Albrecht Rodenbach (1856-1880)
niederländischer Dichter
Der Schwan
Des Himmels Spiegel mild und frisch,
die Luft ringsum erlabend,
so ruht der Weiher mädchenschön
im stillen Sommerabend.
Und friedvoll in der Abendluft
treibt langsam seine Bahn,
beim süßen Schein des Mondenlichts
der träumerische Schwan.
Der dichterische Vogel minnt
des Wassers Mädchenfrische,
sich wohlig badet, spiegelt, trinkt
und lauscht der Plätscherfrische!
Und unbewußt liebt ihn der See
und strählt sein blank Gefieder,
und klatscht ihn leis und spiegelt ihm
zärtlich sein Bildnis wider.
Entsagend und bescheiden in
Bewunderung gezogen,
hat nicht des Vogels reine Minn
die Magdlichkeit betrogen.
übersetzt von Wilhelm Schölermann (1865-1923)
Aus: Vlaemische Dichtung Eine Auswahl im Urtext und in Übersetzung
[Wilhelm Schölermann]
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1916 (S. 121)
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