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Sir Thomas Wyatt (1503-1542)
englischer Dichter
Die spröde Geliebte
Erwache, mein Gesang, vollende,
Nun was ich angefangen, ende
Das Letzte zwischen dir und mir!
Und ist das Lied vorbei, dann wende
Zur Ruhe dich, aus ist's mit dir.
Ein Wort an den, der taub geblieben,
Ein Bleistiftsatz auf Stein geschrieben,
Blieb, was ich auch gesungen ihr.
Warum sich denn noch mehr betrüben?
Nein, mein Gesang, aus ist's mit dir!
So grausam lassen nicht die Wellen
Die Felsen gegen sie zerschellen,
Wie meiner Liebe Strom sie mir.
D'rum hab' ich nichts mehr zu bestellen,
Und mein Gesang, aus ist's mit dir!
Es mag dein stolzer Busen wogen,
Weil Amor's Pfeil so oft geflogen
In Herzen, die sich weihten dir;
Doch denke nicht, es ruht sein Bogen,
Obwohl es gänzlich aus mit mir.
Für dein Verachten trifft dich Rache,
Zum Spiel machst du die ernste Sache,
Doch wisse, dass auf Erden hier
Die Strafe für die Spröden wache,
Obwohl es gänzlich aus mit mir.
Vielleicht wirst du verblühn, veralten
Und in der Winternacht, der kalten,
Umsonst dem Monde die Begier,
Die schweigen muss, nicht vorenthalten;
Wer hat dann Lust? Aus ist's mit mir!
Dann mag es sein, dass dich gereuet
Die Zeit, die nutzlos du zerstreuet,
Indess so Mancher seufzte dir;
Du siehst die Schönheit nicht erneuet,
Und Sehnen füllt dich dann gleich mir.
Nun still, mein Sang', ich hab' vollendet,
Und unser Werk ist nun beendet,
Das letzte zwischen dir und mir.
Zur Ruhe sind wir jetzt gewendet,
Sei still, mein Sang, aus ist's mit dir!
Übersetzt von Alexander
Büchner (1827-1904)
Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 78-79)
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