Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Sir Walther Raleigh (1552-1618)
englischer Dichter


Laura's Gruft

Mich däucht', ich sah die Gruft, die Lauren barg,
In jenem Tempel, wo vestalisch Feuer
Einst brannt', und als ich hinging nach dem Sarg,
Dem Staub, des Ruhm fortlebt im Grabesschleier,

Wo rein're Lieb' und rein're Tugend wachte:
Sah auf einmal der Elfen Fürstin ich,
Sah, wie ihr Bild den Geist Petrarkens weinen machte,
Und wie das Wächterpaar sofort entwich;

Denn dieser Fürstin folgt es: Jener Stelle
An Lauren's Gruft nahm das Vergessen ein.
Da blutete des Grabes Felsenzelle,

Und bis zum Himmel drang verscharrter Seelen Schrei'n,
Der Geist Homer's mit zitternd-bangen Mienen
Flucht', dass die Himmelsdiebin dort erschienen.
(S. 88)

Übersetzt von Johann Gottlieb Regis (1791-1854)

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Der Schäfer an die Blumen

Ihr Veilchen, holder Liebe Paradies
Rief des bescheid'nen Kelches süßen Duft
Hervor in reicher Welle;
Der sanfte Wind alsdann ihn auf die Flügel nahm,
Der leicht durch's Thal sich schwingt!
Wenn durch der Sterne Gunst glückselig ihr erringt
So große Huld, die Brust zu schmücken meiner Dam',
Seid stolz auf eure Stelle;
Wenn ihre Wärme euren Düften ruft,
So haucht sie an holdselig, sanft und süß;
Ihr, blüh'nder Wiesen Stolz, zu euch ich fleh',
Ihr Töchter schön von Erd' und Sonnenlicht,
Klagt ihr mit duft'gem Hauch das stille Weh',
Den schweren Seufzer, der das Herz mir bricht!
(S. 13-15)

Übersetzt von Louise von Ploennies (1803-1872)

Aus: Britannia. Eine Auswahl englischer Dichtungen
alter und neuer Zeit
In's Deutsche übersetzt von Louise von Ploennies
Mit beigedrucktem Originaltext
Frankfurt a. M.
Verlag der S. Schmerber'schen Buchhandlung 1843

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Der Nymphe Entgegnung
(Percy I. p. 219)

Wär' die Welt und Lieben immer jung,
Und Wahrheit auf des Schäfers Zung',
Wohl regte solche Lust den Trieb,
Bei dir zu leben, als dein Lieb!

Doch, sucht die Heerde Dach und Fach,
Wird kalt der Felsen, rast der Bach:
Dann wird auch Philomele stumm,
Ob nah'nder Sorge klagt's ringsum!

Die Blume welkt, im üpp'gen Feld
Gericht der strenge Winter hält;
Ein Honigmund, ein gallisch Herz
Ist Lenzeslust und Winterschmerz.

Dein Kleid, dein Latz, dein Rosenbettchen,
Die Schuhe, Häubchen und Bouquetchen
Vergehen bald; sie sind nur wichtig
Für Thorheit, für Vernunft doch nichtig.

Dein Gurt aus Stroh und Eibenschoß,
Dein Ambraknopf, Korallenschloß, -
Dies Alles regt nicht meinen Trieb,
Bei dir zu leben als dein Lieb!

Blieb' Jugend frisch und Liebe neu,
Zeit ohne Leid, Freud' ohne Reu':
Wohl regte solche Lust den Trieb,
Bei dir zu leben, als dein Lieb!
(S. 110-111)

Übersetzt von Adolph von Marées (1801-1874)

Aus: Alt-englische und schottische Dichtungen
der Percyschen Sammlung
übersetzt von Adolph von Marées
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1857
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