Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Dante Gabriel Rossetti (1828-1882)
englischer Dichter


Aus: Das Haus des Lebens
Eine Sonettenfolge


Der Liebe Thron

Die MÄCHTE, die verscheuchen Gram und Not,
Sah ich: Die HOFFNUNG mild; die WAHRHEIT klar;
Den RUHM, der neu mit lautem Schwingenpaar
Das EINST entfacht, wenn schon VERGESSEN droht;

Die JUGEND, die verrät im Wangenrot
Und im gelösten langen, goldnen Haar,
Wie süss zwei trauter Arme Kosen war;
Das LEBEN, Blumen windend für den TOD.

Die LIEBE thront bei ihnen nicht, nein, fern,
Fern über Willkommslust und Abschiedsschmerz
In stillen Lauben, kaum geträumt von jenen, -

Ahnt HOFFNUNG auch, kennt Wahrheit auch ihr Herz,
Ist RUHM auch ihretwegen zu ersehnen
Und hat sie LEBEN lieb und JUGEND gern.
(S. 2)
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Bräutliche Geburt

Wie wenn ein Wunsch uns dämmert, wie verklärt
Die Mutter Augen auf dem Säugling ruhn,
So blicktest, Lieb, du lächelnd, als du nun
Die LIEBE endlich sahst, die du genährt.

Mit deinem Leben ward sie dir beschert,
Die durstend, hungernd lang im Dunkel lag
An deinem Herzen, bis an diesem Tag
Ihr endlich volles Leben ward gewährt.

Im Schatten ihrer Flügel schmiegt sich Wange
An Wange jetzt, da sie, erwachsen schon,
Uns treu begleitet: bis bei ihrem Sange

Einst unsre Seele, dann dem Leib entflohn,
IHR Kind wird, wenn des TODES Hochzeitsfest
Uns ihre Aureole leuchten lässt.
(S. 3)
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Der Liebe Testament

O die du wonnig in der LIEBE Stunde
Dein Herz, um das ihr hehres Feuer brennt,
Stets meinem hingiebst als ihr Testament, -
Ich fühl's, es ist der Hauch von deinem Munde

Weihrauch in ihres Tempels tiefstem Grunde
Und wortlos ward sie dein. Was uns getrennt,
Ihr Wille brach es, und dein Mund bekennt:
"Dein bin ich, eins mit dir im süssen Bunde!"

O Preis für mich, Barmherzigkeit von dir
Und für die LIEBE Ruhm, wenn furchtlos du
Der Seufzerstätte Abgrund schreitest zu

Und an der trüben Flut Befreiung mir
Erwirkst, wie aus dem Kerker meinem Geist
Dein Blick den Weg zu deiner Seele weist!
(S. 4)
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Wann seh ich dich am besten?

Wann seh ich dich am besten? Wann im Licht
Anbetung meine Augen bringen dar
Der LIEBE, die durch dich ward offenbar,
Vor ihrem Altar, deinem Angesicht?

Dann? oder wann im Dunkelstunden dicht
Dein Antlitz dämmerhaft sich schmiegt an meins
Und deine Seele, mit der meinen eins,
In Küssen stumm-beredt nur zu mir spricht?

O Lieb, mein Lieb, doch säh' ich dich nicht mehr,
Nicht auf der Erde mehr von dir den Schatten,
In jedem Lenz nicht deiner Augen Bild, -

Wie brauste ob des LEBENS dunklen Matten
Der TODESschwingen Wind dann rauh und wild,
Bis ganz entlaubt der Baum der HOFFNUNG wär!
(S. 5)
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Des Herzens Hoffnung

O könnt' ergründen ich der LIEBE Tiefen,
Durch irgendwelcher Worte Macht, entwich'
Des SANGES Flut vom Strande, so wie sich
Die Fluten einst für Israel verliefen!

Dir sagten, die in mir so lange schliefen,
Die Lieder gern, dass ewig eins für mich
Dein Leib und deine Seele, du und ich,
Und Gott und unsre Liebe. Und beriefen

Sich tausend Herzen sonst auf tausend Dinge, -
In Gottes, deinem und der LIEBE Namen!
Ein liebend Herz brächt' MIR Gewissheit schon;

Zart wie der Schein von Eos' Flammenschwinge,
Stark wie Gefühle, die uns überkamen
Im neuen Lenz um Lenze, die entflohn.
(S. 6)
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Der Kuss

Mag auch der Tod nach diesem Leibe gieren,
Er kann ihn nicht entweihn durch seine Näh,
Kann dieser Seele nicht durch all sein Weh
Die Hochzeitskleider rauben, die sie zieren.

Denn meine Lippen spielten jetzt mit ihren
So süsse Klänge, wie sie Orpheus je
Ersehnte, dacht' er an Eurydike,
Die er durch EIN Zurückschaun musst' verlieren.

Ich war ein Kindlein, da sie mich berührte,
Ein Mann, da ich an meine Brust sie schloss,
Ein Geist, da ich in mir den ihren spürte,

Ein Gott, da Wonneschauer uns durchfloss,
Da jeder Atem unser Brennen schürte,
Bis Glut in Glut (wir Götter!) sich ergoss.
(S. 7)
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Brautnacht

Die Lippen trennten sich mit süssem Schmerz;
Wie von den Traufen nach des Sturmes Wehn
Die letzten Tropfen sinken, kaum zu sehn,
So klopfte jetzt das Blut in beider Herz, -

Wie Blumen, die des Frühlingswindes Scherz
Von EINEM Stamme brach. Die nun vergehn
Einander fern . . . Doch nein, die Lippen flehn
Nach Küssen noch und - sind schon anderwärts.

Denn tief und tiefer sank der Träume Flut
Auf sie, die nun der Schlaf umfangen hielt,
Und ihre Seelen schwammen flutumspielt

Und sahn erstaunt des Tags versunknes Gut -
Von all dem Wunderbaren, das er sah,
Erwacht' er, doch, o Wunder! SIE lag da.
(S. 8)
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Sieg

Die LIEBESgeister, die vorbei hier wehn,
Sehn auf dem liebbesäten Erntefeld,
Des Schlafes ruhn mein Lieb; und Tiefe schwellt
Und ruft der Tiefe; ich nur kann es sehn.

Das Glück, erworben nach so langem Flehn,
Verweilt nun hier. Ich glaub, die LIEBE weint,
Dass endlich dennoch das GESCHICK, ihr Feind,
DIE heilige Stunde wagte hinzumähn.

Die Hand, die warm an meinem Nacken ruht,
Sie weckte Sehnsucht einst und von der Flut
Gelösten Haars, die mir die Brust umnetzt,

Hat eine Locke schon mich neu belebt,
Und an dem Herzen, das für sie gebebt,
Ruht, ein besiegter König, ihres jetzt.
(S. 9)
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Sie und die andern

DIE sind entzückt von den Juwelen schon
Am Gurt der LIEBE und vom süssen Schmerz
Des Goldpfeils, den sie nur verschiesst zum Scherz;
DIE lauschen ihrer Leier Silberton

Und nennen stolz ihn ihrer Schönheit Lohn;
DIE loben, dass sie blind; DIE küssten zwar,
Das gestern sie gebracht, das Flügelpaar,
Doch danken heute ihm, dass sie entflohn.

DU liebst der LIEBE Herz nur, und beglückt
Hat deshalb, Lieb, sie Eintritt dir gestattet
In ihren Zauberhag und Blumengrund.

Da kniet sie und besiegelt, ganz entzückt
Von deinen grauen Augen haarbeschattet,
Ihre Unsterblichkeit mit deinem Mund.
(S. 10)
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Liebesglut und Anbetung

Einer mit Flammenschwingen brachte einen
Mit weissen her, wo traut sie lag bei mir,
Und sprach: "Was will der Unbekannte hier?
Von allen Klängen sind nur lieb die meinen

Der LIEBE Freunden; duldet sonst hier keinen!"
Ich sprach: "Gern lauscht, Oboenspieler, dir
Mein Lieb, doch ist auch lieb die Harfe ihr,
Lieb, wenn sich beider Klänge hold vereinen."

Dann sprach mein Lieb: "Ihr dient mir beide: er -
Der LIEBE ANBETUNG du - ihre GLUT.
Dein Lied weht über sonnenhelles Meer,

Doch dort, wo tief im Hain auf blasser Flut
Das blasse Licht des Mondes zitternd ruht,
Stets mir zum Ruhm klingt diese Harfe hehr."
(S. 11)
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Das Bild

O LIEBE Herrin, du von Lust und Weh,
O LIEBE, gieb, dass unter meiner Hand
Ein Bild, das auch ihr ganzes Innre bannt,
Von ihr zu ihres Namens Preis entsteh':

Dass, wer das Schönste sucht von jetzt und je,
In diesem holden Lächeln unverwandt,
In diesem holden Glanz den Himmelsrand,
Die Meereslinie ihrer Seele seh'.

Es ist gethan. Wie süss' ihr Wort, ihr Kuss,
Bezeugt ihr Mund; ihr schattig Augenpaar
Sieht in Vergangenheit und Zukunft still;

Ihr Antlitz ist ihr Altar. Jeder muss
(Du, LIEBE, gabst mir dies!) nun immerdar
Zu mir erst kommen, der sie schauen will.
(S. 12)
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Der Liebesbrief

Auf dem der Schatten ihres Haars geruht,
Das ihre Hand gewärmt, das sehnsuchtsbang
Ihr pochend Herzchen sie zu schreiben drang,
Des Weisse schön erst durch die schwarze Flut, -

Von ihrem Hauch noch bebend Blatt! es thut
Mir ihre Seele kund dein stummer Sang,
Mit der, als wie im Liede Klang und Klang,
Ihr Mund, ihr Auge harmoniert so gut.

O hätt ich sie gesehn, wie über dich
Sie tiefer sich geneigt und nun empfand
All der Mysterien Schauer in der Brust;

Wie, da sie aufsah, ihre Seele sich
Nach meiner sehnte und sie plötzlich fand
Die holdsten Worte, die ihr Lieben wusst'!
(S. 13)
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Der Liebenden Spaziergang

Schlingheckenblumen, die kein Windhauch regt
Des Junitags; die beiden Hand in Hand; -
Lichtungen; eins dem andern zugewandt; -
Ein Strom, der blau in sich den Himmel trägt;

Und Aug in Aug als Spiegelbild gehegt; -
Zaubrischer Wechsel überm Sommerland
Von Wolk' und Licht; zwei Seelen, überspannt
Vom selben Himmel lächelnd und bewegt: -

So ist's um sie, von denen jedes, traut
Geschmiegt ans andre, nun sein Glück erschaut
Und deren Herzen, treu für immer, nun,

Da LIEB' es will, an ihrem Herzen ruhn,
Wie auf dem Blau der unbewegten Flut
Das Blau des leichtbewölkten Himmels ruht.
(S. 14)
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Der Jugend Wechselgesang

"Ich hab dich lieb, mein Lieb; ahnst du, wie sehr?"
"Ich weiss es, denn ich lieb dich ebenso."
"Weisst du, wie schön du bist?" "Wie bin ich froh!
Denn findest du mich schön, was frag ich mehr?"

"So gross war meine Liebe nie bisher
Und stündlich wächst sie noch." "Das fühl auch ich,
Schien ich auch immer so zu lieben dich."
Und nur mit Küssen unterbricht sie er.

Nie werden ihre Jugendzeit beweinen,
Die, fern den Sorgen, fern dem Weltgetriebe,
So sprechen konnten stunden-, tagelang, -

In Seufzern und im Schweigen hauchte LIEBE
Durch zwei vereinte Seelen dann den einen,
Wonnigen Kehrreim zu dem Wechselsang.
(S. 15)
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Der Jugend Lenztribut

Ich legt' auf diese Bank dein liebes Haupt
Und breit' zu beiden Seiten aus dein Haar
Und werde nun durchs Goldgelock gewahr
Waldblumen, die dem LENZE schon geglaubt.

Doch ist's, als wär' ihm hier der Mut geraubt,
Noch weiter vorzudringen. Ist nicht gar
Noch Schnee die Schwarzdornblüte blätterbar?
Und seine Lauben sind noch unbelaubt.

Schon aber wirkt die Sonne des April.
So schliess die Augen, Lieb, und fühl', indessen
LENZ jeden Zweig durchschauert, wie sich still

Mein Kuss vom Halse wagt zu deinem Munde:
Dem Dienst der Liebe weih ich diese Stunde,
Den kalte Herzen jetzt allein vergessen.
(S. 16)
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Geheime Bande

Saht ihr zwei Sprossen erster Ehe, wie
Das traute Band für sie noch immer währt,
Obwohl vergessne Brüste sie genährt,
Obwohl sie wiegten längst vergessne Knie? -

Des Vaters andre Kinder finden sie
Voll gutem Willen zwar, doch ohne Fragen
Verstehn die beiden sich und was sie sagen,
Bezeugt der Seelen volle Harmonie.

Und so, als ich zum erstenmal dich sah,
Empfand ich, dass dir meine Seele nah
Noch mehr; mein Lieb, als durch das Leben bloss

Und das sie, weiss auch, wo, der Menschen keiner,
In schweigsamdunkler Zeit zugleich mit deiner
Geboren hat derselbe Mutterschoss.
(S. 17)
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Ein Liebestag

Die Stätten, die, beneidet, je sie schauten,
Verachten diesen einsamstillen Ort,
Doch sie sind unbegnadet jetzt: nicht dort,
Hier weilt sie nur. Es scheucht von den Vertrauten

Die LIEBE, deren Zauber uns betauten,
Der fremden Stunden schalen Pöbel fort,
Nur IHRE Stunden füllen ihre Port
Mit süss harmonisch wunderbaren Lauten.

Erinnerungen überbeben nun
Des Mundes holde Liebeslinien ihr,
Bis flammenhell von ihm sich Worte schwingen,

Wie wir hier unter Küssen plaudernd ruhn;
Und wenn wir wieder schweigen, hören wir
Den fernen Ruf von längstvergessnen Dingen.
(S. 18)
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Schönheit

Des Himmelsherzens erster Morgenschlag,
Des Abends letzter rosiger Blütenschaum,
Die Wunder alle an des Maien Saum,
Zu Juni Preis der Chorgesang im Hag

Und was Natur noch Schönes bieten mag,
Wetteifert mit der holden Anmut kaum,
Die Antlitz und Gestalt in diesem Raum
Ihr wechselreich umfloss an diesem Tag.

Jede Bewegung war der LIEBE wahres
Gewand, - hatt' etwas neues Wunderbares
Von Galiotte, Lilie oder Schwan;

Wohl dem nach ihr in Sehnsuchtsqual verlornen,
Doch weh den Augen der noch ungebornen,
Die lesen dies Gedicht und sie nicht sahn!
(S. 19)
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Genie in Schönheit

Schönheit wie deine ist Genie. Ich fand
Durchklungen von Mysterien nicht so sehr
Den Herzensruf von Dante und Homer,
Nicht Buonarrotis nie vergessne Hand.

Der holden Lenzesflur, dem Sommerland
Spendet mehr Segen nicht das volle LEBEN,
Als dein Gesicht; ja, Liebeszauber weben
Sogar um seinen Schatten an der Wand.

Wie viele in der Jugend Dichter sind,
Doch für ein holdgestimmtes Herz ihr Lied
Durch allen Wechsel unbesiegt sich zieht,

So thut die mitleidlose, rauhe Zeit,
Deren Vernichtung nichts, was schön, entrinnt,
Doch deiner Schönheit Wundermacht kein Leid.
(S. 20)
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Stiller Nachmittag

Lieb, deine Hände ruhn im langen Gras, -
Sind Blüten zart die Fingerspitzen nicht?
Du lächelst still. Bald ist die Wiese licht,
Bald matt, verdunkeln Wolken den Topas

Des Himmels. Rings, soweit das Auge mass,
Um unser Nest stehn Butterblumen goldig,
Am Hagdorn wilder Fenchel silberdoldig. -
Sichtbare Ruh, still wie das Stundenglas.

Libelle dort hängt am besonnten Stiel,
Ein blauer Faden, der vom Himmel fiel,
Wie diese Stunde, die er uns beschied.

O, schliess dein Herz an meins zu ewigem Bunde
In dieser wortlos-süssen Liebesstunde,
Da zwiefach Schweigen unser Liebeslied.
(S. 21)
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Mondaufgang

Wie Luna königlicher strahlt, wenn dicht
Gewölk umdunkelt ihren hellen Wagen, -
So leuchtet, wenn das Herz in trüben Tagen
Nach dir sich sehnt, ihm deiner Schönheit Licht.

Was sag ich wohl von diesem Angesicht,
Das, wie ein grosser Stern bei kleinen scheint,
In sich die stumme Lieblichkeit vereint
Von allen Schönen? - Wo Vergissmeinnicht

Und andre Frühlingsblumen noch gedeihn,
Wo goldgekrönte Irisbüschel ragen
Bei blühnden Binsen, stets vom Wind umwoben,

Sah ich Diana zwischen Wolken oben
Und Wellen unten aufgehn und verjagen
Das Dunkel, so wie du der Seele Pein.
(S. 22)
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Liebesseligkeit

Dein Antlitz hold, von ihrem offnen Haar
Beschattet; ihre Arme weich geschmiegt
Um deinen Hals; ein Lächeln, das verfliegt
Und wiederkehrt; ihr Blick so mild und klar;

Ihr selig Flüstern und ihr Lippenpaar,
Das, küsstest du ihr Wange, Hals und Lider,
Und kehrst zurück zu seiner Süsse wider,
Beredter ist, als ihrer jedes war: -

O was ist süsser wohl als dies? Nur eins,
Weil ohne dies so süss mir wäre keins: -
Des Herzens warm Vertraun, der schnelle Flug

Des Geistes und sein sanftes Sinken dann,
Wenn schon sein Fuss auf wolkenhohem Zug
Das Wehn verwandter Schwingen fühlen kann.
(S. 23)
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Des Herzens Zufluchtsort

SIE ist ein Kind manchmal in meinem Arm,
Das Liebe suchen muss in treuer Hut
Von dunklen Schwingen, wo es bangend ruht
Und weint, erfüllt von unsagbarem Harm:

Und oft vor eigner Gramgedanken Schwarm
Such' Zuflucht ICH bei ihr, - es ruht so gut
Mein Herz an ihrem: war erregt mein Blut,
So wird es still, und war es kalt, so warm.

Und LIEBE, nachts ein Licht uns, tags ein Schatten,
Wiegt uns mit Liedern ein in süss Ermatten
Und wendet ab des lauten Tages Speer.

Wie Mondschein glänzt zum Lied ihr Antlitz her,
Und wie dem Mond der Wasser Wogenklang
Antwortet ihr nun unsrer Seelen Sang.
(S. 24)
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Nur eitler Tand

Ich stand, wo LIEBE mir entgegenkam
Mit Eintagsblumen, Früchten nur zur Zier:
Warm und sich drängend folgten Frauen ihr
Und griffen nach dem Schatz. Die eine nahm

Des Schlafes Blüt' und Frucht, - ich war ihr gram,
Die andre griff nach Weingerank, das hier
Symbol der Schande schien, - ich fühlt', wie mir
Da in die Wangen stieg das Rot der Scham.

Gleiches hiess LIEBE meinem Lieb mich spenden:
Ich sah die Gab' - und sah sie taubenetzt,
Ich nahm sie - und, berührt von ihr, schien jetzt

Der Herzensflamme Himmelsfarb' ihr eigen.
Und LIEBE sprach: "So muss in ihren Händen
Auch Tand sich als der Liebe dienstbar zeigen."
(S. 25)
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Jugend

So wie ein Kind den Gram, der uns bezwingt
Um Tote, nicht so fühlt, wie wir, weil klar
Ihm ohne Denken ist: ihr Sterben war,
So wie es ist sein Leben, vorbedingt: -

So lächelt NEUE LIEBE leichtbeschwingt,
Wenn sie der Morgenwind umhaucht, voll Glück
Und, vorwärts eilend, blickt sie nicht zurück,
Wo ALTE LIEBE flieht, von Nacht umringt.

Wechsel bringt jede Stund. Saht ihr nicht schon
Die letzte Primel und den ersten Mohn
Gleichzeitig blühn? O, hat denn nichts Bestand?

Um jede Liebe weh, die von der Hand
Kraftstolze JUGEND fallen lässt so stet,
Wie Rosenkranzes Perlen beim Gebet!
(S. 26)
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Beschwingten Stunden

Es ist jed Stündchen bis zum Stelldichein
Ein Vogel, der von ferne näher schwebt
Ob meiner Seele Wald, der rauscht und webt;
Stets lauter klingt sein Singen durch den Hain.

Doch kommt sie, singt er mir EIN Wort allein,
In dem der LIEBE ganzer Zauber lebt;
Wir Undankbaren! Ach, vom Kuss durchbebt,
Wie könnten stets wir treue Hörer sein?

Doch jene Stunde einst, wann ihretwegen
Kein Lied, kein Vogel mehr mir schwebt entgegen,
Wann ich durch mein entlaubtes Leben zieh

Und im Gedörn die blutigen Federn sehe
Und denk, wie durch entlaubt Gezweig auch sie
Nun fern zum schwingenlosen Himmel spähe - -?!
(S. 27)
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Wonne

Du, deren Kuss noch jenem ersten gleich
Und deren Blick ein Morgenglanz erhellt,
Ein Frühlichtschein für unsre Liebeswelt;
Du, deren Stimme, mehr an Klängen reich

Wie die der Taube, auf die Seele weich
Wie eine Hand sich legt; du, deren Hand
Wie eine süsse Stimme scheucht und bannt
Den Trübsinn, dass er nicht mein Aug beschleich': -

O welches Wort kann deinem Antwort geben
Und welcher deinem Blick, der mein Gesicht
Nun einsaugt, bis ich mich gespiegelt seh

In einem Himmel, ganz umstrahlt von Licht?
Gesteht ein Kuss dir, ein Umfangen je
Liebliches, liebes Lieb, mein Liebesleben?
(S. 28)
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Das Herz

Oft scheinst du nicht du selbst nur, nein, daneben
Von allen Dingen, die da sind, der Sinn;
Ein atemloses Wunder, das weithin
Himmlische Sonnwend kündet Ruh-umgeben;

Ein Wesen, rätselhaft im tiefsten Streben,
Des Mund sichtbarer Klang ist ohne Worte,
Des Aug aufthut der Seele Sonnenpforte; -
Das offenbare Herz von allem Leben.

Dies ist auch LIEBE; und du selbst, mich deucht,
Du heissest so! Der Liebesgott verscheucht
Die Wolken ja der Nacht durch deine Hand,

Dass über ihnen hell dein Auge leucht';
Lächelnd, wie einen Handschuh, wie ein Band,
Gegen dein Herz setzt er die Welt zum Pfand.
(S. 29)
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Seelenlicht

Kann so wie du geliebt ein Weib je sein?
Sieht man auf Erden je dein Ebenbild?
Nach höchster Wonne leuchtet fern und mild
In deinen Augen noch ein zarter Schein,

Wie fern am Ende eines Wegs im Hain
Der Glanz des Tags, und stets noch ungestillt, -
Wie der, der von der LIEBE Händen quillt,
Von Tau und Licht aus ihrem tiefsten Schrein.

Und wie der Mittagssonne Herrlichkeit
Den Wandersmann entzückt, doch auch die Zeit,
Wann hell ihm tausend Sterne blinken zu,

Und die, wann erster Glanz aus Osten bricht; -
Durch Blick und Stimme so bewegst mich du
Mit steter Liebe wechselvollem Licht.
(S. 30)
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Der Stern und der Mond

Liebliche, Dank für deine Lieblichkeit,
Denn holder ist mein Lieb als du. Es zollt
Mein Aug bewundernd dir Tribut und Sold,
Nach deren feingewobnem Lebenskleid

Die LIEBE abzuschätzen sucht, wie weit
Die Herrschaft meiner Liebsten reicht. "So hold
Auch diese Schönheit ist," spricht sie, "ich wollt'
Durch sie erhöhn nur ihre Lenzschönheit."

Ich sah bei ihr dich stehn; wie wenn die Sterne
Umgeben ihre Königin von ferne,
Wetteifernd einer doch ihr kommt zu nah, -

So schwand vor ihrem hellen Glanze da
Dein Schimmer, und das Licht, das so verblich,
Verherrlicht hat es nur mein Lieb, nicht dich.
(S. 31)
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Letzte Glut

Durchglüht ein Sommerabend unsern Sinn
Mit all dem Glanz der heut errungnen Wonne?
Nun sinkt ja dieses Tages Freudensonne,
Das Licht wird mild, die Gluten schwinden hin.

Dein Busen woge sanfter jetzt, wie in
Der LIEBE Port, an meiner Brust geborgen!
Der Schlummer naht, es weichen alle Sorgen
Und Wechselträume sind der Ruh Gewinn.

Viel Tage bringt der WINTER, sonnlos ganz
Oder mit schwachem, kurzem Sonnenglanz,
Der nur den Schnee streut durch die dürren Triebe.

Des SOMMERS Freund jedoch war dieser Tag,
So ganz durchsonnt vom Wohlgefühl der Liebe
Und von des vollen Herzens frohem Schlag.
(S. 32)
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Was ihr eigen

Die Schönheit einer Königin im Bund
Mit sanfter Anmut einer Waldesfee;
Ein Blick wie Himmelsblau in tiefem See,
Wie hyacinthen Licht im Waldesgrund;

Ein selbst im Schweigen holdberedter Mund,
Dem eigen jeder Klang von Lust und Weh;
Wangen so blass, doch zart wie keine je;
Tiefgoldnes Haar; ein Hals dann schlank und rund,

Die Säule des Altars der LIEBE, den
Der Arm umschlingt, sucht ein Asyl das Herz;
Hände, die stets im Dienst der LIEBE stehn,

Und Füsse, die ihr folgen allerwärts: -
Das nennen Worte. Doch nun, Seele, sprich
Leis ihren Namen; das ist mehr für dich.
(S. 33)
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Gleiches Pfand

Mit EINEM Mass miss unsre Liebe nicht!
Bist du durch mich, wie ich durch dich beglückt? -
Es kann nicht sein! Was mich an dir entzückt,
Ich weiss, o Lieb, dass mir es ganz gebricht; -

Du thronst in jedem Herzen hehr und licht,
Gekrönt mit Kränzen, jedem Baum entpflückt,
Die (LIEBE wollt es) noch kein Haupt geschmückt
So zauberisch wie deins. Da widerspricht

Dein Auge sanft mir und dein Mund; du sagst:
"Dich lieb ich weniger nur, wenn du es wagst
Zu glauben, dass ich weniger liebe dich."

Ja, Lieb! Betracht ich deines Herzens Wert
Und nicht die heisse Glut, die meines nährt, -
Dann liebst du tausendmal wohl mehr als ich.
(S. 34)
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Venus Victrix

Thronst herrlich du in schöner Frauen Schar,
Ist Juno hoheitsvoller dann als du?
Und Pallas, liesest du in Herzensruh
Ein Buch, nun goldbeschattet durch dein Haar?

Bist du nicht himmlischhold wie Venus gar,
Schwebt ob der Liebeswonne Meer dein Wort,
So süss wie letzter Woge Murmeln dort,
Schwebt hin dein Blick, dein Lächeln wunderbar?

Vor so dreifacher Schönheit frag ich denn
Voll Ehrfurcht, welche Göttin nach dem Preis,
Der dein ist, hier am meisten strebt. Ganz leis

Haucht LIEBE deiner Namen süssesten
Und Venus Victrix führt dem Herzen da
Sich selbst zu, ihres Lohnes Helena.
(S. 35)
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Ich und die Liebe

Nicht kenn ich all mein Lieben, Lieb, für dich:
Wie sollt ichs auch, da ich selbst nicht erkenn
Das Morgen aus dem Gestern? Fass ich denn
Geburt und Tod, die so wie Fenster sich

Öffnen auf eine laute See, die mich
Bestürmt mit Braus und Gischt der Brandungen,
Und Liebe fasst ich, - die ich Vorpost nenn
Der Ewigkeit?! O siehe, was bin ich

Zur LIEBE, ich zur Allbeherrscherin?
Nur eine Muschel, die sie liest vom Sand,
Ein Flämmchen nur, geschützt in ihrer Hand.

Durch deine Augen doch fühlt sich mein Sinn
Berührt von ihrer Macht, die so erkannt
Kein Leben hat seit ihrem Urbeginn.
(S. 36)
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Des Herzens Leuchte

Oft fänd in dir ich einen Fehler gern,
Damit ich gut dir trotz des Fehlers bliebe:
Doch kann je mindern deinen Preis die LIEBE,
Die sie erschuf als aller Frauen Stern?

Sie macht nur, dass ich ganz erkennen lern,
Unwürdig sei mein Herz, dass in dem dunkeln,
Wie im Basalte Chrysolythe funkeln,
Mein Lieb, so hell du strahlst. Doch ist mir fern,

Deshalb zu bangen; selbst will ich vielmehr
An dem Altar der LIEBE, die mich hehr
Umleuchtet, deines Herzens Edelstein

Einschliessen in das enge Kämmerlein:
Denn sieh, mein Lieb, da du so herrlich bist,
Zeigt ja mein Herz mit Stolz, wie arm es ist.
(S. 37)
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Leben in Liebe

In deinem Körper ist dein Leben nicht,
In ihren Lippen, Händen, Augen bloss;
Durch sie belebt sie, was im dunklen Schoss
Des Todes lag, von Leben fern und Licht.

Sieh ohne sie dich an: ein Nachtgesicht
Und öde scheint dir nun dein früher Los,
Ein jeder Atemzug ein Todesstoss
Für Stunden, denen aller Wert gebricht.

So ist selbst in der armen Locke Leben,
Die du bewahrst, es zeigt die Liebe dir
In ihr des Herzens einst so glühend Streben;

Und heimlich dauert fort dies Leben hier,
Wenn längst des ganzen Haares goldne Zier
Der wechsellosen Nacht anheimgegeben.
(S. 38)
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Der Liebesmond

"Erreicht das Antlitz, das dir einst geblüht,
Das tot in längstvergangnen Jahren ruht,
Nun kaum noch, dass von der Erinnrung Flut
Auf deine Seele EINE Thräne sprüht, -

Wie kannst du ihr, für die du jetzt erglüht,
Denn in die Augen sehn? O sag mir, spricht
Der LIEBE Augentrost in ihnen nicht
Stets von begrabnem Treupfand dem Gemüt?"

"Mitleidige LIEBE, liebend MITLEID, nein!
Du weisst ja wohl: bekannt hat diesen zwein
Zwei Klänge deiner Glocke meine Brust.

Werden sie, Herrin, nicht dem TOD bewusst
Als höchste Phasen einst des Mondes sein
Der LIEBE, der zu IHR mir leuchten musst?"
(S. 39)
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Des Morgens Botschaft

Ich sprach: "Du nennst dich HEUTE, Schemen du?
Des GESTERN Sohn, so hässlich von Gesicht!
Kann bleicher noch das MORGEN sein? Bericht!"
Da ich noch sprach, gab Antwort mir die Ruh:

"Ja, düstrer wird von nun an immerzu
Und bleicher unsre Schar; so trüb ist nicht
Vorjähriges Laub bei Blüten frisch und licht,
Die Nacht nicht, die der Tag zerreisst im Nu."

Da rief ich: "ERDE, Mutter aller Not,
Nimm in dein Bett mich auf, dann bin ich frei!"
Doch bebend sprach die Ruh: "Dein Lieb gebot

Mir, einen Gruss zu bringen dir, ja, zwei, -
Nun ist dein Leben wieder hell; und drei, -
Nicht wahr, nun ist des Todes Schatten tot."
(S. 40)
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Schlaflose Träume

O Nacht, wie Jugendnächte sehnsuchtreich,
Dunkle, von EINEM Stern durchblitzte Nacht!
Schlägt nicht mein Herz durch deine Zaubermacht
Des jungen Weibes Fingerpulsen gleich,

Vom goldnen Ring belebt? Wer streift so weich
Mit Schwingen über meine Kissen sacht?
Warum blickt SCHLAF, da LUST und LEID noch wacht,
Auf mich nur aus der Ferne scheu und bleich?

O täuschte, dichtbelaubte Nacht, in dir
Mir LIEBE wohl ein schattig Wäldchen vor,
Wo Ruh das Auge labt, Musik das Ohr?

Einsame Nacht! scheinst du kein Dickicht mir,
Behängt mit Larven, o so grinsend jetzt,
Das nur der Thränen warmer Tau benetzt?
(S. 41)
_____



Getrennt

Zwei nun getrennte Schweigen, Stimme findend
Erst, wenn vereint; zwei Blicke, die voll Glück
Erst leuchten, strahlen sie sich selbst zurück,
Nun Sterne, hinter dunklen Bäumen schwindend;

Zwei Hände, glücklich nur, wenn sich verbindend;
Zwei Herzen, die wohl gegenseitig flammen,
Doch eins erst werden, wenn sie nah beisammen;
Zwei Seelen, ihre Ferne stets empfindend: -

So sind wir jetzt. O wird uns wieder je
Ein Stündchen, da auf unsrer Liebe Fluss,
Verdunkelt nun, ein heller Lichtstrahl blickt?

Ein Stündchen, das, gekommen kaum, vergeh, -
Das blüht und welkt und nur uns lassen muss
Den Traum, so matt wie Blumen, die geknickt.
(S. 42)
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Durch Tod zur Liebe

Wie Mondgewölk, das, müde von dem Streit,
Verfliegt vor weither wehnden Winterwinden, -
Wie nächtiger Flut vielartig Steigen, Schwinden, -
Wie Schrecken dumpfen Meers zu gleichen Zeit

Mit dem rauhstimmigen Feuers, - sehn wir beid
Im Spiegel, im von unsrem Atem blinden,
Bilder des TODES schrecklich sich verbinden,
Untiefen, Schatten vor der Ewigkeit.

Gegen des TODES Dunkel doch erhebt
Sanfter wie Stromgeflut und Taubenflug
Sich eine MACHT, die naht und drüber schwebt.

Kein Thor begrüsste, keine Schwelle trug
Wie deinen je so feuerschwingigen Gast,
Mein Herz, das du zur Herrin LIEBE hast!
(S. 43)
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Die eingeholte Hoffnung

Grau schien dein Kleid mir, meine HOFFNUNG, schon,
Da fern du warst, doch nun, da ich zu dir
Endlich den Weg durchmass, stehst du vor mir
Im grünen, wie in Tagen, längst entflohn.

O Gott, die Furcht, das Bangen, die mir drohn
Auf jedem Pfad, auf dem ich schritt mit IHR,
Wo einst auf Hecken oder Wasser wir
Vereint sahn unsre Schatten! Doch nun lohn

Mir, HOFFNUNG, deine Augen liebend zu
Wie ihre - eins mit LIEBE bis ja du! -
Lehn dich an mich! Die uns die Füsse wärmte,

Die Sonne strahlt uns nur das Haar noch licht.
O Stimme, die verscheucht, was je mich härmte,
Wie ihre! Abend ist's, verlass mich nicht!
(S. 44)
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Liebe und Hoffnung

Der HOFFNUNG und der LIEBE Preis! Der Trieb
So mancher Jahre ward des Zeitsturms Raub;
Umschlungen knieten wir im welken Laub
Und weinten viele Thränen. Doch vergieb!

DIE Stund, des FRÜHLINGS Freundin, die uns blieb,
Lockt uns auf grünen Seitenpfad und glaub:
Nur jene Jahr und Thränen wurden Staub: -
Der HOFFNUNG und der LIEBE Preis, Treulieb!

Denn wir sind hier. Frag, an mein Herz gezogen,
Nicht diese Stund, ob einst das Herz allein
Der LIEBE goldnes Haupt als Sonnenschein

Im ewigen Lande sieht, vom Tod erwacht,
Oder, voll Hohn dann, in der dumpfen Nacht
Der HOFFNUNG Augen nur, die dich betrogen.
(S. 45)
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Wolke und Wind

Fürcht ich den Tod gleichmässig für uns beid?
Wohl, wenn du stirbst, kann ich in meinem Weh
Dir folgen, Lieb; doch, ach, wer dringt mir je,
Bevor ich Ungewissem mich geweiht,

Ein Wort ab von der Nacht, das mich befreit
Vom Zweifel, ob, wenn ich so zu dir geh,
In deinen Augen nicht ein dumpf Ade,
Sonnlose Kreise öder Ewigkeit?

Sterb aber ich vor dir, ist dann der Tod
Ein Turm, von dem mein Aug dich noch erspäht,
Oder ein Bett, wo solcher Schlaf mir droht,

Dass nicht bewusst mir wird (starb ich zuerst)
Die Stund, in der, mein Lieb, auch du erfährst:
Nie erntet LIEBE, was die Hoffnung sät! -!
(S. 46)
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Heimlicher Abschied

Da wir von Mondeszug und Wolkenflor
Des SCHICKSALS-Angesichtes sprachen, - träumte
Ihr Auge fernem Ziele nach und säumte
Ihr Kuss erbebend an dem Liebesthor.

Doch als ich sagt, wie schnell der Freuden Chor
Entflieht, die selbst vernichten Stund auf Stund, -
Im Kuss zu ihrer Seele ward ihr Mund,
Dürstender traf ihr Blick mich als zuvor.

Wie wir seither gewandert, wie gestrebt,
Mit sichern Schwüren uns das Heim gebaut,
Wo nachts der Schlaf weilt und Erinnrung tags, -

Weiss der nur, dem der LIEBE Dach des Hags
Tiefstill Geheimnis, das kein Glockenlaut
Der Welt verrät, wo sich kein Turm erhebt.
(S. 47)
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Da sie starb

Was sagst von DEM durchkämpften Tage du
Und von dem Schreckenssiege dieser Nacht,
Bestürmt von deiner Feinde ganzer Macht, -
Jetzt, da sie fern und um dich öde Ruh?

Die Stunden fliehn, ich weiss nicht, was ich thu, -
Ein jeder Sinn, der einst durch sie erwacht,
Strebt einsam jetzt aus heller Tagespracht
Dem trüben Sonnenuntergange zu.

Steh still, du Armer! während licht und hold
ERINNERUNG vor dir das EINST entrollt
Und in den Geist dir ihre Worte schreibt:

Bis jähe Sturmflut plötzlich sprengt die Wehre
Und sich ergiesst in deines Herzens Leere
Und dir das Herz bricht, doch der Körper bleibt.
(S. 48)
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Unterbrochene Musik

Die Mutter, der es dünkt, zum ersten woll'
Ihr Kind sie NENNEN, wendet sich nicht ab,
Sitzt atemlos und blickt aufs Kind hinab
Mit offnen Lippen und sie horcht, als soll'

Es nochmals rufen. Also zweifelvoll
Oft horchte meine Seele, bis der Sang
Zu Worten ward, der stumm war tagelang,
Und süss Musik und süss die Thräne quoll.

Wenn diesem Flüstern jetzt die Seele lauscht,
So wie man in die Muschel horcht, in der
Ein leises Echo noch des Meeres rauscht, -

Nur deine Stimme hört sie, Sang nicht mehr,
O liebes Lieb, und sie gewann allein
Des unerlaubten Betens Qual und Pein.
(S. 49)
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Tod in Liebe

Da kam ein Wesen in des LEBENS Zug,
Das ganz der LIEBE Flügel und Panier
Und drauf gestickt ein holdes Bild von dir,
Im Herzensgrund gehegtes Antlitz, trug,

Durchweht von Klängen, wirr wie Lenzwindflug.
Ich fühlte seine Macht im Herzensgrunde
Spurlos wie die für stets vergessne Stunde,
Da einst ans Ohr der erste Ton mir schlug.

Verhüllt folgt' einer ihr, das Banner faltend
Und eine Feder vor den Mund ihr haltend,
Die ihm der Träg'rin Schwinge selber bot,

Und als er merkte, dass sie reglos bliebe,
Sprach er zu mir: "Kein Hauch! Sieh, diese LIEBE
Und ich sind eins, - ich aber bin der TOD."
(S. 50)
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Im Weidenwald I

Zur Flut geneigt an einer Quelle Rand
Sass ich, und LIEBE war bei mir, im Hain,
Sie sprach kein Wort, sah mich nicht an, allein
Was sie mir heimlich sagen wollt, gestand

Die Harfe mir, berührt von ihrer Hand.
Stumm traf sich unsrer Augen Widerschein
Im Wasser. Manche Thräne fiel hinein,
Denn diese Klänge schienen mir bekannt,

Bekannt die Augen unten in der Flut!
Sprühtropfen kühlten, da der LIEBE Schwingen
Den Quell nun streiften, meines Herzens Glut;

Die dunklen Wellen wurden wellig Haar;
Ich beugt mich tiefer und an meinen hingen
Die Lippen jener, die so lieb mir war.
(S. 51)
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Im Weidenwald II

Da sang die LIEBE; doch es war ein Sang
So halb-erinnernd, dass er jenem glich
Der Seelen, die im dumpfen Tode sich
Nach Auferstehung sehnen, ach, wie lang!

Und an den Bäumen sah ich bei dem Klang
Gestalten viel; die blickten stumm auf mich
Und waren hundertfältig sie und ich,
Die Schatten ferner Tage trüb und bang.

Sie sahn uns an, erkannt und uns erkennend,
Und sah den Kuss, der, in der Seele brennend,
Ihr galt, die hier entstiegen aus dem Tod;

Da liess das Mitleid mit der eignen Not
Sie klagen: "Ach, noch diesmal, dann nicht mehr!"
Indess die LIEBE sang. Ihr Sang war der: -
(S. 52)
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Im Weidenwald III

"O, die ihr wandelt all im Weidenwald
Mit hohlem, brennendweissem Angesicht
In Seelenwitwenschaft so tief, so kalt, -
Wie lang, wie lang umgiebt die Nacht euch dicht,

Bevor ihr wieder, die umsonst ihr 'Halt'
Der letzten Hoffnung zurieft und noch nicht
Das Glück vergessen konntet, dem sie galt,
Bevor, bevor ihr wieder seht das Licht!

Im Weidenwald die bittren Bänke sind
Von Thränenwolfsmilch fahl, von Blutkraut rot:
O könnte solch ein Pfühl in Schlaf gelind

Die Seele wiegen, wiegen in den Tod, -
Viel besser sie für stets vergessen bald,
Als dass sie wandeln muss im Weidenwald!"
(S. 53)
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Im Weidenwald IV

So sang sie; und wie erst bei Tagesschluss
Die Rosen, die der Wind sich näher weht,
Von ihren Herzen auf das Blumenbeet
Die Blätter sinken lassen, starb der Kuss

Mit ihrem Liede erst; und in den Fluss
Der Wellen sank zurück ihr Antlitz stet
Und grau wie ihre Augen. Wer verrät,
Ob meinem stets es ferne bleiben muss?

Ich weiss allein, dass tiefgebeugt ich trank
Vom Wasser, wo ihr Atem, ihre Thräne,
Ihr Antlitz, ihre Seele mir versank,

Und dass ich fühlt, das Haupt der LIEBE lehne
An meinen Nacken sich in herbem Leide,
Bis ihre Aureol' umfloss uns beide.
(S. 54)
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Ohne sie

Was ist ihr Spiegel ohne sie? o sag!
Der graue Teich im blassen Mondenschein.
Was ohne sie ihr Kleid? Gewölk allein,
Dem Glanz zu geben erst der Mond vermag.

Was nun ihr Weg? Ein Lichtreich, das erlag
Der öden Nacht. Was, da sie nicht mehr mein,
Ihr Pfühl? Ach, Thränen nur der Sehnsuchtspein
Und kaltes Übersehn von Nacht und Tag.

Was ohne mein Herz, mein armes Herz?
Was sag ich noch von ihm, das für sie schlug?
Ein Wandrer ist es, der in herbem Schmerz

Durch Frost und Dürre einsam zieht, ermattet,
Wo langer Wald und langer Wolkenzug
Den steilen Hügel doppelt überschattet.
(S. 55)
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Liebesverhängnis

Die LIEBE und vergeblich LIEBESSEHNEN,
Gefesselt aneinander Hand an Hand
Sah ich sie stehn, vom Leben nun gebannt:
In diesen Augen stürmischwildes Wähnen

Gleich einer Feuerwolke, wie in denen
Des Wünschelgängers, der durch Zaubermacht
Umsonst die Schatzfundhöhle jede Nacht
Zu öffnen sucht, - und Himmelsblau in jenen.

Sein Mund, wie Flammen zuckend, rief ihr zu:
"Ach, LIEBE, so gefesselt nun an mich!
Einst frei, beschwingt an Fuss und Schulter, du

Und längst in Ketten zahm geworden ich, -
Wir streben voneinander nun vergebens -
LIEBESVERHÄNGNIS, eisern Herz des LEBENS!"
(S. 56)
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Totgeborne Liebe

Die Stunde, die von ihren beiden Seelen
Erzeugte, die das Leben schon verlor,
Noch eh ein Laut des Lebens traf ihr Ohr, -
Wo mag sie nun die müden Jahre zählen?

Die Sklavin, der die Wonnen alle fehlen,
Seufzt irgendwo und schweigend lauscht sie vor
Der LIEBE Haus dem Echo durch das Thor
Von der erwählten Stunden Preischorälen.

Doch endlich, sieh, betreten Hand in Hand
Zwei Seelen, nun vermählt, den ewigen Strand
Mit Augen von Erinnrung hell durchglommen!

Und die verworfne, kleine Stunde lief
Zu ihnen hin und sah sie an und rief:
"Seht euer Kind! O Eltern, ihr seid kommen!"
(S. 57)
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Echte Weiblichkeit I
Sie

Süsser zu sein  als je der FRÜHLING war;
Und schöner als der wilde Rosenstrauch,
Der auf dem Hügel schwankt im Windeshauch;
Mehr zu entzücken als der Sang so klar

Der Nachtigall; mehr zu berauschen gar
Als neuer Wein; und all dies und noch mehr
Unter des sanften Busens Schwellen, der
Die Lebensblume ist, - wie wunderbar,

Das, was dem Mann Geheimnis ist, zu sein!
Schliesst ihrer Seele Gut an Lust und Weh,
Ihr reinstes Glühn der Himmel selbst doch ein,

Unsichtbar, wie den Perlenschatz die See
Und wie Schneeglöckchens weisse Kelchblättlein
Das Herz, das grüne, unter ihrem Schnee.
(S. 58)
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Echte Weiblichkeit II
Ihre Liebe

Ihr Herz ist LIEBE und ihr Leitstern er:
Sie liebt ihn. Wie ein Spiegel spiegelt rein
In ihr die Liebe seiner Wonne Schein
Und strahlt die Glut zurück. Doch möchte wer,

Dass seiner Liebe Flamme auch so hehr
In ihm sich spiegle, plötzlich wird er sein
Eis vor dem Mond; es birgt ihr Herz allein
Das Feuer, das für IHN brennt, keines mehr.

Sieh, sie sind eins. Sie heisst an seiner Brust,
In seinem Arm willkommen alle Lust
Der Liebe und erwidert seine Gluten:

Doch wenn im Morgenschein die Lande ruhten,
Wer sagt, dass sie nicht stets noch schöner fand
Das schwesterliche, süsse Hand-in-Hand?
(S. 59)
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Echte Weiblichkeit III
Ihr Himmel

Ist altern (wie es sagt des Sehers Wort)
Im Himmel einst jung werden, immerdar
Gesegnet ER dann, dessen Himmel war
Die Reine, der er sang. Denn hier und dort

Sind ihrer Stimme Saitenspiel-Accord,
Der Himmel ihres Blicks, die Zeichen gar
In ihrer Seele tiefstem Sanktuar
Ihm Paradiese selbst am fernsten Ort.

Gleich Blumen blüht und welkt das Morgenrot
Und reinste Treue selbst besiegt der Tod.
Verheissung doch des Himmels wird sie kleiden,

Sie, die EIN Liebesmerkmal stets gehegt: -
In jedem Kusse fühlten ja die beiden
Den ersten noch, den letzten schon bewegt.
(S. 60)
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Die letzte Gabe

Ein Blatt hielt LIEBE ihrem Sänger hin
Und sprach: "Der Rosenstrauch, der Apfelbaum
Prunken mit Früchtelast und Blütenschaum;
Und Garben sind mit goldnen Speeren drin

Des Erntemarschalls SOMMER Siegsgewinn;
Selbst auf des warmen Meeres Klippengrund
Blühn unverletzlich Pflanzen seltsam bunt.
Doch siehst du, dass ich ohne Blumen bin.

Ich gab dir jede süsse Liebesblume,
Da LENZ und SOMMER sang; der HERBST jedoch
Hört auf zu lauschen; schmerzlich klagt nur noch

Der Wind sein Weh. Nur diesem Lorbeer hier
Drohn WINTERtage nicht: nimm ihn von mir
Als letzt Geschenk; dein Herz sang mir zum Ruhme."
(S. 61)
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Übersetzt von Otto Hauser (1876-1944)

Aus: Dante Gabriel Rossetti
Das Haus des Lebens. Eine Sonettenfolge
Aus dem Englischen von Otto Hauser
Verlegt bei Eugen Diederichs Leipzig 1900



 

 


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