Mario Rapisardi (1844-1912)
italienischer Dichter
Vorsatz
Ich will ihr sagen: "Seit ich dich erblickt,
Ist's um den Frieden meiner Brust geschehen.
Vom Thron der Liebe muß ich zitternd sehen
Vieltausend Waffen auf mein Herz gezückt.
Im Joch der wilden Sinne muß ich gehen,
Denn sie zu zügeln wärst nur du geschickt.
Ach, hätte Liebe je dein Herz beglückt,
Du wüßtest, welche Qual ich muß bestehen." -
Und die ersehnte Stunde schlägt. Es ruht
In trauter Dämmrung Alles in der Runde.
Ich führ' am Arm sie längs der Gartensteige.
Frost wechselt ab mit Hitze mir im Blut,
Ich bebe wie ein Kind; die günst'ge Stunde
Enteilt geschwind: sie lächelt, und ich schweige.
(S. 150-151)
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Nächtlicher Spaziergang
Wer uns so sähe, wenn in stiller Feier
Die Nacht schlafwandelnd auf am Himmel steigt
Und nackt, verschmähend alle keuschen Schleier,
Zu ihrem treuen See sich Luna neigt,
Wer dann uns säh' einsam und leise schreiten
Die stillen Gassen flüsternd aus und ein,
Der seufzte neidisch wohl: O sel'ge Zeiten!
Sie lieben sich und bleiben gern zu Zwei'n.
Und doch, die heil'ge Nacht und dort am Himmel
Die alte Jungfer und der Sterne Schaar,
Im Weiher das unzählige Frostgewimmel,
Das unablässig wahrsagt glockenklar -
Sie wissen all: blick' ich zum Monde sehnend
Und seufzest du so recht von Herzensgrund,
Sagst du: 's ist warm! - ich: spät ist's (heimlich gähnend) -
Du: ich bin müd! - ich: schlafen ist gesund!
(S. 151)
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Weihnachten
Des Dudelsacks eintönig Hirtenlied
Macht im Advent die Runde,
Klingt mir vorm Hause, daß der Schlaf mich flieht
In früher Morgenstunde.
Schwermüthig hör' ich durch die öde Luft
Die frommen Weisen irren,
Ein Hund heult durch der Gassen Nebelduft,
Im Wind die Fenster klirren.
Ihr goldnen Kinderträume, froh und jung,
Ihr holden, morgendlichen,
Unschuld'ger Glaube und Begeisterung,
Noch seid ihr nicht verblichen!
Noch gaukelt um mein Bett, so hart und kalt,
Die Hoffnung auf und nieder;
Den Rosen, die ich träumte, kehrt alsbald
Ihr junges Düften wieder.
Auf meine bittren Schmerzen thaut herab
Balsamisch sanfte Kühle;
Die Liebe, der ich einst mein Herz ergab,
Steht neben meinem Pfühle.
Ein Sonnenstrahl glänzt im geliebten Blick
Und kühlt die Herzenswunde,
Und einer süßen Sünde holdes Glück
Bebt heimlich ihr am Munde.
Komm, o Geliebte, komm, leicht wie im Fluß
Hinschwimmen Blütenflocken,
Und nur verstohlen streifen soll mein Kuß
Dir deine seidnen Locken.
Weißt du, warum am Sonnenstrahl im Wald
Der Winter schmilzt zusammen,
Warum dies Herz, wenn deine Stimme schallt,
Bang sich verzehrt in Flammen? -
Da schweigt das Lied. - Der Morgen glänzt so kühl
Durch trübe kleine Scheiben.
Die Träume fliehn, und auf dem kalten Pfühl
Muß ich hier einsam bleiben.
Stumm und verlassen, da das Lied entschlief,
Mit meinem Gram alleine . . .
Ich grüße dich und küsse deinen Brief,
Geliebtes Herz, und weine.
(S. 152-153)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang (darin: Italienisches Liederbuch)
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 4
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 1999
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1889)