Ferdinando Russo (1866-1927)
italienischer Dichter
Die Madonna mit den Mandarinen
Führt ein Engelchen im Himmel
Sich nicht auf, wie sich's gebührt,
Wird es auf Befehl des Herren
In ein dunkles Loch geführt.
Und der Herr spricht zu 'nem andern:
Ruf mir gleich Sanct Peter her!
Und Sanct Peter kommt gelaufen:
Was giebt's Neues, lieber Herr?
- Einen kleinen Engel sperrt' ich
In ein dunkles Zellchen ein.
Setz ihn mir auf Brod und Wasser,
Denn er ist ein Sünderlein. -
Und Sanct Peter senkt die Stirne,
Murmelt: Ja, Herr! vor sich hin,
Und der Herrgott: Vierundzwanzig
Stunden - hörst du - bleibt er drin.
Doch das Englein in der Zelle
Lamentiert und jammert sehr.
Lieber Herrgott, sagt Sanct Peter,
Nehmt's für diesmal nicht so schwer.
- Nein, so ist mein fester Wille,
Sagt der liebe Gott. Schweig still!
Drüber ging' es sonst und drunter;
Hier geschieht nur, was ich will. -
Und Sanct Peter schleicht von hinnen.
In dem dunklen Kämmerlein
Hört man den gefangnen Kleinen
Weinen und um Gnade schrei'n.
Aber die Madonna, wiegt die
Nachts das Paradies in Ruh,
Steckt ihm heimlich und verstohlen
Ein paar Mandarinen zu.
(S. 388-389)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang Neue Folge
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 5
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 2002
(Nachdruck der Ausgabe Stuttgart Berlin 1905)