Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Stefan Olafsson (1619-1688)
isländischer Dichter




Schmerzlich ist es, sein Mädchen zu verlieren

Mich liebt' ein rein
Blond Mägdelein
Im kalten Land des Eises;
Voll bitt'rem Schmerz
Ist nun mein Herz:
Sie brach die Treu, ich weiss es.

Es ging ihr Sinn
Wo anders hin,
Als ich so lange glaubte,
Die Stimm' mir brach,
Der Puls schlägt schwach,
Denn all mein Glück sie raubte.

Gross ist mein Schmerz,
Als fiele Erz
In Schlossen auf mich nieder;
Die edle Maid -
Auf Lebenszeit
Vergess' ich sie nicht wieder.

Des Leides Last
Erlieg ich fast,
Da ich von dir muss scheiden;
Doch - lebe wohl,
Mein Lieb', und soll
Ich auch den Tod erleiden!
(S. 226)

übersetzt von Josef Calasanz Poestion (1853-1922)

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Das vornehme Mädchen

Blass von Sorgenschimmer
Ein jung Mägdlein sass;
Mütterchen durchmass
Trüben Sinns das Zimmer.

Sprach mit bangem Herzen:
"Warum schweigst du, Kind?
Ob sie schwer auch sind,
Klag' mir deine Schmerzen."

""Sah vom Traum umfangen
Einen Jüngling schlank -
Nun ist's Herz mir krank,
Freud' und Lust vergangen!""

""Will zum Mann ihn haben!
Giebst du ihn nicht gleich,
Magst du todesbleich
Morgen mich begraben!""

"Willst, ein Kind, den Gatten
Schliessen an die Brust?
Dämpfe deine Lust,
Kann dir's nicht gestatten."

""Kannst ans Herz doch schliessen
Heiss den Liebsten mein!
Mag allein nicht sein -
Venus will geniessen!""

"Lern' die Spindel drehen,
Spinnen Flachs und Lein,
Strümpfe stricken fein,
Musst du erst verstehen."

""Will das schon probieren -
Gieb' zum Mann ihn mir,
Denn sonst müsst ich schier
Den Verstand verlieren!""

""Fühl' im Herzen flammen
Heiss der Liebe Glut,
Vor des Schmerzes Wut
Brech' ich sonst zusammen.""

Ihre Augen brechen -
Leblos lag sie da;
Sie auch hatte ja
Aller Mädchen Schwächen.

Kalte Wasserreibung
Löst des Todes Bann -
Sie erwacht sodann
Rasch aus der Betäubung.

Kaum das Auge offen
Klagt sie bitterlich:
""Amors Pfeil hat mich
Tief ins Herz getroffen!""

""Uror igne gravi -
Wie das brennt und nagt!
Doch am meisten plagt:
Amo, amor, amavi!""
(S. 226-227)

übersetzt von August Seuffert (1844-1904)

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Aus: Isländische Dichter der Neuzeit
in Charakteristiken und übersetzten Proben ihrer Dichtung
Mit einer Übersicht des Geisteslebens
auf Island seit der Reformation
von J. C. Poestion
Leipzig Verlag von Georg Heinrich Meyer 1897

 


 

 


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