Jakow Petrowitsch Polonski (1820-1898)
russischer Dichter
Da nahen schon die nächtigen Schatten
Und stehn an meiner Thür auf Wacht.
Tief blickt ins Auge mir ein Auge -
Der Liebe sterngeschmückten Nacht;
Mein Ohr vernimmt ein Kosungsflüstern,
Auf meiner Wange ringeln glatt
Sich kleine Schlangen seidnen Haares,
Das meine Hand entflochten hat ....
Verweile, Nacht! In Dunkel hülle
Das Zauberreich der Liebe ein!
Du matte Hand der Zeit, o hemme
Des schnellen Stundenfluges Pein! ....
Doch ach, da schwanken schon die Schatten
Und fliehn den ersten Gruß des Lichts!
Wie blickt aus halbgesenkten Lidern
Das Auge .... sieht - und sieht doch Nichts!
Starr liegt die Hand in meinen Händen;
Ein schamerglühend Angesicht
Birgt selig sich an meinem Busen .....
O Sonne, Sonne - strahl' noch nicht! ....
(S. 168)
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Heimlich flüstern die Gebüsche,
Schatten dämmern; auf der Bank
Sitz' ich lauschend, hör' die Hähne,
Seh die Nacht am Bergeshang.
Hoch am Himmel flimmern Sterne,
Silber säumt die Wolkenschicht
Und dem Mond entfluthet zitternd
Sanfter Strahlen Zauberlicht.
Weihestunden meines Lebens,
Heiße Wünsche sonder Zahl,
Wilde Regungen für Schönheit,
Gut und Böse - Lust und Qual,
Alles, was mir nah und fern liegt,
Was mich weinen, lachen macht,
Was mir tief im Herzen schlummert -
Lichterfüllt hat's diese Nacht ...
Warum quält mich kein Bedauern
Um geschwundne Seligkeit?
Warum ist gestorben Freude
Freudenlos, gleich herbem Leid?
Woher kommt's, daß nur die Schmerzen
Ich empfinde und versteh? ...
Unermeßlich hohe Wonne,
Unergründlich tiefes Weh!
(S. 168-169)
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Ob ich den Erdkreis einst vor Dir verlassen werde,
Ob Du vor mir dereinst ins Grab steigst, stumm und bleich,
Zu künden jener Welt die Leidensmär der Erde,
Die noch kein Ohr gehört im selgen Geisterreich -
Entsetzen wird sich dann ob dieser Welt das Eden,
Wo um ein Stückchen Brot sich Brüder blind befehden,
Wo Rachsucht, Wahnsinnswuth das schnöde Gold erzeugt,
Erhobnen Haupts der Trug einhergeht unter Scherzen,
Wo schonungsheischend stumm das Haupt die Tugend neigt,
Die Wahrheit gräßlich ist, unglaublich schier dem Herzen,
Wo meine Qual voll Haß Erlösung sich gesucht
Wo Deine Qual voll Lieb' der Feindesschaar begegnet -
O, künde dann, wie nie mein Mund verflucht,
Ich künde dann, wie stets Dein Mund gesegnet! ...
(S. 169-170)
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Das lebende Modell
Unter Krankheit, Hungerplage,
Der Geschwister Jammerklage
Sah ich Wochen, Monde ziehn,
Bis ich, von der Noth getrieben,
Zur Versorgung meiner Lieben,
In dem Atelier erschien.
Schamroth fleht' ich: "O, verbindet
Mir die Augen!" ... Wie erblindet
Trat ich in den Männerkreis.
Wehrlos preisgestellt dem Schimpfe,
Stand ich marmorstarr als Nymphe,
Nur das Auge weinte leis ...
Und nun dien' ich, um zu essen,
Treu der Kunst, und ganz vergessen
Hab' ich meine Frauenpflicht:
Kenne keine Röthelkreide,
Und sobald ich mich entkleide,
Laß' ich mich entkleiden nicht!
Fort die Hände! Gottgegeben
Ist der Schönheit nacktes Weben,
Ist kein Reiz der Lüsternheit!
Dieser Körper sei nur Seele!
Drum beginne, Künstler - quäle
Nicht Dein Fleisch! ... Ich bin bereit.
Düfte weht zu mir der Flieder.
Lichtgetaucht sind meine Glieder
In der Sommersonne Schein.
Fremd ist mir die Scham, das Trauern ...
Manchmal nur faßt mich Bedauern:
"Könnt' ich eine Puppe sein:"
Sie ist nicht des Schicksals Sclave,
Fürchtet nicht des Himmels Strafe,
Wird nicht hungrig, wird nicht krank;
Kein Verführer kann sie kirren,
Ihr bleibt fremd das Suchen, Irren
In der Leidenschaften Drang! ...
Deine Hand erbebt! ... Ich sehe
Dich in manchem Kampf noch, ehe
Du besiegst Dein Gluthgefühl.
Künstler, lerne Dich bezwingen!
Willst die Palme Du erringen -
Die Geduld nur führt ans Ziel! ...
Einst, vielleicht, nach vielen Tagen,
Hast Du Capital geschlagen
Aus dem nackten Nymphenleib.
Bettelnd aber brech' ich wieder
Krank an Deiner Thüre nieder,
Ein unsäglich elend Weib! ...
(S. 166-167)
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Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)
Aus: Der russische Parnaß
Anthologie russischer Lyriker
von Friedrich Fiedler
Zweite unveränderte Auflage
Dresden und Leipzig Verlag von Heinrich Minden [1910]