Fjodor Sologub (1863-1927)
russischer Dichter
Ein verspäteter Reiter auf pechschwarzem Pferd
Ist am Fenster vorübergesprengt.
Und ich stehe am Fenster von Sehnsucht verzehrt,
Meinen Blick in das Dunkel versenkt.
Es verdeckt mir den Ausblick der finstere Wald,
Der in Nebel gehüllt wie in Dampf.
Doch ich höre, wie weit in der Ferne verhallt
Des enteilenden Rosses Gestampf.
Bin so einsam, es friert mir im Herzen das Blut
Und es sehnt sich nach Wärme und Glück
Und nach jemand, der löscht meine fiebernde Glut . . .
Vielleicht reitet er einmal zurück? . . .
(S. 118)
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Der Talisman
Auf der Lauer stand ich im verruf'nen Wald,
Eine junge Zauberin erschien mir bald.
Ich beschwor sie gleich mit mächt'gem Zauberbann
Und ich flehte sie um einen Talisman.
Sie stand vor mir festgebannt, und scheu, und blass,
Zauberworte murmelnd ohne Unterlass.
Und sie scharrte auf dem Boden mit der Hand,
Einen Stein so rot wie Blut sie plötzlich fand.
Und sie sagte: "Trägst du diesen Stein so rot,
So hat keine Macht mehr über dich der Tod.
Hänge ihn dir um den Hals, er ist jetzt dein,
Und verlange keinen andern Zauberstein.
Merk's: er stillt nicht Lebensdurst noch Liebesgier,
Nur ein Leben ohne Ende schenkt er dir.
Bist du einmal müde, reiss den Stein vom Band,
Wirf ihn weg - und gleich spürst du die Todeshand."
(S. 119)
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Der Pogrom
Meine Braut wollt' ich besuchen
An dem Tag der wüsten Greuel;
Alle lagen da im wirren
Knäuel.
Aus dem grossen Leichenhaufen
Ströme dunklen Blutes drangen;
Nägel steckten in den Augen,
Wangen.
Sie, die heilig mir gewesen,
Ward ein Opfer roher Lüste:
Nägel bohrten sich in ihre
Brüste.
(S. 120)
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übersetzt von Alexander
Eliasberg (1878-1924)
Aus: Russische Lyrik der Gegenwart
Deutsch von Alexander Eliasberg
Mit einer Einleitung und vier Bildnissen
München und Leipzig R. Piper & Co Verlag 1907