Jacopo Sannazaro (1458-1530)
italienischer Dichter
Die abgeschiedene Geliebte
an den zurückgebliebenen Geliebten
(Sonett)
Verlebt hab' ich mit dir der Jahre viele,
Du weißt mit welcher Liebe, mein Gefährte,
Da kürzt' der Tod den Faden mit dem Schwerte,
Erlöste mich vom ird'schen Truggewühle.
Bin ich beglückt gelangt zum sel'gen Ziele,
So schwür' ich, daß der Tod mir Lust gewährte,
Wenn nicht um dich der Kummer mich verzehrte,
Der du noch weilst im tiefen Schmerzgefühle.
Doch wird die Tugend, hoff' ich, dich geleiten,
Womit der Himmel glänzend dich umgeben,
Wenn du zum dunkeln Abgrund einst mußt wallen.
Drum klage nicht, stets bleib' ich dir zur Seiten,
Und schön und kräftig endigt sich dein Leben,
Bleib' ich bei dir dann in der Sel'gen Hallen.
(S. 234)
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Nachruf an die Geliebte
(Sonett)
Der schönen schönste Seel' ist hingeschieden,
In ihrer Jugend frischer schönster Blüthe:
Sie weilt, hoff' ich, auf himmlischem Gebiete,
Und glänzt in ihres holden Sternes Frieden.
O Gott-Geliebte, dienstbar Ihm hienieden,
Die vor der Zeit im Diesseits uns verblühte,
Du bist entrückt des irdischen Leids Gewüthe,
Und sprichst und winkest mir auch abgeschieden.
O reich' die Hand dem ganz betrübten Geiste
Und ruf' ihm: "Stehe auf! Laß ab vom Klagen!"
Drum fleh' ich dich, o meines Lebens Säule;
Ach, zaud're nicht, genug der Zeit entkreis'te,
Das Grün schwand längst schon meinen spätern Tagen,
Ach komm' dem unermeßnen Weh zum Heile!
(S. 234-235)
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Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]