Juliusz Slowacki (1809-1849)
polnischer Dichter
Tausendschön
Manch' Tausendschön mit weißem Blütenstern
Zerzupft' ich, wünschend, jedem Lauscher fern,
Und doch vor Menschen, meine Lust und Qual,
Zu hören nur: "Sie liebt Dich!" tausendmal.
Manch Tausendschön zerzupft' auch Deine Hand,
Wenn wandelnd unter Linden, ich Dich fand;
Verstohlen sagte jedes Blatt für mich:
"Von Herzen" und "Mit Schmerzen" liebt er Dich!
Doch seit geschieden uns zur Rosenzeit,
Von Neidern angeschürt, der böse Streit,
Ein Blättchen um das andre zu mir spricht:
"Ein Wenig" liebt sie Dich; und dann - "Gar nicht!"
Heut irrt ich einsam hier auf Felsenhöhn,
In weiter Ferne, jeder Hoffnung bar,
Als all mein Sehnen weckt' - ein Tausendschön,
So weiß, wie jenes unter Linden war.
Als ich's zerzupfte, flogen hoch im Blau
Vom Fels die Blättchen über Flur und Au -
Weißt Du, welch' Trost das letzte Blatt mir bot?
"Sie liebt Dich, kann's nicht lassen" bis zum Tod.
Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)
Aus:
Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889 (S. 425)
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Ob auch geschieden
Ob auch geschieden, sind wir Eins im Geist:
Mein Sehnen dich als weiße Taub' umkreist,
Und bringt mir Kunde, wann Du weilst im Hain,
Und wann Du - weinst im stillen Kämmerlein.
Ich weiß, wann Deiner Thränen Ebb' und Flut,
Wann Menschenunbill wallen macht dein Blut:
Ich seh' dich allwärts wie den Abendstern,
Der rosig mir entgegenblinkt von fern.
Kann auch mein Auge jetzt dich nimmer sehn,
Mein Geist sieht dich durch Haus und Garten gehn,
Er sieht dein Antlitz, deine weiße Hand,
Und unter Bäumen schimmern dein Gewand.
Du weißt nicht, wie man zaubert sich ein Bild
Aus Mond- und Sonnenstralen, licht und mild;
Wie man ein Stück vom blauen Himmel trennt
Es unters Fenster legt und - See benennt;
Wie man in gleiche Hälften theilt dies Blau:
Bei Tag durch Berge, Nacht durch Klippen, grau,
Mit Wolken dann das Felsenhaupt bekränzt,
Daß, wie durch Flor, im Mondlicht es erglänzt;
Du weißt nicht, wo das Sternbild stieg empor,
Das ich zum Liebeswächter mir erkor,
Als über'm See, von Bergesnacht umgraut,
Ich - deines Fensters Doppellicht erschaut.
Wie lieb ich dieses Sternbild über'm See,
Das bald wie Blut so roth, bald weiß wie Schnee,
Doch heut so traurig, wie es gestern war -
Denn heut wie gestern sah ich's - immerdar!
Ob auch du selbst erloschen meinem Blick,
Ob auch geschieden uns ein Mißgeschick -
Kaum wir verstummten, schluchzen wir auf's Neu'
Das Nachtigallenlied von Lieb' und Treu'!
Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)
Aus:
Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889 (S. 423-424)
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Ein heimlich Feuer
Ein heimlich Feuer mir im Busen loht;
Doch eh' es mir die Brust zu sprengen droht,
Riß ich dies Herz samt seiner Schmach heraus
Und rottete mit Stumpf und Stiel sie aus.
Zu dir die Liebe, die doch nicht vermag
Zu löschen drin die Glut mir Nacht und Tag!
Und meinst du, daß so lang dies Feuer brennt,
Mein Mund dich je: Geliebte, Gattin nennt? -
Eh' mir dein kaltes Herz ein einzigmal
Die Stirn erwärmt', - ertrüg' ich Höllenqual!
Und eh' ich küßte dir den klugen Mund,
Den Marmorleib umfing in sel'ger Stund',
Ins Leben haucht', in Flammen starren Stein,
So starr wie du - läg' ich in Totenschrein.
Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)
Aus: Orient und Occident Eine Blütenlese aus den vorzüglichsten Gedichten
der Weltlitteratur in deutschen Übersetzungen
Nebst einem biographisch-kritischen Anhang
Herausgegeben von Julius Hart
Minden i. Westf. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 429)
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