab' ich also dort gesprochen:
O süßer Gott, den Tod laß mich zerstören,
Der eisig schon ins Herz mir eingebrochen!

Doch da mein Herrscher mich nicht mocht' erhören,
Mußt' ich im Schmerze laut Selvaggia! rufen.
Ich ging und stieg herab der Alpen Stufen.
(S. 98)
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Gunst der Geliebten
(Sonett)

Ihr sanfter Gruß gibt heilendes Entzücken,
Denn aus von ihr geht er, dem höchsten Heile;
Mit aller Anmuth will sie uns beglücken,
Es scheint, daß Amor immer bei ihr weile.

Jung werden Erd' und Meer vor ihren Blicken
Und Freude wird den Himmlischen zu Theile;
So Selt'nes schau'n hat nimmer wollen glücken
Als Gott in ihr entfaltet uns zum Heile.

Tritt sie im Schmuck hervor, dann scheint die Welt
Mit Liebesodem gänzlich sich zu füllen,
Daß jedem Herzen Freude sich gesellt.

Der Böswicht frägt: Wie soll ich mich verhüllen?
Er sucht die Flucht vor Todes grimmer Hyder,
Ich sage: Mensch, schlag deine Augen nieder!
(S. 99-100)
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Seelenniederlage
(Sonett)

Mit Schrecken ist die Seele mir geschlagen
Im Kampfe, den mein Herz hat zu bestehen,
Denn will ihr Amor irgend näher gehen,
Als sonst er pflegt, muß sie vor'm Tode zagen.

Dem gleichet sie, der nichts vermag zu wagen;
Vom Herzen zwang Furcht sie hinwegzugehen
Es würde, wer den Weggang angesehen,
"Die hat kein Leben mehr!" gewißlich sagen.

Der Kampf ward durch die Augen mir begonnen,
Er hat die Seele gänzlich mir zerstöret,
Daß jählings jede Kraft ich sah zerronnen.

Wer nur von meinem Untergange höret,
Und schwebte er in höchster Freude Wonnen,
Fühlt Mitleid, daß er nicht den Thränen wehret.
(S. 100)
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Sonett
Nach dem Tode der Selvaggia.
Amor und der Dichter erscheinen
vor dem Tribunale der Vernunft

Es bringt oft tausend Klagen und Bedenken
Im Zorne Amor vor in dem Gericht
Der hohen Kais'rin wider mich und spricht:
"Entscheide, wem des Rechtes Preis zu schenken!

Ich kann allein zum Ruhm sein Segel lenken
In dieser Welt, sonst hätt' er Freuden nicht!"
Nun ich: Du bist's, der nur mir Dornen flicht,
Und Galle ist in deinen süßen Tränken!

Und er: "Falsch, Sclav', hast du die Flucht genommen,
Du weigerst, unerkenntlich, mir zu danken?
Ich gab dir, die auf Erden ohne Gleichen."

Und ich: Du nahmst sie, was mag mir's da frommen?
"Ich nicht," sagt er. Das Recht läßt ohne Schwanken,
Spricht sie, sich nur bei läng'rer Frist erreichen!
(S. 100)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]


 

 


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